Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

 

Lesen Sie HIER die Karteikarte der Gestapo Koblenz von Jakob Newinger

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Auszüge aus den  Lebenserinnerungen von Jakob Newinger: 
Eine Geschichte meines Lebens (1969 niedergeschrieben,
leicht überarbeitet von Joachim Hennig)

 
Am 9. März 1889 erblickte ich das Licht der Welt. Meine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft von etwa fünf ha Eigentumsland, ein Pferd vier Kühe, vier Schweine und eine Anzahl Federvieh. Auf den Feldern wurden Roggen, Hafer, Futterrüben und Klee angebaut. Die Marktprodukte bestanden aus Gemüse, Obst, Eiern und Käse. Die Markttage fanden jede Woche in Neuwied statt... Wir waren Vater, Mutter und sechs Geschwister, zwei davon starben schon im Kindesalter. Der Altersunterschied lag drei Jahre auseinander, und ich war der jüngste und Benjamin genannt...

Das Leben meiner Eltern war so von Arbeit und Sorgen erfüllt, dass für eine gute Betreuung der Kinder nicht viel Zeit übrig blieb. Es gab zu dieser Zeit noch keine Kindergärten. Selbst wenn es sie gegeben hätte, hätte das Geld nicht dazu gereicht. Wir lebten ja in einem kapitalistischen Staat, in dem die Arbeit nicht belohnt wurde. Wenn das Jahr um war, dann war man schon zufrieden, wenn der Haushalt ausgeglichen war und keine Schulden hinterließ...

Als Lehrling arbeitete ich in der Nähe von Koblenz in einem Emalierwerk. Da ich keine Arbeit scheute, war man bald mit mir zufrieden. Auch bei allen Arbeitskollegen war ich bestens angesehen.... (Als eine Abteilung der Firma streikte,) versuchte die Betriebsleitung, von unserer Abteilung Leute zu holen... (Ich) lehnte mit einigen anderen Kollegen die Streikbrecherarbeit ab und schon erhielten wir die sofortige Kündigung. Auf neuer Arbeitssuche fand ich eine neue Stelle bei der Concordiahütte in Mülhofen bei Engers am Rhein, wo ich in der Eisengießerei arbeitete...

1909 musste ich zum Militär. Über die Truppenteile in Deutschland hatte ich wenig Ahnung. Das Militärische lag nicht in unserer Familie. Bei der Musterung erklärte man mir, dass ich nach China zum III. Stammsee-bataillon komme. Nun lag mir nicht viel daran, Soldat zu werden, aber bis nach China zu kommen, war für mich verlockend... Die Armut der Menschen (in Tsingtau) war kaum zu beschreiben. Die weißen Ausbeuter nahmen keine Rücksicht auf die Menschen und sprachen nur vom chinesischen Kuli... Die Stadt Tsingtau war eine rein deutsche Stadt. Eine Villa war schöner als die andere. Aber gebaut wurden sie von den armen Chinesen... Der Bürgersteig auf den Straßen durfte von Chinesen nicht benutzt werden. Der deutsche Offizier benutzte die Reitpeitsche, wenn ihm auf dem Bürgersteig ein Chinese begegnete...

1912 verließ ich China und kehrte mit einem Truppentransport nach Deutschland zurück und nahm meine Arbeit bei der alten Firma wieder auf. Aber China blieb für mich unvergessen. Als ich von China nach Hause kam, lebten nur noch meine Mutter und meine drei Geschwister...

Kaum waren zwei Jahre vergangen, da begann der Erste Weltkrieg, wo auch ich mich am zweiten Kriegstag stellen musste... (Nach vier Jahren Soldat im Krieg und schwerer Verwundung kam das Ende des Krieges und des Kaiserreichs). Der Kaiser floh und eine Republik unter Ebert und Scheidemann wurde ausgerufen und sofort bildete sich ein Soldatenrat, wozu ich auch gehörte... Dass die Revolution misslang, war nicht die Schuld der Arbeiter und Soldaten, sondern (lag) allein an der damaligen Führung der SPD, welche gemeinsame Sache mit den Generalen machte. Sie wurden mitschuldig an dem Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg...

