Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Josef Grohé (1902 – 1987)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie heute zum ersten Vortrag der dreiteiligen Reihe über NS-Täter aus Koblenz und Umgebung begrüßen zu können. Einige von Ihnen sind ja inzwischen treue Hörer und – wenn ich das so sagen darf – Fans geworden. Andere sind jetzt neu dazu gekommen. Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Es ist inzwischen die 9. Kampagne der Vortragsreihe „Verfolgung und Widerstand in Koblenz und Umgebung 1933 – 1945“. Der Start war im Wintersemester 2001/2002. Dann haben wir jedes Wintersemester die Reihe fortgesetzt und sind jetzt im 9. Jahr. Wir haben lange durchgehalten – und ich hoffe, es ist Ihnen nicht langweilig geworden. Ich wünsche uns allen, dass es in diesem Semester so bleibt.

Ich habe mich bemüht, Ihnen auch diesmal wieder eine interessante und abwechslungsreiche Mischung zusammenzustellen. Mit dabei sind wieder ein NSDAP-Gauleiter sowie ein Mann aus dem unmittelbaren Repressionsapparat. Anders als sonst stelle ich Ihnen diesmal keinen „furchtbaren Juristen“ vor. Nicht, dass Sie meinen, es gäbe keine mehr. Ich dachte mir nur, ich sollte diesmal eine andere Berufsgruppe vorstellen. Deshalb werde ich in vier Wochen einen „furchtbaren Lehrer“ biografieren.

Beginnen möchte ich heute mit dem Gauleiter Josef Grohé. Er ist nach Gustav Simon und Robert Ley der dritte Gauleiter, den ich Ihnen hier vorstelle. Sie erinnern sich vielleicht noch: Begonnen haben wir diesen Reigen der Gauleiter mit Gustav Simon, „Gustav der Kurze“ genannt. Er kam aus Hermeskeil, aus dem Hochwald, nach Koblenz, organisierte die NSDAP hier in Koblenz neu und machte sie Ende 1929 zur zweitstärksten Stadtratsfraktion – nach dem Zentrum. Mitte 1931 gelang es ihm, den großen Gau Rheinland Süd zu teilen. Der südliche Teil wurde der Gau Koblenz-Trier-Birkenfeld (später: Gau Moselland) und Simon wurde dessen erster und einziger Gauleiter. Bei der Teilung des Gaus Rheinland Süd zog der vormalige Gauleiter Robert Ley den Kürzeren. Dieser „Reichstrunkenbold“, der von Köln-Wiesdorf auch hier in Koblenz und Umgebung agitierte, war dann nicht mehr lange Gauleiter. Er wurde Führer des Reichsarbeitsdienstes (RAD). Nachfolger Leys als Gauleiter des nördlichen Teils dieses früheren Gaus Rheinland Süd wurde Josef Grohé. Diesen möchte ich Ihnen – u.a. als Gauleiter von Köln-Aachen – heute vorstellen.

Lassen Sie mich mit zwei Zitaten über Josef Grohé beginnen. Das erste stammt vom SPD-Kreisverband Köln nach dem Zweiten Weltkrieg und lautet:

An der Tragödie des deutschen Volkes ist Josef Grohé einer der Hauptschuldigen, der den Parolen eines wahnsinnigen Führers bis zur letzten Minute bedingungslos folgte.

Das zweite Zitat stammt von Überlebenden der Kölner Synagogengemeinde, ebenfalls nach dem Krieg. Sie erklärten ihn für

mitschuldig an den diskriminierenden Maßnahmen (gegen die jüdische Bevölkerung) zu sein, sowie an den Deportationen, die den Tod vieler tausend Menschen aus dem Gau Köln-Aachen zur Folge hatten.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Josef Grohé war keiner, an dessen Händen ganz unmittelbar Blut klebte. Er hat keinen politischen Gegner zu Tode gequält und keinem Juden an der Grube den Fangschuss gegeben. Sein Beitrag an den Verbrechen der Nazis war während der sog. Kampfzeit, die hier gerade auch in Koblenz und Umgebung stattfand, - ein sagen wir – intellektueller, besser: agitatorischer. Als Gauleiter gehörte er später zum engeren Machtzirkel der NSDAP und war so über die Verbrechen des NS-Regimes unterrichtet und in sie involviert.

Ehe ich das Leben von Josef Grohé erzähle, möchte ich noch eine Vorbemerkung machen. Man stellt sich ja immer die bohrende Frage, wie das passieren konnte. - Ich weiß es auch nicht. Aber: Hier am Beispiel von Josef Grohé kann man ganz konkret sehen, wie systematisch und verbrecherisch Rationalität zerstört, wie gelogen und verdreht wurde. Heute aus der Distanz können wir das als polemische, verbrecherische Agitation erkennen und leicht abtun. Wie war es aber damals, wenn einem durch die Presseorgane der Nazis und später durch die gleichgeschaltete Presse diese Lügenbilder immer wieder vor Augen geführt wurden?! Hätten wir das damals auch so abgetan – oder hätten wir nicht auch manchmal gedacht: Es stand ja in der Zeitung, da wird doch schon was dran sein. Manches, was ich Ihnen jetzt aus der sog. Kampfzeit der Nazis schildern werde, wird sie abstoßen und vielleicht auch anekeln. Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen! Es war damals Realität! Es kann heute ein Mosaikstein zum Verstehen sein. Es sollte uns auch deutlich machen, welch hehres Gut die Pressefreiheit und wie wichtig eine unabhängige Presse ist, die aber auch eine gewisse Selbstkontrolle üben muss. Es sollte uns auch vor Augen führen, wie wichtig eine rechtsstaatliche, demokratische und auch kraftvolle Justiz ist. Das sind Werte und Institutionen, die für uns heute selbstverständlich sind. Damit sind wir groß und alt und älter geworden. Manchmal schütteln wir auch den Kopf über diesen und jenen Zeitungsartikel und dieses und jenes Urteil. Das mag auch grottenfalsch sein. Aber das sind Einzelfälle. Unsere Institutionen sind intakt. Wir müssen uns aber um ihre Integrität bemühen, bisweilen auch um sie kämpfen – damit nicht das passiert, was ich Ihnen jetzt im Einzelnen und manchmal quälend hier anhand der Biografie von Josef Grohé erzählen möchte.

Josef Grohé wurde am 6. November 1902 als neuntes von 13 Kindern von Friedrich Jakob Grohé und dessen 17 Jahre jüngerer Ehefrau Maria Anna geboren. Die Eltern hatten in Gemünden im Hunsrück einen kleinen Kaufladen und nebenher einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Eltern Grohé waren einfache Leute, streng katholisch. Gemünden war damals und ist auch heute ein idyllisch gelegener Ort. Er bezeichnet sich gern als „die Perle des Hunsrücks“. Er gehört heute zur Verbandsgemeinde Kirchberg im Rhein-Hunsrück-Kreis. Gemünden liegt am Fuße des Soonwaldes und wird überragt vom Schloss der Freiherren von Salis-Soglio. Seit Jahrhunderten ist die Burg Sitz von Adelsgeschlechtern, auch der Sponheimer. Daher kommt es auch, dass Gemünden protestantisch geprägt ist. Der Ort war immer ein Zentrum heimischen Handels und Gewerbes. In Gemünden gab es auch eine lange jüdische Tradition. Die ersten Juden kamen dorthin wohl Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts. Sie waren aus dem Elsaß vor der dortigen Judenverfolgung in den Hunsrück geflohen. Mitte des 19. Jahrhunderts lag der Anteil der jüdischen Bevölkerung bei 18%, das war sehr hoch, lag doch der Reichsdurchschnitt ziemlich gleichmäßig bei 1%. Aus dieser Zeit stammte auch der Spottname für Gemünden: „Klein-Jerusalem“ oder auch „Klein-Nazareth“. Zur Zeit Grohés gab es ca. 8 % Juden in Gemünden. Auf Wikepedia, der Internet-Enzyklopädie, findet man zur Ortsgemeinde Gemünden unter dem Kapitel „Söhne und Töchter der Stadt“ zwei Namen: Louis Wirth (1897 – 1952), US-amerikanischer Soziologe jüdischer Abstammung - und eben Josef Grohé, NSDAP-Gauleiter.

Josef Grohé war von klein an ehrgeizig und zielstrebig – sonst hätte er auch bei den Nazis nicht so aufsteigen können. In der Volksschule in Gemünden war er Klassenbester und hätte gern die höhere Schule besucht. Das war aber bei den kleinen Verhältnissen der Eltern und der großen Kinderschar nicht möglich. Stattdessen hat der kleine Josef schon früh zu Hause mithelfen müssen. Die Situation zu Hause verschärfte sich noch durch den Ersten Weltkrieg. Denn nicht nur sein Vater wurde Soldat, sondern auch drei seiner älteren Brüder.

