Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2007
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
Im Jahr 2007, in dem unser Förderverein auf sein 10-jähriges Bestehen zurückblicken konnte, war unser Verein gleich an zwei Städten präsent: in Koblenz mit den inzwischen schon Tradition gewordenen Veranstaltungen am 27. Januar und in Mainz mit der Präsentation seiner Ausstellung im Landtag.
Dementsprechend war unser Förderverein mit seinen Veranstaltungen in der Broschüre des Landtags zu den „Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ auch zweimal vertreten: einmal bei den Veranstaltungen in Mainz und einmal bei den Veranstaltungen in Koblenz.
HIER ein Screenshot der Webseite des Landtags
Lesen Sie HIER die Broschüre des Landtags zu den Veranstaltungen zum 27. Januar 2007.
Die Gedenkveranstaltungen zum 27. Januar 2007 in Koblenz
Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet in der Liebfrauenkirche
Im Mittelpunkt der Veranstaltungen zum 27. Januar 2007 stand die erstmalige Verlegung von „Stolpersteinen“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig in Koblenz.
Damit führte eine längere Diskussion über das Für und Wider dieser „Stolpersteine“ und die Vorbereitung der Aktion zu einem guten Ende. Auf Anregung des Kulturdezernenten Detlev Knopp übernahm die Christlich-Jüdische Gesellschaft für Brüderlichkeit und mit Unterstützung unseres Fördervereins die Organisation dieser und dann auch weiterer Verlegungen.
Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt kleine Gedenkplatten für Koblenzer, die von den Nazis getötet wurden.Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus: Stolpersteine, die der Kölner Künstler Gunter Demnig seit sieben Jahren auf deutschen Straßen verlegt. In Rheinland-Pfalz gibt es Stolpersteine unter anderem in Neuwied, Trier und Bingen. Am kommenden Samstag, 27.Januar, wird Gunter Demnig nun auch in Koblenz Gedenksteine verlegen, und zwar vor den Häusern, in denen die Ermordeten zuletzt gewohnt haben.
Schon um 9.30 Uhr begann die Stolperstein-Verlegung. Bis um 16.00 Uhr wurden insgesamt 19 Stolpersteine im Stadtgebiet von Koblenz verlegt. Die 19 Stolpersteine, die neben den jüdischen Opfern auch an zwei politisch Verfolgte, eine Zwangsarbeiterin und ein Euthanasie-Opfer erinnern, verteilen sich dabei auf zehn Punkte im Stadtgebiet. „Wir waren bei dieser erstmaligen Verlegung bemüht, die Opfergruppen möglichst umfassend zu dokumentieren, sodass nur ein Teil der 19 Steine den jüdischen Opfern gewidmet ist“, sagt Hans-Peter Kreutz, Geschäftsführer der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, die die Koordination für dieses Projekt übernommen hat. Finanziert wird die Aktion Stolpersteine dabei ausschließlich aus Spenden. Für 95 Euro kann man die Patenschaft für einen Stein erwerben: Bislang sind insgesamt rund 3000 Euro an Spenden für das Erinnerungsprojekt eingegangenen, sodass insgesamt rund 30 Steine verlegt werden können. „Wir haben mit Gunter Demnig deshalb auch schon einen zweiten Termin vereinbart“, sagt Hans-Peter Kreutz. Bei der Auswahl der Opfer, derer mit den 19 StoIpersteinen gedacht wird, wurden dabei besonders Initiativen berücksichtigt, die sich um dieses Erinnerungsprojekt früher schon bemüht hatten, wie die Fördervereine „ Schönes Immendorf“ und „Heimatfreunde Güls“ sowie das Eichendorff-Gymnasium. Gewidmet sind die Gedenksteine dem in Sobibor ermordeten Ehepaar Hermann und ihrer Tochter Hannelore, die in der Johannes-Müller-Straße in der Südlichen Vorstadt lebten, den vier Geschwister Michel aus Immendorf, dem Ehepaar Kahn aus der Rizzastraße, dem Ehepaar Treidel aus der Mainzer Straße, Bert Schönewald aus der Bahnhofstraße, dem von der Gestap 1937 zu Tode gefolterten jüdischen Hotelbesitzer Adolf Appel und den in Sobibor ermordeten Eheleuten Wolff aus der Gulisastraße in Güls.
