Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Georg Heuser (1913 - 1989)

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich begrüße Sie sehr herzlich zum zweiten Vortrag in der diesjährigen Staffel über Widerstand und Verfolgung in Koblenz 1933 bis 1945. Diesmal haben wir uns ja – auf vielfachen Wunsch - wieder Täter aus Koblenz vorgenommen. Das letzte Mal – vor zwei Wochen – habe ich den Gauleiter des Gaues Rheinland und späteren Chef des Reichsarbeitsdienstes Robert Ley porträtiert. Heute will ich Ihnen den Kriminalbeamten Georg Heuser vorstellen.

Sicherlich haben Sie sich schon früher und auch aufgrund dieser Vorträge gefragt, ob es „den typischen NS-Täter“ gibt. Der Mensch ist schließlich ja immer wieder geneigt zu systematisieren und zu verallgemeinern: Aber ich denke, ich muss Sie enttäuschen: Es gibt nicht den typischen Nazi, es gibt erst recht nicht den typischen NS-Täter. Wenn überhaupt, dann gibt es mehrere typische Tätertypen, d.h. Täter, die gewisse Merkmale und Lebensläufe gemeinsam haben und als solche deutlich häufiger als Täter in Erscheinung treten als Menschen mit anderen Merkmalen und Lebensläufen. Außerdem muss man wohl auch nach dem Tätigkeitsfeld des jeweiligen Täters differenzieren. Ein Gauleiter wird des Öfteren einen anderen Lebenslauf und eine andere Sozialisation haben als ein Mediziner und ein NS-Schreibtischtäter wird sich von seiner Mentalität, seinem Herkommen und Milieu wohl nicht selten von einem Richter unterscheiden.

Das letzte Mal haben wir mit Robert Ley einen Mann kennen gelernt, der – Jahrgang 1890 – Weltkriegsteilnehmer und Frontkämpfer war, der dann ein sehr früher fanatischer Anhänger Hitlers wurde, der „Alter Kämpfer“ war und zeit seines Lebens verquasten Vorstellungen von einer „Volksgemeinschaft“ anhing und sich gern volkstümlich und bodenständig gab und es sich hier im Westen des damaligen „Großdeutschen Reiches“ gut sein ließ. – Mit Georg Heuser lernen wir einen anderen Lebensweg und einen anderen Menschentyp kennen. Er ist der Typ des Nachgeborenen – als Hitler 1933 die Macht an sich nahm, war Heuser noch keine 20 Jahre alt. Heuser ist der Typ des jungen Karrieristen, des bürokratischen Routiniers, des Schreibtischtäters im Osteinsatz, der aber auch selbst zur Waffe greift und dann nicht nur mittelbar sondern auch unmittelbar zum Massenmörder wird.

Georg Albert Wilhelm Heuser kam am 27. Februar 1913 als Sohn des Kaufmanns Albert Heuser und dessen Ehefrau Margarete, geb. Steinbock in Berlin zur Welt. Er stammte aus sog. kleinen Verhältnissen, sein Vater war in den 1930er Jahren arbeitslos und später in der NS-Zeit Reichsangestellter – was auch immer man darunter zu verstehen hat.

Heuser besuchte zunächst die Volksschule und dann ab 1919 das Reform-Realgymnasium in Berlin-Lichtenberg. Dort machte er im März 1932 Abitur. Ab Sommersemester 1932 studierte er an den Universitäten Berlin, Königsberg und Prag Rechtswissenschaften. Während des Studiums war er für einige Monate beim Reichsarbeitsdienst und nahm an mehrmonatigen Lehrgängen der Luftwaffe teil. Er war zuletzt Feldwebel und Reserveoffizieranwärter. Im Sommer 1936 bestand er vor dem Kammergericht in Berlin die erste juristische Staatsprüfung und begann dann seinen juristischen Vorbereitungsdienst in Berlin.

Schon bald merkte er aber, dass ihm diese juristische Tätigkeit nicht so lag und auch die Berufsaussichten nicht günstig waren. Deshalb meldete er sich schon im Frühjahr 1938 für die Laufbahn eines Kriminalkommissars – schließlich hatte ja Polizei im Hitler-Deutschland „Hochkonjunktur“. Alsbald schied er aus dem juristischen Vorbereitungsdienst aus und trat am 1. Dezember 1938 als Kriminalkommissaranwärter bei der Kriminalpolizei ein. Er durchlief in der Ausbildung alle Zweige der Kriminalpolizei und war auch beim SD (Sicherheitsdienst) und bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) tätig. Aufgrund seiner juristischen Vorbildung und seiner guten Leistungen wurde seine Ausbildungszeit abgekürzt Im Frühjahr 1940 nahm er an dem Kriminalkommissarlehrgang an der Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg – einer Kaderschmiede der „Kriminalen“ – teil und bestand die Abschlussprüfung im Februar 1941 als Lehrgangsbester. Zur gleichen Zeit wurde Heuser, der zu Beginn des Krieges der SS beigetreten war, SS-Untersturmführer. Damit hatte Heuser im Alter von 28 Jahren die Grundlagen für seine weitere Karriere gelegt. Er war Kommissar bei der Kripo-Leitstelle Berlin und SS-Untersturmführer, was dem Dienstgrad eines Leutnants entsprach.

In eben dieser Zeit liefen die Vorbereitungen Hitler-Deutschlands für einen Angriff auf die Sowjetunion (sog. Fall Barbarossa) auf vollen Touren. Ich darf daran erinnern, dass Hitler-Deutschland mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfesselt und dann im Mai 1940 mit dem sog. Westfeldzug Luxemburg, Belgien, die Niederlande und dann auch Frankreich überfallen hatte, zuvor war auch noch Norwegen besetzt worden. Seit Juli 1940 plante Hitler – nach diesen für Deutschland so erfolgreichen Blitzkriegen und Blitzsiegen – den Angriff auf die Sowjetunion. Das war kein Präventivkrieg, wie es von Geschichtsknittelern bisweilen hingestellt wird. Hitlers Entschluss zur Offensive entsprang nicht der tiefen Sorge vor einem drohenden sowjetischen Angriff, sondern war Ausdruck seiner Aggressionspolitik, wie sie seit 1938 immer deutlicher zum Ausdruck gekommen war.

Am 30. März 1941 – Heuser war gerade Kriminalkommissar und Untersturmführer geworden – fasste Hitler in einer 2 1/2 –stündigen Rede vor den Generälen aller Wehrmachtsteile seine zukünftige ideologische Konzeption gegenüber der Sowjetunion zusammen. Zunächst fällte Hitler – wie es hieß – ein vernichtendes Urteil über den Bolschewismus, den er als „asoziales Verbrechertum“ bezeichnete. Der Kommunismus stelle für die Zukunft eine ungeheure Gefahr dar. „Wir müssen“ – so Hitler weiter – „von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken“, denn der Kommunist sei „vorher kein Kamerad und auch nachher kein Kamerad“. Es handele sich vielmehr um einen Vernichtungskampf. Würde Deutschland diesen Krieg nicht so auffassen, dann würde der Feind zwar geschlagen, aber in 30 Jahren werde der kommunistische Feind Deutschland erneut gegenüberstehen. „Wir führen nicht Krieg, um den Feind zu konservieren“, erklärte Hitler. Dieser Kampf werde sich wesentlich von dem Kampf im Westen unterscheiden; im Osten sei „Härte mild für die Zukunft“.