Dieses Vorbild und ein Lehrer, der seine Klasse systematisch zur Kriegsbegeisterung erzog, machten einen tiefen Eindruck auf Grohé und weckten in ihm schon früh den Wunsch, freiwillig Kriegsdienst zu leisten. Als 15-Jähriger, im Frühjahr 1918, meldete er sich in Bad Kreuznach zur Kriegsmarine. Er wurde dann zwar gemustert, aber wegen seines jugendlichen Alters bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres zurückgestellt. Als er dann am 6. November 1918 16 Jahre alt wurde, war es dann für das Kriegsspielen zu spät. Fünf Tage später wurde der Waffenstillstand unterzeichnet, das, was Grohé später den Diktatfrieden nannte, nahm seinen Lauf. – Dass er nicht „fürs Vaterland kämpfen“ durfte, war für Josef Grohé zeitlebens ein Trauma. Wie tief das saß, macht auch die 1941 über ihn erschienene propagandistische Biografie mit dem Titel deutlich: „Zwanzig Jahre Soldat Adolf Hitlers…“

Ein anderes, den noch sehr jungen Josef Grohé sehr prägendes Ereignis war die Kundgebung des späteren „Stürmer“-Herausgebers Julius Streicher im Jahr 1919 in Gemünden. Offensichtlich war der aus Nürnberg stammende Streicher, der damals zu einer der vielen völkischen Splittergruppen gehörte, auf einer Propagandafahrt durch den Hunsrück. Seine erste Station war Gemünden. Dort war er sehr erfolgreich. Kaum war er weiter gezogen nach Kirchberg und Simmern, hatte sich in Gemünden die erste völkisch-antisemitische Gruppe gebildet und sich Streichers „Deutschsozialistischer Partei“ angeschlossen. Im Herbst 1919 bestand die Gruppe in Gemünden aus 70 Mitgliedern – 70 von insgesamt 900 Einwohnern. Die Gemündener gründeten Stützpunkte in Sargenroth, Mengerschied und Kirchberg. Das Klima im Ort wurde immer explosiver. Kaum ein Jahr später kam es in einer Gemündener Gastwirtschaft zu einer regelrechten Saalschlacht zwischen jüdischen und „deutschen“ Einwohnern von Gemünden.

Zwei ältere Brüder Grohés waren schon früh in der völkischen Bewegung aktiv. Diese „Bewegung“ war so aktiv, dass sie 1922 von der französischen Besatzungsmacht verboten wurde. Nach Aufhebung des Verbots blieben diese Völkischen zusammen und wurden eine sehr aktive Ortsgruppe der NSDAP. Hervortaten sich dabei vor allem die Josefs ältere Brüder Johann und Ludwig. So war der Bruder Johann später Ortsgruppenleiter in Gemünden. Der Bruder Ludwig wurde 1928 zum ersten NS-Kreisleiter von Simmern gewählt und hatte das Amt bis 1930 inne; ab 1940 war er Kreisobmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in dem von Deutschland mit dem Westfeldzug überfallenen Luxemburg. Diese – sagen wir einmal – turbulente Zeit hat der Bruder Ludwig Grohé sehr gut überstanden und ist dann im gesegneten Alter von 94 Jahren in Gemünden gestorben.

Doch jetzt zurück zu Josef Grohé und in das Jahr 1920. Mit dieser Disposition verließ er mit 17 Jahren seinen Heimatort Gemünden im Hunsrück und ließ sich in Köln nieder. Dort wurde er erst Voluntär bei einem Eisenwaren- und Bauartikelhändler, bald kaufmännischer Angestellter.

Seine politische Entwicklung setzte er in Köln gradlinig fort. Schon im Frühjahr 1921 schloss er sich dem „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ (DVSTB) an. Er gehörte zu den radikalsten antisemitischen Bünden, die sich nach dem Ersten Weltkrieg überall gebildet hatten: Seine Mitglieder mussten den „Ariernachweis“ führen und schon in der Satzung stand, dass die Juden die Schuld an der Niederlage im Ersten Weltkrieg trügen. Schon bald leitete Grohé die „Gefolgschaft“ von Köln-Nippes.

Durch den Vorsitzenden der Kölner Ortsgruppe DVSTB – eines gewissen Lützeler – kam Grohé bereits im August 1921 in die NSDAP. Damals hatte ein Schreinermeister die Gründung der Partei dort verkündet und Grohé war von Anfang an dabei. Allerdings war das ein Schnellschuss, denn Lützeler hatte diese Ortsgruppe ohne Abstimmung mit der Münchner Parteileitung der NSDAP – ohne Hitler - gegründet. Es dauerte aber noch ein knappes Jahr, bis die Parteizentrale die Existenz der Gruppe zur Kenntnis nahm und dann durch einen von ihr Beauftragten die Ortsgruppe in Köln offiziell „gründete“. Seit diesem 3. März 1922 war Grohé auch offiziell Mitglied der NSDAP.

Die Nazis waren in Köln zunächst aber nur ein kleiner Haufen. Die Partei hatte gerade einmal 56 Mitglieder. Sehr viel größer war demgegenüber die Kölner Ortsgruppe der DVSTB. Das änderte sich aber wenige Wochen später. Am 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walther Rathenau ermordet. Bei den Rechten war er verhasst wegen seines Ausgleichs mit Frankreich und mit Russland. Man diffamierte ihn als „Erfüllungspolitiker“. Sein größtes Verdienst war der deutsch-russische Vertrag von Rapallo am 16. April 1922. Darin vereinbarte man diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen und Russland verzichtete auf Reparationen. Sechs Wochen später wurde Walther Rathenau von Mitgliedern der illegalen „Organisation Consul“ (OC) in Berlin ermordet. Da die Mörder auch Verbindungen zum DVSTB hatten, wurde dieser kurz darauf u.a. in Preußen verboten. So kam es, dass die Kölner Ortsgruppe des DVSTB so nicht weitermachen konnte und sich dessen Mitglieder der NSDAP anschlossen.

Dadurch nahm die Mitgliederzahl der NSDAP zu, trotzdem ging es aber bergab. Wichtig war dabei das Verbot der NSDAP in Preußen am 18. November 1922. Grohé versuchte die Kölner Nazis noch in einer Tarnorganisation zusammenzuhalten. Das war aber auch nicht viel. Er verlegte sich dann auf Störaktionen, etwa gegen Versammlungen des „Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ und der KPD.

Ein ganz neues Betätigungsfeld fand Grohé durch den „Ruhrkampf“. Bekanntlich marschierten französische und belgische Truppen im Januar 1923 in das Ruhrgebiet ein. Anlass dafür war, dass die Deutschen angeblich die Reparationsleistungen nicht einhielten. Der Einmarsch verursachte in der Bevölkerung große Erregung und die Reichsregierung rief auch offiziell zum passiven Widerstand auf. Grohé ließ es nicht beim passiven Widerstand. Er ließ sich von einem Reichswehroffizier zu einem Sabotageakt anwerben. Auf der stark befahrenen Eisenbahnstrecke Neuss-Düren sprengte er mit Gesinnungsgenossen einen für Frankreich bestimmten Kohlezug, so dass den Gleisen ein erheblicher Schaden entstand.

Um der Verhaftung zu entgehen, floh er nach München. Im Juli 1923 traf er erstmals mit Adolf Hitler zusammen. Hitler und die Parteizentrale halfen ihm mit Unterkunft und Geld. Wenige Wochen später konnte Grohé aber nach Köln zurückkehren - seine Tatbeteiligung war nicht entdeckt worden. Ehe er nach Köln zurückkehrte, schrieb er noch:

Ich bin stolz auf das, was ich getan habe, (…) weil ich weiß, dass ich so meinem so heißgeliebten Vaterland gedient habe. Ich lasse mich von keinem Minister und sonstigen Schurken und Verrätern abhalten, das zu tun, was für des Vaterlandes Glück und Wohlergehen notwendig ist. Wenn mir heute oder morgen wieder die Möglichkeit gegeben ist, so werde ich wieder freudig mein Leben einsetzen für unser gemeinsames großes Ziel: „Ein einiges Großdeutschland, ein wahres Vaterland.“ Der Tag der Abrechnung ist nicht mehr allzu fern. Die Schufte, die uns seit 1918 andauernd verraten, sollen ihre verdiente Strafe erhalten.

Mit knapp 21 Jahren kehrte Grohé im Oktober 1923 nach Köln zurück. Die Situation war desolat. Nach dem fehlgeschlagenen „Hitlerputsch“ vom 9. November 1923 wurde die NSDAP reichsweit verboten. Während Hitler in Landsberg in Festungshaft saß, drohte seine Anhängerschaft in mehrere Lager zu verfallen. Es war dann Grohé, der zusammen mit einem Heinz Haake die Hitler-Leute zusammenhielt. Sie gründeten den „Völkisch-sozialen Block“. Es war eine von zahlreichen nationalsozialistisch-völkischen Splittergruppen. Heinz Haake wurde bald „Gauführer“ dieses Völkisch-sozialen Blocks“ und Grohé wurde dessen Geschäftsführer.

In dieser Situation stieß Robert Ley zu der Gruppe um Haake und Grohé. Er, der Chemiker bei den IG-Farben-Werken in Leverkusen, kehrte dem beschaulichen bürgerlichen Milieu und seiner Familie immer mehr den Rücken und wandte sich den Nazis zu. Grohé und andere waren von diesem „Frontkämpfer“ und Akademiker beeindruckt. Auch entdeckte man schnell Leys Rednertalent und spannte ihn gleich in die Reichstagswahl und die Preußische Landtagswahl am 7. Dezember 1924 ein.

