(Hinweis: Diese Webseite ist erst 2005 entstanden - Sie lesen hier über die früheren Vereinstätigkeiten)
Im Jahr 2002 begingen wir den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zum ersten Mal mit einer Station an dem ein halbes Jahr zuvor eingeweihten Mahnmal auf dem Reichensperger Platz. Damit begründete unser Förderverein Mahnmal Koblenz eine Tradition: Die Gedenkveranstaltungen am 27. Januar eines jeden Jahres begannen mit einer Statio am Mahnmal. Das Gedenken setzte sich fort mit einer Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet in einer der Koblenzer Innenstadtkirchen. Ergänzt wurden diese Veranstaltungen durch eine Ausstellung, zunächst und ausschließlich durch eine Wanderausstellung zum Thema NS-Opfer. Dazu stellte der Förderverein in jedem Jahr eine spezielle Opfergruppe oder eine historische Situation in den Mittelpunkt des Gedenkens.
Im Jahr 2002 begann diese Tradition mit der Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“, der Krankenmorde an psychisch kranken, behinderten und sozial nicht angepassten Menschen.
Lesen Sie HIER die Ankündigung der Veranstaltungen in der Rhein-Zeitung vom 21. Januar 2002.
Bei der Statio am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Reichensperger Platz brachten Schülerinnen und Schüler des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums Biografien von Koblenzer NS-Opfer und mit einer Rose zur Erinnerung an diese Menschen an. Dazu verlas Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann die Namen der NS-Opfer, an die an diesem Gedenktag besonders erinnert wurde.
Lesen Sie HIER den Artikel in der Rhein-Zeitung vom 28. Januar 2002.
In der anschließenden Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet standen die Opfer der NS-Euthanasie im Mittelpunkt. Hier gedachte der Förderverein vor allem der Opfer der Anstaltsmorde, der so genannten Euthanasie, aus Koblenz und Umgebung. Dazu gab Joachim Hennig zusammen mit Schülern des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums in Koblenz die nachfolgende Einführung zu Koblenzer „Euthanasie-Opfern“:
NS-“Euthanasie“-Opfer aus Koblenz und Umgebung
Einführung zur Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2002 in der Christuskirche in Koblenz
von Joachim Hennig
Sprecher/Moderator:
Der diesjährige Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus steht hier in Koblenz im Zeichen der NS-“Euthanasie“-Opfer. Die Veranstaltung soll dabei besonders an die Koblenzer Opfer erinnern.
„Euthanasie“ ist ein griechisches Wort und bedeutet „schöner Tod“. Den NS-Opfern der „Euthanasie“ aus Koblenz und Umgebung war aber kein schöner Tod beschieden. Sie wurden - wie mehr als 200.000 andere Mitmenschen auch - planmäßig als „lebensunwertes Leben“ und als „unnütze Esser“ - wie es damals hieß - ermordet. Ihre Tötung hatte auch in Deutschland geistige Wegbereiter. Schon in den 20er Jahren warben Juristen und Psychiater dafür, Menschen mit schweren geistigen oder psychischen Behinderungen als „Ballastexistenzen“ und „Schädlinge“ „auszumerzen“. Gegen Ende der Weimarer Republik gab es gar einen Gesetzesentwurf zur Sterilisation. Unabdingbare Voraussetzung war danach aber die Einwilligung des zu Sterilisierenden.
Die Nationalsozialisten und ihre Helfer radikalisierten diese Bestrebungen in der ihnen eigenen Art und setzten sie mit aller Konsequenz und Brutalität in die Tat um. So wurde aus dem Gesetzesentwurf das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dieses sah neben der freiwilligen Sterilisation auch die zwangsweise Unfruchtbarmachung vor. Auf seiner Grundlage wurden ab 1934 etwa 350.000 Menschen - davon allein in Koblenz mindestens 190 - ganz überwiegend zwangsweise sterilisiert. Schon damals hatte Hitler vor, diese Menschen nicht nur zwangsweise zu sterilisieren, sondern zu ermorden. Deren Tod verschob er auf die Zeit nach Kriegsbeginn, war er doch der Meinung, „dass ein solches Problem im Kriege zunächst glatter und leichter durchzuführen ist, dass offenbare Widerstände, die von kirchlicher Seite zu erwarten wären, in dem allgemeinen Kriegsgeschehen nicht diese Rolle spielen würden wie sonst.“
Im Oktober 1939 gab Hitler den Euthanasiebefehl, der auf den 1. September 1939 - dem Beginn des Zweiten Weltkrieges - rückdatiert war. Für die Ausführung des Programms wurden neue Dienststellen geschaffen, eigene Organisationen gegründet und Ärzte und Techniker zugezogen. Die Opfer wurden in Tötungsanstalten verlegt, in Gaswagen und Gaskammern getötet, ihre Leichen in Krematorien verbrannt. All dies geschah unter strengster Geheimhaltung. Um die Morde zu verschleiern, bediente man sich einer Tarnsprache. Die ganze Aktion hieß „T 4-Aktion“, benannt nach dem Sitz der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin.