Ebenfalls anwesend war auch Jeremy Kahn, Enkel von Wilhelm Kahn und Jenny Kahn, die 1942 in Sobibor ermordet wurden. Wilhelm Kahn, der im Ersten Weltkrieg bei Verdun schwer verwundet wurde und das Eiserne Kreuz verliehen bekam, betrieb in Koblenz eine Mehlgroßhandlung, die er allerdings 1935 aufgeben musste, weil sich die Bäcker ob des Drucks nicht mehr trauten, bei einem Juden Mehl einzukaufen.
„Ich bin sehr erfreut, dass jetzt eine Gedenktafel an meine Großeltern erinnert“, sagte der in London lebende Jeremy Kahn. Sein Vater, Rudi Kahn, war 1939 zusammen mit seiner Schwester Margot mit einem der letzten Kindertransporte ausländischer Hilfskomitees nach England gebracht worden.
Neben den jüdischen Opfern werden am 27. Januar auch Gedenksteine gelegt für die 1942 hingerichteten kommunistischen Widerstandskämpfer Andreas und Anneliese Hoevel (Trierer Straße in Metternich), den Tapezierer Carl Heinrich Spiegel (Pfuhlgasse in der Altstadt), der 1942 in der Heilanstalt Hadamar erordet wurde, und die auf der Karthause lebende ukrainische Zwangsarbeiterin Lydia Gritzenko, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde.
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Mittlerweile gibt es sie in mehr als 200 Städten und Gemeinden: Stolpersteine, die im Straßenpflaster an die Opfer des NS-Regimes erinnern. An diesem Wochenende verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig 19 Gedenkplatten in Koblenz, und zwar vor den Häusern, in denen die Ermordeten zuletzt lebten.
KOBLENZ. Sie erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus in einer ganz speziellen Form: die Stolpersteine. Denn anders als bei vielen eher anonymen Mahnmalen gedenken die Stolpersteine der Opfer in deren direktem Wohnumfeld. An diesem Wochenende verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig 19 Gedenksteine im Koblenzer Straßenpflaster. 15 der 10 mal 10 Zentimeter großen Messingplatten erinnern an jüdische Opfer, zwei an politische Verfolgte sowie eine an eine ukrainische Zwangsarbeiterin und eine an ein Opfer der "Euthanasie“.
Zu der Verlegung gekommen waren dabei auch Angehörige der Ermordeten. „Auch wenn es für mich nicht leicht ist, hier zu sein, ist es doch gleichzeitig auch eine Genugtuung, zu sehen, dass man die Opfer nicht vergessen hat“, sagte Werner Appel bei der Verlegung der Gedenktafel für seinen ermordeten Vater Adolf Appel am Kastorhof 4. Der jüdische Hotelbesitzer war Mitte der 30er-Jahre an den Folgen der Folter gestorben, die er im Gestapo-Gefängnis erlitten hatte.
Ebenfalls anwesend war auch Jeremy Kahn, Enkel von Wilhelm Kahn und Jenny Kahn, die 1942 in Sobibor ermordet wurden. Wilhelm Kahn, der im Ersten Weltkrieg bei Verdun schwer verwundet wurde und das Eiserne Kreuz verliehen bekam, betrieb in Koblenz eine Mehlgroßhandlung, die er allerdings 1935 aufgeben musste, weil sich die Bäcker ob des Drucks nicht mehr trauten, bei einem Juden Mehl einzukaufen.
„Ich bin sehr erfreut, dass jetzt eine Gedenktafel an meine Großeltern erinnert“, sagte der in London lebende Jeremy Kahn. Sein Vater, Rudi Kahn, war 1939 zusammen mit seiner Schwester Margot mit einem der letzten Kindertransporte ausländischer Hilfskomitees nach England gebracht worden.
Den Abschluss der Verlegung der Stolpersteine bildete eine Gedenkfeier am Mahnmal am Reichensperger Platz und eine Gedenkstunde in der Liebfrauenkirche. Mehrere Schüler der 10. Klasse der Diesterweg-Schule befestigten unter anderem eine Rose für jedes der 19 Opfer an dem Mahnmal.
Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann betonte, dass das Gedenken an die Opfer uns auch ermahnen müsse, wachsam zu sein gegenüber aktuellen Formen des Rechtsextremismus. Hans-Peter Kreutz, Geschäftsführer der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, die die Koordination für dieses Projekt übernommen hat, hob nochmals das Besondere der Aktion Stolpersteine hervor. Es ist eine Erinnerung, die dem Schicksal der Menschen eine Identität verleiht“, erklärte Kreutz. Beschlossen wurde die Gedenkfeier, die gleichzeitig auch an die Befreiung des KZ Auschwitz vor 62 Jahren erinnerte, mit einem christlich-jüdischen Gebet, das Superintendent Dr. Markus Dröge, Pfarrer Helmut Kusche, Ralf Staymann, Pfarrer der alt-katholischen Gemeinde, und Szyja Toper von der jüdischen Kultusgemeinde sprachen. Peter Karges
Quelle: Rhein-Zeitung vom 29. Januar 2007
Wenn Sie an weiteren Informationen über Stolpersteine in Koblenz interessiert sind, lesen Sie HIER über Stolpersteine in Koblenz.
Im Anschluss an die Stolperstein-Verlegung fanden die beiden schon traditionellen Veranstaltungen unseres Fördervereins statt: die Statio am Mahnmal, mit der an diesem 27. Januar besonders der NS-Opfer aus Koblenz gedacht wurde, für die zuvor Stolpersteine verlegt wurden, und die Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet, diesmal in der Liebfrauenkirche.
Lesen Sie HIER das Programm zu den Veranstaltungen am 27. Januar 2007
Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann betonte in seiner Ansprache in der Liebfrauenkirche, dass das Gedenken an die Opfer uns auch ermahnen müsse, wachsam zu sein gegenüber aktuellen Formen des Rechtsextremismus. Hans-Peter Kreutz, Geschäftsführer der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, die die Koordination für dieses Projekt übernommen hat, hob nochmals das Besondere der Aktion Stolpersteine hervor. Es ist eine Erinnerung, die dem Schicksal der Menschen eine Identität verleiht“, erklärte Kreutz. Schülerinnen und Schüler der Overbergschule erinnerten mit gespielten Szenen aus dem von Django Reinhardt und Ralf Ferber erarbeiteten Musiktheater „Von gelben Sternen und schwarzen Augen“ an die Verfolgung der Juden und Sinti in der NS-Zeit und warben für Toleranz und Menschenfreundlichkeit.
Beschlossen wurde die Gedenkfeier mit einem christlich-jüdischen Gebet, das Superintendent Dr. Markus Dröge (Evangelische Kirche), Pfarrer Helmut Kusche (Katholische Kirche), Pfarrer Ralf Staymann (Alt-katholische Kirche), und Szyja Toper von der jüdischen Kultusgemeinde sprachen.
Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann bei seiner Ansprache.
Hans-Peter Kreutz bei seiner Ansprache.
Szene aus dem Musiktheater „Von gelben Sternen und schwarzen Augen“.
Die Musiker des Musiktheaters (von links): Ralf Ferber, Marlon Reinhardt.
Die vier Geistlichen (von links nach rechts): Pfarrer Ralf Staymann (Alt-katholische Kirche),
Superintendent Dr. Markus Dröge (Evangelische Kirche),
Rabbiner Szyia Toper (Jüdische Kultusgemeinde) und Pfarrer Helmut Kusche (Katholische Kirche).
Die vier Geistlichen beim christlich-jüdischen Gebet.
Die Kirchenbank links (von rechts nach links): Frau Gunhild Schulte-Wissermann, Waltraut Reinhardt, Daweli Reinhardt,
Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann, Vorsitzender unseres Vereines Kalle Grundmann.
Die Kirchenbank rechts mit den vier Geistlichen.
Ausstellungseröffnung
Ebenfalls aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus zeigte das Bischöfliche Cusanus-Gymnasium Koblenz die Wanderausstellung der Kulturinitiative Freiburg „Die Weiße Rose – Gesichter einer Freundschaft“. Zur Ausstellungseröffnung im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium gab unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig eine Einführung.
