Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Wie es schon Tradition geworden war, hielt Hennig bei der Volkshochschule Koblenz auch wieder drei Vorträge zum Generalthema „Verfolgung und Widerstand 1933 – 1945“. Mit Blick darauf, dass sich 2004 zum 60. Mal der Attentats- und Umsturzversuch jährte, porträtierte er drei Widerständler aus Koblenz und Umgebung – Maria Terwiel, Adolf Reichwein und Friedrich Erxleben.

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Verfolgung und Widerstand in Koblenz und Umgebung 1933 – 1945

Widerständler aus Koblenz und Umgebung Teil 3: Friedrich Erxleben (1883 – 1955)

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich begrüße Sie sehr herzlich zum dritten und letzten Vortrag in diesem Wintersemester. In diesem Semester geht es ja – mit Blick auf die 60. Wiederkehr des 20. Juli 1944 in diesem Jahr – um Biografien von Widerständlern aus Koblenz und Umgebung. Vor vier Wochen haben wir uns mit dem Lebensbild von Maria Terwiel beschäftigt, einer Juristin aus Boppard am Rhein, die Mitglied der so genannten Roten Kapelle war. Vor zwei Wochen habe ich Ihnen das Lebensbild von Adolf Reichwein dargestellt, einem in Bad Ems geborenen Reformpädagogen und Sozialisten, der Mitglied des „Kreisauer Kreises“ war und aufgrund eines so genannten Urteils des Volksgerichtshofs vor ziemlich genau 60 Jahren in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee ermordet wurde. Zur Visualisierung habe ich Ihnen dann noch einen Dokumentarfilm, der ursprünglich als NS-Propagandafilm gedacht war, gezeigt. Jedenfalls beim erstmaligen Betrachten dieses Films ist man angewidert und tief erschüttert, obwohl oder gerade weil man den Film nur in Bruchstücken wahrnimmt – von einem traditionellen „Verstehen“ dieses auch noch missglückten NS-Propagandafilms kann ja ohnehin keine Rede sein.

Nun, das soll als Rückschau genügen. Wer von Ihnen den letzten Vortrag von mir besucht hat, hat das sowieso gesehen und bestimmt auch - so wie hier kurz erwähnt - empfunden. Wer von Ihnen bei der letzten Veranstaltung nicht dabei war, dem sagt das ohnehin nicht viel. – Immerhin bin ich froh, dass der Teilnehmerkreis diesmal ein wenig größer ist als bisher. Ich denke, die Thematik und die von mir porträtierten Opfer des Nationalsozialismus aus Koblenz und Umgebung haben es verdient. Bekanntlich sagt man ja: „Ein Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand sich mehr an ihn erinnert.“ Auch von daher ist es wichtig, dieser Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Dabei sind manche bekannter als andere. Das gilt selbst für die drei von mir in diesem Semester porträtierten Widerständler aus Koblenz und Umgebung. Während an Maria Terwiel, geboren in Boppard am Rhein, eine kleine Straße in ihrer Geburtsstadt sowie ein Steig in der Nähe ihrer Hinrichtungsstätte in Berlin-Plötzensee erinnert und – neben älteren und kleineren Aufsätzen anderer Autoren - ich im letztjährigen Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte ein Porträt von ihr gezeichnet habe, ist der in Bad Ems geborene Adolf Reichwein sehr viel bekannter. Es gibt – in Berlin – ein eigenes Adolf-Reichwein-Archiv und mehr als 30 Schulen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland sind nach ihm benannt - ganz zu schweigen von der einen oder anderen Biografie über ihn oder Straßenbenennung nach ihm o.ä. Sehr viel unbekannter ist der heute Porträtierte Widerständler Friedrich Erxleben. Über ihn gibt es kaum etwas. Keine Straße – wo auch immer – ist nach ihm benannt, außer zwei Zeitungsartikeln – einer davon ist noch von mir - und zwei an sehr versteckter Stelle vor einigen Jahren publizierten Skizzen gibt es nichts über ihn.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es gibt ein unsägliches Kapitel in der Aufarbeitung des deutschen Widerstandes gegen Hitler. In der Nachkriegszeit haben die beiden deutschen Staaten den Widerstand häufig für ihre eigenen Interessen, d.h. die unterschiedlichen Interessen der damaligen beiden deutschen Staaten in Anspruch genommen. Die bundesdeutsche Erinnerung an den Widerstand galt vor allem dem militärischem Widerstand und damit dem Beitrag vor allem des deutschen Adels bei den Versuchen, Hitler und den Nationalsozialismus zu beseitigen. Als Leitbild des aus bundesrepublikanischer Sicht wahrgenommenen Widerstandes gab es dann noch die Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ um die Geschwister Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christian Probst und Willi Graf sowie Professor Kurt Huber. Alles andere, etwa der Widerstand der Arbeiter, der Kommunisten, der Gewerkschafter und selbst der Sozialdemokraten und auch etwa der so genannten Roten Kapelle – ganz zu schweigen etwa von Wehr- und Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren u.a. – passte nicht so recht in das gepflegte Bild des „anderen Deutschland“. In Deutschland-Ost, der ehemaligen DDR, war es mehr oder minder genau anders herum. Zur Legitimation der eigenen real-sozialistisch existierenden Existenz leitete man diese vornehmlich aus dem Widerstand der KPD und deren Mitglieder sowie auch noch des Arbeiterwiderstandes ab. Der Widerstand des 20. Juli 1944 hatte vor diesem Geschichtsbild keine Chance. Das waren preußische Junker und ihre Nachkommen, die Hitler an die Macht haben kommen lassen, ihm dann zugejubelt und ihn als Kriegsherr unterstützt haben und sich erst dann seiner entledigen wollten, als sie meinten, mit ihm den Krieg nicht mehr gewinnen zu können.

Dieses unsägliche Kapitel und meines Erachtens falsche Geschichtsbild über den deutschen Widerstand möchte ich hier nicht fortschreiben. – Auch nicht dadurch, dass ich larmoyant beklagen möchte, dass dieser oder jener des Widerstandes mehr Aufmerksamkeit gefunden hat als ein anderer. Nein, auf dieses Terrain will ich mich nicht begeben. Es wäre unfair. Man sollte sich vor einer Hierarchisierung der Opfer und Opfergruppen hüten. Auch ich bemühe mich darum. Dementsprechend sind alle drei Opfer des Nationalsozialismus – Maria Terwiel, Adolf Reichwein, Friedrich Erxleben – seit einiger Zeit und gemeinsam in der Dauerausstellung über Opfer des Nationalsozialismus aus Koblenz und Umgebung porträtiert und ich stelle sie alle drei auch hier in der Veranstaltungsreihe der VHS vor. Und um das Gleichgewicht ein wenig herzustellen, habe ich im Übrigen vor, in den nächsten Monaten für das neue Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte ein Lebensbild über Friedrich Erxleben zu schreiben. - Von allem abgesehen wäre es natürlich sehr schön, wenn sich Erxlebens Geburts- und Heimatstadt Koblenz entschließen könnte, auch seiner zu gedenken. Es müsste doch noch Straßen und Plätze in Koblenz geben, die man ihm zu Ehren benennen kann – man müsste es halt nur wollen und dann auch tun.

Dabei räume ich ein, dass Friedrich Erxleben seine Ecken und Kanten hat und es nicht so einfach ist, sich seiner zu erinnern. Lassen Sie mich dazu einen sehr viel Kompetenteren - und sogar seinen wohl bis ins Alter engsten Freund - zitieren. Dieser Freund Friedrich Erxlebens schrieb vor fast 40 Jahren an einen Historiker, der Auskünfte über Erxleben erbat, folgendes:

Über den Pfarrer Prof. Dr. Erxleben kann ich Ihnen, obwohl er einer meiner besten Freunde war, nur ziemlich wenig exakte Daten angeben.

Er liebte es, auch seinem Freundeskreis gegenüber, eine gewisse romantische Mystifikation mit seinen früheren Jahren zu treiben. Er stammte aus einer begüterten Familie von der Mosel, und sein Bruder, bei dem er auch zeitweilig eine Alterswohnung bezogen hatte, war Besitzer einer großen Brauerei bei Koblenz. In seiner Jugend hatte er Musik und Gesang studiert. Er besaß eine außerordentlich wohlklingende, nicht zu hoch liegende, eher etwas baritonale Tenorstimme und soll bereits als junger Mann in einem Opernensemble den Tristan gesungen haben.

Wie und weshalb er dazu kam, die Weihe zu nehmen, blieb immer geheimnisvoll. Es wurde von einer unglücklichen Liebe erzählt, doch hatte er vielleicht auch rein innerliche Gründe. Er lebte dann längere Zeit in Rom und war Professor für klassische Sprachen am dortigen Jesuitenkollegium.

Später siedelte er dann nach Berlin über, wo er (…) in der Invaliden-Siedlung Berlin-Frohnau ein kleines Pfarrhaus mit einer hübschen Kapelle betreute. Er fungierte dort als Pfarrer für die katholischen Angehörigen der Berliner Schutzpolizei. Doch schien dies seinen Freunden immer mehr eine Art von Ehrenposten zu sein. Ich glaube, dass er etwas Vermögen besaß und auf das schmale Gehalt eines Polizeipfarrers nicht allein angewiesen war. – In dieser Kapelle wurde auch von ihm und einem Kollegen meine Tochter Maria Winnetou getauft.

Er war ein Mann von ganz ungewöhnlich hoher Bildung, enormem Wissen und großem Kunstverstand. In seinem Wesen mischte sich auf ganz ungewöhnliche Art eine fast kindliche Frömmigkeit, die völlig echt und natürlich war, mit klarem Intellekt, souveränem Denken und einer enormen Freude an allem Schönen sowohl im künstlerischen wie im vitalen Bereich.

