Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Pater Franz Reinisch

Er ließ sein Leben für den Glauben

Im "Dritten Reich" wurden im Rheinland viele katholische Priester, Ordensleute und auch Laien wegen ihres Glaubens verfolgt. Auf ihrem Rücken trugen die Nazis ihren "Weltanschauungskampf' gegen die katholische Kirche aus. Dabei blieben die Priester ohne wirkliche Unterstützung ihrer Kirche. Sie waren "Märtyrer ohne Auftrag". Unter diesen Opfern nahm Franz Reinisch eine Sonderstellung ein.
Er ließ sein Leben für seinen Glauben und war zudem ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. 1903 in Feldkirch/Österreich geboren, studierte er Rechtswissenschaften und Theologie. Er trat in den Pallottiner-Orden ein und kam in den 30er Jahren zur Schönstatt-Bewegung nach Vallendar. Dort gehörte er zum engsten Kreis um deren Gründer, Pater Josef Kentenich. Als Hitler 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselte, stand für Pater Reinisch bald fest: Bei einer Einberufung zum Kriegsdienst würde er den Fahreneid, den Eid auf Hiller persönlich, nicht leisten. Schon 1939 sagte er in Schönstatt: "Man würde ja einem Verbrecher einen Eid geben. "
Im April 1942 erhielt er den Gestellungsbefehl und verweigerte den Eid. Drei Monate später stand er vor dem höchsten deutschen Militärgericht, dem Reichskriegsgericht in Berlin. Die Anklage lautete auf "Zersetzung der Wehrkraft" . Das Verfahren war wie in vielen anderen Fällen eine Farce. Es ging den Richtern - Juristen und hohen Militärs - nicht um die Wahrheitsfindung, sondern nur um ein "Verurteilen" und "Ausmerzen eines Andersdenkenden. Als Pater Reinisch seine Beweggrunde vor dem Reichskriegsgericht darlegen wollte, unterbrach ihn der Vorsitzende mit den Worten: "Halten Sie keine kirchliche Propagandarede. Wir sind kein Kirchengericht, sondern ein Kriegsgericht! ". Das von Anfang an feststehende Urteil lautete auf Todesstrafe und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit.
In den Urteilsgründen hob das Gericht zu allem Überfluß auch noch hervor, daß die kirchlichen Oberen nicht zu Reinisch gestanden hätten. Tatsächlich hatte ihn der Orden wegen seiner Haltung aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Auch nach dem Urteil ließ sich Pater Reinisch durch niemanden von seiner Überzeugung abbringen, obwohl dies sicher sein Leben gerettet hätte. Für die Verweigerung des Eides auf Hiller starb er den Märtyrertod. In großer Glaubens- und Gewissenstreue hat er den Tod angenommen und dies in seinem selbstverfaßten Sterbelied in die Worte gefaßt: "Auch heute ruft Gott wieder nach seiner Heldenschar drum bringe mich, o Mutter als Liebesopfer dar”.
Am 21. August 1942, um 5.03 Uhr, wurde Pater Franz Reinisch im Zuchthaus Brandenburg durch das Fallbeil hingerichtet. In dieser Nacht wurden dort insgesamt sieben Todesurteile vollstreckt. Seine sterblichen Überreste sind neben der Schönstätter Gnadenkapelle beigesetzt. In Bruchsal, Bad Kissingen, Friedberg bei Augsburg und in einer Wallfahrtskirche bei Schwäbisch-Gmünd erinnern Gedenktafeln sowie in einer Abteikirche bei Höxter ein Gedenkstein an ihn. Auch Vallendar hat Pater Reinisch nicht vergessen. Vor einem halben Jahr hat der Stadtrat beschlossen, eine der beiden nächsten neuen Straßen nach ihm zu benennen.
Joachim Hennig in: Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - vom 28. Dezember 1998
 

 
 Pater Franz Reinisch berichtet über den Verlauf der Hauptverhandlung  vor dem Reichskriegsgericht am 7. Juli 1942:

„Beginn 11.15 Uhr. Anwesend 3 - 5(?) Generäle oder Beamte im Generalsrang. Staatsanwalt, Verteidiger, Protokollführer, ein Soldat zur Bewachung. Öffentliche Sitzung, doch niemand erschienen. Personalien durchgesprochen. Sachverhalt. Der vorsitzende Senatspräsident erklärt, es sei kindisch, dass ich einen Tag später in die Kaserne eingetreten sei, und dass ich wegen zweier Priesterseminare den Treueid verweigere. Im Übrigen glaube er, dass ich rachsüchtig sein müsse wegen des Redeverbots durch die Gestapo.

Antwort: ‚Hohes Reichskriegsgericht! Ich achte und schätze die deutsche Wehrmacht, weil wahrhaft religiöse und sittlich hochstehende Persönlichkeiten und nicht Massenmenschen darin vorhanden sind, und weil die deutsche Wehrmacht die Heimat vor feindlichen Angriffen beschützt hat, und weil ich auch noch am ehesten bei ihr Recht und Gerechtigkeit erwarte. Ich bitte daher, Herr Senatspräsident, mich in Geduld anzuhören. Vor allem war mein verspätetes Eintreffen in der Kaserne aus dem Prinzip heraus geschehen, dass ich die gegenwärtige Reichs-regierung nicht anerkenne, und darum hat sie mir auch keinen Befehl zu erteilen. Es ist wohl nicht kindisch, wenn ich mich einsetze für zwei Priesterseminare, weil darin der Priesterstand allgemein getroffen wurde durch die Gestapo.’

Werde unterbrochen: ‚Halten Sie hier keine kirchlichen Propagandareden. Im übrigen sind wir kein Kirchengericht, son-dern ein Kriegsgericht. Wir haben vor Ihnen gar keine Achtung, wo Sie wissen, dass es heute um den Bolschewismus geht. Sie stellen sich ein, um einen Vergleich zu gebrauchen, bei einem brennenden Haus, um Ihre Habseligkeiten zu retten, das andere mag zu Grunde gehen. Zehntausende von Ihren Mitbrüdern haben den Treueid geleistet, das ist eine Kompromittierung Ihres ganzen Standes. Sie mögen ruhig Ihre zwei Seminare haben, und das ganze deutsche Volk mag darüber zu Grunde gehen.’

Antwort: ‚Herr Senatspräsident, es geht hier um den katholischen Priester, und das ist das Bedauernswerte der heutigen Regierung, ihre Doppelzüngigkeit: zum einen macht sie den katholischen Priester durch die Gestapo unmöglich, auf der anderen Seite soll der Priester seinen Mann stellen.’

Sofortige Unterbrechung. Er beginnt nun eine furchtbare Schimpfrede über meine Person, dass er gar keine Achtung vor mir habe. Er habe Bibelforscher vor sich gehabt, die er mehr achte und schätze als mich, darunter Kärntner und einen Tiroler mit acht Auszeichnungen. Er fragt mich nun noch einmal, ob ich den Fahneneid leisten wolle oder nicht. Ich antworte: ‚Ich müsste hier eine Unterscheidung machen.’ Der Senatspräsident darauf: ‚Ich verlange ein klares Ja oder Nein. Die Lauen werden ausgespieen, steht in der Bibel. Bist du nicht für mich, so bist du gegen mich.’

Darauf meine Antwort, ein lautes ‚Nein!’

Der Staatsanwalt stellt nun den Antrag auf Todesstrafe. Verteidiger spricht kurz und ganz Nebensächliches, z.B. dass ich mich in der Einsamkeit der Zelle wohl noch anders besinnen könnte. Darauf der Senatspräsident: ‚R(einisch), Sie haben das Schlusswort.’

