Erinnern am Ort des Schreckens
Der ehemalige französische Widerstandskämpfer und Häftling des KZ-Außenlagers Dernau/Ahr, Roger Detournay (rechts) und seine Tochter Claudine Tabanou werden bei ihrem Besuch im Juli 2005 am Hauptbahnhof von Koblenz von Joachim Hennig begrüßt.
Ehemaliger KZ-Häftling kehrt noch einmal nach Dernau zurück - Akten und Fotos erinnern an das Lager “Rebstock”
Roger Detournay (78) musste als Häftling in Dernau an Bodenanlagen für Hitlers mörderische "Wunderwaffe", den V2-Raketen, arbeiten. 60 Jahre nach dem Krieg kehrt er an die Ahr zurück, wo kaum noch Spuren des ehemaligen Lagers mit dem zynischen Namen "Rebstock" zu finden sind. Detournay klagt nicht an. Er will ohne Hass, aber mit Erinnerungen für den Frieden kämpfen.
Die Reise in die Vergangenheit beginnt für den ehemaligen Widerstandskämpfer Roger Detournay in Koblenz bei Generalstaatsanwalt Norbert Weise. Den Kontakt hat Eric Lafourcade, der vor zwei Jahren in die Vergangenheit seines Onkels eingetaucht ist, über den in der Gedenkarbeit engagierten OVG-Richter Joachim Hennig geknüpft. Vor Weise stapeln sich alte Akten, die längst zur historischen Dokumentation geworden sind. Sie beleuchten unter dem Aktenzeichen 101 UJs 268/86 einige Monate vernichtender Verfolgung an der Ahr. "Kein Gas, aber Arbeit und Erschöpfung haben die Menschen umgebracht", sagt Weise. In den Akten sind Aussagen der Opfer aus Frankreich und Polen festgehalten, die von quälenden Schlägen und demütigenden Schikanen berichten. Einige SS-Sadisten hätten sie feixend gefoltert.
An Raketenbau gearbeitet
Auf 1132 Seiten haben Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt in sechs Jahren ermittelt, dass für die mörderische Arbeit an dem mit dem Namen Wernher von Braun verbundenen Raketenbau dienstverpflichtete Deutsche, Zwangsarbeiter und zuletzt auch KZ-Häftlinge im Weinort Dernau eingesetzt wurden, nachdem Peenemünde bombardiert worden war. Detournay hat 1945 in seinen Erinnerungen an die Zeit in dem Tunnel geschrieben, "lch wurde glücklicherweise nicht krank. Kranke heilte man einfach mit einem Kopfschuss."
Aber sein Name taucht in den Akten nicht auf, denn lange liegt sein Schicksal im Dunkeln: Detournay ist mit 17 Jahren am 6. Juli 1944 bei Chartres als Widerstandskämpfer verhaftet worden. Er rechnet in der Todeszelle schon mit seiner Hinrichtung. Mit dem letzten Gefangenentransport wird er aus dem kurz darauf befreiten Paris in die Hölle deportiert: ins KZ Buchenwald. Er muss dort, wie er 1945 niederschreibt, Juden in den Verbrennungsofen karren. "Manche lebten noch und schrien."
Als Dreher und damit als gefragter Spezialist wird er dann an die Ahr verfrachtet, wo er vom 4. September bis zum 13. Dezember 1944 in dem Tunnel schuften muss, der später unter dem Tarnnamen "Rosengarten" als Regierungsbunker dienen soll.
Von der Ahr aus wird er ins berüchtigte Lager Artern und über das Vernichtungslager Rehmsdorf in Todesmärschen bis nach Prag deportiert, wo er im Mai 1945 fliehen kann und gerettet wird.
In Dernau und Marienthal ist nach 1945 die Vergangenheit schnell verdrängt worden, Überlebende haben sich als Opfer des Krieges gefühlt, nicht als Täter. Wie Weise seinem Gast berichtet, hat nach ersten Hinweisen von 1968 erst 1985 die "Initiative zur Erhaltung des Andenkens an die KZ-Außenstelle Dernau" die Staatsanwaltschaft alarmiert - auch unter dem Druck, dass Planierraupen bei einer Flurbereinigung letzte Spuren eines Todeslagers beseitigen sollten. Der damalige Spiegel-Redakteur Michael Preute- heute als Krimi-Autor Jacques Berndorf bekannt, hat bei seinen "Tunnel-Recherchen" am eigenen Leib erfahren müssen, dass er sich mit seinen Nachforschungen unbeliebt machte. Die Vergangenheit, so meinten Dernauer in den 80er-Jahren, sollte man in der schönen Touristenwelt besser vergessen.
Kein Mord nachweisbar
Generalstaatsanwalt Norbert Weise verhehlt seinem Gast Detournay nicht, dass es lange Zeit gebraucht hat, um sich der Vergangenheit zu stellen. Er muss dem Franzosen auch sagen, dass die Justiz trotz intensiver Spurensuche keinen Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen konnte. Kein Mord - und der wäre noch nicht verjährt - ist einem Lebenden am Ende nachzuweisen. Detournay hört aufmerksam zu, erinnert sich an Zeugen, die ausgesagt haben, und fügt hinzu: "Auch in Frankreich hat man sich lange nicht für das Schicksal der Deportierten interessiert. Und wir haben uns gesagt: “Es war Krieg. Ziehen wir einen Schlussstrich.” Er empfindet "keinen Hass, aber ein bisschen Wut", dass Folter und Totschlag im Tunnel ungesühnt bleiben. Weise begleitet Detoumay mit seiner Tochter Claudine und Richter Hennig nach Marienthal und Dernau. Der Ritter der Ehrenlegion bewahrt Haltung, lässt sich nicht anmerken, dass der Blick auf den Trotzenberg-Tunnel in ihm "schlimme Erinnerungen aufwühlt". Nur Fotos erinnern daran, wie der Eingang 1943 ausgesehen hat. Wolfgang Gückelhorn (Bad Breisig), der eine Dokumentation über das Lager Rebstock" geschrieben hat, zeigt sie...
