Presseerklärung des Fördervereins Mahnmal für die
Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz
Im Rahmen seiner Ausstellung „‘Es war eine Fahrt durch die Hölle.‘ -Vor 80 Jahren: Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz“ zeigt der Förderverein Mahnmal Koblenz am Donnerstag, 6. Februar 2025, in der Citykirche in Koblenz, Jesuitenplatz 4, um 18.00 Uhr den selbst produzierten Film „Du kommst zur Arbeit, Du musst überleben.“ Der Dokumentarfilm zeichnet ein Zeitzeugengespräch mit Dr. Heinz Kahn (1922-2014) auf, das der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Joachim Hennig mit ihm im Jahr 2005 in der Geschäftsstelle der Sparkasse Koblenz geführt hat.
Heinz Kahn kam im Jahr 1922 in der Hunsrückgemeinde Hermeskeil als älteres Kind des Tierarztes Dr. Moritz Kahn und dessen Frau Elise zur Welt. Nach dem Novemberpogrom 1938 („Reichspogromnacht“) musste die Familie von Hermeskeil nach Trier umziehen. Von Trier aus wurden die Kahns am 1. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Heinz Kahn war der einzige Überlebende seiner Familie. Er kam - wie sein Vater an der Rampe in Auschwitz-Birkenau zum Abschied sagte - tatsächlich zur Arbeit und überlebte. Heinz Kahn kehrte nach Trier zurück und gründete die dortige Jüdische Kultusgemeinde. Er heiratete die aus Cochem stammende Holocaust-Überlebende Inge Hein, machte sein Abitur nach, studierte und wurde Tierarzt. 1954 ließ er sich in Polch nieder und gründete eine Familie. Mit 65 Jahren war er nur noch bisweilen als Tierarzt tätig und wurde 1987 Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz. Schon seit vielen Jahren zuvor war er im Vorstand der Gemeinde gewesen. Heinz Kahn stellte sich auch immer wieder als Zeitzeuge zur Verfügung und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Er starb im Jahr 2014 im 92. Lebensjahr. Seine Ehefrau Inge überlebte ihn noch fast 10 Jahre, sie starb vor 1- 2 Jahren. An Heinz Kahn und seine Herkunftsfamilie erinnern heute vier Stolpersteine in Trier in der Saarstraße 19. Dorthin waren sie nach der „Reichspogromnacht“ geflüchtet, von dort wurden sie am 1. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.
Die Ausstellung „Es war eine Fahrt durch die Hölle“ ist bis noch bis Freitag, 7. Februar 2025, in der Citykirche von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr (nicht während der Gottesdienste) zu sehen. Der Eintritt zum Film wie auch zur Ausstellung ist frei.
Dr. Heinz Kahn (links) im Gespräch mit Joachim Hennig (2005)
Einführung in die Ausstellung:
„Es war eine Fahrt durch die Hölle“
Vor 80 Jahren: Befreiung des KZ Auschwitz
am 20. Januar 2025 in der Citykirche in Koblenz
von Joachim Hennig
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie sehr herzlich und möchte Sie einführen in die Ausstellung unseres Fördervereins Mahnmal Koblenz: „’Es war eine Fahrt durch die Hölle.’ – Vor 80 Jahren: Befreiung des KZ Auschwitz“.
Nächsten Montag, am 27. Januar, wird sich der Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde, zum 80. Mal jähren. Dieses Datum und dieses Konzentrationslager sind für unsere Geschichte und für die der ganzen Menschheit so wichtig, dass der damalige Bundespräsident Roman Herzog vor 30 Jahren den 27. Januar zum nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus proklamiert hat. Zehn Jahre später hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen diesen Tag zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust proklamiert. Seitdem ist der 27. Januar eines jeden Jahres zwar kein offizieller „Feiertag“, aber ein Gedenktag, an dem die öffentlichen Gebäude beflaggt sein und an dem Gedenkveranstaltungen stattfinden sollen. Hier in Koblenz begehen wir diesen Gedenktag seit 1998 mit einer Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet und seit 2002 zusätzlich mit einer Statio an dem im Jahr 2001 eingeweihten Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz. Ergänzt werden diese Veranstaltungen seit 25 Jahren durch eine Ausstellung - seit 23 Jahren mit Biografien von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung.