Hitler und seine engsten Berater wollten die nach dem Krieg besetzten Gebiete bis zum Ural als „Lebensraum“ rücksichtslos „beherrschen, verwalten und ausbeuten“. Jede Rücksichtnahme lehnten sie als sentimentale Gefühlsduselei ab. Der sog. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler fasste das einmal in die Worte: „Wie es Russen, Tschechen (…) geht, ist mir total gleichgültig, ob sie im Wohlstand leben oder vor Hunger verrecken, interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht.“ Nach dem sog. „Generalplan Ost“ sollten später fast 75 Prozent der slawischen Bevölkerung nach Sibirien ausgesiedelt werden; dem zurückbleibenden Rest der „Fremdvölker“ aber war ein Helotendasein im Stile extremer imperialistischer Kolonialpolitik bestimmt. Gleichzeitig sollte in den Ostgebieten eine „großzügige Siedlungspolitik“ eingeleitet, deutsche Volksgruppen und als Folge einer planmäßigen Rassenpolitik Norweger, Schweden, Dänen und Niederländer angesiedelt werden. Darin sahen Hitler und seinesgleichen das letzte, große erstrebenswerte Ziel ihrer Politik: Europa sollte unter der Führung der deutschen Herrenrasse rassisch völlig neu gestaltet werden und ein „Großgermanisches Reich“ entstehen. Hierzu mussten als erstes die Juden „endgültig“ ausgerottet und die – wie man es demagogisch nannte - „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“ vernichtet werden.

Ehe dann am 22. Juni 1941 der Überfall auf die Sowjetunion begann, hatte Hitler zwei wichtige Befehle erlassen bzw. initiiert. Das eine war der sog. Gerichtsbarkeitserlass Barbarossa. Damit wurde die Kriegsgerichtsbarkeit in den zu besetzenden sowjetischen Gebieten von vornherein ausgeschaltet. Er sah eine Straffreiheit bei gesetzwidrigem Vorgehen gegen Zivilisten vor sowie die Ahndung von Straftaten Einheimischer gegen die Besatzungsmacht ohne Gerichtsverfahren. Der sog. Kommissarbefehl des Oberkommandos der Wehrmacht ordnete eine „Liquidierung“ sowjetischer politischer Kommissare an. In diesem Befehl vom 6. Juni 1941 heißt es u.a.:

Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine hasserfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten (…) Die Urheber barbarischer asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort und ohne weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder im Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.

Am 22. Juni 1941 setzte sich dann die größte Kriegsmaschinerie der Weltgeschichte in Bewegung. Mit 3 Millionen Soldaten, 3580 Panzern und 2000 Maschinen der Luftwaffe griff das deutsche Feldheer in drei Heeresgruppen die Sowjetunion an. Die eine Heeresgruppe war die Heeresgruppe Nord, die zweite die Heeresgruppe Mitte und die dritte die Heeresgruppe Süd. Diesen drei Heeresgruppen folgten vier Einsatzgruppen. Die Einsatzgruppen waren in Ausfüllung der Himmler von Hitler erteilten Sondervollmachten aufgestellt worden. Hitler hatte nämlich dem „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“ in den sog. „Richtlinien auf Sondergebieten“ für den Fall Barbarossa zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben übertragen, „die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegen gesetzter politischer Systeme ergeben“. Diese Einsatzgruppen wurden ab Mai 1941 aufgestellt aus Angehörigen des SD, Beamten der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei sowie Mitgliedern der Waffen-SS. Sie unterstanden dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD Reinhard Heydrich.

Die Einsatzgruppen waren mobile Einheiten und waren den vorrückenden Heeresgruppen zugeordnet. Der Heeresgruppe Nord folgte die Einsatzgruppe A („Baltikum“) nach, der Heeresgruppe Mitte die Einsatzgruppe B („Weißruthenien“ – so nannten die Nazis Weissrußland), der Heeresgruppe Süd die Einsatzgruppe C („Ukraine“) und schließlich die Einsatzgruppe D („Krim“), sie war der 11. Armee zugeordnet, die Aufgaben im Bereich der Halbinsel Krim hatte.

Jede Einsatzgruppe bestand aus Sonderkommandos und aus Einsatzkommandos. In einem zwischen der Wehrmacht und Himmler im März 1941 abgeschlossenen Abkommen wurden die Aufgaben der Einsatzgruppen und ihrer Einsatz- und Sonderkommandos sowie die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen ihnen und den Verbänden der Wehrmacht geregelt. Danach sollten die Einsatzgruppen das rückwärtige Gebiet säubern und sichern, Material sicherstellen und Saboteure und Terroristen unschädlich machen. Sie erhielten die ausdrückliche Befugnis, „in eigener Verantwortung“ Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung zu ergreifen – und dafür waren sie dann durch den bereits erwähnten Gerichtsbarkeitserlass von einer Strafverfolgung befreit. Als Operationsgebiet wurde den Einsatzkommandos das rückwärtige Heeresgebiet zugewiesen, während die Sonderkommandos unmittelbar hinter der kämpfenden Truppe im rückwärtigen Armeegebiet zum Einsatz gelangen sollten. Die wichtigste Aufgabe der Einsatzgruppen war neben der Vernichtung der Kommunisten und anderer potentieller Gegner – die Tötung der in den Ostgebieten lebenden Juden sowie später auch die Tötung der aus dem Westen in den Osten deportierten Juden.

In diesen Vernichtungskampf griff Georg Heuser im Spätsommer 1941 ein. Inzwischen war er in Berlin zum Kriminalrat auf Probe ernannt und zum SS-Obersturmführer (entsprechend: Oberleutnant) befördert worden. Im Oktober 1941 wurde Heuser noch unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Kriminalkommissar ernannt. Bereits kurz vor dieser Ernennung kommandierte man ihn zum Osteinsatz zur Einsatzgruppe A nach Riga. Von dort kam er zum Sonderkommando 1 b. Dieses SK 1 b bestand aus etwa 70 bis 80 Mann. Chef dieses Sonderkommandos war ein gewisser Erich Ehrlinger – wir werden noch von ihm hören. Über diese frühe Zeit Heusers im Osteinsatz wissen wir kaum etwas. Geprägt war diese Zeit im Übrigen durch den schnellen Vormarsch der deutschen Truppen. Schon bald waren der gesamte baltische Raum, Weißruthenien und die Ukraine besetzt. Sie wurden überwiegend für befriedet erklärt und die Deutschen gingen daran, dort eine Zivilverwaltung aufzubauen.

Oberste Spitze dieser Zivilverwaltung war das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete mit dem Reichsminister Alfred Rosenberg an der Spitze. Dem Ministerium nachgeordnet waren die beiden Reichskommissariate, das Reichskommissariat für das Ostland und das Reichskommissariat für die Ukraine. Das Reichskommissariat Ostland bestand aus vier Generalkommissariaten, nämlich

  • Estland
  • Lettland
  • Litauen und
  • Weißruthenien.

Sitz des Generalkommissariats Weißruthenien war Minsk; Chef des Generalkommissariats, also Generalkommissar, war der Gauleiter Erich Kube – auch auf ihn werden wir noch einmal zurückkommen. Zum Aufbau der Zivilverwaltung des Generalkommissariats Weißruthenien brauchte man nun das erwähnte Sonderkommando 1 b der Einsatzgruppe A. Denn die eigentlich dafür vorgesehene Einsatzgruppe B hatte inzwischen Minsk geräumt und war weiter nach Osten verlegt werden, sie sollte beim Vormarsch auf Moskau mit dabei sein. Deshalb wurde das Sonderkommando 1 b unter Führung von Erich Ehrlinger und mit Heuser im Spätherbst 1941 nach Minsk kommandiert. Ihre Aufgabe war es, die Sicherheitspolizei und den SD in Weißruthenien aufzubauen. Dies sollte geschehen und geschah dann auch durch die Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD Weißruthenien“ in Minsk – die Dienststelle wurde abgekürzt: KdS.