‚Herr Senatspräsident, ich bitte hier Geduld zu haben. Ich will keine politische Propagandarede halten, sondern nur meinen Standpunkt klären.’ Der Senatspräsident unterbricht: ‚Sie sind ein stolzer Mensch. Es soll Ihnen noch gesagt sein, dass den Geistlichen vom Staate ihre Gehälter gezahlt werden. Was wird der Papst machen mit seiner katholischen Kirche, wenn die Kirche keine Gehälter mehr vom Staate bekommt? Sie könnte einpacken. Und nun R(einisch), was haben Sie noch zu sagen?’

Meine Antwort: ‚Aufgrund dieser Ausführungen erkläre ich - Nein! Ich werde den Treueid nicht leisten.’“
 

 
Abschiedsbrief von Franz Reinisch vom 29. September 1925 aus Innsbruck an das „Hochgeschätzte Fräulein “ (vermutlich Ludowika Linhard)


„Hochgeschätztes Fräulein, Lebewohl!“ So schließt ein Lied. So sagt man beim Abschiednehmen! Ja, Abschied nehmen muss ich von allem, was mir lieb und wert geworden, was ich als Kleinod im Herzen trug. Von allen: Eltern, Geschwistern, Bekannten und mir Gutgesinnten. Ja von denen, die mir so nahe gestanden sind. Auch von dem, was mir Unterhaltung und Zeitvertreib bot, von Vergnügungen und Konzerten und ganz besonders von den Herzensfreuden, von all dem soll ich mich nun losreißen, um mich in ein einsames Kämmerlein zurückzuziehen, um dort nach dem zu streben, was mein Beruf verlangt! Was lockt einen mit Sinnen begabten Mensch mehr: die Welt oder Gott? Ja, das sind die Fragen, die mich im Allgemeinen beschäftigen, Zergliedere ich diese Gedanken noch ins Einzelne, dann wird das Schreiben etwas schwer. Von dem treuen Elternhaus, wo ich mich so behaglich fühlte, an dem ich mit allen Fasern meines Herzens hänge, das ich einmal schätzen lernte, als ich eine Zeitlang in der Fremde war, von dem soll ich scheiden? Noch mehr von Menschen, die mit mir fühlen, in Leid mir Tröster und Stütze waren, in Freuden sich mit mir freuten, denen ich mich ganz anvertrauen konnte, von all dem soll ich Abschied nehmen? Lass ich in mir die Erinnerung sprechen, umso schwerer fällt es mir.

Was vergangen kehrt nie wieder
aber ging es leuchtend nieder,   
leuchtet’s lange noch zurück!

So schreiben Sie mir teures. Jetzt beim Abschied fühle ich, was in diesem kleinen Gedicht für ein tiefer Sinn liegt. Besonders schöne Stunden konnte ich mit Ihnen verleben und die bleiben auch für mich ein Erlebnis. Denke ich nur an einige, so anheimelnde Engelsstimmungen, wie jener Heimgang, bei dem ich erste Mal in Ihr Innerstes schauen konnte, an den darauf folgenden Tanzabend, an die Weihnachtserlebnisse, an Neujahr, so empfinde ich in mir eine Sehnsucht zurück zu diesen Stunden. Dann jener Abend, an dem Sie mir die Hand küssten, ich kann Ihnen nicht schreiben, wie schön dieser Augenblick war. In Ihnen fand ich ein Menschenherz voll aufrichtigem Sinn, das soviel schönes Gemüt und Verstehen zeigte, so dass ich schon bei Ihrem Anblick all das Gemeine und Niedere der Welt vergaß. Ja, ich kann hier mit dem Dichter sprechen: „Sie sind ein Kind voll Gnade.“
Andreas Hofer und Kränzchen! Welch herzliches Unterfangen war nicht das, als wir uns gegenseitig das trauliche „Du“ sagen konnten und auf der Galerie so manch schönen Gedanken gerade durch dieses „Du“ durchleuchten ließen und austauschen durften? Und das Schlusskränzchen! Bei dem ahnte ich so leise, was nun der Schlusswalzer für mich bedeuten soll und wurde etwas schwermütig, als ich beim „Brüderlein Schwesterlein“ in Ihre Augen schaute. Gerade durch diese schönen Erinnerungen fällt es mir doppelt schwer, gerade Ihnen „Lebe wohl“ zu sagen.

Doch welche Antwort soll ich auf all das geben? Liegt es in meiner Macht, hier ein sicheres: „Ja, ich will Abschiednehmen“ zu sagen? Ist es mein Beruf, dem höchsten Gute, das ein Mensch auf dieser Welt erstreben kann, mich zuzuwenden? Wenn es mir auch noch so schwer fällt, von allem (Abschied zu nehmen, Erg. d. Verf.), an dem ich so sehr gehangen, so habe ich doch mein Ziel gesetzt, das ich mit Hilfe von oben erreichen will!

So lassen Sie mich auch von Ihnen … Abschied nehmen und möge dieses kleine beigefügte Buch ein Dankeszeichen sein für das, was Sie mir waren. Einstens bekam ich von Ihnen in einem lieben Brieflein einen Maienklee, einen Vierklee. Er bedeutet Glück! Er war bis jetzt für mich Glück und wird es hoffentlich weiterhin bleiben.

Treue gibt Hoffnung auf Glück! Treu sein sich selbst gegenüber ist des Menschen einziges wahres Streben, das zum Ziele führt. Ist man sich selber „treu“, so schließt dies die ganze Lebensformel, nach der die Menschheit unaufhörlich ringt: der Mensch will glücklich sein, in sich sein. Sich selbst gegenüber treu sein, sagt ein berühmter Jesuitenpater, ist gleichbedeutend mit keusch sein! Aus dem aufrichtigen Auge spricht Reinheit des Herzens, und ein treues Herz verleiht Anmut und Schönheit dem Charakter! Nur auf Gutem und Edlem stützt sich die Hoffnung nach Glück. Aus Schlechtem kann nichts Gutes werden. Denn Schlechtes kann nur Schlechtes wieder gebären.

So komme ich zum Ende meiner Abschiedsgedanken und hege noch einen Wunsch, den ich Ihnen einmal als Rat mitgeteilt habe:
In Freud’ und Leid/ führt nur ein Weg zum Glück/ das ist der Gedanke nach aufwärts, / das Bild der Hoffnung, / der Vermittlerin, Maria.             

Ich glaube nichts Weiteres mehr hinzufügen zu müssen, denn jene Abendstunde wird auch in Ihrer Erinnerung stets bleiben. Glück und Segen allerwegen! Einen recht herzlichen Abschiedsgruß sendet Ihnen ein in die Ferne ziehender Freund.
 
 

 
Reichskriegsgericht - Urteil vom 7. Juli 1942 gegen Pater Franz Reinisch

 „Durch die Weigerung, den Fahneneid zu schwören und Dienst als Sanitätssoldat zu leisten, hat er es somit fortgesetzt unter-nommen, sich der Erfüllung des Wehrdienstes zu entziehen. ... Er ist daher wegen eines fortgesetzten Verbrechens der Zersetzung der Wehrkraft nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Kriegssonder-strafrechtsverordnung zu bestrafen.

Diese Gesetzesbestimmung droht grundsätzlich die Todesstrafe an. Nur wenn ein minder schwerer Fall vorliegt, kann auf Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe erkannt werden. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Der Angeklagte verharrt trotz aller Belehrungen auf seinem Standpunkt. Aus einer persönlichen Einstellung heraus lehnt er es ab, dem deutschen Volk in seinem Daseinskampf die Treue zu halten. Er setzt sich daher bewusst in Gegensatz nicht nur zu Volk und Staat, sondern übrigens sogar zu seinen kirchlichen Oberen. Hinzu kommt, dass die Hartnäckigkeit der Tat geeignet ist, eine für das Wohl des Reichs gefährliche Werbekraft auszuüben. Hier kann nur die härteste Strafe den Strafzweck erfüllen. Der Senat erkennt daher gegen den Angeklagten auf Tod.