Auschwitz, ja Auschwitz. Auschwitz ist der größte Friedhof in der Geschichte der Menschheit. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 1,1 Millionen Menschen, vor allem Juden aus ganz Europa, in Auschwitz umgebracht wurden. Und dabei gab es drei „Auschwitz“: Das so genannte Stammlager Auschwitz (das Konzentrationslager „Auschwitz I“), das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau („Auschwitz II“) und das Konzentrationslager Monowitz, die Buna-Werke in Auschwitz („Auschwitz III“). Alle drei Lager gehörten zu einem Gesamtkomplex der SS. Sie lagen in dem – offiziell so genannten - „SS-Interessengebiet Auschwitz“ – etwa 50 Kilometer westlich der polnischen Stadt Krakau. Der Auschwitzkomplex war das größte der etwa 2.000 Konzentrations- und Arbeitslager und auch das größte Vernichtungslager.
Seine NS-Geschichte begann im Frühjahr 1940 mit dem Befehl Heinrich Himmlers, dem Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei, zur Errichtung eines großen neuen Lagers in einem ehemaligen Kasernengelände nahe der Stadt Auschwitz. Wir verbinden heute mit diesem Komplex das Bild von dessen Eingangstor mit dem darüber angebrachten Schriftzug: „Arbeit macht frei.“ Ein Jahr später befahl Himmler den Bau einer zweiten, größeren Sektion, drei Kilometer vom ursprünglichen Lager entfernt. Auf dem Gelände eines zuvor dem Boden gleich gemachten polnischen Dorfes entstand eine Todes- und Vernichtungsmaschinerie. Mit ihr verbinden wir heute das Bild vom Torgebäude mit dem da durchführenden Eisenbahngleis und der Todesrampe von Auschwitz-Birkenau. Von dem dritten Lager, „Auschwitz III“, haben wir kein Bild präsent. Es wurde – wie Auschwitz-Birkenau – 1942 „in Betrieb genommen“ und war ein Lager für zur Arbeit selektierte Häftlinge. Sie mussten in den Bunawerken der I.G. Farben AG im nahe gelegenen Monowitz Zwangsarbeit leisten.
Das Stammlager „Auschwitz I“ und das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau („Auschwitz II“) hatten während der Zeit ihres Bestehens verschiedene Funktionen. Sie waren auch „Aufenthaltslager“. In ihnen wurden Gefangene festgehalten, schikaniert und ermordet wie in anderen Konzentrationslagern auch. Das gilt etwa für das sog. Männerlager, das Frauenlager, das „Theresienstädter Familienlager“ und auch für das „Zigeunerlager“. In ihnen gab es immer wieder Selektionen mit sich anschließender Tötung bzw. Überführung in ein anderes Lager, meist zur Zwangsarbeit.
Auschwitz-Birkenau ist vor allem bekannt als größte Mordstätte für die Juden Europas. Zwischen dem Frühjahr 1942 und der Räumung des Lagers im Januar 1945 wurden – so schätzt man heute – 80 bis 90 Prozent der dort eintreffenden Deportierten sofort ermordet – vor allem nahezu alle alten Menschen und kleineren Kindern – sofern sie überhaupt die Strapazen der tagelangen Verschleppungen in Viehwaggons überlebten. Die anderen Häftlinge, die bei ihrer Ankunft auf der Rampe zum Arbeitseinsatz „selektiert“ wurden, hatten unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen in Auschwitz eine Lebenserwartung von wenigen Monaten. Nur wenn sie zum Arbeitseinsatz in ein anderes Lager, wie „Auschwitz III“ – Monowitz - oder in ein anderes der fast 50 Nebenlager geschickt wurden, oder eine Funktion etwa auf der Schreibstube zugewiesen bekamen, waren ihre Überlebenschancen günstiger.
Die Befreiung des KZ Auschwitz, an die wir hier erinnern, war dabei vergleichsweise unspektakulär. Am Nachmittag des 27. Januar 1945 betraten Soldaten der Roten Armee Auschwitz. Die Lager waren von den SS-Wachmannschaften verlassen. In Birkenau fand die Rote Armee die Leichen von 600 Gefangenen, die nur Stunden vor der Befreiung des Lagers getötet worden waren. 7.650 kranke und erschöpfte Gefangene wurden fürs erste gerettet: 1.200 im Stammlager Auschwitz, 5.800 in Auschwitz-Birkenau und 650 in Auschwitz III, in Monowitz. In den Lagerhäusern fanden die Befreier 350.000 Männeranzüge, 837.000 Frauenkleider und große Mengen an Kinder- und Babykleidung. Zusätzlich gab es dort Zehntausende Paar Schuhe und 7,7 Tonnen menschliches Haar in Papiertüten, fertig für den Transport verpackt.
