Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Familie Michaelis

„Sie standen immer unerschütterlich treu zu Jehova“

Zeugen Jehovas waren Ziel von Verfolgung durch die Nazis – Auch als Kriegsdienstverweigerer

 
Die Verfolgung der Zeugen Jehovas (früher: Ernste Bibelforscher) in der NS-Zeit war ein einzigartiger Vorgang: Sie wurden als erste Glaubensgemeinschaft verboten. Keine andere Glaubensgemeinschaft hat in ihrer Gesamtheit mit einer vergleichbaren Unbeugsamkeit sich den NS-Nötigungen versagt und sogar entgegengestellt. Von allen christlichen Gemeinschaften wurden die Zeugen Jehovas am weitaus härtesten und unerbittlichsten verfolgt. Von der Verfolgung her kann der Vergleich mit dem Schicksal der Juden in etwa gezogen werden. Sie waren die einzigen Kriegsdienstverweigerer großen Stils. Als einzige religiöse Gruppe wurden sie in den KZs als eigenständige Häftlingsgruppe mit dem „lila Winkel“ gekennzeichnet und innerhalb des Lagers - oft im Strafkommando - isoliert. Sie waren die einzigen Häftlinge, die aufgrund eigenen Zutuns, durch ein schriftliches Abschwören vom Glauben, die KZ-Haft beenden konnten. Von etwa 25.000 Zeugen Jehovas damals waren rund 10.000 unterschiedlich lange inhaftiert, etwa 2.000 von ihnen kamen in KZs um. Weitere 1.200 kamen anderweitig um oder wurden ermordet. Zu diesen Standfesten gehörte auch die Familie Michaelis aus Neuwied.

Die Eheleute Michaelis gehörten seit den 20er Jahren den Zeugen Jehovas an. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, waren sie in Neuwied gar als hauptamtliche „Pioniere“ tätig. Nach einem für Fritz Michaelis glimpflich verlaufenen Ermittlungsverfahren wurden die Eheleute zusammen mit weiteren Zeugen festgenommen und hier in Koblenz monatelang in Untersuchungshaft gehalten. Man machte ihnen und 19 anderen den Prozess allein deshalb, weil sie Zeugen Jehovas waren, deren Schriften besaßen und sich mit ihnen versammelt hatten. Hierin sahen die Nazis ein staatsfeindliches Verbrechen. Das in Koblenz tagende Sondergericht Köln verurteilte Fritz Michaelis als „Haupt der Zeugen Jehovas im Rheinland“ zu 16 Monaten und seine Frau Liesbeth zu sechs Monaten Gefängnis. Nach der Haft kam er nicht frei, sondern wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ Dachau verschleppt. Als Häftling mit der Nummer 13.382 kam er nach offiziellen Angaben am 18. April 1939 dort um.

Seine Frau Liesbeth ging nach der Haft in Koblenz zurück nach Berlin, wo sie geboren war. Sie heiratete wiederum einen Zeugen Jehovas, der ebenfalls ein schweres Schicksal hinter sich hatte und schon bald erneut verfolgt wurde. Frau Michaelis, inzwischen wiederverheiratete Seling, schloss sich in Berlin einer großen Gruppe von Zeugen Jehovas an, die in der Illegalität sehr aktiv war. Sie war u.a. Kurier und stand in Kontakt zu Glaubensbrüdern in den Außenkommandos der KZs Ravensbrück und Sachsenhausen. Auch versteckte sie mit anderen drei fahnenflüchtige junge Zeugen Jehovas vor dem Kriegsdienst. Deswegen wurde sie nach langer Untersuchungshaft wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Bei Kriegsende wurde sie befreit.

Nach dem Krieg blieben die Michaelis/Selings zunächst noch in Ostberlin wohnen, wichen dann aber vor der auch in der damaligen DDR drohenden Verfolgung der Zeugen Jehovas nach Berlin(West) aus. Anfang der 50er Jahre kehrten sie in den Raum Neuwied zurück. Die Tochter Lydia lebt heute bei Prüm in der Eifel.
Joachim Hennig, in: Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - vom 22. November 2001



 
Lesen Sie HIER die Karteikarten der Gestapo Koblenz von Familie Fritz Michaelis

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des Fördervereins Mahnmal Koblenz
 

Lesen Sie auch den Aufsatz von Joachim Hennig:
(Nicht) Vergessene Opfer der Nazis: Die Familie Michaelis aus Neuwied,
in: Heimat-Jahrbuch 2002 des Landkreises Neuwied, S. 315 – 325.

 
Lesen Sie auch folgende Dokumente:
 
 
 
 
 

 
 
Verfügung des Preußischen Ministers des Innern vom 24. Juni 1933, mit der die Zeugen Jehovas verboten wurden.

Aufgrund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGB1. S. 83) in Verbindung mit § 14 PVG (Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz) wird die Internationale Bibelforscher-Vereinigung einschließlich ihrer sämtlichen Organisationen (Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft Lünen-Magdeburg der Neuapostolischen Sekte) im Gebiet des Freistaates Preußen aufgelöst und verboten. Das Vermögen wird beschlagnahmt und eingezogen. Zuwiderhandlungen gegen die Anordnung werden auf Grund des § 4 der Verordnung vom 28. Februar 1933 bestraft.