Das Bild zeigt Joachim Hennig (re.) mit Schülern der Arbeitsgemeinschaft Geschichte / Politik am Bischöflichen Cusanus-Gymnasium in Koblenz |
Die Rede von Joachim Hennig, die er unter das Thema gestellt hat Willi Graf - Der Graue Orden und Koblenz wird nachfolgend dokumentiert:
Einführung in die Ausstellung „Die Weiße Rose“ am 26. Januar 2007 im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium in Koblenz
von Joachim Hennig
Sehr geehrter Herr Lescher, sehr geehrte Damen und Herren Lehrer, liebe Schülerinnen und Schüler,
ich freue mich, heute hier im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium Sie/Euch in die Ausstellung „Die Weiße Rose – Gesichter einer Freundschaft“ der Kulturinitiative Freiburg e.V. einführen zu dürfen. Als ich vor zwei Wochen deswegen angefragt wurde, habe ich spontan zugesagt. Ich komme immer wieder gern ins Bischöfliche Cusanus-Gymnasium zur Ausstellungseröffnung. Ich weiß, dass Ihre Schule in besonderem Maße bei der Gedenkarbeit engagiert ist. Gerne denke ich an die hier zum 27. Januar 2004 gezeigte Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ über die Jugendkonzentrationslager Moringen und Ucker-mark zurück und an die im letzten Jahr zum 27. Januar hier gezeigte Ausstellung „’Wir können nur vorwärts, denn hinter uns ist der Tod.’ NS-Opfer aus der Region Koblenz und Neuanfang vor 60 Jahren.“ Die erstgenannte Ausstellung hatte 2004 der Förderverein Mahnmal Koblenz hier nach Koblenz geholt, im letzten Jahr hat der Förderverein Mahnmal Koblenz seine eigene Ausstellung hier präsentiert. Diese Ausstellung habe ich übrigens vor einer Woche im Landtag des Landes Rheinland-Pfalz in Mainz mit eröffnet. Sie ist dort im Foyer des Landtages noch bis zum 2. Februar zu sehen. In einer Sondersitzung des Landtages am 27. Januar wird Dr. Heinz Kahn, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Koblenz, aus seinem Leben als Überleben-der des Holocaust berichten und Enkel des ins „Zigeunerlagers“ von Auschwitz-Birkenau verschleppten Daweli Reinhardt werden diese Gedenksitzung des Landtages musikalisch umrahmen.
Der 27. Januar ist ja bekanntlich der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Im Jahre 1996 er von dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog proklamiert. Vom Datum her erinnert er an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee. Er ist kein offizieller „Feiertag“, aber ein Gedenktag, an dem die öffentlichen Gebäude beflaggt sein und an dem Gedenkveranstaltungen stattfinden sollen. Seit dem Jahre 1998 wird der Gedenktag hier in Koblenz durch die Initiative des Fördervereins Mahnmal Koblenz begangen. Seitdem wird eine Gedenkveranstaltung in einer der Koblenzer Innenstadtkirchen begangen. Dabei sprechen der Herr Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann und der Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz, es wird ein christlich-jüdisches Gebet von Pfarrern der christlichen Kirchen und dem Kantor der jüdischen Gemeinde. Seit der Errichtung des Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz im Jahr 2001 versammelt man sich zunächst am Mahnmal und gedenkt der Koblenzer NS-Opfer. Der Herr Oberbürgermeister verliest Namen von Opfern, denen in dem Jahr besonders gedacht werden. Deren Lebensläufe werden mit einer Rose an den Gitterstäben des Mahnmals angebracht. Fast regelmäßig hat der Förderverein Mahnmal Koblenz dazu eine Ausstellung präsentiert. Das ist in diesem Jahr nicht so, weil der Förderverein ja die Ausstellung im Landtag in Mainz zeigt. Stattdessen findet morgen im Stadtgebiet von Koblenz an 10 verschiedenen Orten die „Stolperstein-Aktion“ statt. Hierbei werden kleine Steine, dort wo die durch die Nazis ermordeten Menschen zuletzt gelebt haben, in das Straßenpflaster eingelassen. Auf den Steinen stehen der Name und die Lebensdaten der Opfer.