Über diese historischen Ereignisse hinaus, die sich jetzt zum 80. Mal jähren, ist „Auschwitz“ aber noch etwas anderes: Auschwitz ist im nationalen und auch internationalen Sprachgebrauch inzwischen das Synonym für Unmensch-lichkeit, Völkermord, Rassenwahn und Intoleranz.
So wichtig Auschwitz und seine Geschichte und die NS-Opfer von Auschwitz als Mahnung auch für uns Heutige sind – so erschreckend ist das Wissen darüber. Vor einigen Jahren hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine repräsentative Umfrage dazu durchgeführt. Danach konnten 47 Prozent der befragten 14- bis 16-Jährigen den Begriff „Auschwitz“ nicht einordnen. Und dabei waren noch nicht einmal die Jugendlichen mit Migrationshintergrund berücksichtigt.
Inzwischen ist es nicht besser geworden. Aktuelle Studien zeigen: Das Wissen um den Holocaust und die NS-Zeit ist unter den Millennials und der Generation Z teilweise erschreckend gering. Ist es da Zufall, dass gerade die jüngsten Wähler für die AfD Sympathie haben und sie wählen? Die AfD, deren Propagandist und ehemaliger Geschichtslehrer Höcke tönt: „Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß' Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad." Der ehemalige Partei- und Fraktionschef der AfD und mittlerweile Ehrenvorsitzende Gauland ergänzte: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte". Und der gelernte Historiker Höcke setzte im September letzten Jahres bei einer Wahlkampfveranstaltung in Chemnitz noch einen drauf: „Glaubt nichts, was in den Geschichtsbüchern steht“, rief er dem Publikum zu und wurde dafür von den Zuschauern kräftig beklatscht.
Den Leugnern und Geschichtsklitterern darf die Geschichte nicht überlassen werden. Die Demokraten müssen sie bewahren und weiterverbreiten. Natürlich ist das, was in den Geschichtsbüchern steht, richtig und man darf und muss ihnen glauben. Allerdings muss man diese Geschichte anschaulich machen, die Menschen von damals uns Heutigen nahebringen. Den NS-Opfern ihren Namen und ihr Gesicht und ihr Schicksal zurückgeben. Denn das alles geschah nicht irgendwo, sondern (auch) hier bei uns. Um dieses so nötige Erinnern und um die Aufklärung über die NS-Verbrechen bemüht sich unser Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz seit nunmehr fast 30 Jahren. Immer wieder erinnern wir an die Verbrechen der historischen Faschisten und an die sie erleidenden Opfer.
Zum diesjährigen Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus tun wir dies mit der selbst erarbeiteten Ausstellung: „‘Es war eine Fahrt durch die Hölle.‘ – Vor 80 Jahren: Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.“ Das Motto der hier zu sehenden Ausstellung stammt von der vor 101 Jahren in Horchheim geborenen Jüdin Eva Hellendag, verh. Salier. Eva wurde 1923 als Tochter eines holländischen Kaufmanns und seiner Frau in Koblenz-Horchheim geboren. Sie erlebte eine schöne, unbeschwerte Jugend - bis die Nazis an die Macht kamen. Von da ab war sie als Jüdin in ihrer Schule, der Hilda-Schule, heute: Hilda-Gymnasium, das „Unkraut“, Eva wurde gemieden und bespuckt. Deshalb verließ sie nach dem frühen Tod ihres Vaters Koblenz und lebte bei ihrer Großmutter in den Niederlanden. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Niederlande am 10. Mai 1940 wurde das Leben für sie, ihre inzwischen ebenfalls dorthin geflohene Mutter und ihre Großmutter immer schwerer. Wie viele andere Juden wurden die drei von holländischen Nazis festgenommen und „selektiert“. Während Evas Mutter und Großmutter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und mit Giftgas ermordet wurden, kam Eva in das Lager Vught in den Niederlanden, das sie „Vorhölle“ nannte. Dort wurde sie Zwangsarbeiterin bei der Firma Philips. Dann verschleppte man Eva ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau, sie wurde aber zur Arbeit selektiert und einem Sonderkommando für die Radioröhrenproduktion zugewiesen. Sie überlebte die „Hölle von Auschwitz“, ging bei dessen Liquidation auf Transport in mehrere Konzentrations- und Arbeitslager. In Hamburg wurde sie am 1. Mai 1945 befreit und zur Erholung nach Schweden gebracht. Später zog sie in die USA, heiratete, hatte zwei Söhne, kam wiederholt auf „Heimatbesuch“ nach Koblenz und starb 2014.
