Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Informationen von 2004

(Hinweis: Diese Webseite ist erst 2005 entstanden - Sie lesen hier über die vorhergehenden Vereinstätigkeiten) 

Der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2004

Wie schon in den Jahren zuvor fanden auch zum diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus landesweit Veranstaltungen statt. Dazu gab der Landtag Rheinland-Pfalz eine kleine Broschüre heraus. In ihr waren vor allem solche in Mainz angekündigt. Erstmals wurde aber auch auf die Veranstaltungen in Koblenz hingewiesen.

Lesen Sie HIER die Broschüre des Landtags Rheinland-Pfalz zu den Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2004.

Die Veranstaltungen in Koblenz am 27. Januar 2004 begannen wieder am späten Nachmittag mit einer Statio am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz. Im Mittelpunkt des Gedenkens standen die Schicksale von Kindern, Jugendlichen und Jugendführern, die in der NS-Zeit Verfolgung erlitten. Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann verlas die Namen von 14 Kindern, Jugendlichen und Jugendführern aus Koblenz und Umgebung, derer in diesem Jahr besonders gedacht wurde. Dazu brachten Schülerinnen und Schüler der Diesterweg-Schule deren Biografien mit einer Rose an die Gitterstäbe des Mahnmals an. Die Biografien hatte unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig recherchiert und zusammengestellt. Sie waren regionaler Teil der anschließend präsentierten Ausstellung.

Nach der Statio am Mahnmal fand wieder die Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet, diesmal in der Christuskirche, statt.

Lesen Sie HIER das Programm zu den Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2004.

Lesen Sie HIER den Bericht in der Rhein-Zeitung vom 28. Januar 2004 über diese Veranstaltungen.

Lesen Sie HIER den Vorbericht zur Ausstellung in der Rhein-Zeitung vom 27. Januar 2004.

Anschließend wurde die Ausstellung von Martin Guse „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ – ergänzt um 14 Biografien von Kindern, Jugendlichen und Jugendführern aus Koblenz und Umgebung – im Foyer des Bischöflichen Cusanus-Gymnasium eröffnet. Die Wanderausstellung von Martin Guse beschäftigt sich auf 32 Tafeln mit dem Thema „Jugend im Nationalsozialismus“. Sie stellt die Entstehung und Geschichte der Jugendkonzentrationslager Moringen und Uckermark dar und zeichnet exemplarische Lebensläufe von Jungen und Mädchen in den Jugend-KZ nach. Die Ausstellung beschreibt auch das Verdrängen und Vergessen nach 1945 und das weitere Schicksal der porträtierten Jugendlichen.

 Das Faltblatt zur Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ HIER lesen

 

Einen Eindruck von der Eröffnung der Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ und ihrem regionalen Teil im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium vermitteln die nachfolgenden Fotos.

 

 

 

 

Unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig gab zur Eröffnung der Ausstellung die nachfolgende Einführung:

Joachim Hennig: Einführung in die Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ und ihre Koblenzer Ergänzung