Eine besondere Verantwortung für diesen Gedenktag tragen die Schulen. Sie sind seit 1997 durch den damaligen Bildungsminister Zöllner aufgerufen, diesen Tag in geeigneter Weise vorzubereiten, z. B. durch Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen oder den Besuch der landeseigenen Gedenkstätten in Osthofen und Hinzert. Wichtig ist dabei – so Minister Zöllner – die Spurensuche vor Ort. Persönliche Belange können vor allem durch regionale und lokale Recherchen hergestellt werden, dabei können insbesondere Lebensläufe und Leidenswege nachvollzogen werden.
Dies tut Ihre/Eure Schule ja seit Jahren engagiert. Heute nun zeigt Ihre/Eure Schule dazu die Ausstellung „Die Weiße Rose“. Der Name „Weiße Rose“ ist der Name eines Freundschaftskreises. Mitglieder dieses Kreises, vor allem in München lebende Studenten, haben im Sommer 1942 Flugblätter hergestellt und dort und auch in anderen Städten des damaligen Deutschen Reiches verbreitet. Die „Weiße Rose“ ist eine der bekanntesten Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialismus, der man schon relativ früh in der Bundesrepublik Deutschland ein ehrendes Andenken bewahrte. Während andere Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen es nach dem Krieg sehr schwer hatten, überhaupt wahrgenommen oder als Widerständler und nicht als Kriminelle und „Vaterlandsverräter“ angesehen zu werden, gab es einen breiten bürgerlichen Konsens für die Anerkennung und Würdigung der Leistungen der „Weißen Rose“. Plätze, Straßen, Schulen und andere Institutionen tragen ihren Namen. Gedenktafeln und Gedenkstätten wurden und werden für sie errichtet. Ausstellungen sind ihnen gewidmet. Biografien und Dokumentationen, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Opern, Theaterstücke und Filme, ein Literaturpreis, Briefmarken und sogar ein Intercity der Deutschen Bahn AG erinnern an die Weiße Rose. Ganz aktuelle Ergebnisse dieser „Erinnerungskultur“ sind der Film „Sophie Scholl“ und auch die hier präsentierte Ausstellung „Die Weiße Rose“.
Warum – so fragt man sich angesichts dieser großen und langjährigen Aufmerksamkeit und Anerkennung – warum erinnert man sich gerade an die „Weiße Rose“?
Ich denke, es sind vor allem drei Gründe, die der „Weißen Rose“ besondere Beachtung und Anerkennung gebracht haben:
Zum einen gehören die Mitglieder der „Weißen Rose“ der bürgerlichen Schicht an. Sie sind keine Proletarier, keine Kommunisten, die die größte Gruppe der Widerstandskämpfer, der Widerständler ausmachten, die aber nur schwer in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen wurden, geschweige denn Anerkennung fanden.
Zum anderen treffen wir bei den Mitgliedern der „Weiße Rose“ auf Christen, die sich anders verhielten als die kirchliche Mehrheit. Flugblätter der „Weißen Rose“ haben an dem verbrecherischen Charakter des NS-Systems als Ganzem keinen Zweifel gelassen und haben auch die staatlich organisierte Ermordung von Juden und Polen angeprangert.
Und drittens waren deren Mitglieder nicht erfahrene Politiker, Gewerkschaftsführer, Militärs oder Diplomaten, sondern junge Menschen, die im Namen der deutschen Jugend“ ihre Stimme erhoben. Es waren Menschen, die 1933 erst 15 Jahre alt waren oder jünger und die sich unter der herrschenden Propagandaglocke ihr politisches und moralisches Urteil in geistiger Selbstbehauptung hatten bilden müssen.
Es waren also – wie man so sagt – Menschen wie Du und ich, die von ihrer sozialen und beruflichen Herkunft der eigenen Sozialisation entsprachen. Diese Menschen handelten zudem aus christlichem Glauben heraus im Sinne der Humanität und waren jung, so dass sie gerade jungen Menschen ein glaubwürdiges Leitbild vermitteln konnten.