Bezeichnend war eine Wahlversammlung der NSDAP, die sie provozierend in der KPD-Hochburg Köln-Ehrenfeld abhielt. In einer lobhudelnden Nazischrift heißt es dazu:

Die roten Versammlungsplakate der Nationalsozialisten verfehlten ihre Wirkung nicht. Der „Westpalast“ war überfüllt. Einige Dutzend Nationalsozialisten oder Anhänger, alle anderen Marxisten.

Kaum hat der Redner (Ley) das Wort ergriffen, da hagelt es Zwischenrufe. Mit unerschütterlicher Ruhe setzt Dr. Ley sich durch. Er gewinnt mehr und mehr an Boden und kann seine Rede über die Zeit bringen.

In der Diskussion spricht der Kommunist Thoma, ein gerissener Demagoge. Seine wüste Hetze führt schließlich zu Tätlichkeiten. Die Nationalsozialisten scharen sich um Dr. Ley. Sie wehren die Angriffe ab, und dann greifen sie an. Voran Dr. Ley, Josef Grohé (und andere). Bierflaschen, Krüge, Gläser und Stuhlbeine sind die Waffen. In kurzer Zeit ist der Saal ein wüster Trümmerhaufen. Die Kommune weicht vor dem Ungestüm und Draufgängertum der Nationalsozialisten. Keiner von ihnen, der ohne Verletzung blieb. Sie kennen das Gesetz der Bewegung: Terror muss durch Terror gebrochen werden. Sie sind stolz auf diesen Erfolg.

Diese Versammlung ist der Beginn der Propagandatätigkeit von Dr. Robert Ley, die den Namen dieses Mannes bald in allen Teilen des weiten Gaues Rheinland, der von Solingen bis nach Nassau, von Idar-Oberstein bis nach Aachen reichte, bekannt machte, der den wenigen meist auf sich gestellten Nationalsozialisten Mut und Zuversicht gab und den Gegnern in allen Lagern und insbesondere den Juden Angst und Schrecken einjagte.

Soweit die spätere Selbstdarstellung der Nazis, die selbst in der verschleiernden Sprache deutlich macht, wer der Provozierende und der Angreifer bei dieser ersten gemeinsamen Saalschlacht von Grohé und Ley war. Hier wurde das Fundament gelegt für das Gespann Ley-Grohé, das in den kommenden Jahren durch rücksichtslose Demagogie, Verleumdungen und Saalschlachten von sich reden machen sollte.

In dieser „Kampfzeit“ kam Grohé zusammen mit Ley aber auch öfter nach Gemünden. Dabei standen die Auseinandersetzungen mit den einheimischen Juden im Vordergrund. Über eine solche Propagandaveranstaltung schrieben die Nazis später:

Anlässlich einer Versammlung (…) kam es (…) zu einer heißen Schlacht, bei der von zerbrochenen Stuhlbeinen und allen nur erreichbaren Gegenständen der ausgiebige Gebrauch gemacht wurde. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Parteigenossen Gebrüder Grohé (…) als ausgezeichnete Kämpfer des Führers bewährten.

Das Wahlergebnis zu den Reichstagswahlen Anfang Dezember 1924 fiel für die Nazis allerdings schlecht aus. Auch zeigte der Völkisch-soziale Block“ in Köln deutliche Auflösungserscheinungen. Da kam Hilfe von außen. Nur wenige Tage später – am 12. Dezember 1924 – wurde in Preußen das Verbot der NSDAP wieder aufgehoben. Und eine Woche später wurde Hitler auf Bewährung aus der Festungshaft entlassen.

Kaum hatte Hitler im Februar 1925 die NSDAP wieder neu gegründet, schloss sich Grohé der Partei an und erhielt die Mitgliedsnummer 13.340. Offiziell wurde die Kölner Gruppe der Völkischen am 1. März 1925 in die NSDAP überführt. Sogleich sandte Grohé Hitler nach München ein Treuegelöbnis, in dem er diesem „erneut unerschütterliche Treue und Gefolgschaft“ schwor. Gauleiter des NSDAP-Gaus Rheinland Süd wurde der bereits erwähnte Heinz Haake und Grohé wurde wieder Gaugeschäftsführer.

Haake war außerdem Abgeordneter des preußischen Landtages und als solcher häufig in Berlin. In dieses Vakuum stieß Grohé zielstrebig hinein und gerierte sich bei Abwesenheit Haakes als amtierender Gauleiter. Schon bald fühlte sich Haake von Grohé an die Wand gedrückt und gab seinen Posten als Gauleiter auf. In einem Brief an Ley beklagte er sich über den „ziemlich selbständigen“ Grohé. Er hielt Grohé aber gleichzeitig für unersetzlich. Dies war aber noch nicht Grohés Stunde. Gauleiter von Rheinland Süd wurde vielmehr Robert Ley.

Mit dem Amtsantritt Leys erhielt die NSDAP im Rheinland und vor allem die NS-Propaganda neuen Schwung und eine neue Qualität. Dabei war das für die NSDAP ein durchaus schwieriger Gau.

Der Gau Rheinland Süd setzte sich aus den beiden Wahlkreisen Köln-Aachen und Koblenz-Trier plus Birkenfeld zusammen. Der Gau war in sozialer und politischer Hinsicht recht heterogen: Im dicht bevölkerten nördlichen Teil dominierte die Arbeiterschaft, dort wählte man traditionell sozialdemokratisch und kommunistisch. Der südliche Teil, zu dem Koblenz und Umgebung gehörten, war dünn besiedelt und ländlich strukturiert. Hier hatte die Zentrumspartei ihre Bastionen. Der Gau gehörte aus der Sicht der NSDAP zu den schwächeren. Die Mitgliederzahl betrug im August 1925 335 und im Dezember 1925 868, bis August 1926 kamen noch 400 dazu. Selbst während der Weltwirtschaftskrise, im Jahre 1931, hatte der Gau erheblich weniger als 10.000 Mitglieder. Bei den Reichstagswahlen von 1928 und 1930 errang die NSDAP in den Wahlkreisen Köln-Aachen und Koblenz-Trier einen deutlich geringeren Stimmenanteil als im Reichsdurchschnitt.

Dieser Gau Rheinland Süd hatte seit dem 10. Mai 1925 eine eigene Zeitung – den „Westdeutschen Beobachter“. Auch hierbei bildeten Ley und Grohé ein Gespann. Grohé übernahm zum Amt des Gaugeschäftsführers die Schriftleitung des „Westdeutschen Beobachters“. Und Ley, der Gauleiter, verfasste die Leitartikel. Es war dann Grohé, der die Texte überarbeitete und Berichte u.ä. verfasste. Im März 1926 gründete Grohé einen eigenen Verlag für den „Westdeutschen Beobachter“, dessen Leitung er zunächst selbst übernahm. In dieser Zeit gab Grohé auch seine berufliche Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter auf und verschrieb sich ganz der Arbeit für die NSDAP. Er war dann auch schon bald Parteiredner.

Der „Westdeutsche Beobachter“ erschien zunächst als Wochenblatt. Nach den Worten Grohé „wurde (er) ein scharfes Schwert der Partei, und viele Hundert gerichtliche Verfolgungen der für Verlag und Schriftleitung verantwortlich Zeichnenden verstärken den Beweis, dass die Gegner ihn fürchteten.“

Soweit die Propaganda Grohés. Tatsächlich war das Niveau des „Westdeutschen Beobachters“ unterster Boulevardjournalismus. Die antisemitische Hetze, oft auch mit schlüpfrigem Unterton, erinnerte nicht selten an den berüchtigten „Stürmer“ Julius Streichers. Dabei zielte Grohé ganz bewusst auf die Rufschädigung Bürger jüdischen Glaubens und politischer Gegner.

Den Antisemitismus Grohés (und auch Leys) einschließlich des Boulevardjournalismus des „Westdeutschen Beobachters“ illustriert der „Schwarze Sonntag von Nastätten“. Zu seiner Vorgeschichte gehört, dass die Nazis im Taunus Anfang 1927 Anstrengungen unternahmen, Fuß zu fassen. Deshalb sollte Ende Februar 1927 eine Kundgebung der Nazis stattfinden. Dazu kam es aber nicht, weil zwei jüdische Bürger von Nastätten und der Bürgermeister das verhindern konnten. Im Gegenzug lud einer der beiden Juden für den 6. März 1927 zu einer öffentlichen Versammlung in den Saal eines Hotels am Ort ein. Das Thema der Veranstaltung lautete: „Das wahre Gesicht des Nationalsozialismus“. Am Tag zuvor war Ley auf einer Propagandareise in Koblenz und erfuhr von dieser Versammlung. Das war für ihn ein „gefundenes Fressen“. Er mobilisierte zusammen mit Grohé ganz kurzfristig ein großes Aufgebot von Parteimitgliedern, SA- und SS-Leuten, lud diese auf zwei Lastwagen und fiel in das Städtchen ein, um die geplante Veranstaltung zu stören. Dazu kam es aber nicht. Denn zuvor hatte die örtliche Polizei in Nastätten die Versammlung wegen starken Andrangs aufgehoben und den Saal räumen lassen.