Trotz seines etwas bohèmehaften Lebens in Berlin und seiner vielen Freundschaften mit Sängerinnen hatte ich immer den Eindruck, dass er das Zölibat völlig ernst nahm und in diesem Punkte ziemlich früh mit anderen Lebensbedürfnissen abgeschlossen und eine ganz feste innere Haltung bezogen hatte. Der Eros der Freundschaft, der sich manchmal auch auf charmanteste Art symposional äußerte, schien mir für ihn ein voller Ersatz zu anderen Beziehungen, und ich glaube, dass er sein Junggesellendasein sehr liebte. Es gab in ihm nichts Zelotisches in Beziehung auf religiöse Fragen, und für Leute, die nichts von seiner tiefen und echten Gläubigkeit wussten, erschien er manchmal erstaunlich liberal.

Einmal besuchte er mich morgens ganz verzweifelt und erzählte mir, er habe seine alte Köchin Therese Habeschaden, die ihn aufs trefflichste versorgte, hinausgeschmissen, da sie beim Frühstück geäußert habe, sie hätte noch nie in ihrem Leben eine Sünde begangen. „Mit einem solchen Menschen“, schrie er, „kann ich nicht unter einem Dach leben, der entweder ein Lügner oder ein Unmensch ist!“ Am nächsten Tag nahm er sie wieder auf.

Es war eine Freude, ihn mit seinem Freund, dem Berliner Arzt, Historiker und Schriftsteller, Dr. Friedrich Mainzer, sich fließend in klassischem Latein oder Altgriechisch unterhalten zu hören, nicht anders, als sprächen sie Moselländer Platt oder Schwäbisch.

So weit so gut. Ich möchte hier das Zitat aus dem Brief eines der besten Freunde Erxlebens an einen Historiker abbrechen. Was meinen Sie, wer der Historiker war, an den der Brief gerichtet war? Es war der im Bereich der deutschen Widerstandsforschung sehr bekannte holländische Historiker Ger van Roon. Und was meinen Sie, wer der Briefschreiber war, der Friedrich Erxleben als einen seiner besten Freunde bezeichnete? Das war Carl Zuckmayer. Carl Zuckmayer war ja einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller der letzten - sagen wir – 80 Jahre. 1896 in Nackenheim bei Mainz geboren hat er bis zu seinem Tod im Jahr 1977 in der Schweiz viele bekannte Theaterstücke, Romane, Drehbücher und Gedichte geschrieben. Erinnert sei nur an das Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ (1926), die Dramen „Schinderhannes“ (1927), „Katharina Knie“ (1929), „Der Hauptmann von Köpenick“ (1931), „Des Teufels General“ (1946) und „Der Gesang im Feuerofen“ (1950).

Ich hoffe sehr, ich habe Sie ein bisschen neugierig gemacht auf den in Koblenz geborenen Friedrich Erxleben, der bis zu seinem Tod mit dem Schriftsteller Carl Zuckmayer eng befreundet war und der sich mit einem anderen Freund fließend in klassischem Latein oder Altgriechisch unterhielt, nicht anders, als sprächen sie Moselländer Platt oder Schwäbisch.

Die Antwort Carl Zuckmayers, er kenne ziemlich wenig exakte Daten über Friedrich Erxleben, weil dieser eine gewisse romantische Mystifikation mit seinem Leben betrieben hat, klingt ja nicht sehr ermutigend. Was soll ich Ihnen angesichts dessen denn hier überhaupt erzählen? Nun, lassen wir uns nicht mutlos machen. Irgendetwas kriegt man doch immer noch heraus. Dafür gibt es Personal- und Verwaltungsakten sowie Nachlässe berühmter Personen, die in Archiven aufbewahrt werden. Damit kann man sich manche Informationen beschaffen. Das habe ich auch getan. So habe ich beispielsweise die Schülerakten Friedrich Erxlebens im heutigen Görres-Gymnasium einsehen, seine Priester-Personalakte und anderes mehr im Bistumsarchiv Trier, die Akten des Volksgerichtshofs in dem Hochverratsverfahren gegen „die berufslose Hanna Solf und andere“ im Bundesarchiv in Berlin, den Nachlass des ersten Bundespräsidenten Professor Theodor Heuss im Bundesarchiv hier in Koblenz und den Nachlass Carl Zuckmayers im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Dies alles ergab dann durchaus einiges an Daten und Fakten. Und aus diesen und aus den Beschreibungen Carl Zuckmayers, Theodor Heuss’, Lagi Gräfin Ballestrem und anderer möchte ich Ihnen einen Mix vorstellen, der einiges an Fakten nachliefert, aber doch hoffentlich noch soviel „Mystifikation“ und Aura dem Porträtierten lässt, dass man diesem ungewöhnlichen Menschen in etwa gerecht wird.

Beginnen wir mit dem Anfang. Friedrich Theodor Erxleben wird am 29. Januar 1883 in Koblenz geboren. Sein Vater ist der Kaufmann Guido Erxleben, geboren im Jahre 1859 in Wien. Seine Mutter ist ebenfalls Wienerin. Sie ist als Franziska Grohe im Jahre 1864 dort zur Welt gekommen. Insgesamt sind es sechs Geschwister.

Erxlebens Familie ist erst vor einigen Jahren aus der ehemaligen k. und k. Monarchie nach Koblenz gezogen. Sein Urgroßvater war der k. und k. Kommerzienrat Christian Polykarp Friedrich Erxleben aus Prag. Dieser war korrespondierendes Mitglied der k. und k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Böhmen und der k. und k. mährisch-schlesischen Ackerbaugesellschaft und hatte im Jahre 1818 ein Buch verfasst mit dem Titel: „Uiber Güter und Stärke des Bieres und die Mittel, diese Eigenschaft richtig zu würdigen“. Man sieht, das Schriftstellerische lag schon in der Familie, allerdings war das Thema des Urgroßvaters schon ein bisschen - sagen wir - eigenwillig, wenn man daran denkt, was ich Ihnen bisher von Friedrich Erxleben erzählt habe. Aber auf das Thema werden wir noch zurückkommen.

Will man der Rhein-Zeitung aus dem Jahre 1956 glauben, dann erhielt die Familie Erxleben erst im Jahre 1898, als sie schon lange in Koblenz wohnte, die preußische Staatsbürgerschaft. Damals betrieb Friedrich Erxlebens Vater die im damaligen Koblenz bekannte Speditions- und Schifffahrtsfirma „Guido Erxleben“.

Der Sohn Friedrich besucht vier Jahre lang die Volksschule von St. Castor und wechselt dann auf das Königliche Kaiserin Augusta-Gymnasium, heute: Görres-Gymnasium, in Koblenz. Währenddessen lässt sich Erxleben als Sänger und Violinvirtuose ausbilden. Im Jahre 1902 macht er in Koblenz sein Abitur. Seine schulischen Leistungen lassen dabei nicht erkennen, dass er einmal so ein ungewöhnlich befähigter Mann werden wird. Die Abiturarbeit im Fach Latein ist ebenso wie die im Fach Deutsch nur „Genügend“. Und die Arbeit im Fach Griechisch ist gar „nicht genügend“. Damit auch die Nachwelt nicht den Eindruck gewinnen kann, dass es sich hierbei um einen „Ausrutscher“ handelt, schreibt der korrigierende Lehrer noch ergänzend dazu: „Auch die Klassenarbeiten genügten nicht immer“. Es ist also ein weiter Weg von diesen Abiturarbeiten bis zu den Gesprächen in klassischem Latein und Altgriechisch. Man ist geneigt, an eigene schulische – sagen wir – Unzulänglichkeiten zu denken und wohlwollend in fließendem klassischen Latein festzustellen: „Non scholae, sed vitae discimus“ – Nicht für die Schule, sondern für’s Leben lernen wir. Überhaupt ist das Abiturzeugnis nicht so überragend. Fast alle Noten lauten auf „genügend“, Lichtblicke sind nur die Noten „gut“ in Singen und Religion. Aber wer meint, Erxleben habe deshalb oder wegen einer besonderen Neigung von Anfang an vor gehabt, Theologie zu studieren, täuscht sich. Im Abiturzeugnis steht, er habe die Absicht gehabt, Rechtswissenschaften zu studieren. – Wenn man das so hört, dann kann man schon die Mutmaßungen Carl Zuckmayers verstehen, dass das Priesteramt Erxlebens schon geheimnisvoll war und dass von einer unglücklichen Liebe erzählt wurde.

Wie dem auch sei, Friedrich Erxleben tritt unmittelbar nach seinem Abitur Ostern 1902 in das Priesterseminar in Trier ein. Im Jahre 1904 erkrankt er schwer, er hat Magenbluten und Darmgeschwüre. Dadurch bekommt sein Leben eine sehr markante Wendung. Auf Verlangen des Arztes muss er das Priesterseminar verlassen und sich einer längeren Kur in Karlsbad in Böhmen unterziehen. Hieran schließt sich ein Studiensemester der Theologie in Wien an. Nach weitgehender Wiederherstellung seiner Gesundheit wird er „Zögling“ des Collegium Germanicum Hungaricum in Rom. Dort hört er theologische und philosophische Vorlesungen. Nach drei Jahren, im Jahre 1907 erwirbt er den Doktorgrad in Philosophie und das Baccalaureat in Theologie. Dann erkrankt er aber wieder an dem alten Leiden und wird fünf Monate in einem Sanatorium gepflegt. Zur Rekonvaleszenz geht er noch ein Semester nach Innsbruck, wo er auch noch theologische Vorlesungen hört. Noch im selben Jahr kehrt Erxleben nach Trier zurück und empfängt am 8. August 1908 die Priesterweihe.