Die Horchheimerin Eva Hellendag war eine von den 23 hier porträtierten Menschen, die nach Auschwitz deportiert wurden. Das waren Menschen nicht von weit weg, sondern Menschen aus Koblenz und Umgebung, Nachbarn unserer Eltern und Großeltern.
Die Schicksale dieser Menschen, die für eine Vielzahl von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung stehen, waren sehr vielfältig und sehr bedrückend. Nach den Schikanen und Diskriminierungen vor Ort und nach dem Novemberpogrom 1938, der sog. Reichspogromnacht, wurden sie aus ihrer Umgebung herausgerissen, wie Vieh in Waggons „nach dem Osten“ deportiert und zumeist mit Giftgas ermordet. Sofern sie die „Hölle von Auschwitz“ überlebten, litten sie körperlich und seelisch an diesen Verbrechen, waren oft ihr Leben lang traumatisiert.
Es waren jüngere und auch ältere Menschen, Menschen, die unmittelbar aus Koblenz oder aus der Umgebung deportiert wurden, sogar solche, die zunächst nach Holland, Belgien und Frankreich hatten fliehen können. Die meisten waren Juden, aber auch Sinti, also deutsche Zigeuner, Zeugen Jehovas und auch eine evangelische Pfarrerstochter. Alle 23 kann ich hier nicht, auch nicht nur kurz erwähnen - obwohl jeder Mensch, jedes Schicksal es „verdient“, dass man sich mit ihm näher beschäftigt und mit Empathie feststellt: Nie wieder, nie wieder Faschismus!
So bleibt mir nur ein Stück weit auf vier Schicksale etwas näher einzugehen - Sie können sich danach mit mir ja alle Biografien ansehen.
Da ist zunächst das Schicksal der jüdischen Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel. Isidor Treidel war Rechtsanwalt. Im I. Weltkrieg war er Frontsoldat und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg kehrte er in das Zivilleben von Koblenz zurück. Die Treidels hatten drei Kinder, waren kulturell sehr interessiert. Ihre Wohnung in der Mainzer Straße 10a war ein Treffpunkt von Gästen, die Theater und Dichtung liebten.
Nach der Machtübernahme der Nazis wurde Dr. Treidel in seiner Berufstätigkeit boykottiert. Die Nazis ließen ihm zunächst aber noch seine Zulassung als Rechtsanwalt, weil er Frontkämpfer war. Ihre drei Kinder konnten die Treidels noch rechtzeitig ins Ausland bringen. Nach dem Novemberpogrom 1938, bei dem Dr. Treidel misshandelt und krankenhausreif verletzt wurde, verlor er seine Zulassung als Rechtsanwalt. Im Juli 1942 wurde die Mutter bzw. Schwiegermutter der Treidels im Alter von 77 Jahren von Koblenz aus in das Altersghetto/Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, 10 Tage später kam sie dort um. Ein Jahr später mussten Dr. Isidor und Erna Treidel diesen Weg von Koblenz aus ebenfalls gehen. Sie blieben aber nicht in Theresienstadt, sondern wurden alsbald in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau weiter deportiert und dort mit Giftgas ermordet.
