Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Das Vernichtungslager Belzec

   
 

"Wer reicht uns das Wasser für den Tod?"


(Jüdischer Bestattungsritus, zitiert nach dem Gerstein-Bericht)

 
Lage: Belzec ist ein Dorf im "Landkreis" Tomaszowski in der "Provinz" Lublin in Ostpolen, an der Grenze zur Ukraine (Galizien). Der kleine Ort liegt 113 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Lublin und 55 Kilometer südöstlich von Izbica. Belzec ist Bahnstation an der Strecke Warschau-Lublin-Lemberg (damals Lwów, heute Lwiw in der Ukraine). In der  unmittelbaren Nähe von Belzec errichteten die Nationalsozialisten ein Vernichtungslager.   
    
Geschichte des Ortes bis 1939: Der Ort wurde Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt. Schon bald hatte er eine wechselvolle polnisch-ukrainische Geschichte. Bei der Ersten Polnischen Teilung im Jahr 1772 kam das Dorf zum österreichischen Galizien. Nach dem Wiener Kongress (1815) lag es an der Grenze zwischen dem zum österreichischen Teilungsgebiet gehörenden Galizien und dem Königreich Polen (Kongresspolen), eines vom Russischen Reich abhängigen Staates. Belzec war der nördliche Grenzbahnhof zum russischen Teilungsgebiet. In dieser Zeit erlebte der Ort eine Blüte. Sie war ausgelöst durch die Besiedlung und die anschließende wirtschaftliche Betätigung von Juden. Um 1900 wohnten in Belzec mehr als 100 jüdische Familien, die im Grenzhandel aktiv waren. Im Ersten Weltkrieg wurde der Ort zerstört, die meisten Juden zogen weg und Belzec verlor an Bedeutung. Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten noch 15 jüdische Familien dort.
 
Gründung des Lagers: Mit der Besetzung Polens durch Hitler-Deutschland wurden Lublin und seine Umgebung ein Distrikt im "Generalgouvernement".  Belzec war ein Teil des deutschen Besatzungsgebietes. Damit begann die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Polen. Belzec war das erste von drei Vernichtungslagern der "Aktion Reinhardt", die allein zur physischen Vernichtung von Menschen bestimmt waren. Fast ausschließlich wurden in Belzec und den beiden anderen Vernichtungslagern (Sobibor und Treblinka) Juden ermordet. Der Beschluss zur Errichtung dieses Vernichtungslagers fiel wahrscheinlich schon im September 1941. Am 1. November 1941 wurde mit dem Bau des Lagers begonnen. Für Belzec sprach die gute verkehrsmäßige Anbindung. Außerdem gab es an dem in Frage kommenden Gelände bereits eine Eisenbahnrampe, die parallel zur regulären Bahnlinie verlief.
 
Aufbau des Lagers: Von der Bahnlinie führte ein Nebengleis in das Lager und zur Rampe. Sie und die Einrichtungen in ihrer unmittelbaren Nähe wurden als "Vorlager" bezeichnet. Daran schloss sich das Lager I an. Dort gab es zwei Auskleidebaracken, eine für Frauen und Kinder und eine für Männer, sowie eine Baracke für die gesammelte Kleidung. Dem Lager I folgte das Lager II. An die Auskleidebaracken schloss sich im Lager II in eine Art Korridor, den die SS-Leute "Schlauch" nannten, an und den die Opfer nackt durchlaufen mussten. Er war auf beiden Seiten von einem hohen Zaun begrenzt. Er sollte verhindern, dass die Opfer zu früh erkannten, ermordet zu werden. Der "Schlauch" führte direkt zur Baracke mit den Gaskammern. Daran angebaut war ein Maschinengebäude. In ihm war der Motor untergebracht, der Abgase produzierte, die dann in die Gaskammern geleitet wurden. Im umliegenden Gelände befanden sich die Massengräber. Im Lager I waren auch jüdische Häftlinge mehrerer Arbeitskommandos untergebracht. Im Lager II befand sich außerdem die Unterkunft des Sonderkommandos der jüdischen Häftlinge, die ihre Arbeit in den Gaskammern und an den Leichen verrichten mussten. Beide Lager waren mit Stacheldraht abgetrennt. Ein weiterer, ebenfalls eingezäunter Bereich war den "Trawniki-Wachmännern" vorbehalten. Alle Zäune waren mit Tannenzweigen getarnt. Die deutschen SS-Männer wohnten außerhalb des Lagergeländes.