(Nach Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebern war) die nächste Stelle die Concordiahütte bei Bendorf-Sayn, wo auch mein Bruder beschäftigt war... Es kam dann des öfteren zu Arbeitsniederlegungen, da es die Zeit bedingte, denn die Lebensverhältnisse wurden immer unerträg-licher. Die Unruhe, welche unter den Arbeitern herrschte, wusste auch der Direktor viel zu gut und suchte bei mir und meinem Bruder die Haupt-schuldigen. Man verlangte von uns beiden, wir möchten doch freiwillig den Betrieb verlassen, anderenfalls würde man andere Maßnahmen treffen. Wir mussten lachen über dieses blödsinnige Verlangen und arbeiteten weiter wie bisher. Darauf legte die Firma den ganzen Betrieb still und alle lagen auf der Straße. Dies dauerte einige Zeit, da stellte man alle wieder ein, außer den so genannten Unruhestiftern...

Wir führten auch einen harten Kampf gegen die Separatisten, welche unter dem Schutz der Franzosen standen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Richard Scheringer, der damals in Koblenz war, in der vordersten Reihe mit uns kämpfte. Trotz Einsatz starker französischer Streitkräfte holten wir die Separatistenfahne vom Koblenzer Schloss herunter... Die vaterlandslosen Gesellen, wie man die Kommunisten nannte, standen in der ersten Abwehrfront...

Die Arbeitslosigkeit nahm immer größere Formen an, so dass es für einen aktiven Gewerkschafter immer schwerer wurde, eine Arbeit zu finden. Man lief von einem Unternehmer zum anderen. Man hatte schon mal Glück, wenn eine fremde Firma auftauchte, wo man noch unbekannt war, einges-tellt zu werden. Als man die unsozialen Verhältnisse zu ändern versuchte, lag man wieder auf der Straße. Ab und zu wurde man zu Notstandsarbeiten herangezogen. Die Löhne waren gering und die Arbeit nicht von langer Dauer...

So wurde ich am 5. Januar 1925 Mitglied der KPD... In den Dörfern St. Sebastian und Kaltenengers half ich den Genossen auf allen Gebieten und alle wurden aktive Genossen. Im Sommer 1925 kauften wir ein Einfamilienhaus in Metternich, was damals noch nicht eingemeindet war... Bei den nächsten Kommunalwahlen wurde ich in den Gemeinderat gewählt... Die Sitzungen waren so interessant, dass sogar die Arbeiter aus den benachbarten Gemeinden zu den Sitzungen kamen. Der Saal war immer voll besetzt, denn es war ja so eine Art einer politischen Versammlung der KPD und (wir) waren auch die stärkste Gruppe im Gemeinderat... Der Vorsitzende der SPD, Dötsch, welcher die Brüningsche Notverordnung verteidigte, ging so weit, dass er mich persönlich beleidigte, worauf ich ihm eine Rüge beim Bürgermeister erteilen ließ. Als der Bürgermeister unsere Forderung ablehnte, gab ich dem SPD-Dötsch eine schallende Ohrfeige, was von den Zuhörern mit Beifall aufgenommen wurde. Nach dem Handgemenge wurde die Sitzung geschlossen. Das Überfallkommando traf ein, wo alles vorbei war. Ich stand mit noch einem Kollegen am Ausgang des Lokals, wo mich ein Polizeioffizier frug, was denn los sei, worauf ich ihm sagte, hier sei überhaupt nichts los gewesen.

Die SPD stellte beim Gericht eine Anzeige wegen Körperverletzung. Ich erhielt 50 Mark Geldstrafe, welche dann unter (die) Hindenburgamnestie fiel. Ich wurde aus dem Gemeinderat ausgeschlossen. Bei der nächsten Sitzung war die Polizei anwesend und ich nahm dann als Berichterstatter an der Sitzung teil...