Als die Leute gerade aus dem Saal hinausströmten, marschierten etwa 150 Nationalsozialisten mit Ley und Grohé an der Spitze in Nastätten ein. Ley kehrte nicht etwa unverrichteter Dinge um, sondern entschloss sich, im Saal des Städtchens zu sprechen. Aber auch dazu kam es nicht, weil der Saal ebenfalls schnell überfüllt war. Schließlich stieg Ley auf dem Marktplatz auf die Ladefläche eines Lastwagens und begann zu der versammelten Menge zu sprechen. In seiner Rede warnte er die örtlichen Bauern vor den Juden, wenn diese nicht aufpassten, könnten sie ihre Höfe verlieren. Während Ley sprach, schwärmten seine Leute aus, marschierten durch die Straßen von Nastätten, brüllten Parolen wie: „Die Straße frei!“ und verkauften NS-Werbebroschüren. Inzwischen bat der Bürgermeister Ley, seine Rede zu beenden und den Platz zu räumen. Während die beiden miteinander verhandelten, gerieten die Dinge außer Kontrolle. Als SA-Leute hörten, dass im Hotel Juden seien, stürmten sie das Gebäude und begannen, einen jungen Mann zusammenzuschlagen. Als die wenigen Landjäger eingreifen wollten, wurden auch sie von den SA-Leuten tätlich bedroht. Ein Polizeibeamter wurde niedergeschlagen und mit Füßen getreten. Um ihn zu schützen, zog ein anderer seine Pistole und feuerte einen Warnschuss ab. Aber in dem Durcheinander ging der Schuss in die Menge und traf einen jungen Anhänger Leys, einen gewissen Wilhelm Wilhelmy aus Singhofen; er war sofort tot.

Das beendete den Kampf. Die Landjäger fürchteten, gelyncht zu werden, und flüchteten ins Hotel. Ley und Grohé brachten ihre Männer wieder unter Kontrolle und ließen sie antreten. Sie trugen den Toten in die Leichenhalle, bestiegen ihre Lastwagen und verließen Nastätten. Am Ortsrand riefen sie einer jüdisch aussehenden jungen Frau, die ihr Kind im Arm hielt, noch zu, sie würden zurückkommen und den Juden die Kehle durchschneiden.

Auf der Rückfahrt hielten sie noch in Braubach und löschten ihren Durst. Als sie dann nachts von Oberlahnstein kommend die Brücke nach Koblenz überqueren wollten, wurden alle dort ankommenden 69 Nazis von der Koblenzer Polizei unter ihrem Chef, dem aufrechten Demokraten Dr. Ernst Biesten, festgenommen und in das Koblenzer Gefängnis eingeliefert. Auch Ley und Grohé waren unter den Festgenommenen, sie waren drei Tage hier in Koblenz in Haft. Bei der Durchsuchung der Nazis fand die Polizei übrigens noch Schusswaffen, Schlagringe, Gummiknüppel und Schraubschlüssel. Damit war es die Koblenzer Polizei unter ihrem Chef Biesten, die endlich diesem braunen Rowdytum und dem Terror ein vorläufiges Ende setzte und eine Strafverfolgung ermöglichte.

Aus dem Strafverfahren ist dann nicht viel geworden. Wie dies im Übrigen bei den Nazis gewirkt hat, zeigt eine Aussage von Grohé in einem Strafverfahren gegen ihn. Darin hat er u.a. ausgeführt:

Herr Dr. Biesten (hat) grundlos die aus Nastätten zurückkehrenden 69 Nationalsozialisten festnehmen lassen. (…) Wenn man nach dieser Methode konsequent vorgehen wollte, (dann) müsste man (…) sämtliche Menschen festnehmen, die bei einem Vorfall, bei dem strafbare Handlungen geschahen, zufällig in der Nähe waren, und sie solange festhalten, bis alle vernommen wären. Und in Nastätten war bekanntlich eine große Menschenmenge anwesend. Es hätte doch vollkommen genügt, die Personalien der Leute festzustellen (…) Dass die Festnahme der Leute tatsächlich grundlos geschah, zeigte sich dann auch daran, dass von den 69 Mann überhaupt nur fünf Mann unter Anklage gestellt wurden. Die anderen waren also völlig unschuldig.

Es muss mir doch unbedingt das Recht der Kritik an Maßnahmen zustehen, die ich als unberechtigt ansehen muss, umso mehr, als ich ja selbst dabei gewesen bin. Ich bitte Sie, sich zudem in die Gemütsverfassung hineinzudenken, in der wir uns damals befanden. Es ist doch (…) festgestellt worden, dass die Vorfälle in Nastätten durch das provozierende Verhalten eines Nastätter Juden entstanden waren. Nun wurde ganz grundlos ein junger Nationalsozialist erschossen. (…) Wir fuhren dann, noch erschüttert durch den furchtbaren Vorfall, nach Koblenz zurück, und da musste es uns passieren, auch noch verhaftet und drei Tage und Nächte lang eingesperrt zu werden.

Folge der Nazi-Krawalle in Nastätten war die Auflösung der vor allem daran beteiligten Ortsgruppen der NSDAP aus Köln, Wiesdorf und aus Koblenz und das Verbot des „Westdeutschen Beobachters“ für etwa drei Monate. Was dann folgte, war abzusehen: Ley, Grohé und der Westdeutsche Beobachter“ gaben keine Ruhe sondern hetzten gegen alle, die sich ihnen in den Weg gestellt hatten. Betroffen war von dem Rachefeldzug auch die Koblenzer Polizei. Unmittelbares Opfer dieser Kampagne war der verantwortliche Leiter der Koblenzer Kriminalpolizei, der Kriminaloberinspektor Albert Lehnhoff. Die Diffamierungskampagne gegen Lehnhoff begann knapp drei Wochen nach dem „Schwarzen Sonntag von Nastätten“. Ende März 1927, in der letzten Ausgabe vor seinem Verbot, brachte der „Westdeutsche Beobachter“ unter der Überschrift „Der zweifelhafte Damenbesuch und die angebliche Kusine im Schlafzimmer des Kriminaloberinspektors Lehnhoff im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Koblenz“ eine üble Geschichte.

Damit war der Sumpf bereitet, aus dem die Blüten treiben konnten. Das gelang zunächst aber noch nicht, weil – wie erwähnt – der „Westdeutsche Beobachter“ für knapp drei Monate verboten wurde. Er erschien erst wieder Anfang Juli 1927. In dieser ersten Ausgabe nach dem Verbot kam man wieder auf die alten Themen zurück – nicht ohne sie aber noch einmal auszuwalzen. Man gedachte des „lieben Kameraden Wilhelm Wilhelmi aus Singhofen“, „der für den Sieg der deutschen Freiheitsbewegung sein blühendes Leben geopfert hat“ und kam auf die Verhaftung der 69 Nationalsozialisten am Abend des 6. März 1927 zu sprechen. Dabei richteten sich die Angriffe – wie von Grohé beabsichtigt – immer mehr gegen Biesten. Mit System wollte der „Westdeutsche Beobachter“ Biesten in die Klemme bringen. Unter der Überschrift „Ei, ei, Herr Dr. Biesten“ wandte man sich nun ihm zu.

Die Demagogie fand ihren Höhepunkt, als man Biesten auch noch mit der Rassenideologie der Nazis diffamierte:

Wir glauben vorläufig nicht an die von einem Parteifreunde ausgesprochene Vermutung, dass Herr Dr. Biesten Jude sein könne (gemeint ist natürlich Rassejude), aber immerhin ist sein Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten bisher so gewesen, dass eine jüdische Gesinnung daraus gelesen werden könnte.

Nachdem der „Westdeutsche Beobachter“ Biesten auf diese Weise ganz bösartig angegriffen hatte, kam er im folgenden Artikel wieder auf den „Fall Lehnhoff“ zu sprechen. Ohne zunächst weitere Einzelheiten mitzuteilen, spielte man erst einmal den Biedermann, den „Vorkämpfer für Reinlichkeit im öffentlichen Leben“, wie Grohé das Ziel der Kampagne beschrieben hatte:

Was wir als Deutsche und Christen in der Zeit moralischer Verkommenheit und sittlichen Niedergangs verlangen können, ist, dass Sittenrichter und Aufsichtsbeamte, deren Aufgabe doch in der Hebung der allgemeinen Sittenbegriffe bestehen soll, zunächst selbst als einwandfreie Menschen dastehen. In Koblenz scheint dies nicht der Fall zu sein. Der Polizeichef Dr. Biesten hat den Herrn Lehnhoff zum Kriminaloberinspektor gemacht, von dem wir außerordentlich traurige Begebenheiten berichten müssen. „Müssen“ sagen wir ausdrücklich, denn es ist wahrhaft kein Vergnügen für uns, wenn wir in das persönliche Leben eines Mannes hineinzuleuchten gezwungen sind. Wir müssen es tun, weil es sich nicht um irgendeinen Privatmann, sondern um einen amtlichen Exponenten in Koblenz handelt.

Grohé hatte bewusst den von ihm so genannten Fall Lehnhoff hoch gespielt, um den Polizeichef von Koblenz Dr. Biesten zu treffen.

