Spurensuche in Koblenz und Dernau
Im Mai erreichte Joachim Hennig über Generalstaatsanwalt Norbert Weise noch eine Anfrage aus Frankreich. Ein Heimat- und Familienforscher namens Eric Lafourcade erkundigte sich nach dem Schicksal seines Onkels Henri Berman. Der im Jahr 1900 in Radom (Polen) geborene Onkel war Elektroingenieur und hatte im Jahr 1933 Lafourcades Tante Yvonne geheiratet. Er war ein Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer Frankreichs gewesen. Wie Lafourcade herausgefunden hatte, war er am 4. Juli 1944 in Paris unter seinem Aliasnamen Henri Bertin verhaftet worden. Nach langen Verhören wurde er am 15. August 1944 von Paris in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und von dort aus am 20. August 1944 in das Lager Rebstock bei Dernau und Marienthal an der Ahr. Weitere Stationen seines Schicksals konnte er bis zu einem Lager Artern in Thüringen, der Evakuierung des Lagers und dessen Tod zwischen dem 18. und 20. April 1945 in der Umgebung von Marienberg im Erzgebirge ermitteln. Dabei stieß Lafourcade auf ein Gerichtsverfahren gegen Mithäftlinge und Wachpersonal.
Unter Berufung auf das Aktenzeichen des damaligen in Koblenz stattgefundenen Verfahrens wollte er mehr über die letzten Tage und Wochen seines Onkels erfahren und hatte sich deshalb an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz gewandt. Diese konnte ihm aber nicht weiterhelfen, weil die Akten des Verfahrens inzwischen vernichtet waren. Generalstaatsanwalt Weise wollte dem Neffen aber bei der Suche nach dem Weg seines Onkels bis in den Tod in Deutschland helfen. Deshalb schaltete er Joachim Hennig ein und lud Eric Lafourcade zu einem Besuch in Koblenz und Ortstermin in Dernau und Marienthal ein. Zur Vorbereitung hatten Weise und Hennig die einschlägige Literatur (vor allem das Buch von Uli Jungbluth: Wunderwaffen im KZ „Rebstock“) und die staatsanwaltschaftlichen Akten eines späteren Ermittlungsverfahrens zu dem KZ-Außenlager gesichtet, die darin enthaltenen Vernehmungsprotokolle der französischen Zeugen sowie weitere Unterlagen Herrn Lafourcade zugesandt.
Am 21. August 2003 war Eric Lafourcade dann persönlich auf Spurensuche in Koblenz und in Dernau. Begleitet wurde er von Generalstaatsanwalt Norbert Weise und Joachim Hennig. Auch gab es einen Ortstermin in Dernau, an der auch ein einheimischer Zeitzeuge teilnahm.
Über den Besuch und dessen Anlass berichtete die Rhein-Zeitung ausführlich.
Den Bericht aus der Rhein-Zeitung HIER lesen
Hennig und Lafourcade hielten auch danach noch Kontakt. Hennig recherchierte hier noch weiter über Bermans Verfolgungsschicksal und die Stätten seiner Verfolgung. Im Austausch dazu sandte Lafourcade seine Rechercheergebnisse. Auf diese Weise erhielt Hennig noch weitere Informationen über Lafourcades Onkel Henri Berman (Bertin) und dessen Ehefrau Yvonne Berman, geb. Lafourcade. Lesen Sie dazu die von Eric Lafourcade erarbeiteten Kurzbiografien von Henri und Yvonne Berman.
Eric Lafourcades Aktivitäten zeitigten dann noch einen sichtbaren Erfolg. Das auf dem Gelände des Gestapolagers Neue Bremm in Saarbrücken, in dem Yvonne Berman inhaftiert gewesen war, errichtete Novotel brachte an seiner Fassade das Porträt von ihr weit sichtbar an.
Ein weiteres Ergebnis des Besuches von Eric Lafourcade war, dass sich ein noch lebender französischer Häftling des KZ-Außenlagers Rebstock, Roger Detournay, ebenfalls auf Spurensuche begeben wollte und zwei Jahre später auf Einladung von Joachim Hennig nach Koblenz und nach Dernau kam.