Chef dieser Dienststelle KdS war zunächst der bereits erwähnte Erich Ehrlinger. Er war SS-Obersturmbannführer (entsprechend: Oberstleutnant). In dieser Dienststelle fand auch Heuser seinen Platz. Er wurde Leiter der Abteilung IV/V. Das Schwergewicht der Tätigkeit dieser Abteilung lag bei den Gestapoangelegenheiten, und dazu gehörten auch die Judensachen. Heuser war also Gestapochef von Minsk und als solcher u.a. zuständig für die sog. Judenangelegenheiten.

Die Einsatzgruppen hatten Heydrich fortwährend zu berichten. In einem dieser Berichte, der nicht datiert ist, vermutlich aber von Januar 1942 stammt, heißt es u.a.:

Der weißruthenische Raum ist von allen Ländern im Ostland am dichtesten mit Juden besetzt. Im Jahre 1926 wurden (…) weit über 400.000 Juden gezählt. (…) Diese Zahlen sind jedoch ungenau und sicherlich zu niedrig gegriffen, was daraus hervorgeht, dass weit mehr Personen „Yiddisch“ als ihre Muttersprache angegeben haben, als im gleichen Zählbezirk angeblich Juden vorhanden waren. Weitaus die Hälfte der Juden im weißruthenischen Siedlungsraum lebte bei Kriegsbeginn in den größeren Städten. In ganz besonderem Maße war Minsk mit Juden besetzt, wo es 1939 bei einer Einwohnerzahl von 218.000 rund 100.000 Juden gab. (…) Die endgültige und grundlegende Beseitigung der nach dem Einmarsch der Deutschen im weißruthenischen Raum verbliebenen Juden stößt auf gewisse Schwierigkeiten. Das Judentum bildet gerade hier einen außerordentlich hohen Prozentsatz der Facharbeiter, die mangels anderweitiger Reserven im dortigen Gebiet unentbehrlich sind. Ferner hat die Einsatzgruppe A das Gebiet erst nach Eintritt des starken Frostes übernommen, die Massenexekutionen stark erschwerten. (…) Trotzdem wurden bisher 41.000 Juden erschossen. Hierin sind nicht die Zahlen der durch die früheren Einsatzkommandos durchgeführten Aktionen enthalten. Nach schätzungsweisen Angaben sind von der Wehrmacht bis Dezember 1941 ungefähr 19.000 Partisanen und Verbrecher, d.h. also in der Mehrzahl Juden, erschossen worden. Zurzeit kann für das Gebiet des Generalkommissariats mit rund 128.000 Juden gerechnet werden. In Minsk selbst leben zurzeit – ohne Reichsdeutsche – rund 18.000 Juden, deren Erschießung mit Rücksicht auf den Arbeitseinsatz zurückgestellt werden musste. Der Kommandeur in Weißruthenien ist trotz der schwierigen Lage angewiesen, die Judenfrage baldmöglichst zu liquidieren. Ein Zeitraum von ca. zwei Monaten wird jedoch – je nach Witterung – noch notwendig sein.

Die ersten Massenerschießungen fanden am 1. bis 3. März 1942 statt. Dazu wurden mehr als 3.000 Juden von Räumkommandos aus dem Minsker Ghetto zum Güterbahnhof getrieben. Sie wurden in Güterwagen verladen und dann an einen ca. 30 Kilometer entfernten Ort gebracht. Dort hatte man schon mehrere Gruben ausgehoben. Unter Schlägen trieb man die Juden dorthin, verlangte, dass sie sich auszogen, und dann an den Rand der Grube gingen. In der Nähe hatten 10 bis 20 Mann Aufstellung genommen. Diese suchten sich ihre Opfer nach Gutdünken aus, veranlassten sie stehen zu bleiben. Mit einem Genickschuss töteten sie sie, die dann meist schon von selbst in die Grube fielen. An einem Tag war Heuser auch als Schütze eingeteilt. Mit eigener Hand tötete er eine unbekannte Vielzahl von Menschen. Insgesamt wurden an diesem Tag mindestens 1.000 russische Juden erschossen.

Wie es Heuser bei dieser „Aktion“ zumute war, wissen wir nicht. Einen gewissen Anhalt mag ein Brief eines Verwaltungsbeamten von Anfang Oktober 1941 geben, den er von Weißruthenien aus seiner Frau nach einer solchen Aktion nach Hause schrieb. Darin heißt es u.a.:

Ich weiß ja gar nicht, ob ich überhaupt Dir das schreiben darf, aber dass die Juden unser Unglück sind, das ist Dir ja schon seit langem bekannt. (…) Es ist einfach furchtbar, diese asiatischen Horden ansehen zu müssen. Wie kommen wir uns europäische Menschen da vor. (…) Du kannst also die Verbitterung verstehen, die mich beherrscht und die alle hier fühlen in dem Gedanken an unsere Heimat und unseren großen Schicksalskampf, den wir hier für unser Volk durchkämpfen müssen. Was liegt schon an 1.200 Juden, die wieder irgendeinmal in einer Stadt zuviel sind und umgelegt werden müssen, wie es so schön heißt. Es ist nur die gerechte Strafe für soviel Leid, das sie uns Deutschen [angetan] haben und noch immer antun. Bis ich nach Hause komme, werde ich Dir ja schöne Sachen erzählen. Doch heute genug davon, sonst glaubst Du, dass ich blutrünstig bin.

Und in einem weiteren Brief drei Tage später kam derselbe Briefeschreiber noch einmal auf diese „Sonderaktion“ zurück. In diesem Brief heißt es u.a.:

Noch etwas habe ich Dir zu berichten. Ich war also tatsächlich auch dabei bei dem großen Massensterben am vorgestrigen Tage. Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt [sich an] das. Beim 10. Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Eingedenk dessen, dass ich auch 2 Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genauso, wenn nicht 10 Mal ärger machen würden. (…) Nur weg mit dieser Brut, die ganz Europa in den Krieg gestürzt hat. (…) Ich freue mich eigentlich schon, und viele sagen hier, dass wir in die Heimat zurückkehren, denn dann kommen unsere heimischen Juden dran.

Es kam anders als dieser Verwaltungsbeamter und viele seiner Kameraden dachten. So schnell kehrten sie – wenn überhaupt – nicht aus Russland zurück – und nicht sie waren es, die die heimischen Juden umbrachten, sondern vielmehr wurden die Juden aus dem Westen nach dem Osten deportiert und dort umgebracht – teilweise auch von dem Verwaltungsbeamten und seinen Kameraden, aber eben im Osten.