Gründe:

Die Internationale Bibelforscher-Vereinigung und die ihr angeschlossenen Nebenorganisationen betreiben in Wort und Schrift unter dem Deckmantel angeblich wissenschaftlicher Bibelforschung eine unverkennbare Hetze gegen die staatlichen und kirchlichen Einrichtungen. Indem sie beide als Organe des Satans bezeichnen, untergraben sie die Grundpfeiler völkischen Gemeinschaftslebens. In ihren zahlreichen Schriften (...) verhöhnen sie die Einrichtungen von Staat und Kirche in bewusster, böswilliger Verdrehung biblischer Bilder. Ihre Kampfmethoden sind durch die fanatische Beeinflussung ihrer Anhänger gekennzeichnet, durch nicht unerhebliche Geldmittel gewinnen sie an Stoßkraft bei ihrer kulturbolschewistischen Zersetzungsarbeit. Ihre Einflussnahme auf breite Volksschichten beruht zum Teil auf eigenartigen Zeremonien, die eine Fanatisierung der Anhänger und damit eine unmittelbare Störung des seelischen Gleichgewichts der betroffenen Volkskreise erzeugen. Da hiernach die Tendenz der genannten Vereinigung in besonders sinnfälligem Gegensatz zum heutigen Staat und seiner kulturellen und sittlichen Struktur stehen, sehen die ,,Internationalen Bibelforscher" naturgemäß ihren Kampfzielen entsprechend den aus der nationalen Erhebung hervorgegangenen christlich-nationalen
Staat als einen besonders markanten Gegner an, dem gegenüber sie die Methoden ihres Kampfes radikal verstärkt haben. Dies beweisen die verschiedenen gehässigen Angriffe von führenden Funktionären, die in Wort und Schrift gegen den Nationalsozialismus und seine maßgeblichen Vertreter in jüngster Zeit vorgetragen worden sind. (Vgl. Bericht des Polizeipräsidenten von Wuppertal vom 31. 5. 1933 - 1 Ad. 1 60001). Damit ist zugleich der Einwand des rein religiösen weltanschaulichen Kampfes widerlegt. Die Gefährlichkeit der Umtriebe der genannten Vereinigungen für den heutigen Staat wird dadurch noch gesteigert, dass in neuester Zeit in auffallend zunehmendem Maße Anhänger ehemaliger kommunistischer und marxistischer Parteien und Organisationen in ihren reichen in der Hoffnung Aufnahme gefunden haben, in diesen angeblich rein religiösen Vereinigungen einen sicheren Unterschlupf zu finden, der ihnen den getarnten Kampf gegen das heutige Regierungssystem ermöglicht. Die Bibelforscher-Vereinigung und die ihr nahe stehenden Gesellschaften leisten mithin auch auf rein politischem Gebiet dem Kommunismus Vorschub und stehen im Begriff, sich zu einer Auffang-Organisation für die verschiedensten staatsfeindlichen Elemente zu entwickeln. Eine organisatorische und zielbewusste kommunistische Betätigung wird aus den Reihen der kommunistischen Anhänger der Bewegung getätigt. Zur Abwehr kommunistischer Umtriebe und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist daher ihre Auflösung zum Schutz von Volk und Staat geboten.


 
Geheimerlass des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) vom 22. April 1937 ( II B 2/326/37/S):

Sämtliche Anhänger der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV), die nach Beendigung der Strafhaft aus dem Gefängnis entlassen werden, sind unverzüglich in Schutzhaft zu nehmen; ihre Überführung in ein Konzentrationslager ist unter Darlegung des Sachverhalts zu beantragen.
 
 Geheimerlass des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) vom 5. August 1937

1.Wenn ein Bibelforscher in einem Strafverfahren freigesprochen oder die erkannte Freiheitsstrafe durch die Untersuchungshaft für verbüßt erklärt wird, so hat eine aufgrund meines Runderlasses vom 22. April 1937 - II B 2/326/37 S - etwa erforderliche Inschutzhaftnahme im Gerichtssaal selbst zunächst zu unterbleiben.

2.Wird von den Strafvollstreckungsbehörden über die bevorstehende Entlassung von Bibelforschern aus der Strafhaft Mitteilung gemacht, ist umgehend meine Entscheidung über Anordnung staatspolizeilicher Maßnahmen gem. meinem vorbezeichneten Runderlass vom 22. April 1937 einzuholen, damit die Überführung in ein Konzentrationslager unmittelbar im Anschluss an die Strafverbüßung erfolgen kann.

Solange die Überführung in ein Konzentrationslager nicht unmittelbar nach der Strafverbüßung erfolgen kann, sind die Bibelforscher in Polizeigefängnissen unterzubringen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

Weiterführende Hinweise :

Joachim Hennig: “Sie standen immer unerschütterlich treu zu Jehova” Familie Michaelis – Zeugen Jehovas waren Ziel von Verfolgung durch die Nazis – Auch als Kriegsdienstverweigerer, in:

Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - vom 22. November 2001