Im ganzen Deutschen Reich gab es sechs Tötungsanstalten, eine von ihnen in Hadamar bei Limburg/Lahn. Ihren mörderischen Betrieb nahm sie Anfang 1941 auf. Sie war zuständig für die Ermordung von Patienten aus nahe gelegenen Heil- und Pflegeanstalten. Dies waren insbesondere die Anstalten in Andernach und in Scheuern bei Nassau/Lahn. Unter diesen Opfern waren auch Menschen aus Koblenz und Umgebung.
1. Schüler:
Ein solches Opfer war der am 31. März 1908 in Bendorf geborene Gerd W. Er lebt seit einer nicht näher bekannten Zeit in der Anstalt Andernach, als auch er in die „T 4-Aktion“ gerät. Am 8. Mai 1941 wird er mit einem Bus einer eigens zu Tarnzwecken gegründeten Gesellschaft namens GEKRAT nach Hadamar gefahren und dort noch am selben Tag im Keller in der Gaskammer umgebracht.
Um den Mord zu verschleiern, teilt der ärztliche Direktor der Anstalt Andernach den Eltern unter diesem 8. Mai 1941 mit, dass ihr Sohn in eine andere Anstalt verlegt worden sei, deren Name und Anschrift ihm noch nicht bekannt seien. Sie mögen sich wegen weiterer Nachrichten noch etwas gedulden. Am 20. Mai schreibt dann die Anstalt Sonnenstein in Sachsen - sie ist zur Tarnung eingeschaltet -, dass der Sohn vor kurzem in diese Anstalt verlegt worden und am 20. Mai 1941 unerwartet „infolge akuter Hirnschwellung verstorben“ sei. Weiter heißt es, dass zur Seuchenbekämpfung die sofortige Einäscherung und Desinfektion des Nachlasses verfügt sei. Gleichzeitig wird um Mitteilung gebeten, ob die Eltern die „Urne mit den sterblichen Überresten des Entschlafenen auf einem bestimmten Friedhof beisetzen lassen wollen“. Anderenfalls werde man die Urne anderweitig beisetzen lassen. Als die Eltern umgehend um die Überführung der Urne bitten, erhalten sie noch folgenden Brief der Anstalt Sonnenstein:
„(Die Ortspolizeibehörde Sonnenstein) wird nunmehr die Urne mit den sterblichen Überresten Ihres heimgegangenen Sohnes Gerd W. in Kürze gebührenfrei an die Friedhofsverwaltung Bendorf/Rhein überführen, so dass Sie mit dem Eintreffen derselben im Laufe der kommenden Woche rechnen können. Gleichzeitig bestätigen wir den (von Ihnen) ausgesprochenen Verzicht auf den Nachlass, den wir der (Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt) NSV zur Verfügung stellen werden. Heil Hitler! Im Auftrag (Unterschrift).“
1. Schülerin:
Ein anderes Opfer dieser Mordaktion war Alois G. Er wurde am 16. Dezember 1923 in Koblenz geboren. Zunächst lebte er im Elternhaus hier in der Salierstraße. Dann kam er am 14. Oktober 1940 in die Anstalt Scheuern. Am 3. Juni 1941, also im Alter von 17 Jahren, wurde er für den damaligen Reichsarbeitsdienst gemustert und für untauglich erklärt. Er erhielt noch einen Ausmusterungssschein - und dann läuft der Mord an ihm genauso ab wie bei Gerd W. Mit dem Befund „mittelgradige geistige Behinderung“ wird er am 1. Juli 1941 von Scheuern aus mit einem Bus der GEKRAT nach Hadamar „verlegt“ und dort am selben Tag vergast.