Wehrdienst ist Ehrendienst am deutschen Volk. Da der Angeklagte sich weigert, die Ehrenpflicht eines Deutschen zu erfüllen, werden ihm ... auch die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt...“

 
Lesen Sie auch folgende Dokumente:
 
 
 

 
 

Lesen Sie hier den Vortrag, den Joachim Hennig im Wintersemester 2002/03 in der Volkshochschule Koblenz über den Pfarrer Paul Schneider gehalten hat:


Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich möchte Sie sehr herzlich zur zweiten Veranstaltung der diesjährigen Reihe über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz begrüßen.

Heute wollen wir uns einem Lebensbild eines katholischen Ordensgeistlichen zuwenden, dem Pallotiner-Pater Franz Reinisch von der Schönstatt-Bewegung.

Ehe wir das tun, wollen wir auch heute wieder dieses Lebensbild in einen historischen, einen kirchlich-politischen Kontext stellen. Tun und Unterlassen der katholischen Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus ist aufs Engste verknüpft mit dem Namen Pius XII. Der spätere Papst Pius XII, der 1958 gestorben ist, war als Nuntius fast ein Jahrzehnt, von 1920 bis 1929, Nuntius bei der deutschen Reichsregierung in Berlin. 1930 wurde er Kardinalstaatssekretär und hatte entscheidenden Einfluss auf den Abschluss des Konkordats zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl am 20. Juli 1933. Dieser Staatsvertrag regelte die Freiheit der Religionsausübung, das Recht der Kirche auf unbeeinflusste Besetzung ihrer Ämter, die Sicherung der Bekenntnisschulen, den Schutz katholischer Verbände, die Beibehaltung theologischer Fakultäten an den Hochschulen u.a.m. Dafür akzeptierte der Vatikan das Verbot jeglicher politischer Betätigung ihrer Geistlichen. Für Hitler war dieser Staatsvertrag mit dem Vatikan ein großer politischer Erfolg. Das In- und Ausland musste meinen, dass Hitler doch ein anständiger Mann sie, wenn sogar der Papst mit ihm paktierte. Mit diesem Vertrag neutralisierte Hitler das politische Potenzial für Protest und Widerstand von 22 Millionen deutscher Katholiken (vor dem Anschluss Österreichs). Damit war auch die außenpolitische Isolierung Deutschlands durchbrochen. Triumphierend schrieb Hitler am 22. Juli 1933: „Durch diesen Vertrag wird vor der ganzen Welt klar, und unzweideutig bewiesen, dass die Behauptung, der Nationalsozialismus sei religionsfeindlich, eine Lüge ist.“ Bekannt ist auch das Schweigen Pius XII., der am 2. März 1939 zum Papst gewählt wurde, gerade auch zu dem Völkermord an den Juden. Er schwieg selbst noch nach dem 4. Juni 1944, obwohl dann Rom von den Amerikanern besetzt war und Pius XII. also absolut frei sagen konnte, was er sagen wollte. Zu dieser Zeit wurden noch viele der 437.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz in den Tod deportiert. – Wie Sie sicherlich wissen, läuft zurzeit ein Seligsprechungsverfahren für Papst Pius XII. Man darf auf den Ausgang dieses Verfahrens gespannt sein und auf die Erkenntnisse, die sich aus einer – teilweisen – Öffnung der vatikanischen Archive ergibt.

Doch nun zu den katholischen Priestern und Ordensleuten. Auch um diese hat sich Papst Pius XII. wenig gekümmert. Etwa 3.000 katholische Priester ließ Hitler – meist in Konzentrationslagern – ermorden. Für keinen einzige von ihnen hat der Papst bei Hitler, mit das Konkordat geschlossen war, ein Wort eingelegt. Sie waren – wie es ein katholischer Kirchengeschichtler einmal formulierte – „Märtyrer ohne Auftrag“. Inzwischen erinnert sich auch das offizielle Rom dieser Opfer des Nationalsozialismus. Zusammengetragen sind ihre Lebensbilder in einem zweibändigen, von Prälat Dr. Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Werk mit dem Titel „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“. In ihm wird auch an Pater Franz Reinisch erinnert.

Franz Reinisch wurde am 1. Februar 1903, also vor fast 100 Jahren, in Tirol in Österreich geboren. Er war das zweitälteste von fünf Kindern und stammte aus einem gut katholischen Elternhaus. Sein Vater war ein promovierter Finanzbeamter und wird als „kerniger Tiroler“ und „überzeugter Katholik“ beschrieben. Franz Reinisch besuchte ein von Franziskanern geleitetes Gymnasium, auf dem er 1922 sein Abitur machte.

Noch im selben Jahr schrieb er sich in der Juristischen Fakultät der Universität Innsbruck ein. Gleichzeitig trat er der deutschen katholischen farbentragenden Studentenverbindung „Leopoldina“ bei. Deren Wahlspruch lautete: „Unverrückbar wie die Berge der Heimat“. Als er ein Jahr später an vierwöchigen Exerzitien teilnahm, entschloss er sich bald zum Studium der Theologie und Philosophie. Dann trat er ins Priesterseminar in Brixen ein und wurde 1928 zum Priester geweiht. Noch im selben Jahr schloss er sich der Gesellschaft der Pallotiner an, die von dem römischen Priester Vinzenz Pallotti (1795 – 1850) gegründet wurde.

Im Sommer 1933 wurde Franz Reinisch in die Nähe von Augs-burg versetzt. In dieser Zeit kommt er mit der Schönstatt-Bewegung in Kontakt. Diese Bewegung wurde durch den Pallotiner-Pater Joseph Kentenich am 18. Oktober 1914 hier in Schönstatt (heute: Vallendar-Schönstatt) gegründet. Sie strebt eine religiös-sittliche Erneuerung von Kirche und Welt an. Charakteristisch für sie ist das Nebeneinander von Priester-, Schwester, und gerade auch zahlreichen Laiengemeinschaften. Im Vordergrund der Schönstatt-Bewegung steht das „Liebesbündnis mit der Gottesmutter“, der MTA = Mater Ter Admirabilis = Dreimal wunderbare Mutter; das ist der Titel, unter dem die Gottesmutter in Schönstatt verehrt wird.

Im Jahre 1934 besuchte Franz Reinisch erstmals Schönstatt, den Gründungs- und Wallfahrtsort der Schönstatt-Bewegung. Diese Bewegung prägte ihn entscheidend, und er kam nach verschiedenen Tätigkeiten erst wirklich zur Ruhe, als er im November 1938 nach Schönstatt versetzt wurde Er war dort in der Männerseelsorge tätig und gehörte zum engsten Kreis um Pater Josef Kentenich, dem Gründer der Schönstatt-Bewegung.

Zu dieser Zeit waren die Nationalsozialisten und ihre zahlreichen Helfer bereits fünf Jahre an der Macht. Sie waren längst etabliert, hatten vor allem ihre politischen Gegner, die Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter weitgehend „mundtot“ gemacht. Auch in anderen Bereichen hatten sie ihren gesellschaftlichen und weltanschaulichen Machtkampf fortgesetzt. Ihr Gegner wurde – zumal im Rheinland – in zunehmenden Maße der politische Katholizismus, d.h. die Existenz und Einflussnahme des Katholizismus in Gesellschaft und Politik, wie sie ihren Ausdruck fand in katholischen Verbänden, Zeitschriften oder auch der Zentrumspartei. Zwar hatten das Deutsche Reich und der Vatikan bereits am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat abgeschlossen, doch schon bald begannen die Schikanierungen der katholischen Kirche und ihrer Gliederungen und Einrichtungen. Die Nationalsozialisten wollten letztlich die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und den Einfluss des Katholizismus zurückdrängen.  