Bei der nächsten Gemeinderatswahl unter der Ära der Nazis wurde ich trotz Schutzhaft wieder als Kandidat aufgestellt und auch gewählt, so auch die anderen Genossen. Man schickte mir einen Fragebogen ins Koblenzer Gefängnis, ob ich die Wahl annehmen würde, was ich natürlich mit ja beantwortete. Die Faschisten entschieden anders und lehnten ab. Die Metternicher Bevölkerung lehnte in der Mehrheit den Faschismus ab. Bei dem Abwehrkampf standen die Kommunisten in vorderster Linie. Wir scheuten keine Hindernisse, weder bei Tag noch bei Nacht... Unsere Parolen waren an den Fabrikschornsteinen und vielen anderen Plätzen weit sichtbar. Metternich war für die Nazis ein heißes Pflaster. Wenn sie mal unter einem großen Polizeiaufgebot tagten, dann sah Metternich aus wie bei einer Mobilmachung...

Ich selbst wurde am 28. Februar 1933 als erster verhaftet und in Schutzhaft genommen. (In den) darauf folgende(n) Tage(n) kamen noch viele Genossen dazu. Die Zellen waren über(be)legt. Bei meiner Verhaftung waren noch mehrere Genossen in meiner Wohnung, um über weitere Maßnahmen zu sprechen. Diese Genossen blieben unberührt, denn sie hatten nur die Anweisung zu meiner Festnahme. Die Straße war sehr belebt durch den Karneval. Die Menschen protestierten gegen meine Verhaftung und verlangten meine sofortige Freilassung. Als die Ansammlung immer größer wurde, rief der Naziwirt das Überfallkommando an, was auch bald erschien und mich unter Protest der Massen ins Auto zerrte und ins Polizeigefängnis brachte. Andern Tags kamen noch mehr bekannte Genossen hinzu. Man hatte eine größere Zelle für den ersten Empfang eingerichtet. Die Polizei versäumte auch nicht, einen Spitzel und Provokateur in unsere Zelle zu bringen. Da wir (dessen) Machenschaften schnell erkannt haben, verlangten wir die Entfernung dieses Provokateurs aus unserer Zelle. Er sollte seine Rolle auf einer Einzelzelle spielen und wir wurden ihn los. Als die Verhaftungen ein größeres Ausmaß (an)nahm(en), brachte man uns in das Koblenzer Gefängnis, wo auch bald die Zellen überfüllt waren... Ein großer Teil unserer Genossen wurde morgens von den Nazis abgeholt, um zu arbeiten, was ich in den ersten vier Monaten ablehnte, dann aber aus folgenden Gründen änderte, denn die Genossen hatten Verbindung mit dem Saargebiet und die Frauen konnten uns jeden Tag besuchen, um etwas zu essen und Nachrichten (zu) überbringen...

Eines Nachts (im Sommer 1933) war das ganze Gefängnis in Bewegung, wo alle gesunden politischen Häftlinge nach dem KZ-Lager nach Esterwege(n) abtransportiert wurden. Man hatte auch mich auf der Transportliste, ich war aber nicht transportfähig.

Nun kam wieder etwas neues auf mich zu, wo ein Sprengstoffverfahren gegen mich eingeleitet war. Ein(en) Provokateur und arbeitsscheue(n) Mensch(en) gebrauchte man als Zeuge(n), der mir gegenüber gestellt wurde und behauptete, ich hätte ihm mal Sprengstoff angeboten... Man gab mir kein Recht, dem zu widersprechen... (Es) holte mich die Gestapo zur Vernehmung ins Polizeigefängnis. Die beiden Beamten befahlen mir, drei Schritte von ihnen zu gehen, was ich entschieden ablehnte mit der Bemerkung, dass ich nicht auf der Flucht erschossen werden möchte. Da einige Zivilisten in der Nähe waren, sah man von ihrem Verlangen ab, und ich ging dann zwischen den Beamten zum Polizeigefängnis zur Vernehmung. Im Polizeigefängnis angekommen führten zwei weitere Beamte die Vernehmung, welche verlangten, ich sollte doch laut Zeugenangaben ein Geständnis ablegen und Leute angeben, welche mit dem Sprengstoff zu tun hatten und den Namen, von wem ich de(n) Sprengstoff erhielt. Als ich ihnen sagte, dass kein Sprengstoff in meinem Besitz war und (ich) so auch keinem anbieten konnte, so sei es mir auch unmöglich, Mitwisser (zu) nennen.