Diese jungen Menschen, Studenten, der „Weißen Rose“ muss man dabei mit als Reaktion auf die damalige offizielle „Jugend-politik“ der Nazis sehen. Für die Nationalsozialisten hatte die Jugend einen ganz besonderen Stellenwert. Für die damalige Jugend fing bei den Nazis und im Nationalsozialismus alles so positiv und bedeutsam an. „Macht Platz ihr Alten!“ lautete 1927 die zündende Devise von Gregor Strasser, dem Reichsorganisa-tionsleiter der NSDAP. Die Nazis waren die Partei „der Jungen“. Fortan sollte Jugend von Jugend geführt werden. Die Bedeutung der jungen Generation wurde aufgewertet – durch Uniformen und Aufmärsche, spektakuläre Wettkämpfe und öffentliche Auszeich-nungen. – Aber schon ideologisch wurde diese Jugend ausgenutzt – als Partei- und Staatsjugend nach dem Gesetz über die Hitler-Jugend von 1936 als „Soldaten einer Idee“. Man beraubte sie aller Freiräume und autonomen Gestaltungsmöglichkeiten. Zugleich setzte man sie im NS-Spitzel- und Überwachungssystem infam ein: Ältere, auch Eltern und Lehrer, liefen Gefahr, wegen regime-kritischer Äußerungen von regimetreuen Jüngeren denunziert zu werden. Das Generationsverhältnis als Abhängigkeit und Kon-trolle hatte sich umgekehrt. Hitler selbst hat es propagandistisch einmal so umschrieben: „Wir Alten sind verbraucht... Aber meine herrliche Jugend! Gibt es eine schönere auf der ganzen Welt? Sehen Sie sich diese jungen Männer und Knaben an! Welch Mate-rial. Daraus kann ich eine neue Welt formen. Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden... Eine gewalt-tätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich.“
Ein derartiges System musste gewachsene jugendeigene Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus standen bzw. sich von ihm nicht vereinnahmen ließen, bekämpfen, gleich- und ausschalten. Zudem brachte ein solches System jugendeigenen Widerstand und jugendeigene Resistenz hervor. Dies waren Gruppen und später auch nur noch einzelne aus dem bündischen, dem christlichen und dem Arbeiter-Milieu. Am bekanntesten sind aus der Zeit des Krieges – zu einem Zeitpunkt, in dem diese überkommenen Gruppen längst zerschlagen oder gleichgeschaltet waren – bestimmte informelle Gruppen. Eine solche informelle Gruppe war die „Weiße Rose“.
Die Weiße Rose“ war ein zwangloser Kreis von Gleichgesinnten – ohne organisatorische Struktur, ohne eingetragene Mitgliedschaft und ohne programmatisch festgelegte Ziele und Anweisungen. Es war ein Freundschaftsbund, dessen Dynamik manche Außenkontakte hervorbrachte. Ihre Mitwirkenden waren zehn bis 15 junge Medizinstudenten. Dazu kamen einige Studentinnen der Medizin, der Philosophie und der Sprachen; auch 17jährige Schüler waren darunter, die bei der Versendung von Flugblättern halfen. Einbezogen waren auch ältere Freunde, Schriftsteller, Buchhändler, Architekten, Maler und Gelehrte. Den Kern dieser Gruppe bildeten die Geschwister Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Prof. Dr. Kurt Huber, ein Volksliedforscher und Philosoph.
Was sie wollten, was sie als ihren Beitrag und den einzigen Weg aus dem Übel betrachteten, das war die Überwindung der Gleich-gültigkeit und Feigheit, die nach ihrer Auffassung die (eigentlichen) Ursachen der moralischen Katastrophe des Nationalsozialismus waren. Dazu verfassten und verbreiteten sie 1942/1943 insgesamt sechs Flugblattfolgen, die unter Berufung auf die kulturellen Werte des christlichen Abendlandes und insbesondere auch der deutschen Nation Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit beschworen.