Vor diesem Hintergrund rückten die katholischen Priester immer mehr in das Blickfeld der Nazis. Auf dem Rücken einzelner Priester wurde dieser Kampf der Nationalsozialisten zur Durchsetzung ihrer „Weltanschauung“ gegen die katholische Religion/“Weltanschauung“ ausgetragen. Die „Vergehen der Priester waren nicht im engeren Sinne politischer Natur, denn es gab nur ganz wenige „politisch unzuverlässige“ Priester bzw. solche, die sich als „politisch unzuverlässig“ zu erkennen gaben. Die Nazis machten den katholischen Priestern im Allgemeinen zum Vorwurf, dass sie an ihrer überkommenen liturgischen und seelsorgerischen Praxis festhielten und nicht ausreichend der „neuen Zeit“ und ihrer Ideologie Rechnung trugen. Ein typisches „Vergehen“ war beispielsweise die Nichtbeflaggung des Kirchturms mit der Hakenkreuzfahne.

Mit besonderer Aufmerksamkeit beobachteten und mit besonderer Härte verfolgten die Nazis und ihre Helfer die „Schönstatt“-Bewegung. Schon im September 1935 hatte es einen „Sonderbericht“ über die Bewegung gegeben, seitdem wurde sie von der Gestapo beobachtet und kontrolliert. Man durchsuchte die Zimmer der Patres, fertigte Dossiers über die leitenden Männer der Schönstatt-Bewegung an, verhörte einige von ihnen und beschlagnahmte Bücher. Ende 1938/Anfang 1939 – zu diesem Zeitpunkt befand sich Pater Franz Reinisch bereits in Schönstatt – setzten die Nazis die Leitung des Studienheims der Pallotiner so unter Druck, dass diese das Studienheim schlossen und das Gebäude den Nazis für eine „Lehrerbildungsanstalt“ zu Verfügung stellten.      

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges nahm die Repression in Schönstatt und gegen die Schönstätter zu. Grundlage hierfür war ein als „Geheime Reichssache“ deklarierter umfangreicher Bericht der Staatspolizeistelle Fulda an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Die Durchsuchungen wurden daraufhin häufiger und strenger. Im Frühjahr 1940 schlugen die Schikanen in Verfolgung um. Am 1. März 1940 wurde Pater Josef Fischer während eines Verhörs in Koblenz festgenommen und erst nach sieben Wochen wieder freigelassen.
 
Einige Zeit später, am 12. September 1940, verhängte das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin gegen Pater Reinisch ein für das gesamte Reich geltendes Rede- und Predigtverbot. Zur Begründung hierfür wurden zwei Predigten von April und Juni 1940 angeführt. In ihnen hat er im Rahmen der Männerseelsorge den unchristlichen Charakter des Nationalsozialismus hervorgehoben, ihn der „grundsätzlichen Lüge“ bezichtigt und die Männer zur Treue und zum Gehorsam gegenüber dem christlichen Glauben, der Kirche und ihren Vertretern aufgerufen. Dies ist dann herausgekommen, weil offensichtlich einer der Männer Reinisch bei der Gestapo denunziert hat.

Pater Reinisch litt unter dem Verbot schwer, ließ sich aber nicht unterkriegen. Er war von Beginn an ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen, ließ sich davon nicht unterkriegen. Auch nach dem Verbot reiste er durch Deutschland und hielt in kleinen Gruppen Vorträge.

In jenen Jahren hat er sich speziell auch mit der Verweigerung des Soldateneides und damit des Wehrdienstes im Nationalsozialismus  beschäftigt. Schon 1939 soll er in Schönstatt gesagt haben: „Den Eid, den Soldateneid auf die nationalsozialistische Fahne, auf den Führer, darf man nicht leisten. Das ist sündhaft. Man würde ja einem Verbrecher einen Eid geben.“ sowie: „Unser Gewissen verbietet uns, einer Obrigkeit zu folgen, die nur Mord und Totschlag in die Welt bringt um der lüsternen Eroberung willen. Man darf diesem Verbrecher keinen Eid leisten.“    

Hintergrund dieser Äußerungen war der Umstand, dass der Soldateneid  nach dem Tod des greisen Reichspräsidenten von Hindenburg seit August 1934 auf Hitler persönlich zu leisten war und wie folgt lautete:

                     Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich
                     dem Führer des  Deutschen Reiches und Volkes,
                     Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der
                     Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als
                     tapferer Soldat jederzeit bereit sein will, für diesen
                     Eid mein Leben einzusetzen.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 bekam diese Eidesleistung eine ganz aktuelle Bedeutung - auch für Priester. Anders als heute gab es keine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und auch die Befreiung vom Wehrdienst war anders als heute geregelt. Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 enthielt in einem geheimen Zusatz Bestimmungen über die „Heranziehung von Priestern und anderen Mitgliedern des Welt- und Ordensklerus“.

Danach waren im Fall einer allgemeinen Mobilmachung die Geistlichen, die in einer Diözesanverwaltung oder in der Seelsorge  beschäftigt sind (das waren nur die Pfarrer, die eine eigene Pfarrei hatten), von der Gestellung frei. Alle übrigen, für tauglich erklärten Geistlichen wurden entweder für die Seelsorge bei den Truppen oder zum Sanitätsdienst eingezogen. Damit musste Pater Reinisch mit seiner Einberufung zum Wehrdienst und seinem Einsatz im Sanitätsdienst rechnen.


Am 1. März 1941 erhielt Pater Reinisch den Bereitschaftsbefehl zum Eintritt in die Wehrmacht. Damit musste er jederzeit mit seiner Einberufung rechnen. Tatsächlich erging dann im April 1942 der Gestellungsbefehl, der ihn zur 3. Kompanie der Sanitäts-Ersatzabteilung 13 in Bad Kissingen einberief. Dort begab er sich einen Tag später als befohlen hin, erklärte, den Fahneneid nicht leisten zu wollen und ließ sich von diesem Entschluss dann auch nicht mehr abbringen.

Bei seiner Gewissensentscheidung fand Pater Reinisch durch die katholische Kirche insgesamt und auch durch seinen Orden wenig Unterstützung. Er war wie viele katholische Priester ein „Märtyrer ohne Auftrag“. Sein Orden schloss ihn sogar aus der Gemeinschaft aus.

Knapp drei Monate später, am 7. Juli 1942, fand wegen dieser Tat vor dem höchsten Militärgericht, dem Reichskriegsgericht in Berlin, gegen Pater Reinisch  die Hauptverhandlung statt. Den Gang der Verhandlung hat Pater Reinisch festgehalten. Er hat ihn nicht selbst aufschreiben können, da ihm Handfesseln angelegt worden waren. Er hat ihn aber dem Gefängnispfarrer diktiert, der ihn seinerseits aufgezeichnet hat. Dieser Bericht ist es wert, ausführlich wiedergegeben zu werden, denn er macht das Klima in  dem Prozess sehr deutlich. Er lautet wie folgt:

Beginn 11.15 Uhr. Anwesend 3 - 5(?) Generäle oder Beamte im Generalsrang. Staatsanwalt, Verteidiger, Protokollführer, ein Soldat zur Bewachung. Öffentliche Sitzung, doch niemand erschienen. Personalien durchgesprochen. Sachverhalt. Der vorsitzende Senatspräsident erklärt, es sei kindisch, dass ich einen Tag später in die Kaserne eingetreten sei, und dass ich wegen zweier Priesterseminare den Treueid verweigere. Im Übrigen glaube er, dass ich rachsüchtig sein müsse wegen des Redeverbots durch die Gestapo. Antwort: „Hohes Reichskriegsgericht! Ich achte und schätze die deutsche Wehrmacht, weil wahrhaft religiöse und sittlich hoch stehende Persönlichkeiten und nicht Massenmenschen darin vorhanden sind, und weil die deutsche Wehrmacht die Heimat vor feindlichen Angriffen beschützt hat, und weil ich auch noch am ehesten bei ihr Recht und Gerechtigkeit erwarte. Ich bitte daher, Herr Senatspräsident, mich in Geduld anzuhören. Vor allem war mein verspätetes Eintreffen in der Kaserne aus dem Prinzip heraus geschehen, dass ich die gegenwärtige Reichsregierung nicht anerkenne, und darum hat sie mir auch keinen Befehl zu erteilen. Es ist wohl nicht kindisch, wenn ich mich einsetze für zwei Priesterseminare, weil darin der Priesterstand allgemein getroffen wurde durch die Gestapo.“ - Werde unterbrochen: „Halten Sie hier keine kirchlichen Propagandareden. Im Übrigen sind wir kein Kirchengericht, sondern ein Kriegsgericht. Wir haben vor Ihnen gar keine Achtung, wo Sie wissen, dass es heute um den Bolschewismus geht. Sie stellen sich ein, um einen Vergleich zu gebrauchen, bei einem brennenden Haus, um Ihre Habseligkeiten zu retten, das andere mag zu Grunde gehen. Zehntausende von Ihren Mitbrüdern haben den Treueid geleistet, das ist eine Kompromittierung Ihres ganzen Standes. Sie mögen ruhig Ihre zwei Seminare haben, und das ganze deutsche Volk mag darüber zu Grunde gehen.“ Antwort: „Herr Senatspräsident, es geht hier um den katholischen Priester, und das ist das Bedauernswerte der heutigen Regierung, ihre Doppelzüngigkeit: zum einen macht sie den katholischen Priester durch die Gestapo unmöglich, auf der anderen Seite soll der Priester seinen Mann stellen.“ - Sofortige Unterbrechung. Er beginnt nun eine furchtbare Schimpfrede über meine Person, dass er gar keine Achtung vor mir habe. Er habe Bibelforscher vor sich gehabt, die er mehr achte und schätze als mich, darunter Kärntner und einen Tiroler mit acht Auszeichnungen. Er fragt mich nun noch einmal, ob ich den Fahneneid leisten wolle oder nicht. Ich antworte: „Ich müsste hier eine Unterscheidung machen.“ Der Senatspräsident darauf: „Ich verlange ein klares Ja oder Nein. Die Lauen werden ausgespieen, steht in der Bibel. Bist du nicht für mich, so bist du gegen mich.“ Darauf meine Antwort, ein lautes „Nein!“ - Der Staatsanwalt stellt nun den Antrag auf Todesstrafe. Verteidiger spricht kurz und ganz Nebensächliches, z.B. dass ich mich in der Einsamkeit der Zelle wohl noch anders besinnen könnte. Darauf der Senatspräsident: “R(einisch), Sie haben das Schlusswort.“ - „Herr Senatspräsident, ich bitte hier Geduld zu haben. Ich will keine politische Propagandarede halten, sondern nur meinen Standpunkt klären.“ Der Senatspräsident unterbricht: „Sie sind ein stolzer Mensch. Es soll Ihnen noch gesagt sein, dass den Geistlichen vom Staate ihre Gehälter gezahlt werden. Was wird der Papst machen mit seiner katholischen Kirche, wenn die Kirche keine Gehälter mehr vom Staate bekommt? Sie könnte einpacken. Und nun R(einisch), was haben Sie noch zu sagen?“ Meine Antwort: „Aufgrund dieser Ausführungen erkläre ich - Nein! ich werde den Treueid nicht leisten.

Soweit das von Pater Reinisch dem Gefängnispfarrer diktierte Gedächtnisprotokoll seiner Hauptverhandlung. Er beschreibt eine Verhandlung des Senatspräsidenten Dr. Schmauser, wie sie dort wohl üblich war. Nach der Beschreibung eines öfter beim Reichskriegsgericht auftretenden Verteidigers  muss dieser Dr. Schmauser eine schnarrende und sich  wiederholt räuspernder Stimme und einen fast karikaturistischen Bürstenschnitt auf dem eisgrauen Haupt besessen und Schmauser muss man schon angesehen haben, dass man als Angeklagter oder Verteidiger  bei ihm einen schweren Stand haben wird. Der Ton war hochfahrend und arrogant, schon die Fragen zur Person und zum Lebenslauf, die mit unsachlichen und ironischen Kommentaren durchsetzt waren, verrieten die vollkommene Voreingenommenheit des Vorsitzenden und des ganzen Gerichts. Diesen Eindruck gewinnt man auch aus der Verhandlung gegen Pater Reinisch.

Von daher brachte das daraufhin verkündete Urteil gegen Pater Reinisch keine Überraschungen. Es wiederholte die Stereotypen, wie sie sich in der Spruchpraxis des Reichskriegsgerichts seit einiger Zeit herausgebildet hatten. So heißt es darin u.a.:

„Durch die Weigerung, den Fahneneid zu schwören und Dienst als Sanitätssoldat zu leisten, hat er es somit fortgesetzt unternommen, sich der Erfüllung des Wehrdienstes zu entziehen. ... Er ist daher wegen eines fortgesetzten Verbrechens der Zersetzung der Wehrkraft nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung zu bestrafen.
Diese Gesetzesbestimmung droht grundsätzlich die Todesstrafe an. Nur wenn ein minder schwerer Fall vorliegt, kann auf Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe erkannt werden. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Der Angeklagte verharrt trotz aller Belehrungen auf seinem Standpunkt. Aus einer persönlichen Einstellung heraus lehnt er es ab, dem deutschen Volk in seinem Daseinskampf die Treue zu halten. Er setzt sich daher bewusst in Gegensatz nicht nur zu Volk und Staat, sondern übrigens sogar zu seinen kirchlichen Oberen. Hinzu kommt, dass die Hartnäckigkeit der Tat geeignet ist, eine für das Wohl des Reichs gefährliche Werbekraft auszuüben. Hier kann nur die härteste Strafe den Strafzweck erfüllen. Der Senat erkennt daher gegen den Angeklagten auf Tod.
Wehrdienst ist Ehrendienst am deutschen Volk. Da der Angeklagte sich weigert, die Ehrenpflicht eines Deutschen zu erfüllen, werden ihm ... auch die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt...

Entscheidungen wie diese sind typisch für das nationalsozialistisch geprägte Strafrecht. Kennzeichnend sind die deutliche Verschärfung der Strafmaße und die allgemeine Ausweitung der Straftatbestände bis hin zur Aufhebung des Analogieverbots und des Verbots rückwirkender Strafgesetze. Sühne und Abschreckung galten als vorrangige Strafzwecke. Kerngedanke war die „Aussonderung“ und „Ausgrenzung“ von Andersdenkenden und von abweichendem, die „Volksgemeinschaft“ schädigendem Verhalten. Diese Tendenzen kamen erst recht in der Militärstrafgerichtsbarkeit zum Ausdruck und verschärften sich noch einmal nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939. Eine dieser gesetzgeberischen Maßnahmen war die Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Sie war als „militärische Mobilmachungsmaßnahme auf dem Gebiet der Kriegsstrafrechtspflege“ konzipiert. In deren § 5 wurde die „Zersetzung der Wehrkraft“ bestraft. Das ist auch die Norm, aufgrund der Pater Reinisch wegen Verweigerung der Eidesleistung zum Tode verurteilt wurde.

Diese gesetzlichen Vorgaben setzte das Reichskriegsgericht in seiner Spruchpraxis mit drakonischer Härte um. Nach eigenem Selbstverständnis galt dem Reichskriegsgericht - bereits im Mai 1940 - die Todesstrafe „in dem Abwehrkampf Deutschlands (als) ein Gebot der Notwehr“. Dabei kam das höchste Wehrmachtsgericht ganz generell - so auch hier - ernstlich gar nicht auf die Idee, einen  minderschweren Fall anzunehmen. Das hätte durchaus nahe gelegen, zumal Pater Reinisch gar nicht vor „versammelter Mannschaft“ oder sonst wie spektakulär und publikumswirksam verweigert hatte, sondern vielmehr ganz im Stillen. Besonders perfide ist auch, dass die Richter ihn zudem verhöhnen, weil auch sein Orden ihn im Stich gelassen hat.

