Lesen Sie folgende Dokumente:
Lesen Sie HIER die Karteikarten der Gestapo Koblenz von Margot und Rudi Kahn
Hinweis: Der eingebrachte Lizenzcode auf der Karteikarte berechtigt nur die Veröffentlichung auf den Webseiten
des Fördervereins Mahnmal Koblenz
Koblenzer Nationalblatt mit der Propaganda zum "Judenboykott" am 1. April 1933
Koblenzer Nationalblatt mit der "Erfolgsmeldung" zum "Judenboykott" vom 3. April 1933
Die drei "Nürnberger Gesetze" vom 15. September 1935
Koblenzer Nationalblatt vom 14. November 1938 nach der "Reichspogromnacht"
Das Hetzblatt "Der Stürmer" nach den Novemberpogromen 1938
Die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1. Juli 1943
HIER die Liste der 1. Deportation vom 22. März 1942 – die Eltern von Margot und Rudi Kahn, Jenny und Wilhelm Kahn, sind dort als „laufende Nummern“ 116 und 117 aufgeführt - einsehen.
Bericht von Margot Sommer, geb. Kahn, vom 1. September 1988 über die Vorfälle in der ,,Reichspogromnacht“
(9./10. November 1938) in der elterlichen Wohnung in der Rizzastraße 36 in Koblenz:
Am 10. November 1938 schellte es gegen 6 Uhr heftig an unserer Wohnung. Ich war damals 18 Jahre alt und öffnete die Tür. Fünf oder sechs mir unbekannte Männer in Zivil standen vor der Tür. Sie hatten Äxte und Hämmer in der Hand. Einer fragte: ,,Sind Sie Juden?“ Ich antwortete: ,,Ja“.Daraufhin zertrümmerte er mit einem Hammer sofort den großen Spiegel im Flur. Dann eilten sie ins Wohnzimmer und stürzten den Bücherschrank um. Sie schlugen heftig auf seine Rückwand und zerstörten sie. Dann stürzten sie ins Schlafzimmer, wo sie auch ihr Zerstörungswerk verrichteten. Die Federbetten wurden aufgeschlitzt, so dass die Federn flogen. Die Männer verteilten sich in die verschiedenen Räume, und je einer zerstörte die dort befindliche Wohnungseinrichtung. Kein Teller blieb erhalten, kein Spiegel, kein Glas. Die Möbel waren fast alle zertrümmert. Es ging alles sehr schnell. Mein Vater zog eiligst einen Anzug über seinen Schlafanzug, um überhaupt nach draußen gehen zu können. Er sollte nämlich zur Polizei mitkommen. Wir waren in größter Angst. In einem Zimmer wohnte als Gast Hermann Mayer, der sehr schwerhörig war. Gegen seine Türe schlug man heftig, aber er öffnete nicht die verschlossene Tür, weil er nichts vernahm. Die Untäter brachen die Tür auf und jagten Herrn Mayer im Schlafanzug auf die Straße und traten ihn dabei brutal. Zur gleichen Zeit war im gleichen Haus Herr Joseph Schubach am Fenster, um Luft zu holen, weil er herzkrank war. Als er die Abführung meines Vaters und die unmenschliche Behandlung von Herrn Mayer sah, bekam er vor Schrecken und Entsetzen einen Herzschlag und verstarb auf der Stelle. Sein 17jähriger Sohn Julius Schubach, der sehr religiös und stellvertretender Kantor der Jüdischen Kultusgemeinde war, führte die Beerdigung am folgenden Tag durch, was für einen Jugendlichen nach jüdischem Brauch eine außergewöhnliche Beanspruchung war.