Damit war die Gestapo nicht zufrieden und so hielten sie die Pistole gegen meinen Kopf und glaubten, mich damit zum Verräter zu machen. Jetzt galt es, hart zu bleiben und von meiner Aussage nicht abzuweichen. Nun brüllte man mich an: „Wollen Sie endlich ein Geständnis ablegen oder nicht?“ Ich sagte, sie können mit mir machen, was sie wollen... (Nachdem das Ermittlungsverfahren wegen Sprengstoffvergehen eingestellt worden war, wurde ich aus der Schutzhaft entlassen. Ein Beamter) erklärte mir: „Bevor Sie entlassen werden, müssen Sie noch unterschreiben, dass Sie mit der heutigen Regierung einverstanden sind.“, was ich im ersten Augenblick ablehnte. Man führte mich wieder in die Zelle zurück. Es dauerte nicht lange, da kam ein mir bekannter Polizeibeamter, der der SPD nahe stand, zu mir und bat mich zu unterschreiben, schon meiner Familie wegen. Ich gab dann nach und unterschrieb. Am 28. Februar 1934 konnte ich dann zu meiner Familie gehen...

Die Polizei war sehr interessiert, meine Bekanntschaft aufrecht zu erhalten und (ich) musste mich deshalb mehrere Tage in der Woche bei ihnen vorstellen. Man ließ mir aber noch immer so viel Zeit, mit einer illegalen Gruppe weiter zu arbeiten. Die Polizei vergaß auch nicht, mich persönlich zu besuchen oder mich einzuladen, wenn in unserer Gegend mal Flugblätter erschienen oder Schriftzeichen an den Wänden... Im Herbst 1935 wurden durch Fahrlässigkeit einige(r) Genossen über 40 Verhaftungen vorgenommen und mit 21 Genossen standen wir vor dem Hammer Sondergericht. Als ich von der ersten Verhaftung Kenntnis erhielt, führte ich mit noch einem Genossen eine Sammlung bei bekannten Geschäftsleuten durch für die Familien der verhafteten Genossen. Die Gestapo hat es verstanden, zwei Spitzel in einigen Gruppen einzuschließen, es waren frühere Genossen. Da ich beide kannte, warnte ich unsere Leute vor diesen Kreaturen. Leider vergebens. Ich selbst wurde mit Genosse Fasel, Metternich, als letzter verhaftet...

Nach einem Jahr Untersuchungshaft kamen wir nach Hamm (Westf.) zum Sondergericht. Von 21 Genossen wurde einer freigesprochen. Nach dem so genannten Ausnahmegesetz erhielt ich zwei Jahre und drei Monate Zuchthaus, welche ich in der Haftanstalt Siegburg verbüßte. Um von dort aus nicht ins KZ zu kommen, sprach meine Frau persönlich bei dem Gestapobeamten ... vor... Sie hatte Glück und ich konnte nach Verbüßung der Haft nach Hause fahren. Ich musste mich natürlich wieder einmal in der Woche bei der Polizei vorstellen... Später bekam ich wieder eine Vorladung der Gestapo, wo man mir Geld und Kleidung anbot, um einen von ihnen gesuchten Genossen in Holland ausfindig zu machen und mit ihm nach Deutschland zurück zu kommen. Die Gestapo wusste, dass ich mit dem Genossen gut bekannt war. Ich lehnte mit der Begründung ab, dass ich für meine Familie zu sorgen hätte und für ein solches Abenteuer nicht der geeignete Mann sei. Alle ihre Versprechungen konnten (an) meinem Entschluss nichts ändern...