Mitte bis Ende November 1941 trafen sieben Transporte mit ca. 7.000 Juden, Männer, Frauen und Kinder jeglichen Alters, in Minsk ein. Eine dieser Deportierten sollte der lange Zeit in Koblenz lebende Ernst Brasch sein. Er war der ältere Sohn des 1936 in Koblenz verstorbenen Rechtsanwalts Justizrat Dr. Isodor Brasch. Die Braschs hatten ihr Haus in der Bahnhofstraße/Ecke Rizzastraße – heute: Hauptsitz der Koblenzer Sparkasse. Dort sind inzwischen für die Eheleute Brasch und ihre beiden Söhne Ernst und Walter sowie dessen Familie „Stolpersteine“ verlegt. Emma Brasch hatte hier in Koblenz noch die Novemberpogrome erleiden müssen. Dabei hatte die SA nicht nur die Wohnung demoliert sondern auch noch die alte Dame in der Nachtwäsche in den Garten getrieben und sie dort fotografiert, um das Bild dann als Hetzfoto im „Stürmer“ zu veröffentlichen. Danach war sie zu ihrem älteren Sohn Ernst und seiner Familie nach Frankfurt/Main umgezogen. Ernst Brasch war schon vor Jahren von Koblenz nach Frankfurt/Main verzogen und war dort bis 1933 Regierungsrat beim Finanzamt. Auch er war von den Novemberpogromen 1938 betroffen und wurde danach festgenommen und ins KZ Buchenwald verschleppt. Erst nach einigen Wochen kam er wieder frei. Ende der 1930er Jahre konnten Ernst Braschs Frau und ihre beiden Mädchen noch ins Ausland fliehen. Zurückblieb Ernst Brasch, seine alte Mutter zog dann von Koblenz in ein jüdisches Altenheim in Frankfurt/Main. Als dann Ende Oktober 1941 von den Nazis die erste Deportation von Juden aus Frankfurt nach Minsk und anderen Orten im Osten vorbereitet wurde, entzog sich Ernst Brach seiner drohenden Verschleppung durch den Freitod. Nach dessen Tod war die 74-jährige Witwe Emma Brasch in Frankfurt/Main wieder allein. Sie wurde dann ein ¾ Jahr später in das KZ Theresienstadt deportiert und von dort in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie noch am Ankunftstag mit Motorabgasen ermordet wurde.

Soweit einige Bemerkungen zu der jüdischen Familie Brasch, vor der Angehörige nach Minsk verschleppt werden sollten. Diese deportierten Menschen kamen dann – sofern sie die Tortur des Transportes überhaupt überlebten - in das Minsker Ghetto. Und zwar kamen sie in denjenigen Teil, den zuvor russische Juden bewohnt hatten, ehe diese dann bei Massenerschießungen umgebracht worden waren. Was genau mit diesen ersten nach Minsk deportierten Juden aus dem Westen geschah, ist nicht bekannt. Jedenfalls gab es im Winter 1941/42 keine weiteren Transporte mehr. Im April 1942 kam Heydrich persönlich nach Minsk und erklärte, dass jetzt auch die deutschen und anderen europäischen Juden – und nicht nur die russischen Juden – vernichtet werden sollten. Gleichzeitig kündigte er die Wiederaufnahme der Ende November 1941 abgebrochenen Judentransporte aus dem Westen nach Minsk an. Er befahl, dass diese sogleich nach ihrer Ankunft zu töten seien.

Entsprechend der Ankündigung Heydrichs trafen von Mai bis Oktober 1942 16 Güterzüge mit ca. 15.000 Juden in Minsk ein, von denen mindestens 13.500 unmittelbar nach ihrer Ankunft getötet wurden. Ermordet wurden diese Menschen auf einem Gelände, das ca. 15 Kilometer von Minsk und ca. 3 – 5 Kilometer von dem Gut Trostinez entfernt lag. Dieses Gut Trostinez war eine ehemalige Kolchose, die die KdS-Dienststelle inzwischen übernommen hatte. Die Tötungsstätte war nur über einen Feldweg zu erreichen, lag abseits jeder menschlichen Ansiedlung und von weitem nur schwer einzusehen.

Die Massentötungen geschahen stets nach einem gleich bleibenden Schema, so dass bald jeder Beteiligte seine Aufgabe genau kannte und diese wahrnahm, ohne dass es noch besonderer Anordnungen bedurft hätte. Im Allgemeinen dauerten die Tötungsaktionen vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag. Die Tötungen erfolgten zunächst mit Genickschuss. Einzelheiten möchte ich Ihnen und auch mir ersparen.

Ab Anfang Juni 1942 wurden auch Gaswagen zur Tötung eingesetzt. Die Dienststelle hatte drei Gaswagen mit einem kastenförmigen Aufbau, wie ein Möbelwagen. Innen waren sie mit Blech ausgeschlagen. Die Opfer lud man am Güterbahnhof Minsk dicht an dicht dort ein. Dann fuhr der Wagen bis zu den Gruben beim Gut Trostinez. Dort angekommen schloss der Fahrer einen Schlauch an und leitete so die Abgase des mit geringem Handgas laufenden Motors des stehenden Wagens in das Innere. Die Insassen gerieten in Panik und im Todeskampf schrien sie und hämmerten an die Wände des Wagens. Nach 20 Minuten wurde es still. Beim Öffnen der Türen bot sich ein schrecklicher Anblick. Stets war es nötig, vor einem neuen Einsatz den Wagen gründlich zu reinigen. Die Toten wurden dann ebenfalls in die ausgehobenen Gruben geworfen. Heuser war an der Vernichtung von fünf dieser Transporte beteiligt. Meistens war er Schütze an der Grube, bei Transporten überwachte er den „ordnungsgemäßen“ Ablauf der „Aktion“.

Die wohl größte Vernichtungsaktion in Weißruthenien fand Ende Juli 1942 statt. Sie richtete sich gegen diejenigen Bewohner des Minsker Ghettos, die nicht arbeitsfähig waren. Ihr fielen auch Juden aus dem Westen zum Opfer, die seit November 1941 im Ghetto lebten. Insgesamt wurden an drei Tagen 9.000 Menschen, und zwar 6.000 russische und 3.000 aus dem Westen stammende Juden, getötet, überwiegend alte Männer, Frauen und Kinder. Die Massentötungen fanden wieder in der Nähe des Gutes Trostinez statt. An zwei Tagen dieser drei Tage währenden Vernichtungsaktion war Heuser unmittelbar beteiligt. An einem Tag war er Schütze an der Grube und am folgenden Tag führte er das sog. Räumkommando, das die Juden aus ihren Behausungen im Ghetto heraustrieb und sie zum Abtransport sammelte.

Später schilderte Heuser dieses Geschehen beispielsweise wie folgt:

Ich fuhr daraufhin zur Grube. Jeder Führer wusste, wo die Exekutionsstelle liegt. Dort hatte Burkhardt bereits Exekutionen im Rahmen des Referats IV a (Judenreferat) durchgeführt bzw. durchführen lassen. (…) Ich stieg aus, holte meine Pistole heraus, schmiss meinen Mantel weg, trat zur Kopfseite der Grube, in der schon erschossene Juden drin lagen. Die Grube war etwa 20 Meter lang, mindestens zwei Meter tief. Später hatten wir tiefere Grube. Als ich an die Grube herantrat und meine Pistole entsicherte, wurde bereits von anderen geschossen. Ich schoss mit, zunächst aber auf solche in der Grube liegende Juden, die noch lebten, dann direkt als Schütze mit Genickschuss. (…) Die Größe es (neu angekommenen Juden-)Transportes ist mir nicht bekannt. Man rechnete „per Achse“. Es war ein Güterzug mit gedeckten Wagen. (…) Auf die Frage, ob die Zahl 1.000 Juden pro Transport richtig sei: Ja, diese Zahl stimmt. (…) Ich fuhr frühmorgens – etwa acht Uhr – zur Exekutionsstelle. Die Zahl der von mir erschossenen Juden ist mir nicht bekannt, ich habe geschossen, Frauen waren dabei, Kinder nicht, diese nur bei Ghettoaktionen. (…) Ich habe immer mein Bier getrunken. (…) Beruhigungsansprachen wurden gehalten, aber nur unregelmäßig, ab und zu. Ich nicht.