Das Eigentümliche der Militärgerichtsbarkeit war es nun, dass die Urteile mit der Bekanntgabe zwar rechtskräftig waren, sie indessen dem sog. Gerichtsherrn zur abschließenden Entscheidung vorgelegt werden mussten. Er war es letztlich, der über die Bestätigung oder Abänderung des Urteils entschied.

Gerichtsherr des Reichskriegsgerichts war dessen Präsident, Admiral Bastian. Nach dem Krieg erinnert er sich an seine Rolle als Gerichtsherr im Bestätigungsverfahren wie folgt:

Es gab kein Urteil, das ich nicht eingehend gelesen, ja das ich nicht mit all der mir zu Gebote stehenden Gewissenhaftigkeit auf das genaueste studiert hätte.“ Und an anderer Stelle bekennt er, er habe versucht, sich „durch Labyrinth und Gestrüpp von Gesetzen, Gesetzesänderungen, Verfügungen, Anordnungen, Auslegungen, Befehlen, Direktiven, Ansichten, Rechtsauffassungen, Widersprüchen, Reibungen, Animositäten innerhalb und außerhalb der Wehrmacht... als gerader und aufrechter Mann und anständiger Soldat hindurchzuringen.

Nachdem Admiral Bastian das nach seinen Worten auch im Falle des Eidesverweigerers Pater Reinisch gemacht hatte, bestätigt er unter dem Datum des 30. Juli 1942  als Gerichtsherr das Urteil und verfügt: „Das Urteil ist zu vollstrecken.“

Unterdessen hatten sich noch zahlreiche Geistliche bemüht, Pater Reinisch umzustimmen. Denn auch nach der Verurteilung zum Tode hätte er sein Schicksal noch abwenden können. Er hätte immer noch „widerrufen“ können, zur Eidesleistung „ja“ sagen können. Dann wäre er frei gekommen. Selbst der Feldbischof ließ Pater Reinisch ausrichten, dass er – der Bischof – ihn „fußfällig und kniefällig um die Eidesleistung bitte. Aber auch das machte wenig Eindruck auf Pater Reinisch. Der einzige, der ihn ggf. noch hätte umstimmen können, wäre – so Pater Reinisch in seinen Aufzeichnungen – Pater Josef Kentenich. Dieser war aber bereits im Oktober 1941 in Koblenz in „Schutzhaft“ genommen und im März 1942 ins KZ Dachau verschleppt worden. Er war somit nicht mehr erreichbar.    

Am 11. August 1942 wird Pater Reinisch in das Zuchthaus Brandenburg/Havel verlegt. In der Nacht vor seinem Tod schreibt er zwei Briefe: einen an seine Eltern und einen an seinen Ordensoberen. In diesem Brief an seinen Oberen, den Provinzial, heißt es u.a.:

Alle meine Werke gehören Christus, der gekreuzigten König, der schmerzhaften Mutter und der glorreichen Königin. Die Liebe Christi drängt mich, alles zur unendlichen Ehre Gottes zu tun, zur Vernichtung der Sünde und zur Rettung der Seelen und dafür auch den Tod zu erleiden.

Wenige Stunden später, am 21. August 1942 um 5.03 Uhr, wird Pater Franz Reinisch im Zuchthaus Brandenburg enthauptet. In dieser Nacht wurden dort insgesamt sieben Todesurteile vollstreckt.

Pastor Martin Niemöller, selbst jahrelang „persönlicher Gefangener des Führers“ in mehreren Konzentrationslagern, hat im Januar 1946 einmal gesagt:

Wer ein Christ geblieben ist und die Wahrheit bis in den Tod verteidigt hat, der trägt heute den Kopf nicht mehr auf den Schultern.

Pater Reinisch war einer von insgesamt 223 namentlich bekannten Kriegsdienstverweigerern, die diese Entscheidung mit dem Tod bezahlt haben. Von diesen mindestens 223 Opfern waren mehr als 200 Mitglieder der Ernsten Bibelforscher, wie die Zeugen Jehovas damals hießen. Die Zahl der vom Reichskriegsgericht verhängten Todesurteile ist sehr viel höher. Wie sich aus einer statistischen Übersicht des Gerichts ergibt, verhängte das Reichskriegsgericht zwischen dem 26. August 1939 und dem 7. Februar 1945 1.189 Todesurteile, von denen 1.049 vollstreckt wurden. Das sind Mindestzahlen. Die wirklichen Zahlen liegen mit Sicherheit höher. Die Zahl der verhängten Todesurteile wird bei mehr als 1.400, die Zahl der Vollstreckungen bei mehr als 1.200 gelegen haben. Mit diesen notwendigerweise  hoch gerechneten Zahlen ist es - nebenbei bemerkt - wie mit der angenommenen Zahl von 6 Millionen umgebrachter Juden. Diese stimmt, auch wenn es tatsächlich unwesentlich weniger Opfer gewesen waren.     

So, jetzt folgt der Film über Franz Reinisch. Er dauert etwa 20 Minuten. Er schildert mehr das Leben Pater Reinischs als den Prozess vor dem Reichskriegsgericht gegen ihn. Wenn Sie nach dem Film noch Lust haben, können wir noch etwas diskutieren. Ich biete an, dass wir etwa über das Thema sprechen: Das war doch damals Recht, da konnte man doch nichts gegen machen. – Sie erinnern sich vielleicht, dieses Thema wurde das letzte Mal angeschnitten, wir haben das aber nicht weiter vertieft. Vielleicht sollten wir es heute tun.

Thema: Das war doch damals Recht, da konnte man doch nichts gegen tun.

Stellen wir uns einmal dieser Aussage. Damit stellen wir uns einem riesengroßen Problem. Ich erinnere an den früheren Ministerpräsidenten Dr. Hans Karl Filbinger (CDU). Um ihn und einige seiner Urteile als Wehrmachtsrichter aus der Kriegszeit und auch kurz danach hat sich eine öffentliche und gerichtliche Auseinandersetzung entwickelt. Dabei fiel Filbingers erstaunt-ungläubige Äußerung, dass heute doch nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war. Filbinger war daraufhin von Rolf Hochhuth ein „furchtbarer Jurist“ genannt worden. Hochhuth wurde im Strafverfahren freigesprochen, Filbinger trat als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurück

Dieses „Was einmal Recht war, kann doch nicht heute Unrecht sein“, ist doch nun Stoff für eine Diskussion genug. Wir sollten deshalb das Thema aufteilen. Wir sollten uns zunächst einmal die Frage vorlegen, ob das denn damals Recht war und es deshalb heute nicht Unrecht sein kann.

Frage: War das denn damals Recht? Um was geht es? Über was haben wir uns hier näher unterhalten, was wir als Prüfstein nehmen können, um das Problem lösen zu können?

Es geht um das Todesurteil gegen Pater Franz Reinisch, das das Reichskriegsgericht wegen Verweigerung des Fahneneides verhängt hat. Frage: War das damals Recht?

Frage: Was ist Recht?

Recht hat etwas mit Gesetzen zu tun. Aber nicht nur. Wir sagen ja zum Beispiel auch „nach Recht und Gesetz“. Also Recht ist vielleicht noch ein bisschen mehr als Gesetz. Aber Gesetz ist es auf alle Fälle.

Frage: Was heißt das für unsere Fragestellung?

Wenn es damals noch nicht einmal von Gesetzes wegen richtig war, dann war es damals auch kein Recht (erst recht nicht).
 