Sehr geehrte Damen und Herren!
Nach der „Statio“ am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz und nach dem Gedenkgottesdienst in der Christuskirche kommen wir zum dritten Teil der heutigen Veranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus, der Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ und ihrer Koblenzer Ergänzung.
Der Titel der Ausstellung macht schon deutlich, was den Besucher erwartet und was er erwarten darf: Schicksale von jungen Menschen, von Kindern und Jugendlichen, denen der Nationalsozialismus ihre Lebensfreude und ihre Lebensperspektive und im Extremfall ihr Leben selbst zerstört hat – und das, obwohl sie noch gar nicht angefangen hatten zu leben. Und dabei fing bei den Nazis und im Nationalsozialismus alles so positiv und bedeutsam für die damalige Jugend an. „Macht Platz ihr Alten!“ lautete 1927 die zündende Devise von Gregor Strasser, dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP. Die Nazis waren die Partei „der Jungen“. Fortan sollte Jugend von Jugend geführt werden. Die Bedeutung der jungen Generation wurde aufgewertet – durch Uniformen und Aufmärsche, spektakuläre Wettkämpfe und öffentliche Auszeichnungen. – Aber schon ideologisch wurde diese Jugend ausgenutzt – als Partei- und Staatsjugend nach dem Gesetz über die Hitler-Jugend von 1936 als „Soldaten einer Idee“. Man beraubte sie aller Freiräume und autonomen Gestaltungsmöglichkeiten. Zugleich setzte man sie im NS-Spitzel- und Überwachungssystem infam ein: Ältere, auch Eltern und Lehrer, liefen Gefahr, wegen regimekritischer Äußerungen von regimetreuen Jüngeren denunziert zu werden. Das Generationsverhältnis als Abhängigkeit und Kontrolle hatte sich umgekehrt. Hitler selbst hat es propagandistisch einmal so umschrieben: „Wir Alten sind verbraucht... Aber meine herrliche Jugend! Gibt es eine schönere auf der ganzen Welt? Sehen Sie sich diese jungen Männer und Knaben an! Welch Material. Daraus kann ich eine neue Welt formen. Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden... Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich.“
Ein derartiges System musste gewachsene jugendeigene Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus standen bzw. sich von ihm nicht vereinnahmen ließen, bekämpfen, gleich- und ausschalten. Zudem brachte ein solches System jugendeigenen Widerstand und jugendeigene Resistenz hervor. Dies waren Gruppen und später auch nur noch einzelne aus dem bündischen, dem christlichen und dem Arbeiter-Milieu. Am bekanntesten sind aus der Zeit des Krieges – zu einem Zeitpunkt, in dem diese überkommenen Gruppen längst zerschlagen oder gleichgeschaltet waren – bestimmte informelle Gruppen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die „Weiße Rose“ in München und Hamburg und die „Edelweißpiraten“ im Ruhrgebiet und im Rheinland sowie die „Swing-Jugend“ vor allem in Hamburg.
Folgerichtig sah und suchte das NS-Regime in Jugendorganisationen und seinen Mitgliedern seine Gegner. Dabei galt sein Augenmerk zunächst den Jugendorganisationen, die man aus- und gleichschaltete und deren Anführer man oft kriminalisierte. Später, als es nur noch informelle Gruppen und einzelne Jugendliche gab, suchte das NS-Regime je länger je mehr seine Gegner auch in den einzelnen Jugendlichen. Sie wurden in vielfältiger Weise kriminalisiert und verfolgt. Man überzog sie mit Festnahmen, Verhören, „Schutz“- und Untersuchungshaft, verurteilte sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen und verschleppte sie in Konzentrationslager, allein Tausende junger Menschen in speziell für sie eingerichtete Jugendkonzentrationslager in Moringen und Uckermark.
Darüber hinaus wurden Kinder und Jugendliche Opfer des Nationalsozialismus, weil sie das Schicksal ihrer Eltern teilten, weil sie – wie ihre Eltern – anders waren und die Nazis dieses Anderssein auch an den Kindern nicht duldeten. So verfolgten sie jüdische Kinder und Jugendliche, jugendliche Sinti, tatsächlich oder vermeintliche psychisch Kranke, Personen, die aufgrund der NS-Rassenhygiene als „asozial“ galten und andere mehr.
Erfahrbar wird das unendliche Leid der verfolgten Kinder und Jugendlichen näherungsweise für uns heute allenfalls anhand von Lebensbeschreibungen, von Biografien verfolgter Kinder und Jugendlicher. Dieser Aufgabe hat sich die von Martin Guse erarbeitete Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ angenommen. Sie enthält als „Herzstück“ Biografien verfolgter Jugendlicher. Dabei ist ihnen allen eigen, dass sie eine besonders harte Verfolgung erlitten haben. Denn sie waren in jungen Jahren Häftlinge der Jugendschutzlager Moringen und Uckermark. Diese Jugend-KZ sind gewissermaßen ein Brennglas, in dem die Ausstellung von Martin Guse die Thematik „Verfolgte Jugend im Nationalsozialismus“ mit weiteren Facetten darstellt.
Die Ausstellung beginnt mit einem Überblick über die Jugend im Nationalsozialismus, damit, wie der Nationalsozialismus die Vielfalt jugendlicher Lebensformen und Organisationen zerstörte und damit, wie er junge Menschen führte und verführte, um in ihnen – wie es damals hieß – „Menschenmaterial“ für seinen Rassenwahn und seine Kriegstreiberei zu haben.
Daran schließt sich die Geschichte der Jugend-Konzentrationslager an. Einen breiten Raum nehmen dann die Biografien von Inhaftierten ein sowie der Versuch, den Alltag – die Bedingungen des Lebens und Überlebens – in den Jugend-KZ zu beschreiben. Der letzte Teil der Ausstellung dokumentiert die jahrzehntelange Missachtung und Verdrängung dieses Teils unserer gemeinsamen Geschichte. Alles in allem gehören zu der Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ 32 Tafeln, die hier in diesen Holzrahmen angebracht sind.
Zu dieser Ausstellung gehört ein Katalog. Er ist gewissermaßen die Ausstellung im kleinen, mit ihm kann man das hier Gesehene nach Hause zu tragen. Denn er dokumentiert die Ausstellung in ihrer Gesamtheit. Die Ausstellung wird ergänzt durch eine Hör-CD sowie Videofilme.
Diese Wanderausstellung war für mich Anstoß, über verfolgte Kinder und Jugendliche aus Koblenz und Umgebung einen regionalen Teil zu erarbeiten. Das Projekt wurde finanziell unterstützt durch die Landeszentrale für politische Bildung; realisiert wurden die Tafeln wie auch die sie ergänzenden Lesemappen von der Firma Copy Print Service (CPS) in Koblenz, Stegemannstraße. Diesen und anderen ungenannt gebliebenen Personen und Institutionen danke ich namens des Fördervereins für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz sehr herzlich.
Ich habe 14 Lebensbilder von Kindern und Jugendlichen aus Koblenz und Umgebung erstellt. Der Anlass für die Nazis, sie zu verfolgen, war vielfältig: Teils war es ihre politische Gesinnung oder ihr christlicher Glaube, teils ihre andere „Rasse“, manchmal ihre Nonkonformität, ihr widerständisches Verhalten, ihre Arbeitsverweigerung oder ganz generell ihr Anderssein.
Biografiert werden die bereits bei der „Statio“ am Mahnmal genannten Kinder, Jugendlichen und Jugendführer. Um diese jungen Menschen – oft nach Jahrzehnten des Verdrängens und Verschweigens – in die Erinnerung zu rufen, seien sie hier noch einmal genannt. Dabei freue ich mich, dass einige dieser Opfer und ihre Familienangehörigen unter uns weilen. Ihnen allen gilt ein ganz spezielles „herzlich Willkommen“. Diese 14 Personen sind:


Daweli Reinhardt, ein Sinto, der als 11-Jähriger mit seiner Familie im Jahre 1943 von Koblenz aus ins „Zigeunerlager“ des KZ Auschwitz-Birkenau deportiert wurde.


Michael Böhmer, geb. Reinhardt, ein entfernterer Verwandter von Daweli Reinhardt, der als 10-Jähriger im Mai 1940 mit seiner Familie von Koblenz aus in das damals von Deutschland besetzte Polen (Generalgouvernement) verschleppt wurde und dort jahrelang schwere Zwangsarbeit leisten musste.


Hannelore Hermann. Das jüngste Kind jüdischer Eltern aus Koblenz verlebte hier schöne und unbeschwerte Jahre, bis der Rassenwahn der Nazis Diskriminierung, Elend, Verfolgung und Tod für sie und die Familie brachte. Sie wurde im März 1942 in den Osten deportiert und später aller Wahrscheinlichkeit nach im Vernichtungslager Sobibor vergast.


Willy und Horst Strauß. Die beiden 1929 und 1931 in Bad Ems geborenen Jungen waren so genannte „Halbjuden“. Durch die damaligen Umstände kamen sie in Fürsorgeerziehung in die Anstalt Kalmenhof bei Idstein. Im Rahmen einer größeren Aktion gegen „halbjüdische“ Kinder wurden sie in die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg verschleppt. Im September 1943, innerhalb von Wochen, werden sie infolge schlechter Behandlung und aller Voraussicht infolge Spritzen ermordet.


Alois G. Der 1923 in Koblenz geborene Junge lebte als psychisch Kranker seit einiger Zeit in der Anstalt Scheuern bei Nassau/Lahn. Mit 17 Jahren wurde er wegen seiner Krankheit als nicht dienstfähig gemustert. Daraufhin geriet er schnell in die Tötungsmaschinerie der so genannten T-4-Aktion. Von Scheuern aus wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg verbracht und dort noch am selben Tag mit Gas ermordet.


Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und die Michaeltruppe. Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler gründeten Ende 1942 eine große Gruppe mit Jugendlichen aus Kruft und Umgebung. Sie nennen sich „Michaeltruppe“ und spionierten beispielsweise auf dem Niedermendiger Flughafen. Von der Gestapo entdeckt, wurden sie in „Schutzhaft“ genommen und kamen u.a. auch auf die Burg Stahleck bei Bacharach. Von dort brachte man sie ins Jugend-KZ Moringen.


Hans Blumensatt und die „Wilde Clique“. Der im Jahre 1922 geborene Hans Blumensatt aus Lahnstein war Oberschüler – mit mäßigem Erfolg. Auch in der Hitler-Jugend machte er nicht richtig mit. Der ganze Drill war ihm zuwider. Viel lieber hörte er ausländische Musik, die verbotene „Negermusik“. Mit vier Gleichaltrigen machte er im Winter 1940 nachts Oberlahnstein mit Sachbeschädigungen an Einrichtungen der Nazis unsicher. Die „Wilde Clique“ wurde entdeckt, Hans Blumensatt zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.