Diese Diffamierungskampagnen liefen immer nach dem gleichen Muster ab. Zunächst wurde eine haltlose, beleidigende Behauptung gegen (bisweilen auch jüdische) Personen des öffentlichen Lebens in die Welt gesetzt. Dann folgte das erwartete Gerichtsverfahren und mit diesem gesteigerte Publizität. Das Gerichtsverfahren wurde sogar noch zur Tribüne der Agitation, da die Richter nicht willens oder in der Lage waren, diese Propaganda der angeklagten Nazis zu unterbinden. Der Ausgang eines solchen Prozesses war dann nebensächlich, zumal nur geringfügige Geldstrafen zu befürchten waren. Wichtig war aber, dass die Nazis wieder einmal mit ihren Schmähungen in aller Munde waren.

Ein halbes Jahr vor diesen Schmähungen von Biesten und Lehnhoff stand Grohé vor Gericht, weil er im „Westdeutschen Beobachter“ einen führenden Koblenzer Sozialdemokraten der Annahme von Bestechungsgeldern beschuldigt hatte. Dieses Verfahren nahm er zum Anlass, einen Kaufmann jüdischen Glaubens namens Faber und den Koblenzer Oberbürgermeister Dr. Karl Russell (Zentrum) zu diffamieren. Den als Zeugen vernommenen Faber stellte er als völlig unglaubwürdig hin und erklärte:

Was Faber angeht, so halte ich es hier mit Martin Luther, der gesagt hat:

Trau keinem Fuchs auf grüner Heid‘,

Trau keinem Jud‘ bei seinem Eid.

(…)

Von mir weiß Faber, dass ich als antisemitischer Deutscher sein Todfeind bin, zwischen ihm und mir – das weiß er – gibt es keine Verständigungsmöglichkeit.

Den Koblenzer Oberbürgermeister Russell, der ebenfalls aus Zeuge in dem Prozess aussagte, griff Grohé – obwohl er ja nun angeklagt war – ungestraft wie folgt an:

Es wird notwendig sein, darauf hinzuweisen, dass Russell in der politischen Richtung, die ich hier vertrete, seinen Gegner sieht. Wir haben seine Absetzung gefordert und geben diese Forderung nicht auf, bis sie erfüllt ist, weil wir zu der Überzeugung gekommen sind, dass er seine Pflicht als Oberbürgermeister von Koblenz nicht in dem Maße erfüllt, wie es im Interesse der Koblenzer Bürgerschaft notwendig ist. Erkundigen Sie sich bitte nach der Lage der kleinen Geschäftsleute in Koblenz, und Sie werden feststellen, dass der größte Teil vor dem Konkurs steht, während dauernd neue jüdische Großwarenhäuser erstehen. Die Warenhausbesitzer sind zum Teil Leute, die erst während oder nach dem Kriege aus Ostgalizien nach Deutschland einwanderten, in der Inflation den arbeitsamen Deutschen das Vermögen stahlen und damit die Großwarenhäuser schufen oder wenigstens erheblich ausdehnten.

Mit allen möglichen Tricks holen sie heute der Masse des deutschen Volkes das Geld aus der Tasche, während die Reklame für die weniger kapitalkräftige nichtjüdische Geschäftswelt von Seiten der Koblenzer Stadtverwaltung verboten wird. Unter der Koblenzer Beamtenschaft befinden sich Leute, deren Entfernung im Interesse der Gesamtheit und insonderheit auch im Interesse des noch rein gebliebenen Beamtentums längst zur Notwendigkeit geworden ist. Aber Oberbürgermeister Russel tut so, als höre und sehe er nichts davon und deckt hinterher noch alle Polizeimaßnahmen, die in ihrer Wirkung den Ruin weiterer deutscher Volkskreise nach sich ziehen müssen. (…)

Der Herr Oberbürgermeister Russell hat darüber gejammert, dass wir mit dem Westdeutschen Beobachter eine so große „Unruhe“ nach Koblenz gebracht hätten. Ich will ihm sagen, dass wir uns mit einer Kirchhofsruhe, die naturnotwendig den Tod unseres Volkes bedeutet, nicht abfinden.

Wir werden nicht aufhören, bis ganz Deutschland zu einem einzigen Unruheherd geworden ist, aus dem das Volk aufsteht und mit eisernem Besen all den Schwindel und all die Korruption ausfegt, die ihm die Kirchhofsruhe beschert hat. Und dann erst, meine Herren, wird die Voraussetzung geschaffen sein für das Leben eines Volkes in ehrlicher Arbeit.

Damit Sie sich ein Bild machen können: Nach dieser ganzen Pressekampagne und den Diffamierungen im Prozess (die straflos blieben) wurde Grohé vom erweiterten Schöffengericht in Köln wegen der grundlosen Verleumdung des sozialdemokratischen Beamten als korrupt zu einer Geldstrafe von 200.- Reichsmark verurteilt.

Für die Auflage des „Westdeutschen Beobachters“ war eine solche Berichterstattung vorteilhaft. Derartige Angriffe kamen, wie der Koblenzer Oberbürgermeister Dr. Karl Russell in seinem Bericht vom 12. Oktober 1928 an den Koblenzer Regierungspräsidenten feststellte, gut an. Darin heißt es u.a.:

Die Zeitung wird umso mehr beachtet, als Koblenz eine Mittelstadt ist, in der derartige Sensationsblätter naturgemäß größeres Aufsehen hervorrufen als in einer Großstadt. Hinzu kommt, dass hier weite Kreise der Bevölkerung, die vor dem Kriege wohlhabende Rentner waren, verarmt und unzufrieden sind, und dass zahlreiche Gewerbetreibende, die vor dem Krieg durch die starke deutsche Garnison und die große Zahl der Rentner reichliche Einnahmequellen hatten, schwer mit ihrer Existenz zu ringen haben und verärgert sind. Diese Stimmung nutzt der Westdeutsche Beobachter geschickt aus und schürt die Unzufriedenheit in jeder Weise. So kommt es, dass das Blatt von gewissen Kreisen der Gewerbetreibenden, die gegen die jüdischen Geschäfte eingestellt sind und sich nicht zuletzt durch die gewaltige Ausdehnung des Warenhauses Tietz bedroht fühlen, noch unterstützt, und dass von vielen mit Gier nach diesem Blatt gegriffen wird.

Mit Stolz verwies Grohé darauf, dass gegen ihn weit mehr als 100 Gerichtsverfahren deswegen eingeleitet wurden, weil er sich als Hauptschriftleiter des Westdeutschen Beobachters oder als Redner straffällig gemacht haben soll. In einer NS-Propagandaschrift heißt es dazu:

Dieser jugendliche Revolutionär ohne juristische Vorbildung hat es den Staatsanwälten und Richtern, die es mit ihm zu tun kriegten, nicht leicht gemacht. Er führte die Verteidigung nicht nur mit der Überzeugung von dem Recht seines Kampfes für ein neues Deutschland, sondern auch mit dem Bewusstsein der moralischen Überlegenheit über seine Widersacher. Mochte das formale Recht manchmal gegen ihn sprechen, in jedem Falle wurde aus dem Angeklagten der leidenschaftliche Ankläger, der in ehrlicher Überzeugung und in schlüssiger und schlagender Beweisführung das korrupte System der November-Republik und seine Wortführer und Vertreter angriff.

Diese Methode Grohés und des Westdeutschen Beobachters war so erfolgreich, dass die von ihm Diffamierten zu resignieren begannen und dann auch resignierten. Der Koblenzer Oberbürgermeister Dr. Russell stellte dazu schon im Oktober 1928 fest:

Nach den Erfahrungen, die in den bisherigen Beleidigungsverfahren gemacht worden sind, muss man jedoch wohl oder übel auf dem Standpunkt stehen, in Zukunft von Strafanträgen abzusehen. Jeder Strafantrag führt zu neuen Verleumdungen und Beleidigungen, jede Verhandlung und Verurteilung ist der willkommene Anlass für weitere Hetz- und Schmähartikel. (…) Es fehlt ein ausreichender gesetzlicher Schutz gegen eine solche Presse, die systematisch durch Lüge, Verleumdung und Ehrabschneidung ihre Ziele, wie sie auch geartet sein mögen, verfolgt. (…) In allen ordentlich gesinnten Kreisen herrscht seit etwa zwei Jahren einhellige Empörung über die Rechtlosigkeit, der Beamte und Bürger ausgesetzt sind. Die Beamtenschaft und Bürgerschaft würden aufatmen, wenn das Treiben der Partei und der Zeitung (gemeint sind die NSDAP und der Westdeutsche Beobachter) unter der sie die ganze Zeit leiden, beendet würde. Die verheerenden Wirkungen derartiger Schmähartikel – das möchte ich nochmals betonen – dürfen nicht mit dem Maßstab einer Großstadt, sondern nach den engen Verhältnissen einer Mittelstadt beurteilt werden.