Frage: War dieses Urteil nun von Gesetzes wegen „richtig“?

Das setzt u.a. voraus, dass die Strafbestimmungen, die zu der Verurteilungen geführt haben, von Gesetzes wegen „richtig“ sind.

Frage: Was sind denn hier die maßgeblichen Strafbestimmungen?

Das ist § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom  17. August 1938 – in Kraft getreten „mit der Mobilmachung für die gesamte Wehrmacht (...), wenn der Führer und Reichskanzler nicht etwas anderes befiehlt.“ – Klingt schon ein wenig komisch – seltsam.

Frage: Wer hat nun diese Kriegssonderstrafrechtsverordnung erlassen?

Das wissen wir nicht. Bei unseren Gesetzen heißt es einleitend immer: „...erlässt der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates folgendes Gesetz“ bzw. „erlässt der Landtag folgendes Gesetz“. D. h. als: Die Gesetze erlassen die Parlamente. Der Bundestag und – wenn die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben – die Landesparlamente, bei uns der Landtag.

Nun ja. Diese Kriegssonderstrafrechtsverordnung ist ja nun auch kein Gesetz, sondern wie der Name schon sagt eine Verordnung. So eine Verordnung muss doch nicht vom Parlament verabschiedet werden. So ist es bei uns auch nicht.

Ja, ja. Das ist schon richtig. Bei uns werden auch Verordnungen erlassen. Jede Menge sogar. Verordnungen des Bundes und Verordnungen der Länder. Keine Frage.

Ich habe Ihnen mal so einen Strauß von Verordnungen mitgebracht. Die werden ja auch veröffentlicht. Die Verordnungen des Bundes werden  im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Hier ist das Bundesgesetzblatt vom 22. November 2002.

So unheimlich spannend ist das nicht. Sehen Sie sich mal die Themen an.............., etwa die „Verordnung über die Prüfung zum

anerkannten Abschluss Geprüfter Industriemeister/Geprüfte Industriemeisterin – Fachrichtung Schuhfertigung“ an. – Das ist nichts Berauschendes: Kein Anti-Terrorgesetz, keine Regelung für den Großen Lauschangriff, noch nicht einmal die Neuregelung der Ökosteuer.

Frage: Warum nicht? Sind das Berlin alles nur „Schlappmänner“, die sich nicht trauen, die es auch nicht schaffen, die Ergebnisse der „Hartz-Kommission“ – wie es so schön heißt – 1:1 umzusetzen?

Nein. Das hat mit etwas ganz anderem zu tun. In der Einleitung zu der Verordnung für die Schuhfertigung steht es: „Aufgrund des § .... des ...gesetzes verordnet das Bundesministerium für Bildung und Forschung.“ D.h. so eine ministerielle Verordnung kann nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes ergehen.
Förmlich geregelt ist das für die Verordnungen des Bundes in Art. 80 GG. Darin heißt es u.a.: „Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben.“ Das ist also recht formelles Recht, da kann nicht jeder machen, was er will.
Das bedeutet: Alle wesentlichen Entscheidungen sollen vom Gesetzgeber selbst, vom Souverän, getroffen werden. Nur Detailregelungen, für die der Gesetzgeber auch noch Vorgaben macht, können durch Verordnungen ergehen. Das ist die sog. Wesentlichkeitstheorie. Wesentliche Entscheidungen sollen vom Gesetzgeber getroffen werden.

Frage: Wäre es denn nach heutigem Recht möglich, dass so eine Kriegssonderstrafrechtsverordnung ergeht?

Nein. Natürlich nicht.

Frage: Warum nicht?

Das wäre schon vom Formalen her nicht möglich. Solche wesentlichen Entscheidungen wie die Regelungen über eine Strafrechtspflege in einem Krieg – und schon gar mit Todesstrafe – müssen selbstverständlich dem Parlament vorbehalten bleiben. Das kann man nicht im Wege der Rechtsverordnung regeln.  

Frage: War das deshalb damals nun nicht Recht? – Das ist ja unsere Fragestellung.

Das kann man so nicht ohne weiteres sagen. Man muss das aus der Zeit heraus sehen. Da war etwas ganz Bestimmtes maßgeblich.... Das sog. Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich. Das wollen wir uns einmal näher betrachten. –

Erinnern Sie sich bitte: Die sog. Machtergreifung war am 30. Januar 1933. Sofort wurde der Reichstag aufgelöst und es wurden Neuwahlen zum Reichstag für den 5. März 1933 angesetzt. In der Zwischenzeit „säuberten“ die Nazis. Sie entfernten republikanische Beamte (etwa den Koblenzer Polizeipräsidenten Dr. Ernst Biesten)  – sofern sie  überhaupt noch im Dienst waren – aus ihren Ämtern. Die SA, SS und der „Stahlhelm“ wurden – Göring war preußischer Innenminister – zu Hilfspolizisten – der Terror der Braunhemden auf der Straße eskalierte. Die Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden massiv eingeschränkt. Am 27. Februar 1933 brennt dann der Reichstag in Berlin. Der greise Reichspräsident von Hindenburg erlässt am nächsten Tag die sog. Reichstagsbrand-Verordnung, die die allermeisten Grundrechte außer Kraft setzt.  Es beginnt eine Jagd auf Kommunisten, Tausende kommen in „Schutzhaft“. Am 5. März 1933 bringen die Reichstagswahlen mit über 43 % Hitler und der NSDAP die Mehrheit – aber nicht die absolute Mehrheit, diese erreichen sie nur in einer Koalition mit der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP), beide Parteien zusammen haben mehr als 51 % der Stimmen und der Sitze im Reichstag. Am 21. März 1933 findet dann der pompöse „Tag von Potsdam“ statt, die feierliche Eröffnung des neuen Reichstags. – Drei Tage später nun – am 24. März 1933 – erlässt der Reichstag das sog. Ermächtigungsgesetz.

Art. 1 des Ermächtigungsgesetzes regelt, dass die Reichsgesetze auch von der Reichsregierung beschlossen werden können.
Art. 2 besagt, dass die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze von der Reichsverfassung abweichen können.
Nach Art. 5 soll das Ermächtigungsgesetz bis zum 1. April 1937 gelten.

Konsequenz: Dieses Ermächtigungsgesetz bildet  damit die formelle Rechtsgrundlage für diese Kriegssonderstrafrechts-Verordnung. Nach dem Ermächtigungsgesetz konnten solche wichtigen Vorschriften auch von der Reichsregierung – und nicht vom Reichstag – erlassen werden.

Frage aber: War denn aber das Ermächtigungsgesetz nach damaligen Recht rechtmäßig? Wie ist es zustande gekommen?

Das Szenario: Diese Reichstagssitzung fand in der „Kroll-Oper“ statt – das Reichstagsgebäude war ja nach dem Brand nicht mehr benutzbar. In der Sitzung des Reichstages waren mehr als 2/3 der gewählten Mitglieder (647 gewählte Mitglieder) anwesend. Von diesen mehr als 2/3 der Mitglieder des Reichstages anwesenden Abgeordneten stimmten 441 Abgeordnete für und 84 gegen das Ermächtigungsgesetz. Das ist wiederum eine 2/3-Mehrheit. Das ist die 2/3-Mehrheit, die auch heute noch für verfassungsändernde Gesetze ausreicht. – Na also – oder? –