Als sei nichts gewesen, wird er schon im nächsten Monat Kaplan in Dillingen/Saar und alsbald Kaplan in Ehrang bei Trier. Da bricht sein altes Darmleiden wieder aus und zwingt ihn, eine leichtere Stelle anzunehmen. Deshalb wird er Rektor im St. Antoniushaus in Linz am Rhein und zugleich Religionslehrer und Beichtvater auf Nonnenwerth. Das St. Antoniushaus ist eine Geistesschwachen- und Irrenanstalt. Dort ist er Hausgeistlicher für etwa 300 Geisteskranke und geistig zurückgebliebene Kinder sowie für die 40 sie betreuenden Franziskanerbrüder. In Nonnenwerth bei Rolandseck wird Erxleben Religionslehrer an dem Mädchengymnasium und Beichtvater der Schülerinnen und der dort tätigen Nonnen.

All diese Verwendungen sind keine Dauerstellungen, wie sie Erxleben für sich vorstellt. Er möchte Gemeindepfarrer werden, findet aber keine Pfarrstelle.

So kommt es, dass er sich Anfang 1914 um den Übertritt in die Militärseelsorge bemüht. Der Pfarrer von Linz äußert sich befürwortend zu dem Gesuch und meint, er sei für die Militärseelsorge sehr geeignet, er sei ein guter Redner und charmanter Gesellschafter. – Na ja, ob das mit dem charmanten Gesellschafter so qualifizierend für die Militärseelsorge ist, weiß ich nicht. Jedenfalls wird Erxleben im Juli 1914 Divisionspfarrer in Metz in Lothringen. Kurze Zeit später, am 1. September 1914, kommt es ja zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Erxleben macht den Krieg im Westen an der Front mit und wird zweimal verwundet. Im Juli 1918 wird er nach Zentralrussland, nach Tiflis und dem Kaukasus, kommandiert. Mit dem Waffenstillstand im November 1918 wird er Oberpfarrer in Litauen, in den beiden Folgejahren übernimmt er die Seelsorge in Oberschlesien, zuletzt als Standortpfarrer in Schweidnitz. Im Juli 1920 versetzt man ihn – im Zuge des verlorenen Krieges wird die Deutsche Wehrmacht ja auf das 100.000 Mann-Heer reduziert – in den einstweiligen Ruhestand.

Wieder bemüht sich Erxleben in seiner Heimatdiözese Trier um eine Pfarrstelle - aber erfolglos. Es heißt, man habe ein Überangebot an Priestern und könne ihn deshalb nicht berücksichtigen. Daraufhin bewirbt er sich bei den Ursulinen als Geistlicher des St. Ursula-Klosters in Berlin und als Religionslehrer an einem Mädchen-Lyzeum. Im August 1920 tritt er die Stelle an, bemüht sich aber ungeachtet dessen weiter um eine Verwendung als Pfarrer in der Diözese Trier. Als das wiederum nicht gelingt, übernimmt er vertraglich – aber ohne Vergütung – die Seelsorge im Staatskrankenhaus der Schutzpolizei Berlin. Das Haus ist durchschnittlich mit 300 bis 600 Kranken belegt, davon sind etwa ein Zehntel Katholiken, die er betreut. Er liest morgens die hl. Messe, hält Predigten Ansprachen, nimmt die Beichte ab, macht Krankenbesuche; auch betreut er seelsorgerisch die dort arbeitenden zwölf Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth. Erxleben wohnt in einem ehemaligen Offizier-Invalidenhaus, das – wie er selbst formuliert – etwa ein tausend „Insassen“ zählt. Das Invaliden-Haus ist eine 1748 vom preußischen König Friedrich II. geschaffene Einrichtung zur Unterbringung und Versorgung von Kriegsinvaliden. Erxleben betreut – ebenfalls unentgeltlich – auch noch die katholische Kapelle in dem Invalidenhaus. Das bedeutet für ihn, dass er an jedem Sonn- und Feiertag zwei Priesterämter wahrzunehmen, zwei Gottesdienste zu feiern und zwei Predigten zu halten hat. Außerdem ist Erxleben Vorsitzender zweier Vereine, des Arbeiter-Jünglings-Vereins und des Beamten-Militär-Vereins.

Ganz selbstlos nimmt Erxleben diese Mühen nicht auf sich. Er ist inzwischen als Armeeoberpfarrer in den Wartestand versetzt worden und hofft durch dieses zusätzliche Engagement alsbald in der Militärseelsorge reaktiviert zu werden. Er bewirbt sich auf verschiedene Stellen in Dresden, München, Breslau, Königsberg, wird aber trotz Unterstützung durch das Reichswehrministerium nicht genommen, weil die jeweiligen Bischöfe ihre Pfarrer aus ihrer eigenen Diözese favorisieren.

In dieser Zeit bemüht sich Erxleben auch auf ganz anderem Gebiet um eine berufliche Veränderung. Nachweisbar ist er 1923/24 in Wien. Dort hält er – ohne dass das verifiziert werden kann – Vorlesungen. Weiterhin ist er Dozent an den Universitäten in Prag und Krakau, wie es heißt für vergleichende Religionswissenschaften, offenbar auch Professor für alte Sprachen am Jesuitenkolleg in Rom. Immerhin ist er später in Wien polizeilich gemeldet als „Universitätsprofessor i. R.“. Mehr lässt sich dazu nicht eruieren.

Jedenfalls ist Erxleben dann wieder in Berlin. Hier geht er seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Neigungen nach und pflegt Kontakte zu Künstlern, Politikern, Diplomaten und Militärs. So ist er befreundet mit Dr. Carl Sonnenschein, dem „Großstadtapostel“, mit dem Dichterpriester Ernst Thrasolt, dem französischen Dichter Anatole France, dem Diplomaten André Francois-Poncet, der von 1931 bis 1938 als Botschafter Frankreichs in Berlin akkreditiert ist, mit dem liberalen Reichstagsabgeordneten Theodor Heuss u.a. Er betätigt sich als Oratoriensänger, er hat offenbar eine sehr gute Stimme in der Tonlage Tenor. Auch spielt er Geige und greift ihr – wie er später sagt – gern und mit großem Können „an die Gurgel“. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit Musik, alten Sprachen und asiatischer, insbesondere indischer Kulturgeschichte.

Wohl Ende der 1920er Jahre stößt Friedrich Erxleben zu dem so genannten Solf-Kreis. Es steht zu vermuten, dass ihm gerade sein Faible für asiatische Kultur den Kontakt zu Dr. Wilhelm Solf und zu dem um ihn sich bildenden Solf-Kreis vermittelt. Bei Dr. Solf und der in seinem Haus stattfindenden Gesellschaft lernt Erxleben auch den Schriftsteller Carl Zuckmayer kennen. Dessen Komödie „Der fröhliche Weinberg“ ist gerade in aller Munde. Die Begegnung von Erxleben und Zuckmayer im Solf-Kreis ist der Beginn einer drei Jahrzehntelangen und sehr engen Freundschaft. In seinem autobiografischen Alterswerk „Als wär’s ein Stück von mir“ mit dem Untertitel „Horen der Freundschaft“ schreibt Carl Zuckmayer wiederholt über Friedrich Erxleben. Hieraus möchte ich Ihnen jetzt einige Passagen zitieren, und zwar gerade auch die, die sich mit dem Solf-Kreis und mit der Begegnung der beiden im Solf-Kreis beschäftigen. („Als wär’s ein Stück von mir“, S. 418 ff.):

Da gab es die Sonntagnachmittage im Hause Solf, des ehemaligen Gouverneurs der deutschen Südseekolonie Samoa, des letzten Kaiserlichen Außenministers vor Kriegsende, im Kabinett des Prinzen Max von Baden. Er war auch viele Jahre lang deutscher Botschafter in Japan gewesen und einer der größten Sammler und Kenner japanischer Kunst geworden. Wie das oft bei Menschen geht, die ihr Hauptinteresse einer fremden Kultur zugewandt haben, hatte sein an sich durchaus deutscher, graublonder Kopf etwas vom Wesen eines Sumurai oder einer von Hokusai gemalten Dichtergestalt angenommen: ein Zug um den Mund, wenn er lächelte, eine Neigung der hohen Stirn, ein Schimmer in seinen klugen, nachdenklichen Augen.

Er und seine Frau Hanna versammelten an diesen Sonntagen, zu denen wir manchmal geladen waren, um die Teezeit einen besonderen Kreis von in- und ausländischen Diplomaten, von Künstlern, Schriftstellern, Gelehrten in ihrer Wohnung, es waren Stunden voller Anregung, ohne irgendwelche lähmende Konversation – es war das, was man sich unter einem „Salon“ kultivierter Epochen vorstellt, wie es ihn im damaligen Berlin schon kaum mehr gab, vielleicht noch in Rom oder Paris – also ein Kreis, ein Cercle – keine „Gruppe“, keine Clique, kein Set. Es wurde da nicht „geplaudert“, sondern gesprochen, über Kunst, Literatur, Theater, auch über Politik; und je mehr sich das Gesicht der Zeit ins Bedrohliche und Extreme verzerrte, desto ernster wurden diese Gespräche, die doch immer durch ihre geistige Souveränität einen ermutigenden Charakter behielten.