Im Herbst 1941 hatte ich einen Unglücksfall und wurde wegen einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert... So wurde mir am Ende meiner Krankheit erzählt, dass in Metternich zwei Personen verhaftet wurden. Obschon meine Kopfverletzung noch nicht verheilt war, wurde ich plötzlich entlassen und zwei Tage später, am 7. Dezember 1941, verhaftet und nach Wiesbaden ins Untersuchungsgefängnis gebracht, wo schon mehrere von uns waren. Obschon die Gestapo von meiner Tätigkeit keine Kenntnis hatte, wurden Genosse Hoevel und seine Frau so fertig gemacht, bis sie meine(n) Namen preisgaben. Bei meiner Vernehmung stritt ich wieder ab, was sie mir vorwarfen, und sie legten mir die Aussagen von Familie Hoevel unterschriftlich vor. Man drohte mir, meine ganze Familie zu verhaften. Ich erklärte ihnen, dass von meiner Tat meine ganze Familie keinerlei Kenntnis hätte und der Auslandssender von Hoevel in dessen Wohnung eingestellt wurde...

Nach Abschluss der Voruntersuchung wurden wir nach Kassel, wo sich das Oberlandesgericht befand, transportiert. Auch hier war der Hunger groß und ein Außenarbeiter brachte mir schon mal ein Stück Brot mit...

Die Gerichtsverhandlung dauerte einen Tag. Außer den Richtern, Staatsanwälten, Gestapo und Wache wurde keiner zugelassen, bis zur Urteilsverkündung, wo nur Presseleute zugelassen wurden. Als Angeklagte standen vor Gericht Genosse Hoevel und Frau, aus Metternich, Frau Noetzel aus Wiesbaden und ich. Der Mann von Frau Noetzel hatte in Wiesbaden Freitod gewählt. Drei Genossinnen aus dem Niederrhein wurden von uns abgetrennt. Ein Offizier und Genosse Steinwand kamen vor das Militärgericht. Genosse Hoevel und seine Frau wurden zum Tode verurteilt. Frau Noetzel erhielt zehn Jahre Zuchthaus und bei mir beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe, was auch die Gestapo verlangte, denn für mich dürfte es niemals eine Freiheit geben. Nun kam für mich etwas Über-raschendes, denn der Vorsitzende, ein alter Herr, verlas ein Gesuch von einem Hauptmann, in dessen Kompanie ich in China war. Da er meine Adresse kannte, wollte er als damaliger Oberst auf eine Reise von Stettin nach Mainz und nach Frankfurt, um mich und meine Familie in Metternich (zu) besuchen, und er musste zu Hause erfahren, dass man mich von der Gestapo verhaftet hätte. Er war wohl Offizier, aber kein Nazianhänger. Nach Verlesung verlangte der Staatsanwalt immer noch meinen Kopf. Das Gericht, das sich zur Beratung zurückzog, folgte nicht dem Antrag des Staatsanwaltes und das Urteil lautete für mich (auf) zehn Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust. Am 11. Juli 1942 kam ich in das Zuchthaus Rheinbach bei Bonn. Bei der Einlieferung war mein Gewicht nur noch 51 Kilogramm, bei einer Größe von 1,78 Meter...

(Nach meiner Befreiung aus dem Zuchthaus bei Kriegsende) traf ich (einige Zeit später) in Metternich ein und wie ein Lauffeuer ging die Kunde durch Metternich, Newinger ist wieder da. Meine Frau und meine Tochter, welche keine Ahnung von meiner Heimkehr hatten, hielten sich in Ransbach im Westerwald bei Verwandten auf.

Mein erster Gang war zur Leitung der KPD... Ich fand trotz Verordnung des Arztes keine Zeit für Erholung, denn es ging jetzt darum, sobald wie möglich mit der SPD eine Einheitspartei zu schaffen. Wir sandten allen bekannten Mitgliedern der SPD eine Einladung zur gemeinsamen Versammlung der KPD und SPD. Die Versammlung war gut besucht und die übergroße Mehrheit bekannte sich zur Schaffung einer Einheitspartei, was zu begrüßen war. Zum Bürgermeister der Stadt Koblenz wählten wir ein Mitglied der SPD, der auch das Amt annahm und wir entfalteten eine rege Tätigkeit. Das ging alles gut, bis Kurt Schumacher auf den Plan trat und alles zunichte machte...