So einfach kann man sich das nicht machen, und zwar aus mehreren Gründen:
Dieser Reichstag war schon gar nicht ordnungsgemäß einberufen worden. Es fehlten vor allem die 81 korrekt gewählten kommunistischen Mitglieder des Reichstages. Viele von ihnen wurden nach dem Reichstagsbrand in „Schutzhaft“ genommen, andere konnten untertauchen, noch andere konnten ins Ausland oder ins Saargebiet fliehen. Einer von ihnen war beispielsweise der KPD-Reichstagsabgeordnete Nikolaus Thielen aus Vallendar.  Außerdem fehlten 26 SPD-Abgeordnete, ebenfalls in „Schutzhaft“ oder geflohen.
Da die Mehrheitsverhältnisse unklar waren, griffen die Nazis zu einem Trick, um auf alle Fälle eine Abstimmungsniederlage zu verhindern: Mit Billigung des Zentrum wurde sofort die Geschäftsordnung geändert. Danach lag es im Ermessen des Reichstagspräsidenten (das war Göring), die „Anwesenheit“ unentschuldigt fehlender Abgeordneter festzustellen. Das klingt jetzt sehr kompliziert, ist aber dann einfach zu erklären. Die Verfassungsänderung setzte auch eine 2/3 Mehrheit hinsichtlich des Erscheinens voraus. Für die Abstimmung mussten 2/3 aller Mitglieder des Reichstages anwesend sein. Es durften also nicht zu viele fehlen, weil sie in „Schutzhaft“ einsaßen oder einfach nicht zur Sitzung des Reichstages kamen. Um auf die nötige 2/3-Mehrheit der Mitglieder des Reichstages zu kommen, konnte Göring aufgrund der Änderung der Geschäftsordnung abwesende Mitglieder des Reichstages als „anwesend“ buchen.

Die anwesenden SPD-Abgeordneten wurden schwer bedroht. Der vor zwei Jahren im Alter von 100 Jahren  verstorbene SPD-Abgeordnete Josef Felder – zur Erinnerung an ihn hat die Post kürzlich eine sehr schöne Briefmarke herausgegeben - hat das einmal so geschildert: „Neben den Sitzen der SPD-Abgeordneten im Reichstags-Plenum standen uniformierte SA-Leute mit umgeschnallter und geladener Pistole. Sie zischten uns während der Verhandlungen und Reden immer wieder Drohungen zu, die wir durchaus ernst nehmen mussten: ‚Ihr kommt auch noch dran. Wir machen Kleinholz aus Euch, Ihr Lumpen und Schufte, Ihr Hochverräter!’“

Die Parteien des politischen Katholizismus, die Zentrumspartei, und die Bayerische Volkspartei, blendete Hitler mit Lügen – und sie ließen sich blenden. Hitler erklärte ihnen: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren, ihre Rechte sollen nicht angetastet werden... (Unsere) Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat.“ – Daran war kein wahres Wort – denken Sie nur an das Lebensbild von Pater Reinisch und die Verfolgung der Schönstatt-Bewegung.

Vor diesem Hintergrund sind sich die Juristen darüber im Klaren, dass dieses Ermächtigungsgesetz unwirksam ist und die Hitler-Regierung daher vom Reichstag die Gesetzgebungsgewalt nie  wirksam übertragen bekommen hat.  So heißt es etwa in dem sog. Reichskonkordat-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957: „Gemessen an den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung war das sogenannte Ermächtigungsgesetz ungültig.“

Nicht verschweigen will ich Ihnen das Ergebnis bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz. Die 81 Reichstagsabgeordneten der KPD fehlten zwangsweise ebenso 26 SPD-Reichstagsabgeordnete. Nur die erschienenen Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion (84 an der Zahl) stimmten gegen das Ermächtigungsgesetz. Alle anderen stimmten zu, also auch die Zentrumsabgeordneten – wie etwa auch der Reichstagsabgeordnete unserer Region, der Neuwieder Zeitungsverleger Eduard Verhülsdonk, und auch die zweite „katholische Partei“, die Bayerische Volkspartei, sowie auch die Deutsche Staatspartei, Zu ihren Abgeordneten gehörten u.a. Reinhold Mayer und Theodor Heuss.

Abschließende Frage: Wie ist das denn nun mit der entrüsteten Verteidigung Filbingers: „Was damals Recht war, kann doch nicht heute Unrecht sein.“?

Schon nach damaligem formellen Recht war das sog. Ermächtigungsgesetz nicht wirksam zustande gekommenes Recht, also Unrecht. Alle Vorschriften, die sich von diesem Ermächtigungsgesetz her ableiteten, waren damit auch Unrecht. Diese Kriegssonderstrafrechts-Verordnung aus dem Jahr 1938 war also schon damals formell Unrecht. Die Feststellung Filbingers u.a. geht von einer historischen und juristischen Lüge aus.

Etwa diese ganzen Kriegsgerichtsverfahren wegen Zersetzung der Wehrkraft, die dann oft genug mit einem Todesurteil endeten, waren schon formell Unrecht. Man hätte Widerstand leisten müssen. Die hier gerade vorgenommene juristische Herleitung ist doch für einen Juristen, der in der Zeit gelebt hat, nicht so schwer gewesen. Der Nicht-Jurist Pater Reinisch hat das geschafft. Er hat den Fahneneid mit der Begründung verweigert, einem Verbrecher könne man keinen Eid geben. Und Pfarrer Paul Schneider hat die Hakenkreuzfahne nicht gegrüßt und für sich erkannt: „Diese Verbrecherfahne grüße ich nicht.“ – Das, was diese Nicht-Juristen geschafft haben, haben der Wehrmachtsrichter Dr. Hans Karl Filbinger und auch der höchste Militärrichter, der Präsident des Reichskriegsgericht, Bastian nicht erkennen können, obwohl Bastian – wie er später sagte – sich bemüht hat, sich „durch (ein) Labyrinth und Gestrüpp von Gesetzen, Gesetzesänderungen, Verfügungen, Anordnungen, Auslegungen, Befehlen, Direktiven, Ansichten, Rechtsauffassungen, Widersprüchen, Reibungen, Animositäten innerhalb und außerhalb der Wehrmacht... als gerader und aufrechter Mann und anständiger Soldat hindurchzuringen.“ – Woran mag dieses Versagen der Richter gelegen haben?

Und dabei haben wir über die materielle Seite dieses Rechts bzw. Unrechts noch gar nicht gesprochen. Darauf werden wir hoffentlich das nächste Mal näher eingehen können.

 

 
 

Weiterführende Hinweise :

  • Brantzen, Klaus: Pater Franz Reinisch. Sein Lebensbild. Ein Mann steht zu seinem Gewissen. Vallendar-Schönstatt 1993,
  • Brantzen, Klaus: Pater Franz Reinisch. Märtyrer der Gewissenstreue.
    Band 1: Im Angesicht des Todes. Tagebuch aus dem Gefängnis. 2. Aufl., Vallendar-Schönstatt 1987,

    Band 2: Geheimnis der gekreuzigten Liebe. Meditationen in der Gefängniszelle. Vallendar-Schönstatt 1987.
  • Dirksen, Jutta: Wagnis Freiheit. Pater Franz Reinisch. Vallendar-Schönstatt 1993,
  • Emge, Martin J./Klaus Hagmann/Klaus Brantzen: Pater Franz Reinisch. Band 3: Geht hinaus in alle Welt! Unser missionarischer Auftrag. Vorträge. Vallendar 1993,
  • Hennig, Joachim: Er ließ sein Leben für den Glauben, in: Rhein-Zeitung vom 28. Dezember 1998,
  • Kordas, Wojciech: Mut zum Widerstand. Die Verweigerung des Fahneneids von P. Franz Reinisch als prophetischer Protest (Pallottinische Schriften zu Kirche und Welt, Band 4). St. Ottilien 2001,
  • Kreutzberg, Heinrich: Franz Reinisch. Ein Märtyrer unserer Zeit. Limburg 1953,
  • Weicht, Werner: Pater Franz Reinisch, in: Helmut Moll (Hg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Paderborn u.a. 1999, Band 2, S. 836 – 840.

Video:

  • Landesbildstelle Rheinland-Pfalz: Pater Franz Reinisch. Ein Mann steht zu seinem Gewissen. Koblenz 1989.