Die Bemerkung Heusers mit dem „immer mein Bier getrunken“ hatte übrigens einen ganz bestimmten Hintergrund. Wie später Angehörige der Dienststelle angaben, habe sich Heuser um das Wohl seiner Männer gekümmert. So habe es in Minsk eine ganze Reihe von Veranstaltungen gegeben, Konzerte, Gedichtvorträge, Film- und Theatervorführungen, Fußballspiele („VfL Minsk gegen SS- und Polizeisportgemeinschaft“) und auch „Kameradschaftsabende“. Dort ging es so feucht-fröhlich her, dass der von Himmler beklagte „Alkoholmissbrauch“ und andere Ausschweifungen in Minsk besonders ausgeprägt waren. Die eigenen Beschäftigten der Dienststelle bezeichneten diese selbst später als „Sauhaufen“. Gerade die Massenerschießungen waren Anlass für Besäufnisse. So verwaltete ein Bediensteter nach eigenen Angaben zehntausende Wodkaflaschen, die für die Teilnehmer an Massenerschießungen bestimmt waren. Das bereits erwähnte Gut Trostinez, in dessen Nähe die Massenerschießungen stattfanden, diente der Dienststelle übrigens als Ausflugsort und Bezugsquelle für Pelzmäntel und andere Wertsachen aus der Hinterlassenschaft der Opfer.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Mitwirkung von Heuser bei diesen „Aktionen“. Wir wissen, dass Heuser Leiter der Abteilung IV/V wurde. Das Schwergewicht der Tätigkeit dieser Abteilung lag bei den Gestapoangelegenheiten, und dazu gehörten auch die Judensachen. Heuser war also Gestapochef von Minsk und als solcher u.a. zuständig für die sog. Judenangelegenheiten. Das bedeutete aber offenbar nicht, dass er einen bestimmenden Einfluss auf die Durchführung solcher Massenerschießungen hatte in dem Sinne, dass er – wie wir Juristen sagen – die Herrschaft über das Tatgeschehen in seinen Händen hielt. Die Weisungen gingen vom Reichssicherheitshauptamt aus und diese wurden dann von den jeweiligen Kommandeuren und Befehlshabern umgesetzt. Diese wählten die Opfer aus und legten ihre ungefähre Zahl fest. Sie suchten das Exekutionsgelände aus und regelten die Einzelheiten der Tötungen, wie z.B. das Ausheben genügend großer Gruben sowie die Aufteilung ihrer Männer auf verschiedene Kommandos und deren Einsatz. Die Vernichtung der Juden war von ihnen in einer Weise durchorganisiert, dass alle Aktionen nach einem stets gleichen oder doch ähnlichen Schema abliefen. Heuser war als Abteilungsleiter in diesen bürokratischen Ablauf als „Schreibtischtäter“ eingeschaltet, hatte aber wohl nicht - jedenfalls konnte man das nicht beweisen - das „Sagen“. Darüber hinaus – und das ist dann etwas anderes – beteiligte sich Heuser auch persönlich an solchen Aktionen, indem er an Massenerschießungen selbst schoss oder solche Aktionen beaufsichtigte u.ä.

Einen weiteren Massenmord an den Juden gab es bei der Auflösung des Ghettos in Minsk im Herbst 1943. Auch bei der Vernichtung der in Minsk verbliebenen 4.500 russischen und deutschen Juden im Oktober 1943 war Heuser unmittelbar beteiligt. An einem Tag leitete er das Räumkommando und an einem anderen Tag war er wiederum auf dem Tötungsgelände bei dem Gut Trostinez, um in der schon angesprochenen Weise mittels Genickschuss zu töten.

Weitere Tötungen, an denen Heuser in Minsk beteiligt war, standen im Zusammenhang mit dem im Laufe des Jahres 1943 zunehmenden Widerstand der weißruthenischen Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung. So gab es im Sommer Bombenanschläge gegen deutsche Einrichtungen, die neben Sachschäden auch Tote und Verletzte bewirkten. Die Folge waren sog. Vergeltungsaktionen an unschuldigen Minsker Bürgern, dabei wurde jeder tote Deutsche mit dem Mord an 100 Einwohnern von Minsk „vergolten“. Am 6. September 1943 explodierte dann im Ofen des Speisesaals von Heusers Dienststelle eine Haftmine. Mehrere Personen wurden getötet, andere verletzt. Als Täter ermittelte man einen auf der Dienststelle beschäftigten polnischen Juden; er wurde nach einigen Tagen im Hof der Dienststelle erhängt. Nur wenig später, in der Nacht vom 21. auf den 22. September 1943, war ein Attentat auf den Gauleiter Kube erfolgreich. Als er sich zum Schlafen hinlegte, explodierte eine unter seinem Bett angebrachte Haftmine. Zur „Vergeltung“ sperrten weißruthenische Hilfswillige einige Tage später einen Straßenzug in Minsk und holten nach und nach 300 Männer, Frauen und auch Kinder aus den Häusern und fuhren sie schubweise zu einer Grube in der Umgebung von Minsk. Dort wurden sie – wie bei den Tötungen von Juden – mit Genickschuss umgebracht. An dieser „Vergeltungsaktion“ war u.a. auch Heuser beteiligt.

Unterdessen liefen auch die Ermittlungen wegen des Anschlags auf den Speisesaal auf Hochtouren weiter. Der angeblichen unmittelbaren Täter hatte man ja schon nach wenigen Tagen ohne Gerichtsverhandlung und ohne alles erhängt. Nun suchte man nach den Hintermännern und Helfern. Dies führte zur Festnahme von drei polnischen Juden, zwei Männern und einer Frau. Das Reichssicherheitshauptamt in Berlin „verurteilte“ diese drei (das geschah - wie in solchen Fällen üblich – gänzlich ohne Gerichtsverfahren) zum Tode und verlangte für sie eine besondere Todesart. Diese hatte sich die Dienststelle von Heuser auch einfallen lassen. Um die Zusammenhänge dazu verstehen zu können, muss ich hier kurz auf die „Enterdung“ zu sprechen kommen.

Wie bereits wiederholt erwähnt, führten die Massentötungen dazu, dass die ermordeten Menschen in Gruben bei dem Gut Trostinez verscharrt wurden. Im Frühjahr/Sommer 1943 befahl das Reichssicherheitshauptamt diese Spuren von den Massentötungen zu beseitigen. Vorausgegangen war, dass Hitler-Deutschland die Schlacht um Stalingrad verloren hatte und sich die sowjetischen Truppen auf dem Vormarsch befanden. Zudem hatten die Deutschen am 13. April 1943 bei Katyn, 20 Kilometer von Smolensk entfernt, Massengräber mit den Leichen von über 4.000 polnischen Offizieren entdeckt, die dort im Frühjahr 1940 von der sowjetischen Geheimpolizei NKWD ermordet worden waren. Goebbels nutzte diesen Fund sogleich für eine Propagandaoffensive gegen die Sowjets aus. Vor diesem Hintergrund wollten die Nazis natürlich nicht, dass ihre eigenen – viel zahlreicheren - Massengräber mit ermordeten Juden von den Sowjets entdeckt wurden. Deshalb wurde befohlen, die gesamten Massengräber zu öffnen – die Toten also zu „enterden“ (daher dieser fremde Begriff), die Leichen zu verbrennen und die Gräber dann wieder dem Erdboden gleich zu machen. Das geschah durch den Erlass Nr. 1005, deshalb nannte man das Kommando „Sonderkommando 1005“. Das war natürlich keine Arbeit für Deutsche. Diese hatten vielmehr russische Häftlinge zu erledigen. Sie öffneten die Gräber, zogen mit Eisenhaken die teilweise weitgehend verwesten Leichen heraus und trugen sie dann auf Bahren zu dem Platz, auf dem sie verbrannt werden sollten. Sie errichteten jeweils mehrere Meter hohe Stapel, indem sie eine Lage Holz und eine Lage Leichen abwechselnd so auftürmten, dass genügend Luftzufuhr blieb. Die Stapel wurden mit Öl übergossen und angesteckt. Es dauerte dann bis zu zwei Tage, bis so ein Leichenstapel abgebrannt war. - Heuser – um den es hier geht - war allerdings an diesem Sonderkommando nicht unmittelbar beteiligt. Trotzdem bekam er am Rande noch etwas mit dieser „Enterdungsaktion“ zu tun – und zwar im Zusammenhang mit den erwähnten beiden polnischen Männern und der Frau, die anlässlich des Anschlages auf den Speisesaal vom Reichssicherheitshauptamt „zum Tode verurteilt“ worden waren.