Im Monat Juni 1945 wurde ich beim Schlachthof Koblenz als Hallenmeister eingestellt – und dies war für mich wieder ein neues Arbeitsfeld. Meine erste Tätigkeit war, eine Versammlung einzuberufen, um die Belegschaft als Mitglied der Gewerkschaft zu gewinnen, was mir hundertprozentig gelang... Nun war das Verhältnis zwischen uns (dem Direktor und mir) getrübt und man stellte mir überall Fallen, um mich loszuwerden... Nun wollte man mich bei einer anderen Abteilung der Stadt unterbringen, was ich natürlich ablehnte... (Nach einigen Kontroversen bestellte mich der Bürgermeister ins Stadthaus) und sagte folgendes zu mir: „Sie sind doch als Kommunist überall weit und breit bekannt, und es kann keiner von mir verlangen, dass ich als Vater der Stadt Koblenz Sie noch weiter beschäftigen kann, und Sie (ge)hören einer Partei an, die wohl Demokratie, aber den heutigen Staat nicht anerkennt.“... Selbst die Metzger protestierten gegen meine Entlassung mit der Begründung, meine politische Einstellung dürfte kein Grund der Entlassung sein, da mit meiner Arbeitsleistung jeder zufrieden sein dürfte...

Im Jahre 1954 hatte ich mein Alter erreicht und der Oberbürgermeister Schnorbach war froh, mich endlich los zu werden. Er ließ mir noch einige Flaschen Wein und ein Diplom überbringen durch den damaligen SPD-Schlachthofdezernenten, der noch glaubte, an meiner politischen Einstellung Kritik (üben zu müssen), was ich schärfstens zurückwies...

Meine Gewerkschafts- und politische Arbeit setzte ich auch in meinem Ruhestand noch fort... Leider war nach dem Verbot der KPD alles auseinandergerissen... Viele (der KPD-)Genossen mussten ihre Standhaftig-keit mit dem Gefängnis bezahlen. Die Akten aus dem Dritten Reich waren in den Händen der Polizei...

Von der Bewältigung der Vergangenheit kann in der Bundesrepublik noch lange keine Rede sein, denn die Nazis sitzen noch immer in hohen Ämtern, so auch in der Bundeswehr... Dagegen muss man in der DDR überall die  enge Verbundenheit der SED mit der Masse des Volkes (feststellen). Seit der festgelegten Grenze im August 1961 muss man den gewaltigen Aufbau als ein wahres Wunder betrachten. Es gibt in der DDR keinen Parteienhader wie in Bonn. In der DDR sind alle Parteien (in) der nationalen Partei zusammen gefasst, wo über alles beraten wird unter Mitwirken der gesamten Bevölkerung... Mögen die Arbeiter der Bundesrepublik daraus die Lehre ziehen und eine Einheitsfront der Arbeiterklasse schaffen, damit auch in der Bundesrepublik die sozialistische Gesellschaft vollzogen werden kann... Leider fehlt mir heute mit 80 Jahren noch die Kraft, aktiv zu arbeiten, und die vielen Jahre der Haftzeit haben meiner Gesundheit schwer geschadet. Möge die Jugend unser Werk fortsetzen. Meine Frau und ich helfen heute noch soviel wir können.

Wir sind und bleiben OPTIMISTEN.


Lesen Sie dazu passend einen Auszug aus dem Aufsatz von Joachim Hennig, Widerstand im Koblenze Raum

Lesern Sie HIER einen Vortrag von Joachim Hennig, gehalten am 13. Mai 2005 bei der Oberfinanzdirektion –ZBV – in Koblenz

Lesen Sie HIER das Urteil des Oberlandesgerichts Kassel vom 26. Juni 1942, mit dem u.a. Jakob Newinger verurteilt wurde.

Lesen Sie HIER die "Rundfunkverordnung" vom 1. September 1939, auf Grund derer u.a.Jakob Newinger verurteilt wurde.