Zufällig an eben diesem Tag, am 1. Juli 1941, schreibt Alois’ Mutter ihm wie folgt in die Anstalt Scheuern: „Lieber Alois! Komme Mittwoch, den 21. Juli, Dich besuchen. Gegen 1 Uhr bin ich bei Dir. Inzwischen herzlichen Gruß. Deine Mutter.“
Unmittelbar danach muss seine Mutter sehr misstrauisch geworden sein. Denn obwohl sie selbst große Probleme hat, fährt sie voller Sorge noch am nächsten Tag, am 2. Juli 1941, nach Scheuern. Alois kann sie nicht besuchen - wie denn auch, er ist tags zuvor nach Hadamar verschleppt und dort ermordet worden. In Scheuern sagt man ihr, ihr Sohn sei in eine andere, noch unbekannte Anstalt verlegt worden.
Daraufhin schreibt Alois’ Schwester am 4. Juli 1941 folgenden Brief an die Anstalt Scheuern: „Von meiner Mutter erhielt ich die Nachricht, dass mein Bruder Alois sich nicht mehr in Ihrer Anstalt befindet und sie es Mutter auch nicht mitgeteilt haben, wo sich der Junge befindet. Nun möchte ich Sie höflichst bitten, mir als Schwester die Auskunft zu geben, wo mein Bruder jetzt ist oder ob ihm etwas zugestoßen ist. Sie können mir unverhüllt alles schreiben, was Sie der Mutter vielleicht nicht schreiben werden, da dieselbe sehr leidend ist und es ihrer Gesundheit schaden könnte. Beiliegend Adresse. Bitte höflichst um baldige Antwort. Mit deutschem Gruß. Heil Hitler!“
Aber auch Alois’ Schwester erfährt nicht mehr. Unter dem 8. Juli 1941 teilt ihr der Direktor der Anstalt Scheuern mit: „Leider kann ich Ihnen auch bezüglich Ihres Bruders Alois keine weitere Auskunft geben, da mir der Name der Anstalt, in die er gekommen ist, nicht bekannt ist. Wie mir aber gesagt wurde, benachrichtigt diese Anstalt die Angehörigen von der Aufnahme. Es ist also anzunehmen, dass Ihre Mutter inzwischen Nachricht erhalten hat. Heil Hitler!“
Die Mutter erhält dann aus Hadamar die Nachricht von Alois’ angeblichem ganz unerwarteten „Heimgang“ aufgrund einer frei erfundenen Krankheit. Die Anstalt Scheuern teilt ihr schließlich mit, dass dort noch Alois’ Sachen seien und abgeholt werden könnten. Unter dem 5. August 1941 schreibt die Mutter an die Anstalt Scheuern: „Ich teile Ihnen höflichst mit, dass ich in den (nächsten) Tagen die Sachen meines Sohnes Alois von dort abholen werde. Ich bitte Sie höflich, die Sachen zurecht legen zu wollen. Im voraus bestens für prompte Erledigung dankend, zeichnet mit Heil Hitler...“
Der kleine noch erhalten gebliebene Vorgang endet mit einem Vermerk der Anstalt Scheuern, dass die Mutter am 11. August 1941 die Sachen abgeholt hat.
Sprecher/Moderator:
Nachdem durch solche Transporte in den Anstalten „Platz geschaffen“ worden war, nahmen diese neue Opfer aus anderen Kliniken auf. Einige Tage oder wenige Wochen später mussten auch diese Menschen den gleichen Todesweg nach Hadamar gehen. Vorher ausgewählte Anstalten, wie Andernach, Scheuern und andere Einrichtungen, wurden so zu so genannten Durchgangs- oder Zwischenanstalten.
2. Schüler:
Einer dieser so genannten Durchgangspatienten war der 1920 in Koblenz geborene Edmund Z. Seine Kindheit und Jugendzeit in Koblenz verliefen in geordneten Bahnen und „normal“. Edmund Z. besuchte die Volksschule, ohne sitzen zu bleiben, und absolvierte eine kaufmännische Lehre.
Dann trat er freiwillig in den Reichsarbeitsdienst ein. Nach vier Wochen bekam er seinen ersten Gehirnkrampf und wurde entlassen. Daraufhin bemühten sich seine Eltern um die Behandlung des Leidens. Zunächst wurde er in Koblenz fachärztlich betreut, später - als dies keine Besserung brachte - kam er in die Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Auch dort besserte sich sein Zustand nicht. Die Krämpfe traten sogar häufiger auf, drei- bis fünfmal am Tag. Gleichwohl behielt er seinen Verstand und machte sich in der Anstalt durch vielerlei Arbeiten für Schwerkranke nützlich.