Die Verurteilungen Grohés wegen dieser Verleumdungen und Beleidigungen lauteten stets auf eine sehr moderate Geldstrafe. Kein einziges Mal wurde er zu einer auch nur kurzzeitigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichwohl befand er sich einmal in Haft – und zwar deshalb, weil er eine Geldstrafe, zu der er verurteilt worden war, nicht bezahlte. In diesem Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe wurde die im Urteil für diesen Fall mit ausgesprochene Ersatzfreiheitsstrafe fällig. Das machte Grohé bewusst – aus Gründen der Propaganda. So konnte er einem Parteigenossen, der in Untersuchungshaft saß, sein Mitgefühl ausdrücken und zugleich dazu protzen:

Auch ich werde in Kürze drei Wochen hinter schwedische Gardinen wandern, weil ich eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, die ich bekam, weil ich einen Juden beleidigt haben soll. Warum soll ich darüber klagen? Nachdem ich eben Nationalsozialist geworden bin, habe ich auch den Mut, die Folgen zu tragen. Denn es ist ja bald so, dass das Bekenntnis zu Adolf Hitler strafbar ist. Du weißt ja, wie unser Wahlspruch lautet: „Nun erst recht.“

Es versteht sich, dass der „Westdeutsche Beobachter“ die Haft propagandistisch ausschlachtete. Unter der Überschrift: „Grohé wieder in Freiheit!“ hieß es darin:

Wir schreiben Sonntag, den 19. Februar 1928. Vor dem Gefängnis Klingelpütz in Köln sammeln sich am frühen Morgen immer mehr frohgestimmte Menschen an. Die Straßenbahn kann zeitweise nicht weiterfahren, weil die zahlreichen Menschen nicht weichen wollen. Alle Augen sind auf das Gefängnistor gerichtet. Vergebens versucht die Polizei, die Straße für den Verkehr frei zu machen. Es gelingt ihr nicht. Die Menschen lassen sich nicht wegdrängen.

Da schlägt die Glocke 9 Uhr. Die mitgebrachten Musikinstrumente werden in Tätigkeit gesetzt. Das Gefängnistor öffnet sich, und heraus tritt der Nationalsozialist Grohé. Brausende Heilrufe empfangen ihn. Schon haben sie ihn auf die Schultern genommen und tragen ihn weg. Fassungslos sieht der Gefängnispförtner dem sich bildenden Zug nach. Soviel Kameradschaftlichkeit und Treue hatte er anscheinend noch nicht erlebt. Und wahrscheinlich so viel Trotz einem morschen System gegenüber auch nicht.

Grohé ist wieder frei! Sein Gesicht ist voller froher Züge, während sich die Stirn des Staatsanwalts Dr. Ranker in Falten legt.

Alsbald, nämlich am 5. April 1928, wurde die Ortsgruppe Köln der NSDAP, die im Zuge des „Schwarzen Sonntages von Nastätten“ aufgelöst worden war, wieder zugelassen. Damit änderte sich zunächst noch nicht viel, jedoch begann Grohé seine Agitation und seine Kampagnen mehr nach Köln zu verlagern. Ein weiteres Opfer seine Hetze wurde der Kölner Oberbürgermeister - Konrad Adenauer. Die Methode war die gleiche, wie sie Grohé und der Westdeutsche Beobachter bei Biesten und Russell in Koblenz angewandt hatten. Auch Adenauer wurde als Judenfreund und mehr diffamiert. Dabei hatten es die Nazis insoweit leicht, als Adenauer seit 1927 Mitglied des deutschen Komitees „Pro Palästina“ war. Es setzte sich für den Gedanken ein, Juden, die nach Palästina einwandern wollen, dort eine Heimstatt zu gewähren. Prompt wurde Adenauer als „Judenliebling“ denunziert, manche Nazis publizierten sogar, dass Adenauer selbst jüdischen Blutes sei.

Bei den Kommunalwahlen am 17. November 1929 erreichten die Nazis in Köln dann 4,6 %. Das war nicht viel. Das reichte gerade zu vier Stadtverordneten der NSDAP von knapp 100 Stadtverordneten insgesamt. Sie konnten nicht einmal eine Fraktion bilden. Aber mit Josef Grohé an der Spitze machten sie mit diesen paar Leuten unheimlich viel Wind. Von Beginn an arbeiteten die Nazis mit der Parole: „Fort mit Adenauer!“ Adenauer galt als Inkarnation des „schwarzen“ Köln. Unablässig betrieben der „Westdeutsche Beobachter“ und die Nazis im Stadtrat eine Agitation des Miesmachens. Ihre Hauptthemen waren: unsoziale Sparpolitik, Repräsentationssucht und Verschwendung, skandalös hohe Gehälter Adenauers und der Beigeordneten, Klüngelei, undurchsichtige Verquickung von Privatinteressen und städtischer Belange.

Immer wieder verbreitete Grohé aber auch unbändigen Hass auf die Juden. Ein Beispiel dafür war der Antrag in der Kölner Stadtverordnetenversammlung, dass die Stadt die 4 % übersteigenden Zinsen für ein Darlehen übernehmen sollte, mit dem ein Erholungsheim für jüdische erwerbstätige Frauen und Mädchen errichtet werden sollte. Zu diesem Antrag erklärte Grohé:

Wir sind der Auffassung dass in dieser Notzeit unter gar keinen Umständen für fremdes Volk auch noch Geld hinausgeworfen werden soll, während unsere eigenen Volksgenossen nicht wissen, wovon sie ihren Kindern das Hemd kaufen sollen, weil ihnen das Geld dazu fehlt. Wir sind höchstens dafür, dass von der Stadtverwaltung jenen Leuten, die hiervon Nutzen haben sollen, Freifahrscheine gegeben werden, meinetwegen nach der Polackei oder nach Palästina, wenn sie die Bedingung eingehen, nicht wieder zurückzukommen.

Grohé gelang es auch, einige Wochen später die Bewilligung von Geldern der Stadt Köln für eine städtische Feier zum Verfassungstag am 11. August 1930 zu diffamieren – und das gleichzeitig mit „den Juden“. Auf den entsprechenden Antrag erklärte er dazu in der Stadtverordnetenversammlung vom 30. Juli 1930:

Meine Damen und Herren! Diejenigen, die jetzt wieder einmal die so genannte Verfassung von Weimar feiern wollen, sind die gleichen Leute und die gleichen Elemente, die diese Verfassung seit Jahr und Tag brechen. Es ist deshalb ein Hohn, wenn dieselben Kreise diese Verfassung feiern wollen. Es ist nicht ganz uninteressant, auch hier wieder einmal festzustellen, dass dieses Stück Papier, welches – wie man sagt – die Grundlage der Republik geworden ist, nicht von einem Deutschen herkommt, sondern von einem Juden, und zwar von dem Juden Preuß, von einem Stammesgenossen desjenigen Professors, den Herr Oberbürgermeister Adenauer jetzt nach Köln geholt hat, nämlich den Herrn Professor Kelsen, der auf dem Gebiete übrigens auch ganz beschlagen ist, denn er ist der Vater der österreichischen Verfassung, so wie der in Deutschland lebende Jude Preuß der Vater der so genannten Deutschen Reichsverfassung ist. Ich sage, dass die Leute, die die Verfassung feiern wollen, dieselbe seit Jahr und Tag selbst gebrochen haben. Wo ist der Paragraph der Verfassung, der überhaupt dem deutschen Volk das gebracht hätte, was er in seinem Wortlaut verspricht? Da ist zunächst schon die Lüge im Anfang der Verfassung, dass das deutsche Volk sich diese Verfassung gegeben habe. Ich habe schon gesagt, nicht das deutsche Volk, sondern der Jude Preuß hat diese Verfassung gegeben. (…) Ich sage Ihnen: Diejenigen, die selbst die Verfassung zum Fetzen Papier herabgewürdigt haben, werden eines Tages ihr blaues Wunder erleben. (…) Schneller, als manch einer von Ihnen glaubt, hört die Feier der Weimarer Verfassung auf.

Das waren – wie gesagt – die Ausführungen Grohés am 30. Juli 1930 im Kölner Stadtrat zur Verfassungsfeier am 11. August 1930. Damals hat der ganze Stadtrat über Grohé und seine Truppe von 4 Stadtverordneten, die nicht einmal eine Fraktion bilden konnten, gelacht. Sechs Wochen später sah das schon etwas anders aus.

Am 14. September 1930 fanden wieder einmal vorgezogene Wahlen zum Deutschen Reichstag statt. Sie endeten mit der größten Überraschung in der Geschichte der parlamentarischen Wahlen in Deutschland: Nach der SPD, die auf 24,5 % der abgegebenen Stimmen und 143 Sitze kam, wurde die NSDAP mit Abstand zweitstärkste Partei. Sie erreichte 18,3 % und 107 Sitze. Damit verbesserte sich die NSDAP im Vergleich zu den Reichstagswahlen von 1928 – zwei Jahre zuvor – von 2,6 % auf 18,3 % und von 12 Sitzen auf 107 Sitze. Mit ihren 107 Sitzen im September 1930 stellte die NSDAP bei insgesamt 575 Sitzen im Reichstag 18,6 % der Reichstagssitze. Die Ergebnisse im Gau Rheinland Süd waren nicht ganz so gut. Im Wahlkreis Köln –Aachen erreichte die NSDAP 14,5% der abgegebenen Stimmen und hier bei uns, im Wahlkreis Koblenz-Trier, 14,9 %.