Edgar Lohner. Der 1919 in Andernach geborene Edgar Lohner war ebenfalls Oberschüler. Mit Gleichgesinnten ging er nach Art der Bündischen Jugend auf Fahrt. Dabei lernte er in Frankreich den emigrierten Jugendführer K.O. Paetel und auch ein jüdisches Mädchen kennen. Mit ihr freundete er sich an. Bald nach dem Abitur wurde er verhaftet. In Prozessen in Koblenz und vor dem Volksgerichtshof in Berlin wurde er u.a. wegen Hochverrats zu mehrjähriger Haft verurteilt. Aus dem Zuchthaus wurde er dem Bewährungsbataillon 999 überstellt.


Hans Renner (geb. 1912) ist ein echter Koblenzer „Schängel“ und „Erzkastorianer“. Er war in der katholischen Jugendbewegung und Führer der Koblenzer „Sturmschar“. 1935 machte er seine Neigung zum Beruf und wurde Diözesanwart der „Sturmschar“ in Trier und kam bald in mehrmonatige Gestapohaft. Er arbeitete als Jugendführer weiter, bis Ende 1937 die katholische Jugend in Trier verboten wurde.


Alfons Brands. Ebenfalls ein „Schängel“ war der 1902 in Koblenz geborene Alfons Brands. Nach seiner Priesterweihe war er Kaplan, später „Reichskaplan“ der „Sturmschar“. Im Zuge eines spektakulären Strafprozesses gegen junge Katholiken und Kommunisten wurde er öfter festgenommen, verhört und dann wieder freigelassen. Er erhielt Redeverbot und wurde mit einem Strafprozess wegen „Heimtücke“ überzogen, kam aber aufgrund einer Amnestie frei. Daraufhin wurde er Seelsorger in Neuwied und gründete dort während des Krieges illegale Jugendgruppen, die „Alfons-Brands-Jugend“


Robert Oelbermann. Robert und sein Zwillingsbruder Karl (beide 1896 in Bonn-Lennep geboren) gründeten den Nerother Wandervogel. Sie und ihre Bewegung waren ein wichtiger Bestandteil der „Bündischen Jugend“. Geradezu berühmt wurden sie durch ihre Großfahrten, ihr Stammsitz war und ist die Burg Waldeck im Baybachtal im Hunsrück. Nach 1933 wurden sie gezwungen, den Bund aufzulösen und sich der Hitler-Jugend anzuschließen. Gegen Robert Oelbermann inszenierten die Nazis einen Strafprozess wegen angeblicher Homosexualität. Nach Verbüßung der 18-monatigen Haft wurde Robert ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Später starb er im KZ Dachau.


Warwara T. Die 1920 in der Nähe von Charkow in der Ukraine geborene Warwara T, steht für hunderte von jungen polnischen, russischen und ukrainischen Frauen und Mädchen, die als (Zwangs-)Arbeiterinnen hier arbeiten mussten und deren Leibesfrucht abgetrieben wurde, wenn sie schwanger waren. Hitler-Deutschland wollte nur ihre Arbeitskraft ausbeuten, kümmerte sich sehr mangelhaft um sie und duldete es nicht, dass sie ein Kind austrugen. Allein Hunderte von Abtreibungen wurden im Städtischen Krankenhaus Kemperhof in Koblenz ausgeführt. So auch die von Warwara T.


Maria K. war keine gute Schülerin. Als sie aus der Schule entlassen wurde, stellte das Gesundheitsamt gleich beim Erbgesundheitsgericht in Koblenz einen Antrag auf zwangsweise Sterilisation wegen angeborenen Schwachsinns. Da sie auf ihrer Arbeitsstelle zu recht kam, wurde das Verfahren zunächst nicht weiter betrieben. Jahre später behauptete das Gesundheitsamt, sie sei eine Infektionsquelle für Geschlechtskrankheiten, weil sie offenbar wechselnden Geschlechtsverkehr pflege. Daraufhin wurde ihre Zwangssterilisation beschlossen. Inzwischen befand sie sich wegen „Arbeitsverweigerung“ in „Schutzhaft“, zunächst hier Koblenz, später im Frauen-KZ Ravensbrück. Weil sie schwanger war, wurde ihre Leibesfrucht im KZ abgetrieben, zur Zwangssterilisation brachte man sie aus dem KZ hier nach Koblenz. Nach dem Eingriff musste sie zurück ins KZ.