Der alte Geheimrat Solf hat die Zeit der deutschen Schande nicht mehr oder nur noch sehr kurz erleben müssen, aber der Solf-Kreis blieb bestehen…

Dort, im Hause Solf, lernte ich den Dr. Ferdinand Mainzer kennen, einen bekannten Berliner Chirurgen, der – nachdem eine Handverletzung ihn berufsuntauglich gemacht hatte – sich ganz dem Studium der lateinischen und griechischen Literatur widmete: er war an der Entdeckung der „Atticus-Briefe“ des Cicero beteiligt – die die Zeit Cäsars, den Gipfel und die Wende der „Goldenen Latinität“, historisch und menschlich neu erschlossen haben -, und er hat, außer vielen Übersetzungen, ein Aufsehen erregendes Buch über „Clodia“, die „Freundin bedeutender Männer“, die vergötterte „Lesbia“ des Dichters Catull geschrieben, das ihm literarischen Ruhm einbrachte. Mich verbanden mit ihm, über das Literarische hinaus, zoologische Interessen, ich lernte bei ihm viel über Aquarienpflege und hatte meine Freude an seiner großen Volière, in der er alle einheimischen Singvögel in möglichst naturgemäßer Umgebung hielt und züchtete. Und es war eine Lust zuzuhören, auch wenn man’s nicht ganz verstand, wie er sich mit seinem besten Freund, dem katholischen Pfarrer Friedrich von Erxleben, in klassischem Latein oder Griechisch unterhielt, als sei das die tägliche Umgangssprache zwischen Spree und Havel.

Diesen Pfarrer Erxleben, dann unser lieber Freund „Petrus“ oder „Onkel Friedrich“ für die Kinder, traf ich gleichfalls bei einem jener Sonntagsnachmittage im Hause Solf. Er trug keine Soutane, auch nicht die kurze, sondern einen dunklen Rock und eine hochgeschlossene Weste, aber man hätte ihm den katholischen Priester auch im Hemd oder in der Badehose angesehen – nicht etwa durch eine zur Schau getragene Würde oder einen Zug von Askese und Entsagung (den spürte man erst heraus, wenn man ihn sehr gut kannte), sondern durch eine Art von immer lebendiger Gottesheiterkeit – ich weiß dafür kein anderes Wort. Sie strahlte aus seinen tiefblauen Augen, war um seinen redelustigen Mund und seine klare, ruhige Stirn, die rechts und links von silbrigweißem Haar gerahmt war – der Scheitel war frühzeitig kahl geworden. Er war damals wohl noch nicht fünfzig, aber er wirkte alters- und zeitlos: einerseits wie das Bildnis eines alten und weisen Erzabtes, andererseits wie ein Mann von jugendlichem Feuer. Ebenso doppelt, nicht gespalten, waren sein Temperament und seine Lebensart. Nie habe ich einen Menschen getroffen, in dem sich naive Frömmigkeit, echter, unbeirrbarer Kinderglaube, so sehr mit hoher Intelligenz und geistiger Aufgeschlossenheit verbanden, ohne dass man je einen Bruch oder Zwiespalt bei ihm empfand. Er stammte aus Koblenz, seine Sprache hatte den singenden, moselländischen Tonfall; in seiner Jugend war er Opernsänger gewesen, und er hatte als „Tristan“ auf der Bühne gestanden. Was ihn dann dazu bewogen hatte, der Kunst und der Musik zu entsagen, die seine höchste Passion waren, und die Weihen zu nehmen, war sein persönliches Geheimnis.

An diesem Nachmittag bei Solf kam er mit einem vollen Römer auf mich zu und sagte: „Also Sie haben den ‚Fröhlichen Weinberg’ geschrieben, gegen den hat man gepredigt. Aber ich behaupte“ – und dabei fiel er in seine Mundart – „soviel Lebensfreude, dat is ’n Daseinsbeweis Gottes! Dat is’n frommes Stück!“ – So etwas hatte mir noch kein Theologe gesagt.

Früher hatte er in Rom gelebt, als Professor für alte Sprachen im Jesuitenkolleg, jetzt bewohnte er ein einstöckiges Häuschen im Norden Berlins, in einer friederizianischen Siedlung, die einst für altgediente Offiziere des Preußenkönigs gebaut worden war und in der es eine kleine katholische Kirche gab. Er versah keine Pfarrgemeinde, sondern er lebte dort als Privatgelehrter und amtierte als Seelsorger für die katholischen Angehörigen der Berliner Schutzpolizei. Dieses Amt brachte ihn später in schwere Konflikte, in denen er sich mit großer Tapferkeit bewährte; denn er hatte, nach 1933, in der ersten Zeit der Nazi-Tyrannei, Zutritt zu den Polizeispitälern und Lazaretten, in denen man die von der damals als „Hilfspolizei“ eingestellten SA zusammengeschlagenen und grauenvoll zugerichteten Opfer verwahrte. Das waren meistens Leute, die man ohne Gerichtsverfahren oder legalen Haftbefehl nachts aus ihren Betten geholt hatte. Viele hat er in dem Zustand gesehen, in dem sie nach „Vernehmungen“ eingeliefert wurden, vielen von ihnen hat er bei ihrem qualvollen Sterben beigestanden, viele Polizisten der alten, anständigen Beamtenschaft haben ihm ihr Herz ausgeschüttet.

Damit greift Carl Zuckmayer den Zeitläuften weit voraus. In der Tat ist davon auszugehen, dass Erxleben als Seelsorger der Berliner Schutzpolizei seit der so genannten Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933, dem Reichstagsbrand in der Nacht des 27. auf den 28. Februar 1933 und der anschließenden Verfolgung der Kommunisten, dann aber auch der Gewerkschafter und Sozialdemokraten sowie anderer den neuen Machthabern missliebiger Menschen viel von der Willkür und dem Terror der Polizei, vor allem aber den Hilfspolizisten von SA, SS und „Stahlhelm“ mitbekommen hat. Schon früh gibt es in Berlin so genannte wilde Konzentrationslager der SA, das bekannteste ist das im Columbia-Bau.

Carl Zuckmayer hält es nicht mehr in Deutschland, obwohl er – in Nackenheim in Rheinhessen geboren – eigentlich sehr bodenständig ist, auch sehr bodenständige und traditionelle Werke schreibt und in Deutschland viele Erfolge gefeiert hat. Das hat seinen Grund darin, dass er schon recht früh öffentlich gegen die Nazis Stellung nimmt - und außerdem Jude ist. Bereits 1933 übersiedelt er nach Österreich, nach Henndorf bei Salzburg, dort hat seine Familie schon vor Jahren ein Haus erworben. Aus dieser Zeit berichtet Carl Zuckmayer in seiner Autobiografie „Als wär’s ein Stück von mir“ über sein „Wurzelschlagen“ in Henndorf und eine Fahnenweihe dort wie folgt – es soll hier ein Schlaglicht sein, das auf die Zeit um 1933 und das Verhältnis zwischen ihm und Erxleben wirft („Als wär’s ein Stück von mir“, S. 32 ff.):

Da war mein väterlicher Freund Friedrich von Erxleben, genannt Petrus, katholischer Prälat, der aus Deutschland herübergekommen war, um die Feldmesse zu lesen, mit seinem flammenden weißen Haar, seinen lodernden Augen und seinem von Erden- und Himmelsliebe strahlenden schönen Gesicht....

Die Messe fand auf einer baumumhegten Wiese unter freiem Himmel statt, mein Freund Petrus sang den lateinischen Text mit seinem italienischen Akzent, den er sich bei den Jesuiten in Rom angewöhnt hatte….

(Die neue Fahne) sollte von nun an bei allen, ernsten und frohen, Festen in der Mitte des Volkes getragen und geschwenkt werden, sie sollte die Menschen froh machen mit ihrem hellen Tuch und ihnen das einfache und starke Gefühl des Zusammengehörens, das Bewusstsein gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Hilfe verleihen. Sie sollte sie daran erinnern, dass sie nicht nur eigensüchtige und kleine Menschen seien, sondern dass über ihnen ein Himmel und unter ihnen die harte Erde der Bauern allen gemeinsam ist, so dass jeder für den andren zu stehen habe, weil auf dieser Welt jeder den andren braucht. So ungefähr sagte es mein Freund Petrus in seiner Ansprache, die am Schluss immer rascher wurde, denn er hatte seit Mitternacht nüchtern bleiben müssen, und es wurde schon bald wieder Mittag.

In Deutschland gibt es diese Freiheit, dieses Vertrauen und die gegenseitige Hilfe schon seit einiger Zeit nicht mehr. Zudem dürfte die Situation in Berlin, zumal in der Invalidensiedlung ehemaliger Soldaten des Ersten Weltkrieges und bei der Berliner Schutzpolizei, noch unerträglicher gewesen sein als in anderen Teilen des Reiches, etwa hier im katholischen Rheinland. Von daher ist es nur nachvollziehbar, dass sich Friedrich Erxleben schon ab September 1933 erneut und wiederholt um eine Verwendung in seiner Heimat-Diözese Trier bemüht. So bewirbt er sich auf Pfarrstellen in Oberbreisig, Ehrenbreitstein, Niederfell, Hatzenport. Zur Bewerbung auf die Pfarrstelle in Hatzenport schreibt Friedrich Erxleben im August 1935 an das Generalvikariat in Trier u.a.:

Ich wohne seit 14 Jahren im Invalidenhaus des Alten Fritz – mit fünf Familien auf einem Gang – mit gemeinsamer Toilette – unter 1420 Insassen. Die augenblickliche Gemütsstimmung der meisten Insassen ist weniger gegen mich als gegen die Stellung als katholischer Priester gereizt, so dass mir von maßgebender und wohlwollender Seite geraten wurde, die ehrenamtliche Seelsorge und Gottesdienste im Hause weiter auszuüben, aber eine versteckter liegende Wohnung zu beziehen (…) Ich fürchte, dass auch diese Maßnahme nicht genügt. Deshalb meine Bewerbung in Niederfell.