Der Koblenzer Sinto Daweli Reinhardt
Es war Frau Gunhild Schulte-Wissermann, die den Kontakt zu dem Koblenzer Sinto Daweli Reinhardt herstellte. Im Spätwinter 2002 sprach sie Joachim Hennig nach einem seiner Vorträge über NS-Opfer aus Koblenz und Umgebung an, warum er eigentlich keine Sinti porträtiere. Als Hennig darauf antwortete, er kenne keine und wisse von den Einzelschicksalen nichts, wurde Frau Schulte-Wissermann aktiv. Über Django Reinhardt, den sie als Vorsitzende des Vereins Django Reinhardt Music-Friends gut kannte, stellte sie den Kontakt zu Djangos Vater, Daweli Reinhardt, her.
Der damals 70-jährige Daweli Reinhardt, der seine Lebensgeschichte nicht öffentlich gemacht hatte, war schnell für ein Gespräch mit Joachim Hennig zu begeistern. So kam es, dass sich Daweli und seine Frau Waltraud („Trautchen“) und Joachim Hennig auf Einladung (und köstlicher Bewirtung!) von Frau Schulte-Wissermann wohl ab März im Hause Schulte-Wissermann trafen. Dabei erzählte Daweli sein Leben. Es war eine eindrucksvolle Geschichte, die Daweli aus „Hundert Jahren Familie Reinhardt“ – so der Titel des daraus entstandenen Büchleins – vor seinen Zuhörern ausbreitete. Es war ein Erlebnis, wie Daweli sehr genau und plastisch die Kinderjahre in Koblenz und seine Haft in verschiedenen Konzentrationslagern, die mit der Deportation der ganzen Familie am 10. März 1943 von Koblenz aus begann, schilderte. Nur selten kam es vor – aber wenn, dann an den genau richtigen Stellen -, dass seine Frau Trautchen ihn fragte: „Sag mal, Daweli, war das damals wirklich so oder war das vielleicht anders?“. Und dann kam Dawelis Ergänzung bzw. Korrektur postwendend und genauso plastisch und detailreich wie auch sonst.
Diese Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet. Joachim Hennig hörte sie umgehend ab und erarbeitete daraus eine Biografie. Das geschah unter erheblichem Zeitdruck, denn das Büchlein sollte am 30. Juni 2003 fertig sein, an diesem Abend sollte ein letztes großes Konzert für und mit Daweli Reinhardt stattfinden. Noch im Nachhinein „kribbelt“ Joachim Hennig bei dieser Zeitplanung. Denn unter diesem Druck war keine Zeit für umfangreiche Recherchen. Zwar hatte sich Hennig schon zuvor und dann auch begleitend zu den Interviews eingehend mit der Verfolgungsgeschichte der Sinti beschäftigt, aber zur Recherche über das persönliche Schicksal Dawelis und seiner Familie blieb es keine Zeit. So musste – ganz unwissenschaftlich – Dawelis Biografie ohne Absicherung durch objektive Quellen entstehen. Das Faszinierende auch daran war, dass Hennigs spätere eingehende Recherchen voll und ganz die Richtigkeit und Plausibilität Dawelis Angaben bestätigten – auch die unwahrscheinlichsten: Dawelis Erzählung war nicht nur sehr detailgenau und plastisch, sondern auch historisch „richtig“ und plausibel.
Und dabei beschränkten sich Dawelis Erzählungen nicht auf die 12 Jahre NS-Zeit. Vielmehr berichtete er von den „Hundert Jahren Musik der Reinhardts“. Einen großen Teil seiner erzählten Lebensgeschichte nahmen dabei die Nachkriegszeit und seine Zeit als „Alleskönner“ und als werdender und allseits anerkannter Musiker ein.
Mit viel Glück gelang es dann aber doch, rechtzeitig zum großen Konzert mit und für Daweli auf der Festung Ehrenbreitstein die Biografie „Hundert Jahre Musik der Reinhardts. Daweli erzählt sein Leben“ herauszubringen.
Wenig später wurde das Daweli-Büchlein in der Koblenzer Buchhandlung Reuffel vorgestellt. Geschrieben hat es Joachim Hennig im Stile einer Autobiografie und mit Daweli als Erzähler. Dementsprechend firmieren auch Daweli Reinhardt und Joachim Hennig als Autoren. Inzwischen gibt es drei Auflagen des Büchleins.
Lesen Sie Hier einen Artikel der Rhein-Zeitung vom 15. Juli 2003
Lesen Sie Hier einen Artikel der Rhein-Zeitung vom 19. Juli 2003
Gerne können sie aber auch ein bebildertes Exemplar über den Förderverein Mahnmal beziehen,