Im Mai 1940 passiert es dann: Edmund Z. gerät in die Aktion T4. Offenbar mit dem Transport vom 20. Mai 1941 wird er mit 25 Männern und 25 Frauen von Bonn in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach „verlegt“. Anfang Juni schreibt er seiner Familie, sie hätten einen Ausflug nach Andernach gemacht, dort solle er bleiben. Daraufhin besucht ihn die besorgte Mutter in Andernach. Als drei Tage später seine Patin ihn ebenfalls besuchen will, ist er schon nicht mehr da. Der sofortige Anruf seiner Schwester bleibt ebenfalls erfolglos: Viermal wird sie von einer Stelle zur anderen weiter verbunden, dann hängt die Anstalt einfach ein. Am nächs-ten Tag ist die Schwester in Andernach. Man verweigert jede Auskunft über den Verbleib des Bruders, gibt ihr aber die Adresse der Gesellschaft, die ihn abtransportiert hat. Auf ihren heftigen Protest hin bekunden die versammelten drei Herren der Anstalt ihre Unschuld an allem. In großer Sorge verlässt sie Andernach.
Tage später erhält die Familie aus Berlin Bescheid, Edmund sei nach Hadamar bei Limburg verlegt worden und sei in gutem Gesundheitszustand dort angekommen. Wegen ansteckender Krankheiten seien aber Besuche, Briefe und Pakete verboten. Wenige Tage später kommt die Nachricht: Tod am 3. Juli 1941 in Hadamar durch Pneumonie (Lungenentzündung). Die Wahrheit ist aber eine andere: Edmund Z. wurde noch am Tag seiner Ankunft in Hadamar vergast.
Sprecher/Moderator:
Dieses Morden und anschließende Verbrennen der Leichen in Krematorien an mehreren Orten in Deutschland ließ sich trotz aller Tarnung nicht geheim halten. Vor allem die Kirchen - wie Hitler schon richtig vermutet hatte - machten die Morde publik. Wegen dieses Protestes und weil die Aktion ihr vorgegebenes Ziel erreicht hatte, wurde sie im August 1941 von Hitler gestoppt.
Das Töten ging nach einiger Zeit aber weiter. Nur die Todesursachen änderten sich. In dieser „zweiten Phase“, der so genannten „wilden Euthanasie“, töteten die Nazis und ihre Helfer die Menschen durch Gift oder durch gezieltes Verhungern-lassen. Diese Morde lassen sich naturgemäß noch schwerer aufklären als die systematischen und massenhaften Tötungen durch Gas. Man geht aber davon aus, dass mehr als 140.000 Menschen in dieser „zweiten Phase“ ermordet wurden. Die Tötungen erfolgten teilweise in besonderen Aktionen, etwa im Rahmen der so genannten Kindereuthanasie oder der Ermordung von KZ-Häftlingen. In den Jahren 1943/44 wird die so genannte Euthanasie sogar in dem besetzten Polen fortgeführt.