Die Fahrt führt von hier nach Demau - zum anderen Eingang. Detournay steht auf dem alten Bahndamm, an dem die Baracken der KZ-Häftlinge gestanden haben. Seit der Flurbereinigung sind die letzten Reste verschwunden, niedergewalzt und mit Rebstöcken bepflanzt. An historischer Stelle, aber abseits des Rotweinwanderwegs und touristischer Pfade, erinnert eine kleine Gedenktafel an einer Weinbergsmauer an das Lager - zu unauffällig, wie Preute kritisch anmerkt. Dass sie trotzdem ein Politikum war, ist auch Geschichte.
Vor dem bescheidenen Mahnmal stehen an diesem Tag zwei "Veteranen der Versöhnung": Detournay und der Winzer Heinz Kreuzberg (78). Beide verbindet der Tunnel: In den Verschlägen, in denen KZ-Häftlinge nach dem ersten Bombenangriff auf vier Ahr-Brücken im Oktober 1944 Tag und Nacht gehaust haben, müssen an Weihnachten 1944 die Dernauer Zuflucht vor Bombenangriffen suchen - bis zum 7. März 1945 Typhus hat damals viele Menschen dahingerafft. Detournay blickt sich suchend um, will sich orientieren. Dass Kreuzbergs Verwandte Häftlingen Butterbrote zugesteckt haben, hat Detournay nicht erlebt, hört es aber dankbar. Er weiß auch, dass im Tunnel beschäftigte Deutsche etwas von ihren Rationen abgegeben haben. Zu Kreuzberg sagte er: "Das Leben im Tunnel muss schrecklich gewesen sein." - Dass der Gast wohl noch Schrecklicheres durchlitten hat, entgegnet der Deutsche.
Ein Stück Friedensarbeit
Kreuzberg, aber auch der Beigeordnete der Verbandsgemeinde Altenahr, Horst Riske, sowie Büroleiter Peter Eschweiler versuchen, Detournay die Spurensuche mit ihrer Ortskenntnis zu erleichtern. "Wir sind nur im Dunkeln hier gegangen." Aber einige Erinnerungen haben sich eingebrannt. Auf das Geländer des Dernauer Tunneleingangs mag Detournay sich womöglich auch schon wankend gestützt haben. Darüber spricht er nicht, auch nicht über Details, die er 1945 niedergeschrieben hat. Für ihn ist es wichtig, beim Blick auf Dernau für ein paar Momente “ein Stück von sich selbst zu finden", das ihn geprägt hat. Für ihn ist die Begegnung ein "wichtiges Zeichen von gelebter Versöhnung" und ein Beweis, "dass nicht der Schleier des Vergessens über die Vergangenheit gelegt wird". Detournay will mit Erinnerungen Gefahren für die Zukunft bannen. Deshalb geht er auch in Schulen, damit junge Franzosen lernen, wie wichtig es ist, den Frieden zu bewahren. Weise ist es ein Anliegen, an den Tiefpunkt deutscher Geschichte zu erinnern - nicht anklagend, sondern im Dialog und in Dankbarkeit, sich in Freiheit, Frieden und Freundschaft begegnen zu können. Gemeindevertreter Eschweiler ist in diesem Moment erleichtert, dass Vergangenheit "fair auf- und abgearbeitet wird".
Der Tunnel, mit dem viele Ängste verbunden waren, hat heute ausgedient - als alte Westfrontlinie, KZ-Außenlager, Luftschutzbunker und als vor Atombomben sichere Arche von Nachkriegsregierungen.
Er ist entkernt und zugemauert.
Ursula Samary in: Rhein-Zeitung / Rheinland-Pfalz / Seite 3 v. 14. Juli 2005 - (Abschrift) die Original-Kopie HIER lesen
Nach diesem Besuch kehrte Roger Detournay mit seiner Tochter Claudine Tabanou am 7. Juli 2005 nach Hause zurück. Die Reise nach Deutschland und in seine Vergangenheit vor 60 Jahren hatten ihn sehr angestrengt. Er fühlte sich krank und schwach und begab sich in ärztliche Behandlung. Man stellte bei ihm eine tückische Krankheit in einem fortgeschrittenen Studium fest. Es gab keine Heilung mehr für ihn.
Roger Detournay starb Anfang November 2005 – vier Monate nach seinem Aufenthalt in Koblenz und Dernau – zu Hause bei seiner Familie.
Hier eine Bildersammlung zu Roger Detournay:
Weiterführende Hinweise:
Roger Detournay: Bericht eines Widerstandskämpfers der F.T.P. von 16 Jahren, nach Buchenwald deportiert mit 18 Jahren -
Betroffener und Zeuge 1942 - 1945 (deutsch)
Wenn Berge reden könnten. Die Tunnelanlagen von Dernau.
Film des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V.