Die eingedrungenen Männer waren sich nicht klar, ob sie nur Männer oder auch Frauen verhaften sollten. Deshalb nahmen sie meine Mutter und mich mit zur Polizeidienststelle am früheren Kaiser-Wilhelm-Ring. Dort fragte ich: ,,Darf ich meinem Vater Kleider bringen?“ Man erwiderte mir schroff: ,,Er braucht nichts!“ Darauf wurden wir Frauen entlassen. Wir bangten um unseren Vater und Herrn Mayer, dass sie ins KZ Dachau kommen würden, denn davon war in letzter Zeit die Rede. Wir gingen zurück und zur Ursulinenschule, wo wir eine Tasse Kaffee erhielten. Dann versuchten wir, im heimischen Chaos etwas Ordnung zu schaffen. Mehr war nicht möglich. Erst nach fünf Tagen kam Vater aus dem Gefängnis der Gestapo (Vogelsang I) heraus. Er war im Ersten Weltkrieg deutscher Soldat gewesen, hatte in Verdun gekämpft, war dort als Frontsoldat schwer verwundet worden, hatte das ,,Eiserne Kreuz“ erhalten und war bereits fast 60 Jahre alt. Diese Tatsachen hatten ihn noch vor dem KZ bewahrt. Mein Bruder Rudi, der in Frankfurt auf einer technischen Schule war, kam spät am Abend nach Hause. Nur einen Schlafanzug und eine Zahnbürste brachte er mit. Seinen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen, weil er Angst hatte, im Zug auf dem Weg nach Hause verhaftet zu werden.
Margot Kahn berichtet im Jahr 1985 über den Briefkontakt mit ihren Eltern, nachdem sie nach England ausgereist war.
Als ich im Jahre 1939 mein Elternhaus das letzte Mal verließ, hatte ich das Gefühl, dass ich meine Eltern nie wieder sehen würde. Sie blieben in Koblenz und mussten in die Rizzastraße 22 umziehen, bis sie am 18. März 1942 nach Izbica bei Lublin abtransportiert wurden. (...)
Bis März 1942 hatten meine Eltern auf allen möglichen Wegen an uns geschrieben, über Holland, über Amerika, sogar über Südamerika. Die Botschaften waren kurz gehalten und lauteten:
Am 31. Juli 1940 (schrieb ich mit dem Vorspruch: ,,Der Fragesteller verlangt Auskunft über den Empfänger. Bitte um Weiterbeförderung dieser Meldung.“ folgende ,,Rote-Kreuz-Message“ an meine Eltern): Liebste Eltern, hoffen Euch gesund. Wir unverändert gut. Rudi fleißig. Antwort sofort. Grüß Julius. (Ergänzung d. Autors: Gemeint ist Julius Schubach, ein Nachbarssohn; er ist später in die USA emigriert und dort Rabbiner geworden.) Alles Gute. Grüße. Küsse. Margot. Rudi.
Am 19. November kam folgende Antwort:
Liebe Margot, Rudi! Wir sind wohl und munter. Von Julius keine Nachricht. Bleibt gesund und brav. Bitte weitere Nachricht. Grüße, Küsse, Vater und Mutter, Willi.
Am 3. März 1942 (schrieb ich):
Liebste Eltern, warum so lange ohne Nachricht, hoffen Euch beide gesund und wohlauf. Wir beide gesund und munter, erwarten bald Nachricht. Grüße, Küsse, Margot, Rudi.
Die Antwort lautete (unter dem 22. April 1942):
Liebste Kinder! Unsere Adresse Izbica/Distrikt Lublin, Generalgouvernement. Sind gesund. Ersehnen nur Euer Wiedersehen. Julius Mutter besorgt, ohne Nachricht. Herzlichste Grüße, Küsse, Vater, Mutter, Wilhelm Kahn. (...).
Das war die letzte Botschaft von meinen Eltern. (...)
Ich hatte kurz danach an sie über das Amt des Generalgouvernements“ eine ,,Rote-Kreuz-Message“ geschickt, die zurückkam mit der Bemerkung, dass sie nicht mehr dort wohnen. Sie sind also kurz nach ihrer Ankunft im Osten umgekommen. Wären sie am Leben geblieben, hätten sie bestimmt alles Mögliche getan, sich mit Rudi und mir in Verbindung zu setzen. Mein Gefühl beim Verlassen meines Elternhauses in Koblenz hat mich also nicht betrogen.
Hier eine Bilderstrecke zu Margot und Rudi Kahn