Ich kann nicht auf alle Mitglieder dieses zur „Weißen Rose“ gehörenden Kreises Gleichgesinnter eingehen. Hervorheben möchte ich aber einen: Willi Graf. Warum nun gerade Willi Graf werden Sie/werdet Ihr fragen. Nun die Antwort ist scheinbar einfach. Hier in Koblenz gibt es eine Willi Graf-Schule, das ist eine Grundschule in Neuendorf in der Handwerkerstraße. Die Antwort ist einfach, provoziert aber eine weitere Frage: Warum heißt im Koblenzer Stadtteil Neuendorf eine Schule nach dem Mitglied der „Weißen Rose“ Willi Graf?
Die Antwort möchte ich hier nicht schuldig bleiben. Zunächst müssen wir uns aber fragen, wer war überhaupt Willi Graf.
Willi Graf wurde am 2. Januar 1918 im rheinischen Kuchenheim, heute ist Kuchenheim ein Vorort von Euskirchen, geboren. Er war Sohn eines Molkereibesitzers und stammte aus einer vom katholischen Glauben geprägten Familie. Später zog die Familie nach Saarbrücken, dort wuchs Willi Graf auch auf. Während seiner Schulzeit wurde er Mitglied des katholischen Schülerbundes „Neudeutschland“ (ND). Schon frühzeitig war er auch in der „Liturgischen Bewegung“ engagiert. Als die Nazis die bündischen Jugendverbände auflösten, schloss sich Willi Graf illegalen Gruppen an, vor allem dem „Grauen Orden“. Der „Graue Orden“ war ein Zusammenschluss von etwa 150 jungen Menschen, die eine eigene Lebensform suchten. Er nannte sich „grau“, weil er nach dem Verbot der Bünde unauffällig sein musste. Diejenigen, die dazu gehörten, trugen betont jugendbewegte Kleidung und als Erkennungszeichen eine graue Kordel (Quaste) an der Brusttasche. Die meisten seiner Mitglieder waren katholisch. Sie wurden jedoch von kirchlicher Seite mit Stirnrunzeln und wenig Wohlwollen betrachtet. Grund dafür war, dass sie sich um einen neuen Zugang zur Liturgie bemühten und auf eine „Kirche in der Welt“ hinwirkten, die für die Probleme der Gesellschaft, für Dichtung und Kunst aufgeschlossener war.
Willi Graf blieb auch beim „Grauen Orden“, als er 1937/38 mit dem Medizinstudium an der Universität in Bonn begann. – Und von Bonn bis Koblenz war es dann nicht mehr weit. Dort erfuhr Willi Graf, dass Mitglieder des „Grauen Ordens“ in Koblenz festgenommen worden waren. Einer der Aktivsten war der Koblenzer Alfred Wagner; er besuchte damals das katholische Priesterseminar in Trier. Willi Graf besuchte daraufhin die Familie Wagner in Koblenz-Neuendorf und sprach ihnen Mut und Zuversicht zu.
Alfred Wagner und seine Freunde wurden dann vom Sondergericht Köln, das am 18. und 19. Februar 1938 hier in Koblenz tagte, zu einer Geldstrafe verurteilt, Wagner zu 300.- Reichsmark, ersatzweise 30 Tage Gefängnis. Man warf ihnen vor, dass sie nach dem Verbot der bündischen Jugend noch Fahrten im Stil der bündischen Jugend unternommen haben, und zwar zu Pfingsten 1937 und zu Neujahr 1938 je eine Fahrt nach Waldesch. In dem Urteil des Sondergerichts Köln heißt es dazu u.a.:
Bei diesen Fahrten handelt es sich um Veranstaltungen von einer Gruppe der bündischen Jugend. (…) Das gilt auch für die Koblenzer Gruppe, denn diese kann, auch bis zuletzt, nur in der Geisteshaltung ihre Fahrten gemacht haben, zu der sie erzogen war. Dass diese Haltung bündisch war, geht auch daraus hervor, dass z.B. von Alfred Wagner die Jungenschaftsbluse der d.j.1.11. (d.j.1.11. war eine damals verbotene bündische Gruppe gewesen) getragen wurde, dass bei den Fahrten nach Waldesch eine Kothe mitgeführt wurde, das Lappenzelt, das aus dem Lande übernommen war, welches das „Land der großen Sehnsucht“ der Bünde war. (…) Auch das Liedgut entsprach dem der bündischen Jugend. Der Angeklagte Hoffmann bezeichnet u.a. als Lieder, die „wir“ singen: Platoff preisen wir den Helden; Die Steppe zittert, Asien lebe; Langsam reitet unsere Horde; Soldat, Du bist mein Kamerad, (…) Und wir kauern wieder um die heißen Glut…
Schließlich heißt es in dem Urteil, Alfred Wagner und drei seiner Freunde
haben einer Gruppe angehört, die als Fortsetzung der bündischen Jugend anzusehen ist und durch ihre Betätigung, indem sie sich gegenseitig in bestimmten Ansichten bestärkten, auch auf Jugendliche zum Zwecke der Fortsetzung bündischer Gruppen eingewirkt. Sie waren deshalb wegen Vergehens gegen § 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 in Verbindung mit der Anordnung der Preußischen Geheimen Staatspolizei vom 8. Februar 1936 betreffend bündische Jugend zu bestrafen.