2. Schülerin:
Eine dieser von Andernach nach Polen deportierten Patienten war Erna P. Sie sagte nach dem Krieg als Zeugin vor Gericht folgendes aus:
„1943 war ich mit noch anderen Anstaltsinsassen nach Tworki bei Warschau transportiert worden. Die Fenster unseres Wagens waren gestrichen, so dass man nicht hinaussehen konnte. Wir wurden von Pflegerinnen begleitet. Wohin es ging wurde uns nicht mitgeteilt. In Polen wurden wir gleich in Tworki, (in) eine polnische Anstalt eingeliefert. Gleich nach unserer Ankunft hörte ich, wie ein polnischer Arzt in deutscher Sprache sagte, die Angekommenen seien ja alle vergiftet. Zu mir sagte er, was ich denn dort wolle, ich sei ja nur magenkrank... Unser Transport bestand aus 100 Personen... Die Kranken bekammen in Tworki sehr wenig zu essen. Eines Tages hieß es dann immer, der und der sei(en) nun tot. Ich habe in der Anstalt in Tworki gesehen, dass Anstaltsinsassen, die krank waren, Medikamente erhielten und dann nach zwei Stunden tot waren. Auch habe ich gesehen, dass sie Arzenei in das Essen bekamen. Ich habe damals in Tworki in der Küche geholfen. Von Tworki aus bin ich auch in eine Anstalt in Kulparkow bei Lemberg gekommen. In dieser Anstalt waren wir acht Monate. In Kulparkow sind viele von uns gestorben. Die Kranken bekamen fast nichts zu essen und hatten sich ganz aufgelegen. Ich vermute, dass sie vor Hunger gestorben sind. Von Kulparkow kamen wir dann später wieder nach Tworki. (Dort) habe ich von Pflegerinnen gehört, dass sie den Kranken Koral, Trional und noch andere Medikamente gaben. Auch in Tworki war viel Hunger, die Kranken fielen so um. Nach meiner Ansicht sind auch dort viele verhungert... In Kulparkow habe ich acht Monate lang die Zimmer eines der dortigen Ärzte in Ordnung gehalten. Diese Gelegenheit habe ich wiederholt genutzt, um in die dort liegenden Akten der Kranken hineinzuschauen. Ich habe dort wiederholt gelesen, dass Kranke an Unterernährung gestorben seien. Sowohl in Andernach als auch in den polnischen Anstalten waren die meisten Kranken zu Skeletten abgemagert. Die bettlägerigen Kranken erhielten in den Anstalten täglich nur einen Teller Wassersuppe und eine Scheibe Brot. Die arbeitenden Insassen erhielten täglich vier Scheiben Brot und einen Teller Wassersuppe. Während der 18 Monate in Polen haben wir keine Kartoffeln gesehen. In Tworki gab es in der letzten Zeit auch keine Betten mehr, wir mussten auf der Erde, auf dem blanken Boden schlafen. Decken zum Zudecken gab es auch nicht. Auch wurde in Tworki im Winter nicht geheizt. Die Kranken waren verlaust.“
Im Anschluss an die Gedenkstunde wurde im Café Atempause in der Christuskirche die Ausstellung der Heime Scheuern (heute: Stiftung Scheuern) „Die Vorgeschichte von Auschwitz liegt vor unserer eigenen Tür – Dokumente und Briefe aus der Zwischenanstalt Scheuern“ eröffnet.
Mit der Einweihung des Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Reichensperger Platz stellte sich für unseren Verein die Frage, ob er sich auflösen oder nicht teilweise geänderter Zielsetzung fortgesetzt werden sollte. Denn gegründet war er unter dem Namen „Förderverein zur Errichtung eines Mahnmals für Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz – und die Errichtung des Mahnmals war inzwischen erreicht. Nach intensiver und guter Diskussion beschloss die Mehrheit der Mitglieder, den Verein nicht aufzulösen, sondern den Schwerpunkt der künftigen Vereinstätigkeit anders zu setzen. Der Vereinszweck „Erforschung und Dokumentation der Verfolgung durch den Nationalsozialismus in Koblenz und Umgebung“ sollte künftig im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Dazu benannten wir den Verein um und strichen den Passus „zur Errichtung eines“. Unser Verein heißt seitdem „Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus Koblenz“.
Im Rahmen dieser Neuorientierung wurde unser langjähriges Mitglied Joachim Hennig stellvertretender Vorsitzender unseres Vereins. Hennig war für den Verein auch landesweit aktiv. Schon bei der Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit im heutigen Rheinland-Pfalz war er für unseren Verein aktiv und Mitglied des Sprecherrats (seit 2009 ist er stellvertretender Vorsitzender der LAG) und Mitglied des Wissenschaftlichen Fachbeirats zur Gedenkarbeit in Rheinland-Pfalz, der die Landeszentrale für politischer Bildung in Fragen der Gedenkarbeit berät.
Im Sommersemester 2002 hatte Joachim Hennig auch einen Lehrauftrag am Institut für Geschichte der Universität Koblenz-Landau. Unter dem Thema „’Nicht irgendwo, sondern hier bei uns!’ - Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 – 1945“ hielt er eine Übung, vor allem für Lehramtsanwärter. Im Laufe der Veranstaltung gab er Hinweise zur Arbeit mit Quellen und der Benutzung von Archiven zur Gedenkarbeit. Daran schlossen sich Besuche des Landeshauptarchivs und des Stadtarchivs Koblenz sowie ein Stadtrundgang an. Hennig gab eine umfangreiche Einführung in das Thema „Verfolgung und Widerstand in Koblenz“ und Porträts des evangelischen Pfarrers Paul Schneider, des Paters Franz Reinisch und der Zeugen Jehovas Fritz und Liesbeth Michaelis. Höhepunkt war das Zeitzeugengespräch mit dem Zeugen Jehovas Heinz Schürmann.