Meine alte Mutter, der die Ärzte trotz des Schlaganfalls noch einige Jahre geben, möchte zu mir ziehen. Sie ist jetzt zur Erholung in Arenberg bei meiner Schwester Margarete. Meine alte Kriegswunde, ein Mastdarm-Schuss, macht mir immer noch Beschwerden, deshalb meine Bewerbung um eine Stelle ohne Filiale. Meine gute Mutter und meine Schwester (ehemals Frau Bender) lassen ehrerbietigst grüßen.

Ermutigt durch den gütigen Empfang im März ( …), habe ich diese Erklärungen zu schreiben mir erlaubt. Wenn notwendig, kann ich vom Polizeipräsidenten bescheinigen lassen, dass ich seit 15 Jahren auch im Staatskrankenhaus die ganze Seelsorge ehrenamtlich ausübe.

Einen Monat später schickt Erxleben einen Brief hinterher:

(möchte ich) noch mitteilen, dass die Stimmung hier im Invalidenhaus – wo 1200 Insassen wohnen – zum großen Teil derartig gereizt ist gegen alles Katholische, dass ich fast täglich Drohungen ausgesetzt bin. Die amtlichen Stellen und Behörden dagegen sind mir gegenüber korrekt. Ich wäre Euer Hochwürden unendlich dankbar, wenn ich baldigst aus dieser zermürbenden und aufregenden age im Haus, auf den Gängen und in der Wohnung herauskäme und meine Bewerbung für Niederfell Berücksichtigung finden könnte.

Aber weder dieses Schreiben vom 23. September 1935 noch der früherer Brief noch die anderen Bewerbungen auf Pfarrstellen in der Diözese Trier haben Erfolg. – Ich habe gelernt, dass ein Historiker nicht fragt, was wäre gewesen, wenn … Nun bin ich kein Historiker, und Sie sind es wohl auch nicht. Deshalb kann man hier durchaus fragen, was wäre gewesen, wenn Friedrich Erxleben Mitte der 1930er Jahre eine kleine Pfarrstelle in Ehrenbreitstein, Niederfell oder Hatzenport bekommen hätte?

Er hat sie nun nicht bekommen. Und deshalb geht das Leben in Berlin so weiter, wie wir es schon ansatzweise mitbekommen haben. Natürlich ohne Carl Zuckmayer, der nach Österreich übersiedelt ist, 1938 in die Schweiz emigriert ist und 1939 – nach seiner Ausbürgerung als deutscher Staatsbürger – weiter in die USA emigriert. Das gesellschaftliche Leben in Berlin geht auch weiter ohne Wilhelm Solf. Er stirbt im Jahre 1936. Seine Witwe Hanna bildet die neue Mitte dieses Kreises und setzt damit die Arbeit ihres Mannes fort.

Mitglieder dieses Solf-Kreises haben Kontakt zu Persönlichkeiten des Widerstandes. So haben Hanna Solf und der Legationsrat a.D. Dr. Richard Kuenzer beispielsweise näheren Kontakt zu General vom Hammerstein. Erxleben ist es, der Oberst Wilhelm Staehle in den Solf-Kreis einführt. Staehle wird 1937 Kommandant der Invalideneinrichtung, die inzwischen das ursprüngliche Haus verlassen hat und zu einer richtig gehenden Siedlung am Stadtrand von Berlin geworden ist. Dorthin ist auch Erxleben umgezogen und hat sich mit Staehle angefreundet. Diesen versorgt Erxleben auch mit Nachrichten des Londoner Rundfunks, die Erxleben trotz Verbots regelmäßig hört.

Wichtig für den Solf-Kreis wird dann die einzige Tochter der Solfs, die auf Samoa geborene Tochter Lagi. 1938 kehrt sie nach einer gescheiterten Ehe aus Shanghai nach Berlin zurück. In der damals internationalen Zone von Shanghai hat sie vielen Juden, für die Shanghai damals ein Schlupfloch war, vielfältige Hilfe geleistet. Lagi, die alsbald den aus altem schlesischen Adel stammenden Grafen von Ballestrem heiratet, sieht ihre Hauptaufgabe in Berlin darin, den immer stärker verfolgten Juden zu helfen. So bringt sie im Frühjahr 1939 beispielsweise den schon erwähnten Mediziner und Schriftsteller Dr. Ferdinand Mainzer und dessen Frau nach England in Sicherheit. Am gefährlichsten ist es, wenn Lagi und ihre Mutter untergetauchten Juden in ihrer Wohnung Unterschlupf gewähren. Dank ihrer guten Kontakte zu Diplomaten in Berlin besorgen sie bei den Vertretungen ausländischer Staaten Visa. Sie beschaffen Juden auch falsche deutsche Pässe und suchen und finden Mittel und Wege, um Juden über die „grüne Grenze“ ins Ausland zu bringen.

Ganz gefährlich wird es für die beiden Frauen, als zwei Ehepaare, denen sie den Weg in die Schweiz gewiesen haben, dennoch verhaftet werden und die Namen der beiden Frauen preisgeben. Von da erwarten die beiden fast täglich die Gestapo. Doch nicht dies, sondern ein anderer Umstand ist Anlass für die Verhaftung Hanna Solfs und dann auch von Mitgliedern des Solf-Kreises und auch Friedrich Erxlebens.

Auslöser ist die Feier des 50. Geburtstages, den Elisabeth von Thadden für ihre jüngere Schwester ausrichtet. Elisabeth von Thadden stammt aus pommerschem Adel, war Leiterin eines Evangelischen Landeserziehungsheims, gehört zur Bekennenden Kirche und arbeitet im Präsidium des Deutschen Roten Kreuzes.

Zu dieser Familienfeier sind auch Hanna Solf und Lagi Gräfin Ballestrem eingeladen. Während ihre Tochter Lagi verhindert ist, geht Frau Solf zur Geburtstagsfeier. Im kleinen Kreis spricht man auch über Politik. Wenige Tage zuvor ist Italien aus der Allianz mit Deutschland ausgeschert und der italienische Marschall Badoglio hat den Waffenstillstand mit den Amerikanern bekannt gegeben. Die Gesellschaft ist sich in der Einschätzung einig, dass der Krieg für Deutschland bereits eine verlorene Sache sei“. Hanna Solf oder ein anderer Teilnehmer meint, dass die jetzige deutsche Staatsführung „an die Wand gestellt“ werden müsse. Man spricht über die Neuordnung Deutschlands nach Hitler, über die „neuen Männer“, über Goerdeler und Beck. Gast ist auch ein junger Arzt namens Dr. Paul Reckzeh. Er kommt gerade aus der Schweiz. Auch mit ihm kommt man ins Gespräch und Frau Solf, die gerade einige Briefe an Freunde in der Schweiz dabei hat, bittet ihn, diese nach dorthin mitzunehmen.

Reckzeh ist ein Spitzel der Gestapo. Über diese Geburtstagsfeier fertigt er einen Bericht an. Auch will er weitere Informationen über die Teilnehmer der Geburtstagsfeier und über andere Personen sammeln. Doch diese werden gewarnt. Als die Gestapo merkt, dass sie keine weiteren Erkenntnisse gewinnen kann, befiehlt Himmler unter dem Decknamen „Komplex Barock“ die Festnahme der Teilnehmer der Geburtstagsfeier und von Kontaktpersonen. Am 12. Januar 1944 beginnen die Verhaftungen. An diesem Tag werden Hanna Solf und ihre Tochter Lagi in Garmisch-Partenkirchen verhaftet, Elisabeth von Thadden am folgenden Tag in Paris. Frau Solf kommt ins KZ Sachsenhausen, später ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Dort sind auch andere Frauen der Gesellschaft, u.a. auch Lagi Gräfin von Ballestrem.

Die festgenommenen Männer werden übel misshandelt. Bei diesen Verhören fallen dann auch andere Namen, damit kommen weitere Mitglieder des Solf-Kreises und der Solf-Kreis als solcher ins Blickfeld der Gestapo. Am 17. Mai 1944 wird auch Friedrich Erxleben verhaftet.

Zwei Wochen später macht man den früher Verhafteten, den Teilnehmern der Geburtstagsfeier im September 1943, den Prozess. Angeklagte sind Elisabeth von Thadden und fünf weitere Personen, u.a. der ehemalige Gesandte Dr. Otto Kiep und Hanna Solf. Sie werden beschuldigt, „durch Wehrkraftzersetzung und durch Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens die Kriegsfeinde des Großdeutschen Reiches begünstigt“ zu haben, den Mitangeklagten wird Unterlassen der Anzeige „dieses“ Verbrechens zur Last gelegt.

Die Verhandlung findet am 1. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz seines Präsidenten Roland Freisler, dem „Blutrichter“ und „Mörder in der roten Robe“, statt. Kiep und Thadden werden zum Tode und hingerichtet.

Gegen Hanna Solf ergeht kein Urteil. Das Verfahren gegen sie wird abgetrennt. Man hofft, gegen sie noch weiteres Material und Informationen zu finden und durch sie noch weiterer Mitglieder des Solf-Kreises habhaft zu werden. Immerhin hat man ja bereits Erxleben und auch Staehle festnehmen können.