Schon bald nach Willi Grafs Besuch in Koblenz bei der Familie Wagner in Koblenz-Neuendorf wurde er selbst mit 17 anderen vor dem Sondergericht Mannheim wegen „bündischer Umtriebe“ angeklagt und für einige Wochen inhaftiert. Wie bei den Koblenzer Mitgliedern des „Grauen Ordens“ wurden auch bei Willi Graf nur unpolitische Tatbestände festgehalten: Unerlaubte Treffen, Lager- und Auslandsfahrten, das Pflegen Bündischen Brauchtums und Gedankenguts, das Benutzen des schwarzen Kothenzeltes der Lappländer, das Sitzen auf Matratzen bei Heimabenden, Fechten mit Stöcken und Peitschen, Spielen auf der Balalaika und immer wieder das Singen „Bündischer Lieder“, auch solcher mit russischem Einschlag. All dies war in den Augen der Nazis und ihrer Richter strafbar, damit wurde die Gesinnung, der Wunsch und Wille nach freiem, autonomem Leben – außerhalb der Staatsjugend HJ – zur Straftat.
Willi Graf setzte dann sein Medizinstudium in München fort. Bald nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er Soldat. Ende 1942 kehrte er zum Studium nach München zurück. Schon bald beteiligte er sich an den Flugblattaktion der „Weißen Rose“. Bei der Verbreitung des 6. Flugblattes der „Weißen Rose“ im Lichthof der Münchner Universität wurden dann Sophie und Hans Scholl am 18. Februar 1943 verhaftet. Noch am selben Abend nahm man auch Willi Graf und andere Mitglieder der „Weißen Rose“ fest. Schon wenige Tage später wurden Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs Dr. Roland Freisler zum Tode verurteilt. Die Flugblattverteilung war in den Augen dieses später so genannten Mörders in roter Robe Feindbegünstigung und Zersetzung der Wehrkraft. Die drei Verurteilten wurden noch am selben Nachmittag im Gefängnis München-Stadelheim durch das Fallbeil hingerichtet.
Willi Graf wurde dann mit 13 anderen am 19. April 1943 der Prozess gemacht. Wieder tagte der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des Präsidenten Freisler in München. Noch am selben Tag wurden Willi Graf, Alexander Schmorell und Prof. Kurt Huber aus den gleichen Gründen zum Tode verurteilt. Gnadengesuche der Eltern von Willi Graf und Alexander Schmorell blieben erfolglos, sie wurden von Hitler persönlich abgelehnt. Am 12. Oktober 1943 wurde Willi Graf im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet.
Willi Graf ist unvergessen. Auch in Koblenz wird seiner gedacht. Die Willi Graf-Schule in Neuendorf ist nach ihm benannt. Dies geschah übrigens auf Initiative des zuvor erwähnten Koblenzer Alfred Wagner. Er war inzwischen Leiter der Grundschule in Neuendorf geworden und er sorgte im Jahre 1969 dafür, dass die Schule seitdem „Willi Graf-Schule“ heißt. Diesen Vortrag schließen möchte ich mit einem Wort des Trostes, das da lautet: „Ein Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“
Ich danke für die Aufmerksamkeit.