Über das Verfolgungsschicksal von Heinz Schürmann und seiner Familie veröffentlichte Joachim Hennig in der Beilage zur Rhein-Zeitung „Heimat zwischen Hunsrück und Eifel“ Nr. 6 (Juni 2002) und Nr. 10 (Oktober 2002) einen zweiteiligen Aufsatz.
„Heimat zwischen Hunsrück und Eifel“ Nr. 6 (Juni 2002) HIER lesen
„Heimat zwischen Hunsrück und Eifel“ Nr. 10 (Oktober 2002) HIER lesen
Die Beschäftigung Hennigs mit dem Schicksal von Zeugen Jehovas in der NS-Zeit erbrachte dann einen Aufsatz von ihm über die Bad Kreuznacherin Auguste Schneider, der in der Beilage zum Öffentlichen Anzeiger Bad Kreuznach, den „Bad Kreuznacher Heimatblättern“ Nr. 2/2002, erschien.
Den Aufsatz über die Bad Kreuznacherin Auguste Schneider HIER lesen
Schließlich veröffentlichte Hennig über die Zeugen Jehovas Fritz und Liesbeth Michaelis im Jahrbuch des Landkreises Neuwied 2002 den Aufsatz „(Nicht) Vergessene Opfer der Nazis: Die Familie Michaelis aus Neuwied“.
Dann erschien noch im Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 2002 ein Aufsatz von Joachim Hennig mit dem Titel „Maria Terwiel (1910 – 1943) – Eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus aus Boppard/Rhein“. Diese Veröffentlichung ging zurück auf einen Vortrag, den Hennig im Mai 2000 vor dem Geschichtsverein für Mittelrhein und Vorderhunsrück e.V. in Boppard am Rhein gehalten hatte.
Im Wintersemester 2002/03 setzte Joachim Hennig seine im Jahr zuvor begonnene Vortragsreihe bei der Volkshochschule Koblenz zum Thema „Verfolgung und Widerstand in Koblenz 1933 – 1945“ fort.
Die drei Einzelveranstaltungen hatten das Thema „Verfolgung und Widerstand aus religiösen Gründen“ Der erste Vortrag porträtierte den evangelischen Pfarrer Paul Schneider, den „Prediger von Buchenwald“, so er ihm später verliehene Ehrentitel.
Der zweite Vortrag beschäftigte sich mit dem Pallotiner-Pater und zum engen Kreis um den Gründer der Schönstatt-Bewegung Pater Josef Kentenich gehörenden Franz Reinisch. Pater Reinisch war der einzige katholische Priester, der den Fahneneid auf Hitler persönlich verweigerte, deshalb vom Reichskriegsgericht, dem höchsten Militärgericht in Berlin, zum Tode verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet wurde.
Als letzten Vortrag in der Reihe über Verfolgung und Widerstand aus religiösen Gründen schilderte Hennig das Leben und Wirken der Familie Fritz und Liesbeth Michaelis aus Neuwied. Sie wie auch später ihre Tochter Lydia waren Ernste Bibelforscher, wie die Zeugen Jehovas damals noch hießen. Wie viele ihrer Glaubensgeschwister widersetzten sie sich dem Nationalsozialismus und leisteten sogar langjährigen Widerstand.
Schließlich war unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig noch Experte und Interviewpartner in dem vom SWR-Fernsehen in der Reihe „Zeitstopp“ produzierten und ausgestrahlten Filmbericht über Leonhard Drach. Der Koblenz Staatsanwalt Drach war während der Besetzung Luxemburgs durch Hitler-Deutschland der wichtigste Ankläger vor dem deutschen Sondergericht Luxemburg und auch Ankläger in dem „Polizeilichen Standgericht“. Durch dieses wurden u.a. 20 Luxemburger Widerständler im Zusammenhang mit dem Generalstreik Anfang September 1942 zum Tode verurteilt und sofort im SS-Sonderlager/KZ Hinzert hingerichtet.