Inzwischen hat am 20. Juli 1944 das missglückte Attentat von Klaus Schenk Graf von Stauffenberg stattgefunden. Sie können sich vorstellen, dass dieses Ereignis und die brutale Verfolgung der dabei beteiligten Mitverschwörer für andere Widerständler die Lage noch weiter verschärft. So ist es auch für Friedrich Erxleben. Er muss einen Leidensweg durchlaufen, der ihn zunächst in das Konzentrationslager Ravensbrück führt. Dort ist er wochenlang in einem Käfig eingesperrt; er kann weder sitzen, liegen noch stehen. Frau Solf, die ebenfalls im KZ Ravensbrück inhaftiert war, erzählt später, dass er jeden Morgen beim „Wecken“ mit lauter Stimme, die durch einen großen Teil des Lagers gehört wird, das „Gloria“ singt. Dafür erhält er täglich die brutalsten Prügeleien und Quälereien, trotzt ihnen aber immer wieder und singt auch am nächsten Morgen sein „Gloria“. Alsbald wird er in das Konzentrationslager Sachsenhausen verlegt. Im Oktober 1944 kommt er in die Gestapo-Abteilung des Gefängnisses Lehrter Straße in Berlin-Moabit.

Am 15. November 1944 erhebt der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof gegen Hanna Solf und fünf weitere Mitglieder des so genannten Solf-Kreises. Angeklagt sind außer Hanna Solf der Legationsrat a. D. Dr. Richard Kuenzer, Graf Albrecht von Bernstorff, der Armeepfarrer a.D. und Professor der Philosophie Friedrich Erxleben, Gräfin Lagi Ballestrem und der Schriftsteller und Historiker Dr. Maximilian von Hagen. Anklagepunkte sind Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat vor. Speziell Erxleben wirft man vor, Nachrichten des Londoner Rundfunks abgehört und weitergegeben zu haben, „die treibende Kraft bei den defätistischen Unterhaltungen im Hause Solf“ gewesen zu sein und „über die Behandlung der Juden und über Maßnahmen der nationalsozialistischen Staatsführung auf kirchenpolitischem Gebiet (geschimpft zu haben)“.

Die Hauptverhandlung vor dem Volksgerichtshof wird angesetzt auf den 13. Dezember 1944 vor dem 1. Senat, dann verlegt auf den 19. Januar 1945 vor dem 2. Senat und schließlich auf den 8. Februar 1945 wiederum vor dem 1. Senat. Der Grund für diese Terminsverschiebungen ist nicht klar, die vollständigen Gerichtsakten sind nicht mehr vorhanden und deshalb kann dies nicht aufgeklärt werden. Erxleben hat später angegeben, seine Familie und andere hätten erhebliche Geldzahlungen geleistet, um – in der Hoffnung auf einen baldigen Sieg der Alliierten – den Termin immer wieder heraus zu schieben.

Jedenfalls findet die Hauptverhandlung am 8. Februar 1945 nicht statt. Am 3. Februar – fünf Tage vorher – fliegen die Alliierten Luftangriffe auf Berlin. Daraufhin wird die Hauptverhandlung vor dem 1. Senat des Volksgerichtshofs unter dem Vorsitz Freislers gegen Fabian von Schlabbrendorff unterbrochen. Diese Unterbrechung nutzt Freisler, um sich noch Akten für weitere Verhandlungen aus seinem Büro zu besorgen. Auf dem Weg in den Keller wird er von einem herabstürzenden Balken tödlich getroffen. Bei diesem Luftangriff werden auch die Akten des Verfahrens gegen Hanna Solf und andere vernichtet. Damit platzt auch der Termin am 8. Februar 1945.

Im Gefängnis ist Erxleben mehrere Wochen lang – selbst bei Fliegerangriffen – gefesselt. Aber auch dadurch lässt er sich nicht klein kriegen. Ein Mithäftling, der zum „Kreisauer Kreis“ gehörende Hans Lukaschek, weiß später zu berichten, dass Erxleben zur Freude und zum Trost seiner Haftkameraden immer wieder morgens und abends mit lauter, wohltönender Stimme gesungen habe. Die Melodien hätten im Volkston begonnen und seien dann über Schlager zu Marienliedern übergegangen. Bald habe er den Spitznamen „Kanarienvogel“ gehabt.

In der Zwischenzeit werden die Akten des Strafverfahrens rekonstruiert und am 16. April ergeht die Ladung zur Hauptverhandlung am 27. April 1945. Nun sollte wieder der 2. Senat des Volksgerichtshofs verhandeln, der wegen der Zerstörung des Gerichtsgebäudes nach Potsdam ausgewichen ist. In diesen Tagen stehen die sowjetischen Truppen unmittelbar vor Berlin. Das Wachpersonal beginnt sich abzusetzen. In dieser Situation droht den Gefangenen noch einmal höchste Gefahr von der SS. So ermorden SS-Leute in der Nacht vom 22. auf den 23. April im Gefängnis Lehrter Straße eine größere Anzahl von Häftlingen, darunter Dietrich Bonhoeffer und die beiden Mitglieder des Solf-Kreises, den zusammen mit Erxleben angeklagten Albrecht Graf Bernstorff und Oberst Wilhelm Staehle. Am 25. April – unter Artilleriebeschuss – kommen Erxleben und 45 andere Häftlinge mit einer „vorläufigen Entlassungsbescheinigung“ frei. Der Verhandlungstermin am 27. April 1945 findet nicht mehr statt. Berlin ist frei.

Auch Friedrich Erxleben ist frei. Inzwischen ist er 62 Jahre alt und hat viel mit gemacht. Er ist physisch und psychisch sehr stark mitgenommen. Vor allem hat seine Gesundheit durch die Haft und die Folter stark gelitten. Im Hedwigs-Krankenhaus in Berlin muss er sich drei oder vier Operationen unterziehen, die aber erfolgreicher sind als ursprünglich gedacht.

Im Herbst 1945 kehrt Erxleben nach Koblenz zurück. Er nimmt Wohnung bei seinem Bruder Augustinus. Dieser hat die kaufmännischen Neigungen und Fähigkeiten seiner Vorfahren geerbt. Nach dem Tod des Vaters hat er zunächst die väterliche Firma weiter geführt. Seit Mitte der 1930er Jahre ist er auch Vorstand der Kloster-Brauerei AG in Koblenz-Metternich mit Sitz in der Trierer Straße. Die Brauerei bringt er nach dem Zweiten Weltkrieg zu neuer Blüte und ist in verschiedenen Unternehmensverbänden tätig.

Hier in Metternich erholt sich Friedrich Erxleben von den Qualen und Strapazen der Haft und den Operationen und bittet im Jahre 1946 erneut um die Betrauung mit einer – unter Berücksichtigung seines Alters und Gesundheitszustandes - kleinen Pfarrei. Im Juni 1946 ist es dann so weit, er wird Pfarrer im Moselort Müden. Lassen wir noch einmal Erxlebens Freund, Carl Zuckmayer, zu Wort kommen („Als wär’s ein Stück von mir“, S. 418 ff.):

Er (Erxleben) überlebte die Lagerzeit, aber er war dann ein schwerkranker, körperlich gebrochener Mann. In seiner seelischen Haltung, in seinem Glauben, in seiner Welt- und Menschenliebe, in seiner Gottesheiterheit blieb er ungebrochen bis zu seinem Tod, ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch von 1945. Eine Zeitlang verwaltete er noch eine kleine Pfarrei in einem Moseldörfchen, ich besuchte ihn dort manchmal gemeinsam mit dem Bundespräsidenten Theodor Heuss, mit dem ihn eine warme Freundschaft verband.

Friedrich Erxleben nimmt weiterhin regen Anteil an dem schriftstellerischen Wirken seines Freundes Carl Zuckmayer. In einem Brief vom 16. November ohne Jahresangabe – es dürfte sich um das Jahr 1950 handeln – schreibt er aus „Modena“ (nicht in Oberitalien gelegen, sondern aus Müden an der Mosel, wobei er ein Wortspiel benutzt) an seinen lieben Charlemagne (= das ist Carl Zuckmayer) und geht dabei auf dessen Drama „Der Gesang im Feuerofen“ ein, das im Jahr 1950 in Göttingen uraufgeführt wird. In Müden erzählt man sich dazu folgende Geschichte:

Es war im Herbst 1949. Professor Theodor Heuss war kurz zuvor zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Pfarrer von Müden war zur damaligen Zeit Professor Dr. Friedrich Erxleben Beide Professoren, den ersten Mann der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, und den Ortspfarrer von Müden, Dr. Friedrich Erxleben, verband eine lange und enge persönliche Freundschaft aus gemeinsam verbrachten Tagen in Berlin. Was lag also näher, als dass der neue Bundespräsident bei seinen ersten Rundreisen in den deutschen Landen auch seinem Freund Friedrich Erxleben in Müden einen Besuch abzustatten gedachte.

Der hohe Besucher kam also per Dienstwagen die so genannte Provinzialstraße von Koblenz bis zur Lützbach auf der rechten Moselseite hoch – die jetzige Bundesstraße 416 auf der linken Moseluferseite gab es noch nicht -, um sich mit der Wagenfähre über die Mosel nach Müden übersetzen zu lassen.

Fährmann Anton Müller, von allen „Dunn“ genannt, war ein Original seiner Zeit, der bei seiner harten Arbeit von morgens früh bis abends spät, dem Wind und Wetter ausgesetzt, nicht nur ein robuster Mann in seinem schweren Beruf war; auch die Sprache dieses allseits geschätzten Fährmanns war seiner schweren Arbeit angepasst und konnte zuweilen ziemlich derb sein.

