Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Hugo und Julianna Salzmann

„Tot oder lebendig“ hieß es auf Plakaten

 
 
In der Verfolgung haben die Nazis Unvorstellbares „geleistet“. Sie haben sogar Menschen verfolgt, die sich der Verfolgung entzogen hatten. Geschehen ist dies Emigranten, und zwar während des II. Weltkrieges in den von den Nazis besetzten Ländern Europas. Opfer dieser Verfolgung waren u.a. die Eheleute Hugo und Julianna Salzmann. Ehe die Salzmanns in Koblenz verfolgt wurden, hatten sie schon ein bewegtes Leben hinter sich.

Als beide heirateten und 1932 ein Junge zur Welt kam, war Hugo Salzmann (geb. 1902 und von Beruf Dreher) u.a. Organisationsleiter der KPD, Stadtverordneter und örtlicher Gewerkschaftsvorsitzender von Bad Kreuznach. Nach dem Reichstagsbrand 1933 konnte er untertauchen und - obwohl man ihn mit Plakaten („tot oder lebendig“) suchte - ins damals selbständige Saargebiet fliehen. Später folgte ihm seine Frau mit dem Kind nach. Dann flohen sie nach Frankreich. In Paris schlossen sie sich Emigrantenzirkeln an. Salzmann fand zunächst Arbeit und war dann an der Herstellung und Verteilung kommunistischer Zeitungen und Literatur beteiligt. Frau Salzmann kümmerte sich um Emigrantenfamilien, deren Lage in Frankreich sehr schwierig war. Nazi-Deutschland bürgerte sie 1938 aus.
Seit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde Salzmann von den Franzosen verhaftet und interniert. Seine Frau blieb mit dem Kind in Freiheit. Nach dem Überfall der Nazis auf Frankreich (1940) suchte die Gestapo auch sie und nahm eine Freundin von ihr in Geiselhaft. Mit den Worten „Ich habe nur ein Kind und ihr habt vier. Damit die vier Kinder ihre Mutter wieder erhalten“ stellte sie sich ihren Häschern.
Wochen später traf Frau Salzmann im Koblenzer Gefängnis ein. Nach langem Schweigen wurde eine Gefangene in ihre Zelle gelegt. Es war eine ehemalige deutsche Tänzerin, die sich inzwischen zu einer französischen Marquise „heraufgearbeitet“ hatte. Diese arbeitete als Agentin für die Gestapo in Gefängnissen, um so Informationen für die Nazis zu erhalten. Nach mehr als einjähriger Einzelhaft machte Julianna Salzmann dieser „Mitgefangenen“ gegenüber Äußerungen, die die Koblenzer Gestapo gierig aufgriff. Daraufhin kam sie „auf Transport“ ins Frauen-KZ Ravensbrück. Selbst in verzweifelter Situation, nahm sie sich dort sogleich eines elternlosen vierjährigen Ukrainermädchens an. Aber später versagten auch ihre Kräfte gegenüber dem Terror:
Am 5. Dezember 1944 starb Julianna Salzmann u.a. an Bauchtyphus.
10 Tage nach dem Abtransport seiner Frau aus Koblenz traf Hugo Salzmann hier ein. Er war von der mit den Nazis kollaborierenden französischen Vichy-Regierung an die Gestapo ausgeliefert worden und wurde ebenfalls ein Jahr lang in Koblenz in Haft gehalten. Dann machte man ihm vor dem Volksgerichtshof in Berlin den Prozess und verurteilte ihn 1943 wegen „gefährlicher Emigrantenhetze gegen Deutschland vom damals sicheren Hort des Auslands aus“ zu acht Jahren Zuchthaus. Die Strafe verbüßte er im Zuchthaus Butzbach/Hessen.
Im Mai 1945 wurde er befreit. Nach dem Krieg machte er dort weiter, wo er 1933 hatte aufhören müssen. Hugo Salzmann war u. a. Gewerkschafter und Stadtratsmitglied für die KPD in Bad Kreuznach. Er starb vor etwa 20 Jahren.
Joachim Hennig, in: Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - vom 4. Januar 2001
 
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 Auszug aus den Erinnerungen von Hugo Salzmann über seine Haftzeit im Gefängnis in Koblenz


(Als Gefangener hat man eine Nummer). Diese Nummer ist deine Zellennummer. Der Wachtmeister hat nur zu rufen: „Zelle 175, fertig machen zum Transport“.

Es gibt hier und da eine Ausnahme bei Wachtmeistern: alter Beamter, I. Weltkriegsteilnehmer. Er kennt den Krieg. Muss-Nazi. Hütet sich, „guten Tag“ zu sagen. Ist ein guter Christ, wie hier die alten Koblen-zer Wachtmeister – kein Schikanieren dem Politischen gegenüber. Wortlos, exakt, nach Dienstvorschrift wird gehandelt. Mit ein wenig Menschlichkeit – es birgt keine Gefahr.