Anfang November 1943 wurde das „Enterdungskommando“ nämlich angewiesen, einen Leichenstapel vorzubereiten, auf dem dann die beiden angeblichen Hintermänner und die Frau bei lebendigem Leibe verbrannt werden sollten. Zu der Verbrennung fanden sich ca. 10 SS-Führer und Unterführer der Minsker Dienststelle, darunter auch Heuser, ein. Daraufhin brachte man die beiden Männer und die Frau. Sie mussten sich ausziehen und auf einer Leiter den Leichenstapel hinaufklettern. Zumindest einer der drei, jedenfalls aber die Frau, wurde an dem auf dem Leichenberg aufgerichteten Pfahl angebunden. Der Scheiterhaufen wurde dann angezündet und stand kurz darauf in Flammen. Die Frau und einer der beiden Männer verbrannten in dem Feuer. Während der Mann sehr bald lautlos in sich zusammensackte, stieß die Frau einen furchtbaren, gellenden Schmerzensschrei aus, bevor auch sie durch den Tod von ihren entsetzlichen Qualen erlöst wurde. Dem dritten Opfer gelang es, von dem Scheiterhaufen herabzuspringen. Er wälzte sich auf dem Boden und schrie. Sofort eilte ein SS-Unterführer der Dienststelle herbei und erschoss den Mann mit seiner Pistole. Heuser und eine Gruppe von SS-Führern standen bei dem Leichenstapel und sahen dem Geschehen zu.

Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass Heuser im Herbst 1943 eine junge Russin, die man für eine Agentin hielt, auf den Ghettofriedhof von Minsk fuhr und dort erschoss. Das gleiche widerfuhr einer weiteren jungen Russin. Heuser erschoss ebenfalls einen katholischen Priester.

Ende Juni 1944 kam dann das Ende der deutschen Besetzung von Minsk. Zu dieser Zeit brach der Mittelabschnitt der Ostfront zusammen und bald darauf verließen als erstes die Bediensteten der zivilen Stellen die Stadt, darunter auch die Beschäftigten von Heusers Dienststelle. Heuser selbst bildete mit einigen Männern noch das Nachkommando, das vor allem noch Akten vernichten sollte. Erst kurz vor der Befreiung von Minsk durch die Rote Armee verließ er die Stadt.

Lässt man die Morde, die die zunächst agierende Einsatzgruppe B in Minsk und seiner unmittelbaren Umgebung zunächst verübt hat, außer Betracht, so kann man für die Tätigkeit des Sonderkommandos 1 b und des KdS, also der Dienststelle von Heuser, für die Zeit von Dezember 1941 bzw. März 1942 bis Juni 1944 folgende Bilanz ziehen: In dieser Zeit sind allein bei Massenexekutionen mindestens 31.970 Juden getötet worden. Unter diesen waren 21.965 aus dem Westen nach Minsk deportierte Juden, von diesen haben nicht mehr als 30 Personen überlebt. Für den Tod einer Vielzahl dieser Menschen war Heuser unmittelbar verantwortlich, und zwar deshalb, weil er sie selbst tötete oder mit anderen, die töteten, bei der Tötung anwesend war, oder weil er Leiter von Räumkommandos oder Überwachungskommandos war. Man wird dabei von einer Zahl von mindestens 11.100 Menschen auszugehen haben.

Nach der Räumung von Minsk Ende Juni 1944 begab sich Heuser nach Westpreußen. An dem dortigen Polizeiinstitut war er ein Monat lang Lehrer. In dieser Zeit wurde er noch zum SS-Hauptsturmführer (entsprechend: Hauptmann) befördert.

Ende August 1944 kam Heuser in die Slowakei. Hierzu darf ich daran erinnern, dass Hitler nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938, dem Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren und der Errichtung des Protektorats die Tschechoslowakische Republik zerschlagen hatte. Die Slowakei proklamierte ihre Unabhängigkeit, war aber ein Satellit des Deutschen Reiches und vollkommen von Hitler abhängig. Im Jahre 1944 wurde die antideutsche Stimmung aber dort immer stärker, zumal sich die Rote Armee der slowakischen Grenze näherte. Ende August 1944 kam es zu Aufstand aller nationalslowakischen Kräfte. Daraufhin erteilte der Staatspräsident Josef Tiso auf deutschen Druck hin die Zustimmung zum Einmarsch deutscher Truppen in die Slowakei. Noch Ende August 1944 rückten deutsche Truppen in die Slowakei ein. Gleichzeitig wurde aus Kräften der Sicherheitspolizei die Einsatzgruppe H gebildet.

Zur Niederwerfung des Aufstandes wurden drei Kampfgruppen eingesetzt, u.a. die Kampfgruppe „Schill“. Diesen Kampfgruppen wurden wiederum Kommandos zugeordnet, der Kampfgruppe „Schill“ das Einsatzkommando EK 14. Das stand unter dem Kommando Heusers. Diese Kommandos unterstanden der Einsatzgruppe H. In zwei Monaten gelang es, deutschem Militär sowie SS- und Polizeieinheiten den Aufstand niederzuschlagen. Währenddessen wurden über 3.600 slowakische Zivilisten, vor allem Juden, ermordet. Die noch in den Konzentrationslagern internierten Juden fielen dabei einer zweiten Deportationswelle in die Vernichtungslager des Ostens zum Opfer. Aus dieser Zeit gibt es Tagesberichte der Einsatzgruppe H, die Tätigkeiten des Einsatzkommandos 14 betreffen. So heißt es z.B. in dem Tagesbericht vom 21. Oktober 1944:

Von EK 14 wurden 18 Juden – davon zwei ungarische -, eine slowakische Spionin, zwei slowakische Banditen und ein Zigeuner sonderbehandelt.

Und im Bericht vom 23. Oktober 1944 ist ausgeführt:

Einsatzkommando 14 meldet Festnahme von 64 ehemaligen slowakischen Soldaten, davon Überweisung in Konzentrationslager: 53. 77 Personen wurden wegen Bandenbegünstigung festgenommen, davon Überweisung in Konzentrationslager: 64, sonderbehandelt: 13.

3 Kriegsgefangene wurden dem Konzentrationslager überführt. Weiterhin wurden festgenommen 32 Juden, 1 Zigeuner und 1 slowakischer Spion. Die beiden letzteren wurden sonderbehandelt. Im Stadtgebiet von Pressburg wurden 4 Juden festgenommen.

Im März 1945 musste Heuser mit seinem Einsatzkommando 14 die Slowakei verlassen und war dann noch als Führer einer Kampfgruppe im Raum Krems/Donau tätig.

Nach der Befreiung, die für Heuser natürlich eine Niederlage war, legte er sich Zivilkleidung zu und entging so der Gefangenschaft. Er begab sich nach Goslar, wo eine Schwester von ihm lebte. Dort gab er sich als Dr. Heuser und als Rechtsanwalt aus und verrichtete Gelegenheitsarbeiten. Noch 1945 heiratete er eine in seiner Dienststelle in Minsk beschäftigt gewesene Angestellte.