Eine ähnliche Verfolgung aus rassischen Gründen mussten die Sinti, die deutschen Zigeuner, erleiden. 147 Koblenzer Sinti wurden am 10. März 1943 vom Koblenzer Hauptbahnhof ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Viele von ihnen gehörten zur Familie Reinhardt. Einer von ihnen war Alfons, genannt Daweli Reinhardt. Der 1932 geborene Daweli lebte als 5. von 10 Kindern seiner Eltern Karl und Ottilie Reinhardt im Kernwerk der Feste Franz in Lützel. Sein Vater war Musiker und Korbflechter, seine Mutter handelte mit Kurzwaren. Bald wurden die Sinti registriert und schikaniert. Im August 1938 wurden Koblenzer Sinti, auch die Reinhardts, erstmals von hier verschleppt, und zwar nach Mitteldeutschland. Das war eine eigenmächtige Aktion eines Nazi-Oberen hier, sie wurde nach einigen Tagen von Berlin abgeblasen. Die Reinhardts kehrten nach Koblenz und in die Feste Franz zurück. Im März 1943 folgte dann die Deportation nach Auschwitz-Birkenau. Anders als die Juden wurden sie nicht auf der Rampe selektiert und ins Giftgas geschickt, sondern kamen in das sog. Zigeunerlager.
Als dieses Lager ein Jahr später liquidiert werden sollte, folgte doch noch eine Selektion. Danach wurde die Familie Reinhardt als „arbeitsfähig“ in das KZ Ravensbrück verschleppt. Vater Reinhardt und Sohn Karl wurden zwangsweise zur Wehrmacht rekrutiert, die Mutter und andere Kinder gingen auf Transport in das KZ Mauthausen und dann nach Bergen-Belsen. Daweli und sein Bruder Josef verschleppte man in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Von dort gingen sie auf den Todesmarsch. Sie überlebten auch ihn und kehrten nach Koblenz zurück. Hier traf sich die Familie Reinhardt im Kernwerk der Feste Franz wieder.
Aus ganz anderen Gründen wurden die Ernsten Bibelforscher wie die Zeugen Jehovas damals noch hießen verfolgt. Schon einige Monate nach der Machtübernahme der Nazis wurde diese damals in Deutschland kleine religiöse Gemeinschaft verboten. Irrtümlich meinten die Nazis, die Bibelforscher könnten ihnen und ihrer Herrschaft gefährlich werden. Deshalb war es deren Mitgliedern verboten, das zu tun, was sie auch heute tun: von Haus zu Haus zu gehen und für ihren Glauben an Jehova Gott zu werben.
Betroffen war auch die in Kirn/Nahe lebende Familie Thomas, die Mutter Luise und ihre Töchter Anna und Ruth. Deren Verfolgung begann – vom Ende her betrachtet - zunächst noch recht niederschwellig. Im Juni 1933 wurden Mutter Luise und Tochter Anna von der Gestapo für 6 Wochen in sog. Schutzhaft genommen und dann wieder freigelassen. Ein ¾ Jahr später nahm man die beiden erneut fest, durchsuchte ihre Wohnung und verurteilte sie zu Geldstrafen. Wiederum 2 Jahre später waren die Mutter Luise und ihre Töchter Anna und Ruth etwas mehr als zwei Monate in „Schutzhaft“. Daran schloss sich für die drei jeweils eine mehrmonatige Strafhaft an, die das Sondergericht verhängte. Sie blieben aber ihrem Glauben treu und schworen sich: „Unter allen Umständen – und wenn es das Leben kostet – wollen wir Jehova Gott und seinem Sohn die Treue halten.“
Mitte 1937 erreichte die Verfolgung der Töchter Thomas eine neue Stufe. Ruth und Anna wurden als „unverbesserliche Bibelforscherinnen“ erneut in „Schutzhaft“ genommen und in das Frauen-Konzentrationslager Moringen, dann in das Frauen- KZ Lichtenburg und schließlich in das neu eingerichtete Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Nachdem Anna als „Totalverweigerin“ es ablehnte, für die Wehrmachtssoldaten Strümpfe zu stricken, verschleppte man sie weiter in das Konzentrationslager Auschwitz. Dort starb Anna Thomas am 22. Oktober 1942 völlig entkräftet und von Ratten zerfressen. Mutter Luise und Tochter Ruth überlebten durch glückliche Umstände die Verfolgung und blieben nach der Befreiung weiterhin Zeuginnen Jehovas.