Gleichwohl war das natürlich für die NSDAP auch hier im Rheinland ein Riesenerfolg. Grohé, versuchte auf dieser Erfolgswelle mit zu schwimmen und für die Stadtverordnetenversammlung von Köln auszunutzen.

Drei Wochen nach der Reichstagswahl, die man später Erdrutschwahl nannte, stellte Grohé im Kölner Stadtrat den Antrag, die Stadtverordnetenversammlung unverzüglich aufzulösen. Den Antrag begründete er mit den Ergebnissen der Reichstagswahl und übertrug die prozentualen Ergebnisse der Reichstagswahl auf die Zusammensetzung der Kölner Stadtverordnetenversammlung:

Das Ergebnis der am 14. September stattgefundenen Wahlen hat gezeigt, dass die Stadtverordnetenversammlung so, wie sie heute zusammengesetzt ist, nicht mehr dem Willen der Bevölkerung entspricht. (…) Nach dem 14. September hat das Zentrum anstatt mit 35 nur noch 24 Leuten hier zu sitzen, die Volkspartei mit sechs usw., wir anstatt mit vier mit 17 Mann.

Als die anderen Stadtverordneten dies mit Gelächter quittierten, fügte Grohé noch drohend hinzu:

Sie haben vor dem 14. September noch bei ganz anderem gelacht, als Sie es jetzt tun, und so wie Ihnen in mancher Beziehung das Lachen vergangen ist, wird auch jenes Gelächter noch vergehen, welches Sie heute aus Verlegenheit hier in Erscheinung treten lassen. (…) Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Inzwischen war der Gau Rheinland Süd auf 127 Ortsgruppen mit 18.000 Mitgliedern angewachsen. Damit ging eine finanzielle Konsolidierung der rheinischen NSDAP einher. Auch nahmen die Aufgaben der einzelnen Funktionäre zu. Grohé trat deshalb als Gaugeschäftsführer zurück, um sich ganz seiner Funktion als Stellvertreter des Gauleiters widmen zu können. Auch gab er die Leitung des Verlages des „Westdeutschen Beobachters“ ab, wurde aber zum 1. September 1930 Hauptschriftführer des dann täglich erschienenen „Westdeutschen Beobachters“. Jetzt war Grohé ein gut bezahlter Parteifunktionär. Der Kölner Polizeipräsident Otto Bauknecht kommentierte dieses Parteigehalt und andere bissig so:

Jedenfalls darf wohl angemerkt werden, dass diese Führer und Funktionäre der national“sozialistischen“ deutschen „Arbeiterpartei“ für ihre Person die soziale Frage restlos gelöst haben.

Koblenz gehörte weiterhin zum Gau Rheinland Süd, dessen Gauleiter Robert Ley war. Damit wollte sich einer aber nicht zufrieden geben. Das war Gustav Simon. Er war auf Veranlassung von Ley Leiter des Bezirks Trier-Birkenfeld und dann auch noch des Bezirks Koblenz geworden. In Koblenz hatte er die zerstrittene NSDAP geeint und bei den Kommunalwahlen im November zur zweitstärksten Fraktion im Stadtrat gemacht. Bei den Erdrutschwahlen hatte „sein“ Wahlkreis Koblenz-Trier mit 14,9% zwar nicht den Reichsdurchschnitt erreicht, aber doch mehr als die NSDAP in dem weiteren Wahlkreis des Gaues Rheinland Süd. Denn in dem Wahlkreis Köln-Aachen brachte es die NSDAP „nur“ auf 14,5%. Außerdem konnte Simon einen persönlichen Erfolg für sich verbuchen: Er wurde der einzige Reichstagsabgeordnete in seinem Wahlkreis – neben vier Politikern des Zentrum.

Dieser Erfolg beflügelte nun Simon und veranlasste ihn schon im Oktober 1930, einen Vorstoß zur Neugliederung des Gaues Rheinland zu unternehmen. Simon legte eine Denkschrift zur Teilung des Gaues vor. Diese sah die Bildung eines nördlichen und eines südlichen Gaues vor. Begründet wurde das damit, dass so die Wahlkreise bei den Reichstagswahlen mit den Gauen identisch würden und damit die Propaganda noch effektiviert werden könnte. Die Parole hieß: „Gau gleich Reichstagswahlkreis“. Außerdem wies Simon auf die Größe des Gaues und auf erhebliche Unterschiede in der Sozialstruktur sowie in der politischen Landschaft hin. Ley war über dieses Ansinnen maßlos wütend und wollte eine solche Teilung des Gaues und die damit verbundene Ansehensschädigung und –minderung unbedingt verhindern.

Nach einigem Hin und Her gelang es Simon, seine Vorstellungen durchzusetzen. Auf einer Gautagung am 31. Mai 1931 hier in Koblenz – und zwar in Koblenz-Lützel im Saal des „Hähnchen“ - wurde die Teilung des Gaues endgültig vollzogen und Simon wurde von Ley als erster Gauleiter des Gaues Koblenz-Trier-Birkenfeld in sein Amt eingeführt. – Ley selbst blieb nominell Gauleiter des Nordteils des bisherigen Gaues Rheinland, der dann Gau Köln-Aachen hieß. Er kehrte aber nicht mehr nach Köln zurück. Sein Nachfolger als Gauleiter wurde sein bisheriger Stellvertreter - eben Josef Grohé. Grohé hatte damit eine große Karriere gemacht. Er war noch keine 29 Jahre alt und damit der zweitjüngste NS-Gauleiter, als ihn Hitler dann auch offiziell zum Gauleiter des Gaues Köln-Aachen ernannte.

Damit entfernte sich Grohé weiter von Koblenz. Er war jetzt Gauleiter des Nachbargaus. Auch änderte sich die Situation beim „Westdeutschen Beobachter“. Zwar blieb Grohé dessen Hauptschriftführer. Indessen übernahm Simon die inzwischen von Ley gegründeten Zeitungen „Koblenzer Nationalblatt“, „Trierer Nationalblatt“ und „Westwacht“ als Herausgeber und machte sie zu seinen Gauzeitungen. Dadurch verlor der in Köln erscheinende „Westdeutscher Beobachter“ im Koblenzer Raum an Einfluss.

Als Gauleiter war es für Grohé dann ein Leichtes, bei den Wahlen zum Preußischen Landtag im April 1932 als Abgeordneter gewählt zu werden. Er führte die Liste der NSDAP an und mit ihm einige weitere Parteigenossen in den Preußischen Landtag in Berlin ein.

Im Kölner Stadtrat agitierte Grohé weiter wie bisher. Zielscheibe seines Hasses und seiner Diffamierung waren vor allem der Oberbürgermeister Adenauer und auch das Zentrum, die Partei des politischen Katholizismus. Ein weiteres Opfer war der Kölner Polizeipräsident Otto Bauknecht. Er wurde dann unmittelbar nach dem so genannten Preußenschlag am 20. Juli 1932 von dem Reichskommissar von Preußen, von Papen, aus seinem Amt entfernt. Die Machtübernahme durch Hitler, die von den Nazis so genannte Machtergreifung, kam dann für Grohé offensichtlich ebenso überraschend wie für die meisten Deutschen.

Zwei Wochen nach der Machtübernahme durch die Nazis mischte sich Grohé mit seinem „Westdeutschen Beobachter“ noch einmal ganz vernehmlich in die Koblenzer Verhältnisse ein. Als Göring als kommissarischer Innenminister von Preußen zahlreiche republikanische Polizeipräsidenten aus ihrem Amt entfernte, war einer von ihnen der Koblenzer Polizeipräsident Dr. Biesten. Mit ganz besonderer Häme kommentierte Grohé im „Westdeutschen Beobachter“ diesen Hinauswurf eines aufrechten Demokraten:

Minister Göring hat eine ganze Anzahl unwürdiger Staatsstelleninhaber von ihren Posten entfernt und damit den Anfang jener Säuberung gemacht, die im Interesse des Ansehens des anständigen und ehrliebenden Berufsbeamtentums sowie im Interesse des Staates dringend erforderlich ist.

Mit besonderer Freude wurde die Meldung vermerkt, dass der Koblenzer Polizeipräsident Dr. Biesten - selbstverständlich für immer! - von der behördlichen Bildfläche verschwunden ist. Der Name Dr. Biesten ruft Erinnerungen wach, auf die hier kurz eingegangen werden soll. Dr. Biesten war als Beigeordneter der Stadt Koblenz Polizeidezernent. Die national-sozialistische Bewegung befand sich im Anfangstadium ihres Kampfes. Der Terror der Marxisten kannte keine Grenzen. Jüdische Warenhausbesitzer und jüdische Rechtsanwälte setzten Gold und Rabulistik gegen uns an. Das Severing-Grzesinski-System in Preußen tat das Seine, die junge Freiheitsbewegung zu knebeln und zu unterdrücken. Da war es Herr Dr. Biesten in Koblenz, der sich hemmungslos auf deren Seite stellte, um den Keim der deutschen Volkserhebung zu ersticken und jene, die sich für die junge Bewegung einsetzten, zu schikanieren und zu schädigen.