So staunte Fährmann „Dunn“ nicht wenig, als in seine Ponte ein vornehmer schwarzer Mercedes-Wagen einfuhr, der vorne den Stander mit den bundesdeutschen Farben Schwarz-Rot-Gold trug. Der Wagen und seine beiden Insassen waren etwas ungewöhnlich für unseren Fährmann „Dunn“ und lösten bei ihm Staunen und dann wohl auch ein Gefühl des Vorwitzes aus. Er ging zwei-, dreimal, misstrauisch den Kopf schüttelnd, um den auffallend vornehmen Wagen herum und fragte schließlich den Fahrer des Wagens, als dieser ausgestiegen war, indem er auf den im Fond des Wagens sitzenden vornehmen Herrn mit dem Daumen so ganz lässig rückwärts zeigte: „Wat host dou dann loh fier en Vuhl dren?“ (Was hast du denn da für einen Vogel drin?) Der Fahrer wollte wohl weiteren Fragen zuvorkommen und sagte schnell: „Das ist unser Bundespräsident Heuss.“ Darauf die Antwort von unserem „Dunn“: „Leck mich am A....; su e huh Dear honn ech ze Läwe net ieweri foahr.“ (..,; so ein so hohes Tier hab’ ich in meinem Leben noch nicht übergesetzt.).

Wer diese Begebenheit wohl erzählt haben mag? Niemand anders als Bundespräsident Heuss selbst, als er bei seinem Freund, dem Pfarrer Friedrich Erxleben im Müdener Pfarrhaus saß. Der Verfasser hat diese Episode selbst aus dem Mundes des Bundespräsidenten gehört, als er nach einem zu Ehren von Theodor Heuss durchgeführten Fackelzug des Junggesellenvereins im Pfarrhaus mit in gemütlicher Runde saß. Der Bundespräsident hatte sehr wohl das Müdener Platt des Fährmanns verstanden und sich köstlich darüber amüsiert. Er konnte die Sätze des Fährmanns fast wortgetreu in Müdener Platt wiedergeben.

Erxleben fällt es immer schwerer, sein Priesteramt zu versehen. In einem Brief vom 31. März ohne Jahresangabe - es müsste 1949 sein - schreibt er an Carl Zuckmayer und seine Frau in den USA, dass er viel krank sei und nur noch mühselig unter Schmerzen gehen könne; vor allem die Knie schmerzten sehr – als Folge der Folterungen im KZ. Er fährt dann fort:

Trotzdem habe ich alle meine Pfarrpflichten erfüllt. Da der Nachbarort Karden verwaist ist, muss ich oft dorthin, amtieren oder zu Kranken und da ich nicht gehen kann, habe ich mir in meinem Alter noch ein Motorrad gekauft. Das Biest hat vier Gänge, Leerlauf, 1. Gang, 2. Gang, 3. Gang. 100 Kinder laufen mir nach und die Kleinsten schellen am Pfarrhaus und sagen: „Onkel Pastor, loß mich emol die Motorrad gucke.“ Die nächsten Wochen habe ich über 1000 Osterbeichten und täglich 1. Kommunion-Unterricht außerhalb all den anderen Diensten…

(Bitte gib mir) Deine eigene Adresse, dass ich Dir meine Todesnachricht schicken kann. Ich leide unter der Vorahnung und Zwangsvorstellung, dass ich bald sterbe… Ich werde diesen Sommer nicht verreisen, weil ich kein Geld habe. Mein Balkon und Fahrten in den Cochemer Krampen müssen genügen…

Der 1948er ist wunderbar.

Mitte 1951 geht es gar nicht mehr. Er bittet um seine baldige Versetzung in den Ruhestand und schreibt zur Begründung: „Seit Monaten nehmen meine Leiden überhand und seit sieben Wochen muss ich mich durch die Engelporter Patres vertreten lassen. Die Folgen der Folterungen im KZ und die dadurch notwendig gewordenen vier Operationen wirken sich jetzt erst aus.“

Umgehend, zum 1. November 1951, wird Erxleben emeritiert. Er zieht wieder nach Koblenz, in das Haus seines Bruders Augustinus. Richtig wohl fühlt er sich aber in der Klosterbrauerei in der Trierer Straße nicht. In einem Brief vom 12. Januar 1953 schreibt er an Carl Zuckmayer u.a.:

Weihnachten bin ich dem sentimental-verlogenen Festrummel (…) entflohen. Habe in Müden unerwartet die Christ-Mitternachts-Mette gehalten und als ich mit 24 Ministranten an den Altar schritt – das gloria in excelsis Deo anstimmte – ging ein elektrischer Funke durch die Kirche… Und dann hat der Chor losgepulvert als wären alle Carusose! Dann habe ich alle Dauerkranken besucht und jedem das ihm Gemäße mitgebracht. So einer alten 83jährigen Jungfer – die immer Gier hat auf gekochten Schinken – den es in Müden nicht gibt – ¾ Pfund von dieser Speise – vom 1. Fleischhacker in Koblenz. Die Medizinmänner hatten mich vorher tüchtig gespritzt und mit Tabletten versehen. Es ist immer ein Wagnis, das Castell hier zu verlassen. Pascal sagt: „Christ sein heißt leiden.“ Das ist falsch. Ich würde sagen: „Christ sein heißt sich freuen.“ Ich lebe viel in der Vergangenheit. – und darin spielt Ihr eine große Rolle…. Wie gern würde ich meinen 70. Geburtstag mit Euch feiern. Gott schütze Dich und segne Euch alle. Ich bete für Euch.

Das Weihnachtsfest ist für Friedrich Erxleben immer ein ganz besonderes Ereignis. Über Weihnachten 1953 schreibt er Carl Zuckmayer im Januar 1954:

Am Heiligen Abend habe ich mein Zimmer auf Glanz hergerichtet – den zwei Meter großen Altar aufgebaut, die priesterlichen Gewänder parat gelegt – im Vorraum zwischen zwei Lorbeerbäumen meine Krippe aufgebaut – acht Adventslieder gesungen – das d-Dur Violinkonzert von Beethoven (das ich vor 40 Jahren makellos auswendig spielte) aus Frankfurt gehört – und um Mitternacht als alle Glocken der Stadt läuteten – zog ich die Priestergewänder an – und begann mit dem hl. Opfer. Die große Villa war leer. Nur Seppel (Erxlebens Hund, Erg. von mir) und ich im Hause. Er war mein Ministrant. Aber schon bei der Epistel überfielen mich die Schwächeschmerzen und ich musste abbrechen, zog mich still aus und räumte den Altar weg – setzte mich in den Sessel – und um 2 Uhr kochte ich mir Mokka und aß Christstollen – da ich lange gefastet hatte und mich hungerte. Trotzdem war ich froh gestimmt und in innerer Harmonie und dachte in Liebe und Dankbarkeit an Euch.

Das Jahr 1954 ist für Friedrich Erxleben von ganz besonderer Bedeutung. In diesem Jahr wird sein langjähriger Freund, der Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss, 70 Jahre alt. Daraus ergeben sich manche Kontakte. So schreibt Erxleben in der Festschrift für Theodor Heuss zum 70. Geburtstag einen kleinen Aufsatz. Die Festschrift hat den Titel „Begegnungen mit Theodor Heuss. Gruß der Freunde zum siebzigsten Geburtstag am 31. Januar 1954“. Bemerkenswert ist dieser kleine Aufsatz von Erxleben auch deshalb, weil es die einzige bekannte Veröffentlichung von ihm ist. Sie beginnt mit den Zeilen:

Ave Caesar, moriturus te saluto. – Dieses Participium futurum in dem römischen Gruß, in der Quinta gelernt, kann ich heute zum ersten Mal in meinem Leben passend, also mit innerer Berechtigung anwenden. Wir waren alle, die wir in dem gastfreien Hause Mainzer so oft zusammen kamen, mit der Milch der römischen Wölfin gesäugt, also gute Lateiner.

Im Folgenden erzählt Erxleben sehr eloquent und blumig, wie sich er und Heuss sowie dessen Frau Elly Heuss-Knapp im Hause des schon wiederholt erwähnten Arztes und Schrift-stellers Dr. Ferdinand Mainzer (genannt Don Ferdinando) in der Winterfeldtstraße in Berlin-Schönberg kennen und schätzen gelernt haben – bis dieser dann – weil er Jude war – im Frühjahr 1939 mit Hilfe von Lagi Gräfin von Ballestrem mit seiner Frau nach London fliehen konnte. Erxleben schließt dann die Erinnerungen:

Alles in allem genommen: welche reine, anständige Atmosphäre, welche naive Anstrengung um Guten hin! – welch Vornehmheit der Gesinnung, welche Auslese in unserem Kreis, welche erstaunliche Seelenkraft und welche Anmut des Geistes. Wie viel Gutes ist immer wieder aus diesem Kreis hervorgegangen. Ich denke da vorzüglich an die Glaubenskraft und Seelenstärke Ihrer Frau in den Jahren der Gefahr und der Not und des Mangels. Und welche Opferbereitschaft!

Nun soll ich Ihnen auch noch Glück wünschen zum 14. lustrum! Ja – was soll ich da wünschen? Zunächst gratuliere ich Ihnen, dann dem deutschen Volk und dann mir (zu einem so guten Freund). Um mich nicht festzulegen, sage ich nur: Möge, Möge, Möge!!! – Diese drei „Möge“ mögen Sie sich – weise und praktisch – ad majoren Die et Germaniae gloriam – ausfüllen, und ER möge seine Erfüllung dazu geben. Wir alle können Gott nur Weihrauch streuen mit den Gaben, die ER uns gegeben hat. Und Sie empfingen reiche Gaben! Sie wissen, dass ich schwer krank seit Jahren Tag und Nacht unerhörte Peinen erdulde, doleo – ergo sum! Auf mein Epithaph kann ich wie Petrarca schreiben lassen: „turba medicosum perii!“

Ich schließe mit einer Erinnerung an Goethe: er zählt alles auf, was man im Alter entbehren muss und schließt mit den Worten: „Nun frag’ ich Dich, was Dir noch übrig bliebe? Mir bleibt genug – mir bleibt Idee und Liebe!“

Der Herausgeber der Heuss-Festschrift findet Erxleben und sein Leben so interessant, dass er ihn für eine größere Arbeit, etwa eine Autobiografie, zu gewinnen versucht. Doch Erxleben schreibt ihm ab:.