Nun steht dieser gesetzte breitschultrige Pfarrer vor mir. Behält mich im Auge. „Wenn Sie mich nicht wollen, dann gehe ich wieder“, er hat offene Augen – vielleicht ein Funken Listigkeit – nein, nein, zu ernst blicken sie – trotz dem leichten Lächeln. „Nein, Herr Pfarrer, kommen Sie mal rein.“ Er blickt nach links und rechts den Gefängnisgang ent-lang, dann steht er vor mir in der Zelle. „Herr Pfarrer, Sie haben das Gelübde des Schweigens abgelegt, Sie sind der einzige hier im Gefängnis, dem ich was anvertrauen kann – ich habe Frau und Kind, Verwandte, Ihnen kann ich für sie noch etwas anvertrauen.“ – Es quillt aus mir heraus.

„Herr Salzmann, ich komme nicht, um Sie zur katholischen Kirche zurückzuholen. Nein, ich kenne Ihren ganzen Lebenslauf, Ihr ganzes Leben.“ – Wie soll er das wissen? Ruhig geht er nochmals an die offene Tür, schaut gelassen links und rechts, kommt zurück.

„Ich kenne Ihr Leben. Ihre Frau hat es mir erzählt. Ein Jahr lang befand sie sich Ihnen gegenüber in der Abteilung Frauengefängnis. Zehn Tage, im Januar 1942, bevor Sie hierher kamen, hat man sie in ein KZ gebracht (Ravensbrück). Ich wollte sie warnen vor einer Gestapoagentin, aber sie wollte nicht mit mir sprechen. Erst wie sie verraten war, kam ich zu ihr. Zu spät. Diese Marquise Juana Manuela de Villevert de Villeneuve ist eine Agentin. War früher Tänzerin in Berlin. Heiratete in Paris einen bankrotten französischen Graf(en). Die Gestapo benützte sie unter dem Deckmantel einer Emigrantin, verlegt sie in Zellen von politisch verhafteten Frauen, gibt sich als Leidens-genossin aus, um deren Vertrauen zu erhalten. Stellt Fragen, wenn sie genügend zur Belastung gehört hat, teilt sie es der Gestapo mit. – Dann legt man sie aus der Zelle zu einem anderen Opfer. Dafür erhält die Agentin die Lebensmittelpäckchen von der Gestapo, die die Angehörigen den Verhafteten schicken. Die Agentin hat Ihre Frau gefragt: ‚Was schreiben die französischen Zeitungen über den Reichstagsbrand und über Stalin?’ Worauf sie geantwortet hat, die haben geschriebne, dass nicht van der Lubbe sondern Göring ihn angezündet hat, und der Stalin hat gesagt, wer seine Schweine-schnauze in den sowjetrussischen garten steckt, bekommt drauf geschlagen. Die Gestapo (Adrian aus Koblenz-Metternich) hat sie nach der Denunziation der Agentin erneut vernommen. Ihre Frau hat nichts bestritten, das genügte für das KZ. – Jetzt muss ich gehen, ich komme wieder.“ –

„Noch eins, Herr Pfarrer, wie heißen Sie?“ – „Fechler, Peter Fechler.“ – „Danke, Herr Pfarrer, leicht zu behalten. (Wir) hatten in Kreuznach einen SPD-Stadtrat der hieß Fechter. Sie haben ein „l“ statt des „t“, leicht zu behalten.“

Ein Händedruck. Eilig geht der Pfarrer. Ein Kopfwenden nach rechts, nach links. Sachte schließt er die Zellentür.

Die Wände erdrücken mich. Endlich weiß ich, wo meine Frau ist. Seit August 1940 wusste ich nichts mehr von ihr. Diese Verräterin, diese Gestapoagentin, schaffte sie ins Konzentrationslager. Jeder Wider-standskämpfer und (jede) – kämpferin wusste(n), KZ bedeutet täglich, stündlich, jeden Augenblick lebend neben dem Tod stehen.

Tütenkleben. Pensum schaffen. Aus. Da sitz’ ich. Gedanken rasen in der menschlichen Maschine Gehirn. Das Leben, der Kampf, der Widerstandskampf gegen diesen furchtbaren Machtapparat Faschis-mus, Hunger und Elend machen hart. – Aber hier rollt Träne über Träne.

Vor dem „Ich“ gibt es kein Schämen. Man kämpft mit sich allein, ganz allein – einsam – keiner kann helfen. Können nicht – alle Freunde tragen dieselbe Last.