Es war in den Jahren 1926 bis 1928, in denen Dr. Ley und ich unsere Hauptarbeit auf Koblenz und Umgebung (insbesondere auch auf das Nassauer Land) verlegten. In der Zeit meines jetzt rund zwölfjährigen Kampfes für Hitlers Bewegung stand ich mehr als 200 mal vor den Gerichten des Novembersystems, und nur selten hat sich ein Gegner hinterhältiger benommen wie Herr Dr. Biesten!...

Nun ist die Wende da!

Koblenz atmet auf und die Polizeibeamtenschaft fühlt sich befreit von einem Präsidenten, der sie missbrauchte und ihr Ansehen schwer schädigte.

Wir alle, die wir durch Biesten so vieles Traurige erleben und erleiden mussten, haben die Genugtuung, dass sich alle Schuld auf Erden rächt. Koblenz wird nun einen deutschen Polizeipräsidenten bekommen. Aber die Entfernung aus dem Amt allein ist nicht alles, was notwendig ist. Schon bald, schon bald wird ein deutsches Gericht zu urteilen haben!

Dieser von den Nazis so bezeichneten politischen Säuberung fiel nach den Kommunalwahlen am 12. März 1933 auch der Kölner Oberbürgermeister Adenauer zum Opfer. Am folgenden Tag besetzten SA-Kolonnen das Rathaus. Einem Triumphator gleich verkündete Grohé vom Balkon der Rathauslaube aus die Entlassung Adenauers und erklärte:

Die große Säuberung beginnt und wird mit eisernem Besen durchgeführt. Die Ära Adenauer und alles, was damit zusammenhängt, ist endgültig beendet.

Als einer von 43 Gauleitern war Grohé der höchste Repräsentant der NSDAP in seinem Gau. Allerdings war er – wie Simon auch – nur Gauleiter. Andere Gauleiter verstanden es, neben diesem Parteiamt auch ein staatliches Amt zu erreichen – wie z.B. der Gauleiter von Essen Josef Terboven, der Oberpräsident der Rheinprovinz war. Als „Nur“-Gauleiter hatte Grohé keine exekutivischen Befugnisse.

Selbstverständlich waren aber er und die Gauleitung in alle wichtigen innenpolitischen Vorkommnisse eingeschaltet. Grohé war der eigentliche Machthaber in Köln und Umgebung. Er war mit verantwortlich für die Verfolgung der politischen Gegner, Unterdrückung der Kirchen und vor allem an der Entrechtung der Juden und zumindest Mitwisser des Holocausts.

In vorderster Front beteiligte er sich an der Diffamierung der katholischen Kirche. Das fiel ihm nicht schwer, denn schon Anfang der 1930er Jahre hatte er wüste Tiraden gegen das Zentrum und die katholische Kirche losgelassen. Das Zentrum beschimpfte er schon 1931, „jüdisch-marxistische Geschäfte zu besorgen“ und giftete weiter:

Im Zentrum haben endgültig die schwarzen Sozialdemokraten gesiegt, jene Kreise, die auch den Eidbruch von 1918 auf dem Gewissen haben und in den letzten zwölf Jahren immer wieder die marxistische Verratspolitik förderten und mitmachten. Die gemeinsamen Verbrechen an Volk und Christentum kitten SPD und Zentrum aneinander.

Im selben Atemzug wetterte Grohé schon 1931 gegen die katholische Kirche:

Ohne Nationalsozialismus wären heute in Deutschland die Kirchen zerstört oder in Bordelle umgewandelt worden, wie das in Russland geschehen ist. Ohne Nationalsozialismus hätten bereits Deutschtum und Christentum aufgehört, in Deutschland zu wirken.

Vier Jahre später diffamierten die Nazis die katholische Kirche, indem sie Pfarrer und Ordensangehörige zunächst wegen Devisenvergehen und später wegen sittlicher Straftatbestände kriminalisierten. Grohé als Gauleiter in Köln war natürlich voll dabei. Der selbst ernannte „Beschützer“ der katholischen Kirche trat 1936 aus der Kirche aus. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass viele katholische Geistliche ab 1940 in Konzentrationslager verschleppt wurden.

Auch seinem Hass gegen die Juden ließ Grohé weiter freien Lauf. Schon 1934 verkündete er auf einem HJ-Treffen in Aachen:

Im Kampf gegen die Juden befinden wir uns in Gemeinschaft mit Christus, mit den großen Geistern der Menschheit und unseres Volkes. (…) Wenn die Völker in Eintracht leben wollen, dann muss der Jude sterben.

In vielfacher Beziehung war Grohé – was bei seiner Funktion als Gauleiter konsequent war – ein verbaler Brandstifter.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 weiteten sich die Machtbefugnisse der Gauleiter aus und Grohé erhielt – wie die anderen Gauleiter auch – exekutivische Befugnisse übertragen. So wurde Grohé Reichsverteidigungskommissar seines Gaues. Als solcher sollte er im Falle eines Notstandes die Zivilverwaltung übernehmen. Während dieser Zeit flogen die Alliierten schwere Luftangriffe auf Köln. Dabei gelang es Grohé, den Eindruck zu vermitteln, er habe die Situation im Griff. Dafür und für die Versorgung der Zivilbevölkerung seines Gaues erhielt er das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse mit Schwertern verliehen.

Nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 erreichte Grohé den Höhepunkt seiner Karriere. In dieser angespannten Situation war die nationalsozialistische Führung immer weniger zufrieden mit der Militärverwaltung im besetzten Belgien, die damals unter Leitung des „schlappen“ Generalobersten von Falkenhausen stand. Deshalb wandelte Hitler am 19. Juli 1944 die Militärverwaltung im besetzten Belgien in eine Zivilverwaltung um und Grohé wurde zum Reichskommissar für die besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich ernannt. Seine Aufgabe bestand darin, aus diesen Gebieten mehr Menschen und Material für die Kriegswirtschaft herauszuholen. Grohés Wirken in dieser Funktion war aber sehr begrenzt, da die Alliierten Brüssel bereits sechs Wochen später befreiten.

In der Folgezeit wurde Grohés eigener Gau Aachen-Köln zum Frontgebiet. Am 21. Oktober 1944 wurde Aachen als erste deutsche Stadt von den Alliierten befreit.

Immer wieder rief Grohé die Bevölkerung zum Kampf und zum Durchhalten auf. Zur Jahreswende 1944/45 versprach er:

Wenn das ganze deutsche Volk auch in Zukunft eine auf Gedeih und Verderben verbrüderte und verschworene Gemeinschaft bleibt (…), dann wird und muss uns das neue Jahr aufwärts führen.

Großspurig verkündete er „den Kampf bis aufs Messer“. Tatsächlich setzte sich Grohé am 5. März 1945 mit einem Motorboot über den Rhein ab, Am folgenden Tag erreichten die amerikanischen Truppen die Kölner Innenstadt. – Grohé, der selbst ernannte „Soldat Adolf Hitlers“, fiel bei den Nazigrößen in Ungnade. Goebbels vermerkte daraufhin in seinem Tagebuch, die Partei habe „im Westen ziemlich ausgespielt“ und: Grohé habe „trotz pompösester Ankündigungen seinen Gau nicht verteidigt“.

Grohé floh nach Mitteldeutschland und schlug sich dann bei Kriegsende nach Westen durch. Als er von einer amerikanischen Streife gestellt wurde, versuchte er sich zu erschießen, fügte sich aber nur Schusswunden im Gesicht zu. Unerkannt konnte er nach Hessen weiter fliehen. Dort tauchte er als Landarbeiter Otto Gruber unter. Mitte 1946 wurde er vom britischen Militär widerstandslos festgenommen. Er kam in ein Internierungslager und wurde wegen seiner Tätigkeit als Reichskommissar für Belgien an Belgien ausgeliefert. Die Belgier konnten ihm während der sechswöchigen Zeit als Reichskommissar aber keine Verbrechen nachweisen und überstellten ihn an die deutschen Behörden zurück.

Aufgrund einer 142-seitigen Anklageschrift wurde Grohé am 18. September 1950 vom Bielefelder Spruchgericht zu 4 ½ Jahren verurteilt. Das Spruchgericht stellte fest, dass Grohé bis zuletzt ein fanatischer Gefolgsmann Hitlers gewesen sei und aufgrund seiner Mitgliedschaft zum Führerkorps der NSDAP von vielen Verbrechen der Nazis Kenntnis gehabt habe. Gleichwohl verließ Grohé den Gerichtssaal – wie man so sagt – als freier Mann, da seine Internierungs- und Untersuchungshaft in britischen, belgischen und deutschen Gefängnissen angerechnet und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Anschließend kehrte er mit seiner Familie nach Köln zurück und baute sich eine bürgerliche Existenz als selbständiger Handelsvertreter für Spielwaren auf. Er bezog mit seiner Familie ein Reihenhaus im rechtsrheinischen Vorort Brück. Politisch trat er nicht mehr in Erscheinung. Zurückgezogen starb er am 27. Dezember 1987 im Alter von 85 Jahren. Vom Nationalsozialismus und seinen Verbrechen hat er sich nie distanziert, bis zuletzt hat er sich als „Soldaten Adolf Hitlers“ empfunden. Reue hat er nie gezeigt.