Die SS-Männer: Erster Kommandant des Lagers war der SS-Obersturmführer Christian Wirth. Wirth war schon führend an der Ermordung Behinderter und Kranker im Rahmen der NS-"Euthanasie" (-T4-Aktion-) im Jahr 1941 tätig gewesen. Nach Einstellung dieser Krankenmorde Ende August 1941 wechselte er zur "Aktion Reinhardt". Auch die übrigen etwa 15 - 20 SS-Leute des Lagers waren zuvor mit den Morden in den sechs Tötungsanstalten beschäftigt. Zur Bewachung u.a. des Lagers waren 60 und mehr "Trawniki-Männer" eingesetzt, ehemalige ukrainische Kriegsgefangene, die "freiwillig" "Hilfswillige" der SS waren.  
 
Der Ablauf der Vernichtung: Die meisten Menschen kamen mit Güterzügen in das Vernichtungslager. Die Züge hielten am Bahnhof Belzec, fuhren von dort auf das Nebengleis und dann durch das Lagertor an die Rampe. Dort prügelte man die Menschen aus den Waggons, ihr Gepäck mussten sie abstellen. Ein SS-Mann hielt ihnen eine Ansprache, die sie beruhigen sollte. Danach trieb man die Männer und Frauen mit den Kindern getrennt in die beiden Auskleidebaracken und anschließend durch den "Schlauch" in die Gaskammern. Alles geschah in einer Atmosphäre der Brutalität und des ständigen Antreibens. Die Opfer sollten keine Zeit haben, über das Geschehen und das Weitere nachzudenken und sich auch nicht wehren können. Die Gaskammern erinnerten an einen Waschraum, an den Decken hingen Duschkopfattrappen. Die Kammern wurden bis zum letzten gefüllt, zum Schluss warf man noch die Kinder hinein. Die Türen wurden geschlossen und der Motor gestartet. Nach 20 bis 30 Minuten waren die Menschen tot. Die jüdischen Häftlinge vom Sonderkommando öffneten die Türen, zogen die Ermordeten heraus, brachten sie zu den Massengräbern und warfen sie hinein. Nach der Säuberung der Gaskammern wiederholte sich das Morden mit der nächsten Gruppe.  
 
Die Transporte: Nach den "Probevergasungen" Ende Februar oder Anfang März 1942 begann die Massenvernichtung am 17. März 1942 mit Zugtransporten aus den Ghettos von Lublin und Lemberg. Die erste Phase dauerte bis zum 16. April 1942. Dabei wurde ein Teil der jüdischen Bevölkerung aus den Distrikten Lublin - u.a. auch aus Izbica mit dem Transport von 2.200 polnischen Juden am 24. März 1942 -  und Galizien deportiert. In diesen vier Wochen kamen zwei bis drei Transporte täglich an, ca. 63.000 Juden wurden ermordet, darunter am 10. April 1942 auch weitere 2.000 Juden aus Izbica. Ende Mai 1942 begann die zweite Deportationsphase mit kleineren Transporten aus der Umgebung, es folgten große Transporte aus dem Distrikt Krakau. Ab Mitte Juni wurde das Lager zum zweiten Mal für Transporte geschlossen und wesentlich umgebaut, vor allem wurden neue Gaskammern errichtet. Ab Mitte Juli gingen die Transporte weiter. Im August 1942 wurde der Höhepunkt mit ca. 130.000 Morden erreicht. Von Mitte August stammt auch der berühmte Bericht des SS-Mannes Kurt Gerstein, in dem er die Vernichtung von 6.500 Lemberger Juden, von denen bereits 1.450 auf dem Transport gestorben waren, schilderte. Am 19. Oktober 1942 verschleppte man 2.000 Menschen aus Izbica nach Belzec, die in einer mehrtägigen "Aktion" in Izbica zusammen getrieben worden waren. Die zweite Gruppe dieses Transports brachte man in das Vernichtungslager Sobibor. Am 1. November 1942 kam es in Izbica zu einer neuerlichen "Aktion", 1.500 Juden wurden daraufhin nach Belzec deportiert.   
 
Die Auflösung des Lagers: Bis Mitte Dezember 1942 trafen die Transporte mit mindestens 432.000 Menschen - ganz überwiegend Juden - in Belzec ein. Fast alle wurden mit dem Kohlenmonoxyd des Motors oder durch Exekutionen ermordet. Um die Verbrechen zu vertuschen, wurden bis Ende März 1943 die Leichen exhumiert und verbrannt. Die riesigen Scheiterhaufen brannten Tag und Nacht. Anschließend, bis Ende Juni 1943, baute man das Lager komplett ab, planierte das Gelände und pflanzte Kiefern an. Die letzten Häftlinge des Sonderkommandos wurden ins Vernichtungslager Sobibor transportiert und dort erschossen.  
 
Gedenken: Es sind nur drei Personen bekannt, die das Lager überlebten und später darüber berichteten. Nach der Befreiung war das Lager weitgehend vergessen. Seit 2004 gibt es eine Gedenkstätte mit einer Begräbnisstätte für die Opfer und mit einem Museum.