Lieber Herr Leins!


Zunächst geziemenden Dank für Ihren Besuch – Anregung und Vorschlag. Ich ließ mir alles durch den Kopf gehen: Komme zu folgendem Ergebnis: Ein wissenschaftliches – culturelles Sujet kommt nicht in Frage – da ich seit langem nicht mehr auf dem Laufenden bin. Memoiren – bei Lebzeiten herausgegeben – sind meist eine Indiscretion – später vielleicht Belehrung. Aber – oder wie der Italiener so fett sagt: ma! – es würde mich kitzeln zu schreiben unter dem Gesamttitel Begegnungen mit Päpsten (Leo XIII – Pius XII) – Tenören – Medizinmännern – Primadonnen – Philosophen – Zauberern (O. Brahm, M. Reinhard, H. Hilpert usw.) – Geigenbauern, Juden, Jesuiten, Winzern, Trinkern, Dichtern, und mein letztes Kapitel: mit meiner Mischpoke. --- Auf meine Eltern, die die besten der ganzen Welt waren, müsste ich kurz ein hohes Lied singen (…)

So wie ich sehe – würde das Buch zu 2/3 ernst – sehr ernst – und etwa 1/3 aufgelockert – heiter in gutem Sinne – und etwa 1/20 wohlwollende Verleumdung und Ironie.

Und über allem müsste dominieren das Mitleid- denn vor Gott sind wir alle arme Sünder und der Heiland sagt: nur Gott ist gut. Ich bin manchen bedeutenden Menschen begegnet, die schwer zu ertragen waren, und ich habe mir dann immer geholfen mit dem Gedanken: Gott erträgt ja auch dich – dann musst du usw.

Unter obigem Titel könnte ich Vieles und manchen Lieblingsgedanken (z.B. über Judas Iscariot) unterbringen und selber ganz oder so ziemlich zurücktreten. Hätte ich die paar tausend Briefe, die ich im Leben – z.T. in drei Sprachen – frei aus dem Handgelenk aufs Papier geschmettert habe – vorher koncipiert – oder hässlich ausgedrückt – ins Unreine gemacht – so wäre es ein Leichtes – das Buch in 1 – 2 Monaten zu schreiben (…)

Ich habe nun begonnen – Begegnungen mit Gabriele d’Annunzio – Anatole France – Gerhard Hauptmann – Errnst Thrasolt – Carl Zuckmayer zu notieren.

Ob mir das Buch gelingen wird – liegt auf den Knien der Götter.

Das Buch ist leider nicht gelungen. Und das lag auch nicht auf den Knien der Götter. Erxleben wollte nicht. Als Theodor Heuss sich nach dem Tod Friedrich Erxlebens nach dessen schriftlichem und literarischem Nachlass erkundigt, schreibt ihm der Bruder Augustinus Erxleben:

Ihre Annahme, hochverehrter Herr Bundespräsident, dass mein Bruder die begonnene Aufzeichnung seiner Erinnerungen aus seinem wirklich reichen, begnadeten Leben nicht hat durchführen können, trifft leider zu. Er hat mir wohlgelungene Bruchstücke vorgelesen und wir haben ihn bei jeder Gelegenheit ermuntert, zu schreiben. Seine stark wechselnde körperliche Verfassung hinderte ihn leider an der Ausführung des Planes, der ihm zuerst viel Freude gemacht hatte.( …) Er hat alles von seiner Hand Stammende verbrannt und dadurch selbst das getan, worum er in seiner letzten Verfügung aus dem Jahre 1953 gebeten hatte: „alles Schriftliche von mir zu verbrennen.“

Zwischen diesen beiden Briefen liegt ein Jahr. Es ist das letzte Jahr in Friedrich Erxlebens Leben. Auch dieses hat – wie viele andere Jahre zuvor – Höhen und Tiefen. Beispielsweise erhält er von seinem Freund Theodor Heuss die Einladung, ihn zu den Gedenkveranstaltungen aus Anlass der 10. Wiederkehr des 20. Juli 1944 nach Berlin zu begleiten. Erxleben muss aber Heuss absagen, sein Gesundheitszustand lässt eine solche lange und anstrengende Fahrt und Veranstaltung nicht zu.

Heuss schaut aber immer wieder einmal bei Erxleben vorbei und hält die alte Freundschaft aufrecht. Man kann sich vorstellen, dass solche Besuche des amtierenden Bundespräsidenten in der Trierer Straße in Koblenz nicht ganz unbemerkt bleiben. Auch der Briefverkehr Erxlebens mit Carl Zuckmayer, der in dieser Zeit abwechselnd in den USA und in Deutschland lebt, ist sicherlich Anfang der 1950er Jahre recht ungewöhnlich für hiesige Verhältnisse und wird dementsprechend registriert. Da wundert es nicht, dass in der Rhein-Zeitung vom 21. Oktober 1954 unter der Überschrift: „Ohne Eskorte, mit verhülltem Stander. Der Bundespräsident besucht oft unbemerkt Koblenz“ über das Treffen des Bundespräsidenten Heuss mit Erxleben berichtet wird.

Schon wenige Tage später ist dieser Zeitungsartikel beim Bundespräsidenten höchstselbst. Leicht belustigt schreibt er Erxleben: „In Eurer Koblenzer Zeitung stand übrigens neulich eine Notiz, die mir zugeschickt wurde, dass ich von Zeit zu Zeit ‚heimlich’ dort auftauche und mich bei Ihnen verborgen halte. Das hat mir Spaß gemacht und Ihnen hoffentlich Ruhm eingebracht.“

Daraufhin antwortet ihm Erxleben:

Die Ihnen zugesandte Reportage der Rhein-Zeitung – war ein Racheakt und hat mich bös erregt – wenn sie mir auch unverdienten Ruhm einbrachte. – Der Reporter stand – ohne zu schellen oder zu klopfen – unerwartet in meinem Zimmer plump vertraulich – fast zudringlich und sagte – er habe von den Briefträgern gehört – dass ich so interessante Briefe bekäme – aus Californien, New York und dem Bundespräsidialamt Bonn und (sich in einen Sessel flegelnd) er wolle sich darüber ausführlich mit mir unterhalten. Daraufhin schmiss ich ihn ohne irgendeine Auskunft raus.

Zu dieser Zeit wohnt Erxleben schon nicht mehr in der Trierer Straße in Koblenz. Er hat sich dort nicht recht wohl gefühlt und er ist letztlich froh, von dort aus nach Linz am Rhein umziehen zu können. Mit Linz verbinden ihn zumindest Erinnerungen an seine frühe Zeit, als Rektor des St. Antoniushauses für Geisteskranke und –gestörte. Der Abschied aus der Trierer Straße ist ihm dabei offenbar nicht schwer gefallen. Als Absender auf einem sechs Wochen vor dem Umzug an Zuckmayer geschriebenen Brief hat er vermerkt: „Petrus Jeremias Job Schmerzensreich – Eremit. Koblenz-Metternich, Kloster-Brauerei – Katakombe.“

Friedrich Erxleben stirbt dann am 9. Februar 1955 in seiner neuen kleinen Wohnung in Linz am Rhein. Am 12. Februar 1955 wird er – wie er es gewünscht hat - im Priestergrab in Müden an der Mosel im Beisein u.a. der ganzen Pfarrgemeinde beigesetzt.

Silvester 1954/55 – das ist fünf Wochen vor seinem Tod – hat Friedrich Erxleben mit seinem alten Freund Carl Zuckmayer zusammen gefeiert. Davon berichtet Zuckmayer – in gewisser dichterischer Freiheit und in falscher Jahresangabe – und setzt damit seinem alten Freund Friedrich Erxleben ein literarisches Denkmal - ihm, Friedrich Erxleben, der alle Selbstzeugnisse vor seinem Tod verbrannt hat. Ich zitiere zum Abschluss ein letztes Mal aus Carl Zuckmayers „Als wär’s ein Stück von mir – Horen der Freundschaft“:

Dann zog er sich in eine Alterswohnung bei Freunden am Rhein zurück. Ich verbrachte mit ihm, ganz allein, die Silvesternacht 1955/56 in seinem stillen, freundlichen Zimmer. Er kochte für uns beide, wir vertranken, verrauchten, verredeten die Nacht. Irgendwann in den Abendstunden drehte er das Radio auf, es kam ein leichter, beschwingter Mozart, von Bruno Walter dirigiert. „Nein“, sagte er nach einigen Minuten, das macht mich zu traurig. Bei Mozart muss ich immer an den Tod denken.“ Dann legte er das Klavierkonzert in e-moll von Chopin aufs Grammophon. „So’n Berufsmelancholiker wie der Chopin“, sagte er, „der macht mich wieder lustig.“

Acht Tage später fand man ihn tot auf seinem Bettrand hockend, die erloschene Brazilzigarre war ihm aus dem Mund gefallen, sein alter Dachshund „Seppel“ schlief zu seinen Füßen.

Mut, Leidensbereitschaft, Heiterkeit – das war sein Vermächtnis.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.