Die Bendorferin Gertrud Roos (78) bricht ihr Schweigen –
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Überall im Land gedachten die Menschen der Opfer des Nazi-Regimes – 58 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Auch in Rheinland-Pfalz gab es solche Orte des Grauens. In den Konzentrationslagern Osthofen und Hinzert wurden Tausende Menschen misshandelt. Welche Torturen Häftlinge in den Nazi-Lagern durchstehen mussten, wenn sie überhaupt überlebten, daran erinnert sich die Bendorferin Gertrud Roos. Sie erlebte die Hölle im Frauen-KZ Ravensbrück.
Rheinland-Pfalz. Erst nach Jahrzehnten schafft es Gertrud Roos (78), ihr Schweigen zu brechen. Die Frau aus Bendorf bei Koblenz leidet heute noch an den Folgen ihrer Zeit im Frauen-KZ Ravensbrück nördlich von Berlin. Dass sie überhaupt verhaftet wurde, spiegelt die Willkür des verbrecherischen Regimes wider. Eine „Freundin“ hatte sie bei der Geheimen Staatspolizei denunziert. „Ich habe ausländische Sender gehört“, erinnert sich Roos. Und das reichte für eine Festnahme. Bei den Verhören leugnete sie, jemals den „Feindsender“ abgehört zu haben. „Das war mein Glück. Ich hätte mit dem Tod bestraft werden können“, berichtet Roos. Trotzdem wurde sie am 21. September 1944 verhaftet und kurz darauf abtransportiert.
„Ravensbrück war die Hölle“, erinnert sich die Bendorferin mit Tränen in den Augen. Das Einfahrtstor mit den Großbuchstaben „Arbeit macht frei“ wird sie nie vergessen. Auch nicht, wie sie und ihre Mithäftlinge nach der Ankunft stundenlang im kalten Waschraum mit den Brausen an der Decke eingepfercht waren. Dort warteten sie auf die Untersuchung: Nackt und wie am Fließband wurde von einer Frau nach der andern ein Abstrich genommen. Geschlechtskrankheiten sollten damit nachgewiesen werden.
„Bleib tapfer, Kleine“, gaben ihr die älteren Häftlinge mit auf den Weg. Dieser Satz sitzt bei ihr ebenso tief wie der Anblick von gestapelten, ausgehungerten Frauenleichen. Die damals 19-Jährige suchte sich in Block 4 ihre Holzpritsche und einen Strohsack. Holzschuhe und grau-blau gestreifte Häftlingskleider mit rotem Winkel als Symbol für politische Haft ersetzten die Zivilkleidung. Und dann musste sie schuften, zwölf Stunden am Tag. Im Rüstungsbetrieb „Faserstoff“ wurde sie gezwungen, Granaten herzustellen. Bei Wasser, Brot und vielleicht einer Steckrübensuppe „waren wir bald bis auf die Knochen abgemagert“, berichtet die 78-Jährige.
Die Bendorferin wusste um die Qualen der Frauen und Kinder, die von 1944 an in Ravensbrück vergast wurden: „In der Effekten-Kammer standen Koffer voll mit Schmuck, Broschen, Brillanten und Ketten. Die haben sie bestimmt den Jüdinnen abgenommen, deren Kinder immer alleine auf der Lagerstraße standen.“
Ende April 1945 wurde Gertrud Roos von den Russen befreit. Aber damit nahm der Schrecken noch kein Ende. „Die Soldaten waren im Siegestaumel und vergewaltigten die Frauen. Als ich weglaufen wollte, schoss mir ein Russe ins Bein.“ Ein russischer Arzt entfernte ihr die Kugel. Schwer verletzt wurde sie zu einer evangelischen Pfarrersfrau in ein nahe gelegenes Dorf gebracht und medizinisch weiterversorgt. Ort und Namen kennt sie nicht.
„Bis heute habe ich keinen Pfennig Entschädigung bekommen, merkt die 78-Jährige verbittert an. Es fehlen Beweise von politischer Haft und Zwangsarbeit. Die Schusswunde, die wieder aufgebrochen ist, und die grauenvollen Erinnerungen an das größte Frauenkonzentrationslager der Nazis sind offensichtlich nicht genug. Gertrud Roos hat mit mehr als 100.000 Frauen die Torturen von Ravensbrück an Leib und Seele erfahren.
Eine Ausstellung, die gestern am nationalen Gedenktag für die NS-Opfer in Koblenz eröffnet wurde, dokumentiert die Gräuel in den Frauenlagern Moringen bei Göttingen, Lichtenburg bei Prettin/Elbe und Ravensbrück. Der Koblenzer Richter Joachim Hennig hat die Ausstellung des „Studienkreises deutscher Widerstand“ erweitert. Er dokumentiert das Schicksal von zwölf Frauen aus Rheinland-Pfalz. Gertrud Roos ist eine von wenigen Überlebenden.
Gertrud Roos 2003
Foto oben (Kopf): Gertrud Roos mit ihren Töchtern (Anfang der 50er Jahre)