Gertrud Roos. Gertrud Roos ist eine Bendorferin, sie ist dort geboren, hat dort die allermeiste Zeit ihres Lebens gewohnt und lebt auch heute im Alter von 79 Jahren in Bendorf. Ein drei Viertel Jahr ihres Lebens war sie nicht in Bendorf. Im September 1944 wurde sie als 19-Jährige von einer Freundin denunziert, weil sie ausländische Nachrichtensender gehört hat. Gertrud Roos kam in „Schutzhaft“, erst im Gefängnis in Bendorf, dann in Koblenz; bei den „Vereinigten Weingutsbesitzern“ hier in der Hohenzollernstraße musste sie zwangsweise im Keller arbeiten. Im November 1944 kam sie von Koblenz aus „auf Transport“ ins Frauen-KZ Ravensbrück. Dort musste sie in einem Rüstungsbetrieb Munition herstellen, bis sie von der Roten Armee befreit wurde. Nach Bendorf zurückgekehrt, wollte keiner von ihrem Schicksal mehr etwas wissen.


Das Schicksal dieser Kinder, Jugendlichen und Jugendführer können wir nicht ungeschehen machen. Umso wichtiger ist, dass wir alle - alt und jung, jung und alt - für die Gegenwart und Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen. Lassen wir es nie dazu kommen, dass Menschen aus diesen Gründen und in dieser Form ausgegrenzt werden. Seien wir hellhörig und treten wir bereits den ersten Anfängen von Unfreiheit, Rechtsbruch und Menschenverachtung entschieden entgegen. Setzen wir uns für die alltägliche Menschlichkeit und die Verteidigung ziviler Tugenden ein. In unserer Demokratie geht es nicht – wie damals - um Widerstand, sondern „nur“ um – partiellen - Widerspruch. Mögen wir die Kraft zu solchem Widerspruch haben und möge diese Ausstellung dazu einen Beitrag leisten.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.


Ergänzt wurde die Ausstellung durch ein umfangreiches Beiprogramm.

Das begann mit einem Zeitzeugengespräch mit dem Koblenzer Sinto Daweli Reinhardt. Daweli Reinhardt schilderte darin seine Kindheit in Koblenz und seine anschließende Verfolgung und die seiner gesamten Familie bis hin zur Deportation in das „Zigeunerlager“ im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dann berichtete er über seine Befreiung, Rückkehr nach Koblenz und das Leben „danach“ - als Artist, Musiker und als Oberhaupt einer großen Familie.

Das zweite Zeitzeugengespräch, das Joachim Hennig mit Werner Appel führte, gab einen sehr tiefen Einblick in die Verhältnisse zur NS-Zeit in Koblenz. Der 1928 in Koblenz geborene Werner Appel war Sohn eines Juden und einer Katholikin, in der Sprache der Nazis ein „Halbjude“. Er schilderte seine Jugend hier in Koblenz, die zunehmende Diskriminierung und Schikanierung und wie es ihm mit Hilfe des einen oder anderen „stillen Helden“ - vor allem seinem Lebensretter Theo Ehrhardt – gelang, den Holocaust in Koblenz zu überleben. Schon damals war Werner Appel der letzte Augenzeuge der Verfolgung der Juden in Koblenz.

Im Beiprogramm zur Ausstellung zeigte unser Förderverein den DEFA-Film „Nackt unter Wölfen“. Nach dem gleichnamigen Roman von Bruno Apitz schildert der Film aus dem Jahr 1963 die Situation des KZ Buchenwald in der Endphase und die Rettung eines kleinen jüdischen Jungen dort. Der Hauptdarsteller ist der Kapo der Effektenkammer. Die Person im Film ist Andreas Hoevel nachempfunden, der zusammen mit Bruno Apitz im KZ war – bevor er entlassen wurde, dann nach Koblenz kam und hier arbeitete und weiter gegen die Nazis kämpfte. Nach ihm und seiner Frau Anneliese ist die Hoevelstraße im Rauental benannt.

An einem weiteren Abend gab es eine Autorenlesung mit Horst Schmidt. Horst Schmidt las aus seiner Autobiografie „Der Tod kam immer montags.“ Schmidt war ein Zeuge Jehovas, der wie viele seiner Glaubensbrüder den Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht verweigerte. Daraufhin wurde er zum Tode verurteilt und kam in die Todeszelle. Anders als seine mitgefangenen Glaubensbrüder entging er der Hinrichtung durch das Fallbeil. Zur Autorenlesung gab der Historiker Hans Hesse eine Einführung.