Darfst nicht feige werden. Blickst nach dem starken Haken...  



Erinnerungen von Lore Wolf, die vom Volksgerichtshof  wegen Hochverrats zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, im Zuchthaus Ziegenhain bei Kassel an Juliana Salzmann


Wieder bin ich in Einzelhaft…. Heute Nacht bin ich vor Schreck aufgewacht. Etwas lag zentnerschwer auf meiner Brust, ein uner-klärlicher, tiefer Schmerz. Es hat lange gedauert, bis ich wieder eingeschlafen bin. Es war, als ob einer um Hilfe gerufen hatte, ein langer, nicht enden wollender Schrei war durch meinen Traum geirrt.

In dieser Nacht ist Juliane Salzmann gestorben.

Ich bin ihr in Paris begegnet, der jungen blonden Frau Juliane. Sie führte einen Knaben von etwa zwei Jahren an der Hand, dessen große dunkle Augentraurig aus dem blassen Gesichtchen schauten. „Und warum hat uns der böse Mann keinen Batzi gegeben, dass wir Brot kaufen können?“ fragte er die Mutter, die ihn mit guten Worten beschwichtigte.

„Wenn ich aber doch soo Hunger hab, warum darf ich es dann nicht sagen, warum weinst du dann immer?“

„Weil der Mutti das Herz dann so weh tut, mein dummer, lieber Bub“, und ihre schmalen Hände streichelten sein Köpfchen, während sie mich mit wehem Lächeln hilflos ansah.

Ich sah die beiden öfter, wenn sie Hand in Hand durch unsere Gasse gingen oder beim Kaufmann schüchtern ein Achtel Butter verlangten, die in Paris fast nie in so geringer menge verkauft wurde. Der Kaufmann legte immer noch ein Stückchen zu, „pour le gosse“, wie er sagte, und drückte dem Kleinen einen Keks in die Hand.

Die deutsche Sprache brachte uns einander näher, und bald hatten wir uns angefreundet, kannten wir unsere Leidensgeschichten, die sich ähnelten.

Sie war ebenfalls aus Deutschland geflüchtet. Ihr Mann war Widerstandskämpfer, hatte gegen das verhasste Regime mit heißem Herzen gekämpft und war schließlich verfolgt und gehetzt worden. Mit Hilfe guter Freunde gelang es ihm, mit Frau und Kind, das kaum geboren war, die Grenze zu erreichen und in Paris unterzutauchen. Auch hier bekam die Familie keine Ruhe, das Asylrecht wurde ihnen verweigert, sie waren gezwungen, illegal bei französischen Freunden zu leben. Aber man stöberte sie auf, verwies sie des Landes, und nur mit Mühe schafften sie es, in einem kleinen Hotel unterzutauchen.

Jedes Stückchen Brot hungerten sie sich für ihr Kind ab. Endlich fand Juliane eine Stelle, wo sie einige Stunden am Tage arbeiten konnte. Manchmal brachte sie mir nun ein Kännchen mit Suppe, das sie sorgsam zu Fuß von der Mitte der Stadt bis nach Montparnasse trug, um meinen Hunger zu stillen. Und die Suppe wurde wieder mit zwei Hungrigen geteilt.

Sie wurde wie viele andere von der Vichy-Regierung an die Gestapo ausgeliefert. Ihr Mann kam ins Lager Vernet – sie haben sich nie wieder gesehen.

Noch im KZ hat Juliane um ihren Jungen gekämpft, hat erreicht, dass er ihrer Schwester in Österreich zur Erziehung anvertraut wurde. Als Juliane starb, war ihr letztes Wort: „Hugo“. Hugo war für sie ein Begriff, in dem Mann und Sohn zusammenschmolzen.

Als die gefangenen Frauen die tote Juliane zum Abschied mit Blumen schmückten, die sie unter Einsatz ihres Lebens besorgt hatten, da lag das gleiche gütige und verstehende Lächeln, das Juliane im Leben so anziehend gemacht hatte, auf ihrem Gesicht. Die Frauen, selbst zu Skeletten abgemagert und von tiefem Leid gezeichnet, weinten über den Liebreiz der Toten, die so jung aus ihrer Mitte gerissen worden war.
 
 

 
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Weiterführende Hinweise :

  • Joachim Hennig: Hugo und Julianna Salzmann „Tot oder lebendig“ hieß es auf Plakaten, in:
    Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - vom 4. Januar 2001
  • Heimo Halbrainer: „In der Gewissheit, dass Ihr den Kampf weiterführen werdet“.
    Briefe steirischer WiderstandskämpferInnen aus Todeszelle und KZ. Graz 2000, S. 194 – 198.