Mit der Währungsreform kam Heuser nach Rheinland-Pfalz, und zwar zunächst in die Pfalz. Erst war er Angestellter einer Transportfirma in Mutterstadt, dann einer Akkumulatorenfabrik in Ludwigshafen. Die „Entnazifizierung“ überstand Heuser unbeschadet. Von Anfang an hatte er seine frühere Mitgliedschaft in der SS und seine Zugehörigkeit zu dem Sonderkommando 1 b sowie zu der Dienststelle in Minsk verschwiegen. Daraufhin stellte der Untersuchungsausschuss in Ludwigshafen ihm 1949 eine Bescheinigung aus, wonach er von der politischen Säuberung im Land nicht betroffen sei. Heuser war dann zunächst weiter bei der Akkumulatorenfabrik beschäftigt. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit fand er im Oktober 1953 Arbeit als Aushilfsangestellter beim Ausgleichsamt in Ludwigshafen.

Nachdem Heuser als Unterbringungsberechtigter nach dem Gesetz zu Artikel 131 GG anerkannt worden war, machte er richtig Karriere. Im Mai 1954 wurde er als Kriminaloberkommissar in den Kriminalpolizeidienst des Landes eingestellt. Acht Monate später beförderte man ihn zum Kriminalhauptkommissar und betraute ihn mit der Leitung der Kriminalpolizei in Kaiserslautern. Zum Verfassungstag des folgenden Jahres, am 18. Mai 1956, wurde er Kriminalrat und schaffte damit den Aufstieg in den höheren Dienst. Zwei Monate später ordnete man ihn zum Landeskriminalamt in Koblenz ab und bestellte ihn zum ständigen Vertreter des Leiters des Landeskriminalamtes. Noch im selben Jahr wurde er nach Koblenz versetzt und dann ein Jahr später mit der kommissarischen Wahrnehmung der Geschäfte des Leiters des Landeskriminalamtes betraut. Zum 1. Januar 1958 wurde er zum Kriminaloberrat befördert und zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz mit Sitz in Koblenz berufen. Damit hatte Heuser innerhalb von 3 ½ Jahren drei Beförderungen erfahren und war oberster „Kriminaler“ von Rheinland-Pfalz.

Dieses Jahr 1958 war der Höhepunkt in der an Höhepunkten reichen Karriere von Georg Heuser. - Von da ab ging es schnell bergab und dann die Karriere zu Ende.

Stein des Anstoßes war der sog. Ulmer Einsatzgruppenprozess ebenfalls im Jahr 1958. Das war der erste große Prozess gegen NS-Täter vor einem deutschen Strafgericht – und das 13 Jahre nach Kriegsende. - Allerdings betraf – das will ich hier der Vollständigkeit halber erwähnen - auch ein Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, einer der Folgeprozesse des Hauptkriegsverbrecherprozesses, die Verbrechen der Einsatzgruppen. Angeklagt waren in diesem Prozess Nr. 9 der Nürnberger Folgeprozesse, der den Namen „Einsatzgruppenprozess“ hatte, 24 ehemalige Angehörige der Einsatzgruppen. Der Prozess litt daran, dass er recht schlecht vorbereitet war und die Alliierten geringe Kenntnisse über die Tätigkeiten der Einsatzgruppen und die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort hatten. Immerhin endete das Verfahren mit 14 Todesurteilen. Indessen wurden nur vier Todesurteile auch vollstreckt. Im Mai 1958 kamen die letzten Verurteilten frei. Eine Signalwirkung – im Sinne der Aufklärung der Verbrechen - hatte der Prozess ohnehin nicht, galten die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse vielen Deutschen als „Siegerjustiz“.

So war es dem bereits erwähnten Ulmer Einsatzgruppenprozess vorbehalten, diese Verbrechen in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit zu bringen. Vor Gericht in Ulm standen der Polizeichef von Memel sowie neun weitere Angehörige des Einsatzkommandos „Tilsit“, einer Unterabteilung der Einsatzgruppe A („Baltikum“). Dieser Polizeichef von Memel wurde wegen Beihilfe zum Mord in 526 Fällen zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Prozess fand ein großes Interesse in den Medien und hatte weitreichende Folgen. Es wurde offensichtlich, dass ein Großteil der Massenverbrechen bislang nicht untersucht und geahndet worden war und dass unklare Zuständigkeiten eine zielgerichtete Ermittlungsarbeit behinderten. Eine unmittelbare Folge des Ulmer Einsatzgruppenprozesses war die Errichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen mit Sitz in Ludwigsburg. Deren dann ab 1958 eingeleiteten Vorermittlungen legten in fast allen Fällen die Grundlage für die – sehr späte – bundesdeutsche strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen.

Im Zuge dieses Prozesses und dieser weiteren Ermittlungen war man nun auf Erich Ehrlinger aufmerksam geworden, den Chef des Sonderkommandos 1 b, dem auch Heuser angehört hatte. Auch Ehrlinger hatte sich inzwischen in dem Nachkriegsdeutschland eingerichtet. Er war im Spielkasino von Konstanz Empfangschef geworden und dann Leiter der Volkswagenvertretung in Karlsruhe. Im Dezember 1958 wurde er festgenommen. Bei diesen Ermittlungen fiel dann immer wieder der Name Heuser.

Als Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz saß Heuser an einer sehr wichtigen Informationsquelle. Die Landeskriminalämter waren es nämlich, die damals Ermittlungen in den NSG-Verfahren, in den Verfahren nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, führten. Überdies hatten nicht wenige Angehörige der früheren Einsatzgruppen – wie wir später noch sehen werden – in den Kriminalämtern wieder eine Anstellung gefunden und konnten sich – aus alter Kameradschaft – rechtzeitig informieren und warnen. Nicht umsonst hatte die Waffen-SS den markigen Leitspruch: „Unsere Ehre heißt Treue.“ Ob Heuser von „seinen“ Leuten derartig vorinformiert war, wissen wir nicht. Immerhin wusste er schon im Frühjahr 1959, dass „jetzt alles schief (gehe)“. Am 15. Juli 1959 wurde er dann während eines Kuraufenthalts in Bad Orb mit Haftbefehl festgenommen.

Man machte Heuser in Koblenz den Prozess. Die Anklage betraf die Tätigkeit Heusers in Minsk, also die Zeit von Ende November 1941 bis Ende Juni 1944. Die Staatsanwaltschaft Koblenz legte ihm zur Last, in dieser Zeit an der Tötung von 30.356 Juden, Geisteskranken und (anderen) Landeseinwohnern beteiligt gewesen zu sein.

Mit Urteil vom 21. Mai 1963 verurteilte das Landgericht Koblenz Heuser zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus. Vorausgegangen waren 62 Verhandlungstage. Die Rechtsfindung war sehr schwer. Von der Opferseite gab es nur sehr wenige Überlebende. Deren Erinnerung war bisweilen nicht exakt und außerdem hatten sie oft auch nur einen partiellen Einblick in das Geschehen. Manche Täter waren auch tot oder untergetaucht. Die vom Gericht vernommenen Täter hielten vielfach zusammen und waren als Zeugen oder als Mitangeklagte oft unergiebige Beweismittel. Immerhin legte Heuser nach anfänglichem hartnäckigem Leugnen ein Teilgeständnis ab.

