Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

In der Ausgabe vom 11. Januar 2001 folgte ein Bericht über die ukrainische Zwangsarbeiterin W. T.

„Der ärztliche Dienst hat angeordnet...“

Teil 10 der RZ-Serie über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 11. Januar 2001:

W. T.

Im Zuge des II. Weltkrieges kam es zu einem millionenfachen Arbeitseinsatz von Ausländern im NS-Staat. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 waren es polnische Kriegsgefangene und auch „Zivilarbeiter“, wobei letztere immer öfter zwangsweise verpflichtet wurden. Nach dem „Westfeldzug“(1940) folgten ihnen französische Kriegsgefangene und „Zivilarbeiter“  wie auch solche anderer Nationen.

Eine Wende im Arbeitseinsatz brachte der Krieg gegen die Sowjetunion. Er war nach Hitlers Absicht ein „Weltanschauungskrieg“ und „Vernichtungskampf“ gegen ein „asoziales Verbrechertum“. Die Folge war ein massenhaftes Sterben/Verhungernlassen der Kriegsgefangenen, prophezeite Göring doch „das größte Sterben seit dem Dreißigjährigen Krieg“. Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad (Anfang 1943) und im „Totalen Krieg“ verlangte die NS-Kriegswirtschaft aber mehr denn je nach Arbeitskräften. Die Nazis entdeckten die „Ostvölker“ - obwohl sie als „Untermenschen“ galten - zunehmend als „wichtige Hilfskräfte“. Im August 1944 waren im Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ mehr als 7,6 Millionen Ausländer beschäftigt, davon 1,9 Millionen Kriegsgefangene und 5,7 Millionen „Zivilarbeiter“, darunter 2,8 Millionen Sowjets.

Eine davon war die Ukrainerin W. T. Sie war im Jahre 1920 in der Nähe von Charkow geboren. Wie es sie an den Rhein verschlug, ist nicht bekannt. Wir wissen aber, dass seit Sommer 1942 die Arbeitskräfte dort kaum noch freiwillig zu rekrutieren waren. Schon damals erklärten die Leiter der Anwerbungen, „dass trotz Steigerung der Werbung, Wegführung von Vieh oder selbst Androhung der Erschießung die restliche Bevölkerung nicht gewillt ist, den Gestellungsbefehlen nachzukommen“.

Als „Ostarbeiterin“ war sie zunächst bei der Brohltal AG in Urmitz beschäftigt, ehe sie Ende Januar 1944 als Haushaltsgehilfin in das städtische Krankenhaus Kemperhof überwiesen wurde. In der dortigen „Ostarbeiter-Baracke“ untergebracht dürfte ihre Lage  der generellen Lebenssituation der Ostarbeiterinnen entsprochen haben: Schlechte Ernährung, Bezahlung, Unterbringung und Kleidung, oft überlange Arbeitszeiten, mangelnde ärztliche Versorgung, Übervorteilung durch deutsche Vorgesetzte, Diffamierungen und Mißhandlungen sowie hohe Todesraten. Das Nürnberger Tribunal der Alliierten nannte es „Sklavenarbeit“.

Ende Juli 1944 teilte der Kemperhof dem Arbeitsamt entsprechend den Vorschriften mit, dass W. T. im dritten Monat schwanger war („Ostarbeiterinnen, welche schwanger sind, müssen zeitig der betr. Stelle gemeldet werden, damit Abhilfe geschaffen wird“). Dieses verfügte mit dem Bemerken „Der ärztliche Dienst beim Gauarbeitsamt Moselland in Koblenz hat angeordnet“  die Unterbrechung. Eine Woche Ende August 1944 war W. T.  stationär im Kemperhof: Währenddessen wurde bei ihr - wie bei mehreren hundert Polinnen und Ostarbeiterinnen allein im Kemperhof - die Leibesfrucht abgetrieben. Nach einer Woche wurde sie als „geheilt“ entlassen. Noch am gleichen Tag forderte sie das Arbeitsamt Koblenz an und der Kemperhof überwies sie dorthin. Dann verliert sich ihre Spur. - Übrigens war die deutsche Bevölkerung der Region nach einem Bericht des Sicherheitsdienstes (SD) der Auffassung, dass „die Polen und insbesondere die Russen viel zu human behandelt (werden)“.