Wiederum aus anderen Gründen wurde die Winninger Pfarrerstochter Elisabeth Müller verfolgt und nach Auschwitz deportiert. Im Jahr 1875 wurde sie als ältestes von sieben Kindern des Winninger Pfarrers Adolph Müller und dessen Ehefrau Caroline geboren. Sie ließ sich als Lehrerin ausbilden und war Volksschullehrerin in Winningen. Als ihr mit dem Tod ihrer verwitweten Patentante eine große Erbschaft zufiel, begab sie sich auf eine Weltreise und andere Reisen. Als begeisterte Bergsteigerin stürzte sie im Jahr 1920 auf einer Bergtour ab. Sie erholte sich von dem schweren Unfall nur sehr langsam, in den 1930er Jahren war sie in Winningen zurück und dort im evangelischen Frauen- und Jungfrauenverein aktiv. Im „braunen Weinparadies“ Winningen war sie eine der ganz wenigen Nazi-Gegnerinnen. Im Jahr 1938 fiel sie bei der Volksabstimmung und Wahl zum „Großdeutschen Reichstag“ auf, weil sie mit „nein“ stimmte. Daraufhin begann ein Kesseltreiben gegen sie. U. a. verhängte die Gestapo Koblenz eine Postkontrolle gegen sie. Dadurch wurde ihr der rege Briefverkehr mit Gleichgesinnten zum Verhängnis. U.a. wegen der Bemerkung in einem Brief: „In Köln waren ja Hungerrevolten. Es gab Erschießungen und Verhaftungen“ nahm sie die Gestapo Koblenz in „Schutzhaft“. Die Gestapo sah das als „Hochverrat“ an und erwartete ein Verfahren vor dem Volksgerichtshof. Es wurde aber „nur“ ein Verfahren vor dem Sondergericht, das Elisabeth Müller „nur“ zu einer Gefängnisstrafe von 8 Monaten verurteilte. Als sie davon wegen der erlittenen „Schutzhaft“, die ihr auf die Strafe angerechnet wurde, „lediglich“ einen Monat verbüßen musste, schritt die Gestapo erneut ein. Nach Verbüßung der Strafhaft nahm sie Elisabeth Müller in „Schutzhaft“ und verschleppte die 67-jäjrige alte Frau ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Während sie dort war, hängte man in Winningen am 1. Mai 1943 an den Maibaum eine Strohpuppe, die Elisabeth Müller darstellen sollte. Die Puppe trug das Schild: „So stirbt ein Volksverräter.“ Ein Jahr später verschleppte man Elisabeth Müller vom Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in das KZ Lublin und von dort aus in das KZ Auschwitz. Am 27. Januar 1945 erlebte sie noch als eine der wenigen die Befreiung von Auschwitz. Sie war aber durch den Aufenthalt in den Konzentrationslagern so geschwächt, dass sie zwei Monate später mit 70 Jahren an den Folgen der Haft starb.
Überleben konnte man in Auschwitz nur, wenn man jung und kräftig war und einem erträglichen Arbeitskommando zugewiesen wurde. Der Vater von Heinz Kahn, den wir ebenfalls in der Ausstellung porträtieren, wusste das und sagte auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau während er, seine Frau und seine Tochter für das Giftgas selektiert wurden: „Heinz, Du kommst zur Arbeit, Du musst überleben!“
Heinz Kahn überlebte und wurde bei der Evakuierung des KZ Auschwitz in das Konzentrationslager Buchenwald transportiert. Dort erlebte er die Befreiung am 11. April 1945. Eine Woche später versammelten sich die Überlebenden auf dem Appellplatz des Konzentrationslager Buchenwald zur Trauerkundgebung für die Toten von Buchenwald statt. 21.000 Überlebende marschierten zum Gedächtnis für 60.000 tote Kameraden. Der Vorsitzende des Internationalen Lagerkomitees eröffnete die Kundgebung, dann verlasen Mitglieder des Internationalen Komitees – jeder in seiner Sprache – den Schwur von Buchenwald“:
„Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.
Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – Der Sieg muss unser sein!
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
WIR SCHWÖREN!“
21.000 Männer streckten die Hand zum Himmel und sprachen: „Wir schwören!“
In den inzwischen vergangenen 80 Jahren hat sich viel getan. Die sadistischen Peiniger und Mörder von damals laufen heute nicht mehr frei herum. Sie sind so gut wie alle tot. Inzwischen leben wir in Deutschland in einem freiheitlichen, sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Viele Hoffnungen von damals – wenn auch nicht alle - sind heute verwirklicht. Aber der „Schwur von Buchenwald“ ist – leider – immer noch aktuell, so aktuell wie schon lange nicht mehr: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung!“ Dies muss auch heute unsere Losung sein – zur Erinnerung an die NS-Opfer von Koblenz und zum Erhalt unserer Freiheit.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.