Das Gericht sah dabei die Tätigkeit Heusers als Chef der Abteilung 4 des KdS – also als Gestapo-Chef – als solche nicht als strafwürdig an. Es meinte ihm nicht nachweisen zu können, dass er bei den Massentötungen die Herrschaft über das Tatgeschehen in seinen Händen hielt. Strafwürdig war danach allein sein unmittelbares Handeln. Das Gericht machte Heuser verantwortlich für 11.103 Tötungen – vor allem begangen im Rahmen der sog. Massenexekutionen. Es kam zu dem Ergebnis, dass Heuser an insgesamt neun Massenexekutiven beteiligt war. Dabei sah das Gericht Heuser stets als Mord- oder Totschlagsgehilfe an, nie als Haupttäter. Das kann man in den Fällen, in denen Heuser bei den Tötungen daneben gestanden hat, so ohne weiteres annehmen, das ist dann die sog. psychische Beihilfe. Problematischer ist es aber Beihilfe auch in den Fällen anzunehmen, in denen Heuser selbst geschossen und die Juden ermordet hat. Das ist doch typischerweise nicht die Tat eines Gehilfen (der etwa „Schmiere“ steht), sondern die Tat des Haupttäters. Das war schon eine eigenwillige Sicht der Dinge – aber keine Erfindung des Landgerichts Koblenz. Das war ständige Rechtsprechung des höchsten deutschen Strafgerichts, des Bundesgerichtshofs. Der BGH nahm in ständiger Rechtsprechung an, dass die großen Nazis – Hitler, Himmler usw. (übrigens allesamt tot) – die Haupttäter waren, und die nachgeordneten SS-Leute nur Gehilfen bei der Verwirklichung deren Vernichtungspläne. – Da kann man jetzt trefflich darüber streiten, ob diese dogmatische Konstruktion richtig ist oder nicht. Das wollen wir hier nicht tun, das führt zu weit. Wir wollen es mal dabei belassen, dass das Landgericht Koblenz diesen von der Rechtsprechung vorgezeichneten Weg gegangen ist. – Das hatte sicherlich auch den – guten – Nebeneffekt, dass dieses Urteil dann auch rechtskräftig geworden ist. Wäre es von der Rechtsprechung des BGH abgewichen, dann wäre das ein Revisionsgrund gewesen und das Urteil wäre nicht oder ggf. erst viel später rechtskräftig geworden.

So wurde Heuser also zu 15 Jahre Zuchthausstrafe verurteilt, die erlittene Untersuchungshaft wurde ihm dabei angerechnet und ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt. Als einziger der insgesamt 11 Angeklagten erkannte Heuser das Urteil an. Die Strafe verbüßte er im Zuchthaus Freiendiez.

Heuser betrieb dann schon bald seine Haftentlassung. Nach 2/3 der Strafverbüßung beantragte er, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen mit dem Argument, dass in seinem Fall der Vergeltungsgedanke ausreichend Rechnung getragen sei und eine andauernde Haft eine „soziale Härte“ bedeute. Auch der Vorstand der Strafanstalt Freiendiez befürwortete Heusers vorzeitige Entlassung, denn er sei „kein Krimineller im üblichen Sinne“. Am 12. Dezember 1969 stimmte das Landgericht seiner Haftentlassung zu. Die Reststrafe wurde bis zum 11. Dezember 1974 zur Bewährung ausgesetzt und dann erlassen.

Heuser lebte dann – wohl mit seiner Frau, die Ehe war kinderlos – in Koblenz. Alsbald war er in der Rechtsabteilung einer Versicherung tätig. Heuser starb dann im Alter von 76 Jahren am 30. Januar 1989 in Koblenz.

Bis es so weit war, gab es noch eine Anzahl strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen ihn.

Das hatte schon 1966 – als Heuser noch in Haft war – mit einem Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen der Tötung eines beim Generalkommissar Kube in Minsk beschäftigten Juden begonnen. Dieses Verfahren wurde aber alsbald eingestellt, weil Heuser nicht nachgewiesen werden konnte, für das Verschwinden dieses Juden verantwortlich zu sein.

Im Jahr 1973 leitete die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen der Tötung von Juden u.a. im Zusammenhang mit der Niederschlagung des slowakischen Aufstandes im Jahre 1944 und späterer Erschießungen von Juden und Zigeunern in der Slowakei ein. Auch dieses Verfahren führte zu keiner Anklage. Heuser ließ sich darin dahingehend ein, dass er von den in den Tagesmeldungen erwähnten Vorfällen nichts wisse. Das Einsatzkommando 14 sei auf mehrere Kampfgruppen aufgeteilt gewesen, deshalb hätten andere, aber nicht das von ihm befehligte Teilkommando daran beteiligt gewesen sein können. Von den späteren Erschießungen habe er auch nichts gewusst. Diese Einlassungen konnten ihm nicht widerlegt werden, zumal andere Angehörige des EK 14 entweder erklärten, auch nichts zu wissen, oder aber SS-Leute für die Taten ins Gespräch brachten, die inzwischen tot waren. Da man auch nicht mit wirklichem Engagement slowakische Zeugen heranzog, wurde auch dieses Verfahren eingestellt.

Letztlich gab es im Jahr 1979 noch ein Ermittlungsverfahren gegen Heuser wegen der Erschießung vom 700 – 800 Juden im Mai 1942 in Weißruthenien. Auch hier bestritt Heuser eine Beteiligung, auch dieses Verfahren wurde alsbald eingestellt.

Wenn man die Ermittlungs- und Strafverfahren so sieht, dann ist Heuser für seine Tätigkeit bei den Einsatzkommandos bei der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD doch sehr gut weggekommen. Immerhin hat er erst einmal 14 Jahre nach dem Kriegsende und seiner Verbrechen unbehelligt gelebt und eine erstaunliche Karriere gemacht. Erst dann wurden seine Verbrechen nach und nach offenbar. Strafrechtlich verantwortlich wurde er nur für seine Tätigkeit in Minsk erklärt. Dabei lastete man ihm nur die Morde an, an denen er unmittelbar beteiligt war – nicht für die, die er als „Schreibtischtäter“ organisiert hatte. Außerdem wurde er nicht als Täter sondern nur als Gehilfe verurteilt. Dann wurde er nach Verbüßung von 2/3 der Strafe auf Bewährung entlassen. Ihm gelang dann noch, in der Rechtsabteilung einer Versicherung beruflich Fuß zu fassen. – So kann man das sehen.

Man kann das auch ganz anders sehen. Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, dass Heuser großes Pech gehabt hat. – Jetzt werden Sie sich sicherlich fragen: Ja, was soll nach alledem das denn? Spinnt der Hennig jetzt? Nein, ich denke, dass ich nicht spinne. Ich meine etwas anderes als Sie vielleicht meinen. Ich meine, dass Heuser – subjektiv gesehen – tatsächlich Pech hatte, Pech, wenn man ihn mit seinesgleichen vergleicht.

Vielleicht sagt Ihnen der Name Dieter Schenk etwas. Schenk war bis Ende der 1980er Jahre beim Bundeskriminalamt, zuletzt als Kriminaldirektor beschäftigt. Dann hat er wegen unüberbrückbarer Gegensätze zum BKA den Dienst quittiert. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er als Autor tätig und inzwischen Honorarprofessor der Universität Lodz mit dem Lehrauftrag für die Geschichte des Nationalsozialismus. Im Jahr 2003 hat er das Buch veröffentlicht: „Die braunen Wurzeln des BKA“. Darin hat er erstmalig und im Einzelnen dargestellt, wie SS-Seilschaften das Bundeskriminalamt bis weit in die 1960er Jahre hinein geprägt haben – und wie sich die führenden Köpfe dieser Behörde gegenseitig in die Positionen hineingehievt und dann auch abgeschottet haben gegenüber Strafverfolgung und kritischer Öffentlichkeit. – Wenn man diese Seilschaften und Karrieren sieht, dann kann man schon wirklich – bezogen auf Heuser und nicht auf die Gerechtigkeit – meinen, Heuser habe „Pech gehabt“.

Damit bin ich am Ende meines Vortrages. Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit