Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen der Bundesregierung in Berlin
Für Joachim Hennig und seine Frau war die Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen der Bundesregierung in Berlin im Juli 2004 aus Anlass der 60. Wiederkehr des gescheiterten Attentats auf Hitler und des Umsturzversuchs am 20. Juli 1944 ein ganz besonderes Erlebnis. Auf Einladung des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen e.V. (ZdWV) besuchten sie am 19. und 20. Juli 2004 die Gedenkveranstaltungen.
Diese begannen mit der Eröffnung der Sonderausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Stauffenbergstraße 13 – 14, 10785 Berlin) „20. Juli 1944 – Vermächtnis und Erinnerung“. Es setzte sich am Abend dann fort mit den Vortrag von Freya Gräfin von Moltke – Einführung durch Prof. Dr. Peter Steinbach -: „Widerstand und Erinnerung“ in der St. Matthäus-Kirche in Berlin-Mitte. Den Höhepunkt des 1. Tages war der Empfang beim Bundespräsidenten Horst Köhler im Schloss Charlottenburg (der Amtssitz des Bundespräsidenten Schloss Bellevue stand nicht zur Verfügung, weil es umgebaut wurde).
Empfang des Bundespräsidenten Horst Köhler (Bildmitte) für die geladenen Gäste zu den Gedenkveranstaltungen zum 20. Juli 2004 in Schloss Charlottenburg in Berlin. Links neben ihm seine Gattin, rechts, die Hand reichend, der frühere Widerstandskämpfer Reinhold Lofy, Trier.
Die Veranstaltungen am 20. Juli 2004 begannen mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee. Als Gedenkveranstaltungen der Bundesregierung folgte dann die Feierstunde im Ehrenhof des Bendlerblocks mit der Begrüßung durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, der Ansprache von Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Kranzniederlegung durch den Bundespräsidenten Horst Köhler.
HIER die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder lesen
Der Bendlerblock in der heutigen Stauffenbergstraße in Berlin-Mitte ist ein besonderer Gedenkort. Dort wurden unmittelbar nach dem fehlgeschlagenen Umsturzversuch Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg und drei Mitverschwörer standrechtlich erschossen. Das von Richard Scheibe geschaffene Denkmal im Ehrenhof wurde am 20. Juli 1953 durch den damaligen regierenden Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter enthüllt. Die ständige Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße soll das Andenken der Frauen und Männer des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wach halten und die notwendige Auseinandersetzung der Deutschen mit diesem Teil ihrer Geschichte fördern.
Ehrenmal im Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am 20. Juli 2004.
Um 16.00 Uhr fand die Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Plötzensee statt. Damit erinnerte die Bundesregierung an die Opfer des Nationalsozialismus. Die einleitenden Gedenkworte sprach Bundestagspräsidentin a.D. und Vorsitzende des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen e.V. Annemarie Renger. Daran schloss sich das Totengedenken von Dieter Thomas von der Stiftung 20. Juli 1944 an. Danach legten Repräsentanten der Verfassungsorgane des Bundes und des Landes Berlin sowie der Stiftung 20. Juli 1944 und des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen e.V. Kränze nieder. Die Veranstaltung endete mit dem Gang in den Hinrichtungsraum und stillem Gedenken.
HIER den Redebeitrag von Annemarie Renger lesen
HIER das Totengedenken von Dieter Thomas lesen
Bundeskanzler Gerhard Schröder (Bildmitte) bei der Gedenkstunde in der Gedenkstätte Plötzensee am 20. Juli 2004.
Gedenkstunde in der Gedenkstätte Plötzensee am 20. Juli 2004.
Die Gedenkstätte Plötzensee diente von 1933 bis 1945 als Strafgefängnis und Hinrichtungsstätte des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. An diesem Ort wurden mehr als 2.500 Menschen hingerichtet, unter ihnen zahlreiche Gegner der Diktatur.
Der 20. Juli schloss mit einer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. in der Humboldt-Universität organisierten Diskussion „Gesichter des Widerstandes“ sowie einem Feierlichen Gelöbnis im Bendlerblock mit Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Festrede des niederländischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende.
HIER das Faltblatt „Gesichter des Widerstandes“ lesen
Bei diesen Veranstaltungen in Berlin lernte Joachim Hennig auch den niederländischen Zeitzeugen Johan F. Beckman kennen.
Rückfahrt von der Gedenkstätte Plötzensee in Bus der BVG:
Vorn der niederländische Widerstandskämpfer und Auschwitz-Überlebende Johan Beckman, dahinter der Widerstandskämpfer Reinhold Lofy, Trier, und Ehefrau, dahinter der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Joachim Hennig und Ehefrau.
Beckman war nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Niederlande ein Widerständler gegen die deutschen Besatzer. Deswegen wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt. Er überlebte die Haft und schrieb später seine Autobiografie „Odyssee 1940 – 1945“. Einige Jahre zuvor hatte sie Beckman auf Niederländisch veröffentlicht. Nun überließ er sie Hennig, auch um sie ggf. ins Deutsche übersetzen zu lassen und zu veröffentlichen. Hierzu überließ Johan Beckman Joachim Hennig auch noch einige Fotos aus den verschiedenen Stationen seines Lebens.
Offizielle Fotos der Lagerverwaltung des KZ Auschwitz von Johann Beckmans
jüngerem Bruder Robert (Rob), Häftlingsnummer: 45218,
und von Johan Beckman, Häftlingsnummer 45217.
Johan Beckmans Vater mit der Tochter, 1938
Die Eltern Johan Beckmans, 1940, vor ihrem Haus. (Vor der Verfolgung durch die deutschen Besatzer).
Dies ist dann auch einige Zeit später geschehen. Der Schatzmeister unseres Vereins, Alexander Wolff, der seit vielen Jahren sehr gut Holländisch spricht, hat Johan Beckmans Autobiografie ins Deutsche übersetzt. Das niederländische Original und die deutsche Übersetzung werden hier präsentiert.
Johan F. Beckman: Odyssee 1940 – 1945 (deutsche Übersetzung)
Johan F. Beckman: Odyssee 1940 – 1945 (das niederländische Original)
Vor 70 Jahren: Hochverrat in Neuwied?
Für Joachim Hennig waren dann noch andere und weniger bekannte Jahrestage und Ereignisse Anlass für eigene Arbeiten. So erinnerte er mit seinem Aufsatz „Vor 70 Jahren: Hochverrat in Neuwied?“ im Heimat-Jahrbuch des Landkreises Neuwied 2004 an die Machtübernahme der Nazis 1933 und die anschließende Verfolgung der Kommunisten und die Initiierung von Massenprozesse gegen sie, wie den Prozess gegen 28 Angeklagte aus Neuwied und Umgebung, der vor dem Oberlandesgericht Kassel stattfand, das im Landgericht in Neuwied tagte.
Die Print-Version können Sie HIER lesen
Vor 70 Jahren: Hochverrat in Neuwied?
von Joachim Hennig
Die Jahrestage, die sich – so hat man den Eindruck – in den letzten Jahren häufen, bringen einen schon manchmal in Verlegenheit. Vor so und so viel Jahren, was war denn da? Das müsste ich eigentlich doch wissen...
Vor 70 Jahren? 2003/04 - 70 Jahre zurück – 1933/34. Am 30. Januar 1933 kam es zur „Machtergreifung“. Der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte den Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Adolf Hitler zum Reichskanzler.
Nur zwei Tage später sah der Bürgermeister von Neuwied Handlungsbedarf. Während die Neuwieder Polizei dem Vorwurf entgegentrat, sie sei gegen randalierende und provozierende Nationalsozialisten nicht eingeschritten, verbot Bürgermeister Krups am 1. Februar 1933 als Ortspolizeibehörde bis auf Weiteres Versammlungen und Umzüge der KPD unter freiem Himmel innerhalb des Stadtbezirks Neuwied. Zwei weitere Tage später verfügte dann der Regierungspräsident in Koblenz, Walter von Sybel (Deutschnationale Volkspartei - DNVP), ein generelles „Verbot von Aufzügen und Versammlungen unter freiem Himmel für die Kommunistische Partei Deutschlands und ihrer Hilfs- und Nebenorganisationen“ im gesamten Regierungsbezirk Koblenz. Dieses regionale Verbot war im Amtsblatt der Regierung zu Koblenz noch gar nicht veröffentlicht, da erließ Hindenburg am 4. Februar 1933, gestützt auf den „Diktaturparagrafen“ der Weimarer Reichsverfassung (Art. 48 Abs. 2 WRV), die „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“, die schwerwiegende Einschränkungen der Versammlungs- und Pressefreiheit enthielt. Sie war eine der drei wesentlichen Notverordnungen, mit der die NSDAP ihre Macht erweitern konnte. Wiederum zwei Tage später erging die Verordnung des Reichspräsidenten „zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen“, die - neben der Auflösung des Preußischen Landtages und Neuwahlen für den 5. März 1933 - dem geschäftsführenden preußischen Innenminister Göring weitreichende Handlungsmöglichkeiten eröffnete.
Das Instrumentarium begann mitten im Wahlkampf - am 5. März waren Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Landtag - rasch zu greifen: Nicht nur die Versammlungen der Kommunisten wurden verboten, untersagt wurden auch solche der SPD und der ihr nahe stehenden Eisernen Front. Verboten wurde die für Samstag, den 25. Februar, geplante Demonstration der Eisernen Front durch die Straßen von Neuwied mit anschließender Kundgebung auf dem Münzplatz ebenso wie eine Aufmarschkundgebung der Eisernen Front am folgenden Tag in Neuwied, Irlich und Wollendorf. Begründet wurde dies mit der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, weil angeblich zu erwarten sei, dass sich die Kommunisten dem Zuge anschließen würden.
Die Presseorgane und Wahlkampfmaterialien der KPD wurden beschlagnahmt und verboten. Allein in Neuwied konfiszierte die Polizei, gestützt auf die „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933, bis zum 18. Februar 1933 neun verschiedene kommunistische Broschüren („Die Wahrheit über die Sowjetunion“, „Im Kampf gegen die faschistische Diktatur“ u.a.) in einer Gesamtzahl von 39 Exemplaren und zog sie ein. Die in Köln erscheinende kommunistische „Sozialistische Republik“ wurde bis zum 15. Februar 1933 verboten. Sie erschien noch einige Tage, dann wurde ihr Erscheinen aber erneut und diesmal faktisch auf Dauer untersagt. Nicht anders ist es mit Sicherheit der kommunistischen „Volksstimme“ ergangen, die seit 1928 für die Unterbezirke Koblenz und Trier als „Kopfblatt“ der „Sozialistischen Republik“ erschien und ihre Redaktion in Koblenz-Lützel hatte. Wiederholt verboten wurde die in Koblenz herausgegebene und auch in Neuwied verbreitete sozialdemokratische „Rheinische Warte“. Zunächst durfte sie auf Grund einer Verfügung des Regierungspräsidenten von Koblenz vom 4. Februar in der Zeit vom 4. bis zum 6. Februar nicht erscheinen, dann wurde sie vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 16. bis 19. Februar 1933 verboten. Zwar wurde die Untersagungsverfügung des Regierungspräsidenten vom 4. Februar 1933 vom Reichsgericht – nachträglich - für rechtswidrig erklärt, doch war das bedeutungslos, erschien doch die Rheinische Warte am 27. Februar 1933 überhaupt zum letzten Mal.
Damit wurden die Kommunisten im Wahlkampf publizistisch fast mundtot gemacht und die Sozialdemokraten stark behindert. Dies war aber keine Eigentümlichkeit gerade in Neuwied und Koblenz, sondern geschah grundsätzlich auf Anweisung des preußischen Innenministeriums, etwa auch auf Grund der Anweisung vom 28. Februar 1933, alle KPD- und SPD-Flugblätter und –zeitungen „zu beschlagnahmen, sämtliche Plakate abzureißen und (die) Untersuchung bei kommunistischen Führern rücksichtslos durchzuführen“. Sie ist in Neuwied und in Koblenz – wie anderswo auch – nur exakt befolgt worden.
Der kommissarische Innenminister Göring ging rücksichtslos daran, wichtige Positionen in der inneren Verwaltung, vor allem bei der Polizei, mit „politisch zuverlässigen“ Beamten zu besetzen. Die Entfernung republikanischer, demokratischer Beamter nannten die Nazis „politische Säuberung“ und „das große Reinemachen“. Schon am 12. Februar 1933 – gerade zwei Wochen nach der „Machtergreifung“ – wurden im Rheinland drei Polizeipräsidenten „beurlaubt“ und dann aus ihren Ämtern entfernt: In Aachen Stieler, in Köln Bier und in Koblenz Dr. Biesten. Wenige Tage später wies Göring in dem Erlass zur „Förderung der nationalen Bewegung“ (sog. Schießerlass) vom 17. Februar 1933 „seine“ Polizei unter Androhung dienststrafrechtlicher Folgen an, „dem Treiben staatsfeindlicher Organisationen mit den schärfsten Mitteln entgegenzutreten (...) und, wenn nötig, rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen.“ Ein weiterer Erlass vom 22. Februar 1933 regelte den Einsatz von SA-, SS- und „Stahlhelm“-Männern als Hilfspolizisten. Damit wurden 40.000 Rabauken von SA und SS (insgesamt gehörten 600.000 Männer den uniformierten Formationen der NSDAP an) zu Staatsorganen und unterwanderten die reguläre Polizei. Für den Kreis Neuwied bedeutete das 180 SA-Leute und 120 „Stahlhelmer“ als Hilfspolizei und zusätzlich 100 Mann Reserve. Eine ganze Reihe von SA-Leuten wurde noch am 28. Februar 1933 als Hilfspolizisten verpflichtet.
Die dritte Notverordnung des greisen Reichspräsidenten von Hindenburg datierte vom 28. Februar 1933. Sie erging nach dem Brand des Reichstages in der Nacht des 27. auf den 28. Februar 1933, der von einem Einzelgänger, dem holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe, gelegt wurde (wenn man nicht der sich weiterhin hartnäckig haltenden Version glaubt, dass die Nazis den Reichstag selbst angezündet haben). Diese „Reichstagsbrand-Verordnung“, die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, setzte die wichtigsten Grundrechte außer Kraft. Offiziell hieß es, sie sei „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ erlassen worden. Mit ihr nutzten die Nazis – unter Mithilfe Hindenburgs - den Reichstagsbrand in der Endphase der letzten halbwegs freien Wahlen hemmungslos aus und konstituierten einen unerklärten Ausnahmezustand, der bis zum Ende des NS-Regimes andauerte.
Göring verfügte eine rücksichtslose Verfolgung der KPD, insbesondere durch die Verhaftung ihrer Abgeordneten. Schon am 1. März 1933 konnte der Landrat des Kreises Neuwied Robert Großmann (Zentrum) durchaus zufrieden feststellen: „Die Verhaftungen sind zum großen Teil durchgeführt worden. Ein Hauptkommunistenführer in Engers (...) und ein weiterer KP-Funktionär sind aber durchgegangen. Es ist zu vermuten, dass durch die bereits früher erfolgte Verhaftung von Kommunisten in Bendorf die beiden rechtzeitig gewarnt werden konnten.“ Von dieser ersten massiven Verhaftungswelle waren im Kreis Neuwied insgesamt mindestens 16 Personen betroffen, die als Kommunisten festgenommen, ins Neuwieder Gerichtsgefängnis verbracht und zum Teil monatelang in sog. Schutzhaft gehalten wurden. Im Nachhinein erließ der Landrat in Neuwied – als Kreispolizeibehörde – für die einsitzenden Personen „Schutzhaftbefehle“. In diesen hektographierten Schreiben heißt es, dass der Betreffende aufgrund der Reichstagsbrand-Verordnung in „Polizeischutzhaft“ genommen worden sei, weil „diese Voraussetzungen infolge Ihrer Betätigung für die kommunistische Partei bzw. deren Hilfs- und Nebenorganisationen bei Ihnen zutreffen.“
Eine dieser Personen war der 1896 geborene Arbeiter Josef Riemenschnitter aus Leutesdorf, der seit mindestens 1930 Mitglied der KPD war. Ein anderer war der 1902 in Gladbach geborene Valentin Kern. Er galt als „Kopf der kommunistischen Bewegung in Gladbach und (...) als einzige Person, die in Massen der Partei den Rücken wendenden Genossen bei der Stange zu halten“. Die alsbald beantragte Entlassung aus der „Schutzhaft“ wurde strikt abgelehnt; „Gibt man ihn jetzt frei, ist zu befürchten, dass er erneut mit seiner Organisationsarbeit – dass er diese Arbeit leisten kann, ist erwiesen – beginnt, geheim arbeitet und nicht wieder zu fassen ist.“ Ein weiterer „Schutzhäftling“ war der 1907 in Weis geborene und in Gladbach (jetzt: Neuwied) wohnende Fabrikarbeiter Johann Hecken. Nach eigenen Angaben war er seit 1931 Mitglied der KPD und eine zeitlang „Polleiter“ (politischer Leiter) der KPD in Gladbach, auch trat er als Leiter von politischen Versammlungen auf. Von der Polizei wurde Hecken als ein „anständiger“, aber gefährlicher Kommunist eingeschätzt. Er gehörte zu den KPD-Funktionären, die sofort nach dem Reichstagsbrand in „Schutzhaft“ genommen werden sollten, konnte sich aber zunächst verborgen halten. Erst 14 Tage später wurde die Polizei seiner habhaft.
Während diese und andere tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Nationalsozialisten auf der Flucht, untergetaucht oder in „Schutzhaft“ waren, fanden am 5. März 1933 die Wahlen zum Reichstag und zum preußischen Landtag sowie am 12. März 1933 auch noch die Kommunalwahlen statt. Die entscheidenden Reichstagswahlen brachten den Nazis trotz aller Manipulationen und Willkür, trotz aller Repressalien und allen Terrors nicht die erwartete absolute Mehrheit. Die NSDAP kam „nur“ auf 43,9 % der Stimmen und erst zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der Kampffront „Schwarz-Weiß-Rot“, bestehend vor allem aus der von Alfred Hugenberg geführten rechtsnationalen DNVP, auf 51,9 % der Stimmen und auf 340 von 647 Mandaten im Reichstag. In Neuwied fiel das Ergebnis sogar noch etwas schlechter für Hitler und seine Koalition aus. Wenn auch die Neuwieder Zeitung meinte, „auch unsere engere Heimat ist von der stürmischen politischen Welle erfasst worden“, so erreichten in der Stadt Neuwied die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zusammen nicht die Mehrheit und im Kreis Neuwied blieb das Zentrum die stärkste Partei. Doch reichsweit reichte das Ergebnis aus, um angesichts der verbreiteten Agonie die Macht der Nazis auszubauen. Schon unmittelbar nach den Reichstags- und Landtagswahlen beherrschten die Nazis und der Kampfbund Schwarz–Weiß-Rot das Stadtbild („Nationale Fahnen über Neuwied“) – eine Maßnahme der Propaganda, um eine „Machtergreifung von unten“ zu suggerieren und für die Wahlen zum Stadtrat und Kreis- sowie Provinziallandtag eine Woche später zu mobilisieren. Bei diesen Stadtratswahlen stellte die NSDAP mit 11 von 27 Sitzen die stärkste Fraktion und hatte mit der Kampffront Schwarz-Weiß–Rot die absolute Mehrheit. Im Kreistag hingegen erreichten Zentrum und SPD 15 von 30 Mandaten. Am Abend nach dem Wahltag fand in Neuwied ein großer Umzug von SA, SS und Stahlhelm statt. Im Zug marschierte die aktive Polizei geschlossen zusammen mit den Hilfspolizisten von SA, SS und Stahlhelm mit. Der NSDAP-Kreisleiter Detlev Dern hielt eine Rede auf dem Luisenplatz und eine rote und eine schwarz-rot-goldene Fahne wurden verbrannt.
Auf Reichsebene stellte die NSDAP wieder entscheidende Weichen. Ein markantes Datum war der 21. März 1933. Dieser Tag ist eingegangen in die Geschichte als der „Tag von Potsdam“. Dabei wurde der neu gewählte Reichstag mit einem Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche eröffnet. Die Neuwieder wollten da nicht Abseits stehen, so titelte die Neuwieder Zeitung vom 22. März 1933: „Im Schatten von Potsdam. Kundgebung der Neuwieder Bevölkerung am Tag der Reichstagseröffnung – Über 3000 Teilnehmer des Fackelzuges“. Dieser Tag war beispielhaft für die Doppelzüngigkeit des NS-Regime und seiner Methode von „Zuckerbrot und Peitsche“. Denn noch am selben Tag erging die von Hindenburg erlassene „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“, die Kritik an dem Regime und der NSDAP unter Strafe stellte, und die „Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten“. Ebenfalls am 21. März 1933 wurden die ersten Gefangenen in das Konzentrationslager Oranienburg eingeliefert.
Zwei Tage später, am 23. März 1933, kam es zur denkwürdigen Sitzung des neuen Reichstages, in dem er das sog. Ermächtigungsgesetz, das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933, verabschiedete. Dessen Art. 1 regelte, dass die Reichsgesetze auch von der Reichsregierung beschlossen werden konnten. Art. 2 besagte, dass die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze von der Reichsverfassung abweichen durften. Damit schaffte das Parlament den Parlamentarismus ab und beging „Selbstmord“. An dieser Sitzung nahm kein einziges Mitglied der KPD teil und auch 26 Abgeordnete der SPD fehlten.
Die Ausschaltung der politischen Gegner und die Machtmonopolisierung sowie den ersten Schritt zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben und der Beamtenschaft betrieben die Nazis hart und zügig weiter. In Neuwied und Umgebung waren die Auswirkungen aber vergleichsweise gering. Allein der stellvertretende Direktor des Arbeitsamtes Neuwied, Scherder, wurde am 22. März 1933 entlassen, weil er Sozialdemokrat war. Den Reichstagsabgeordneten des Zentrum Eduard Verhülsdonk – er hatte noch vor kurzem dem „Ermächtigungsgesetz“ im Reichstag zugestimmt -, den Landrat Robert Großmann und den Direktor der Kreissparkasse Josef Muth überzogen die Nazis nach einer Wahlsondernummer des Koblenzer Nationalblatts mit einem Strafverfahren, das aber für alle mit Freisprüchen endete.
Überhaupt ist die „Machtergreifung“ in Neuwied und Umgebung „geräuschlos“ vonstatten gegangen. Bei der ersten Sitzung des Stadtrates von Neuwied am 29. März 1933 bekannte sich Bürgermeister Krups „mit voller Klarheit zur nationalen Regierung“ und es gab nur einen einzigen „Missklang“, als der sozialdemokratische Stadtverordnete Krumnow nach Störungen der Sitzung durch Zuhörer fragte: „Herr Bürgermeister, haben Sie die Geschäftsordnung oder hat sie der Mob?“ SA und SS wollten Krumnow deshalb „verhauen“, und der Polizeikommissar Hensen wollte ihn in „Schutzhaft“ nehmen. Geradezu „salomonisch“ regelte der Landrat Großmann, als Kreispolizeibehörde, die Verfolgung des SPD-Mannes Krumnow. Man könne ihn doch – so Großmann in seinen persönlichen Aktenvermerken - wegen dieser Äußerung nicht tagelang einsperren; aber es sei doch wohl zweckmäßig, wenn der Polizeikommissar Hensen mit den Nationalsozialisten verhandle auf der Grundlage, dass man Krumnow wegen seiner frechen Äußerung eine Nacht einsperre und in Schutzhaft nehme und die SA in Ruhe ließe. Der Landrat Großmann selbst, der die Nazis an seiner Stelle agieren ließ und dies noch als „Zusammenarbeit mit den nationalen Verbänden“ rechtfertigte, wurde dann am 27. April 1933 beurlaubt. An seine Stelle trat der NSDAP-Kreisleiter von Neuwied-Nord Dr. Adolf Reppert (Rheinbreitbach). Am selben Tag, an dem der Landrat Großmann beurlaubt wurde, versammelte sich übrigens die Richterschaft von Neuwied. Die Versammlung beschloss einstimmig, der NSDAP beizutreten. Der Landrat räsonnierte, ob da immer die Überzeugungstreue mit gespielt habe, dürfte bezweifelt werden. Im nachhinein fragt sich, ob ein solcher Opportunismus zumal zu so früher Zeit wirklich weniger schwer wiegt als „Überzeugungstreue“. Bei dieser Richterversammlung fehlte lediglich der Landgerichtsrat Ulrich. Er gehörte bereits in der letzten Zeit der Weimarer Republik dem (deutsch-nationalen) „Stahlhelm“ an, der nach der „Machtergreifung“ ohnehin in der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot mit Hitler in Koalition stand.
Nach der Zerschlagung der Freien Gewerkschaften folgte das Ende der politischen Parteien. Einen gewissen Schlussstrich zog das am 14. Juli 1933 erlassene „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“, in dem mit einer Bestrafung als „Hoch- und Landesverräter“ bedroht wurde, wer es unternehme, eine Partei aufrechtzuerhalten oder neu zu bilden. Damit war die Einparteienherrschaft besiegelt. Schon am 6. Juli 1933 hatte Hitler festgestellt: „Wir stehen in der langsamen Vollendung des totalen Staates“.
Ähnlich zufrieden klang es in einem Bericht des kommissarischen Landrats von Neuwied Dr. Adolf Reppert vom 5. Juli 1933. Darin heißt es, dass „unter der Wucht des Zugriffs von Polizei und nationalen Verbänden (...) Niedergeschlagenheit der Massen und (...) damit verbunden(e) Passivität und Fahnenflucht (festzustellen sei.) ... (Es sei) gelungen, den ursprünglichen Führerapparat der KPD durch die Festsetzung des überwiegenden Teils der Funktionäre lahm zu legen.“ Dabei hat der kommissarische Landrat gleich weitere Maßnahmen im Blick: „Um den Nachrichten- und Kurierdienst zu stören, ist von der Möglichkeit der Schließung kommunistischer Verkehrslokale und der Wegnahme der im Kurierdienst verwendbaren, in kommunistischen Händen befindlichen Verkehrsmittel weitestgehend Gebrauch zu machen (...) Nach dem 15. Juli d. Js. darf kein Kraftwagen, kein Motorrad, kein Fahrrad mehr in den Händen kommunistischer Organisationen oder kommunistisch eingestellter Einzelpersonen sein. Diese Verkehrsmittel sind nicht nur polizeilich sicherzustellen, sondern durch förmlichen Beschluss auf Grund des § 1 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (...) zu enteignen.“
War dies nun der „Hochverrat in Neuwied vor 70 Jahren“? --- Wohl nicht. Denn nach allgemeinem Verständnis liegt Hochverrat vor bei „gewaltsamen“ Angriffen etwa auf die Staatsverfassung oder auf das Staatsgebiet, wobei der Begriff der Gewalt teilweise unterschiedlich definiert wurde und wird. Das Merkmal „Gewalt“ war aber bei der „Machtergreifung“ und der späteren Gleichschaltung nicht erfüllt. Wenn viele dieser Maßnahmen auch auf bewusster Täuschung von Verfassungsorganen (vor allem von Hindenburgs, aber auch des Reichstages) und anderen Parteien, teils auf eklatantem Verfassungsbruch sowie Verstößen zumindest gegen den Geist der Weimarer Reichsverfassung und anderer Rechtsregeln beruhten, so geschah dies – im politischen Kerngeschehen – ohne Gewalt. Immer wieder hatte Hitler betont, er werde die Macht auf legalem Wege und nicht mit Gewalt erringen, um die Parteiendemokratie dann abzuschaffen. Und so ist es hinsichtlich des politischen Kerngeschehens auch passiert. Eine ganz andere Frage ist, ob diese scheinlegale „Machtergreifung“ und diese konzertierten Gewaltaktionen vor Ort mit dem ganz konkreten Ziel der Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur nicht Hochverrat waren. Sehr fragwürdig ist auch die Rolle der Justiz zumal am Ende der Weimarer Republik. Wären – so die Fragestellung – nicht massenhaft und beizeiten wegen der stets gewalttätigen „Ideologie“, der Gewalttaten und der Umsturzpläne der Nazis gegen sie Hochverratsprozesse durchzuführen gewesen, die der deutschen Geschichte womöglich doch noch eine andere Wendung hätten geben können? Statt einer Antwort soll hier Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, zitiert werden, der am 15. November 1932 – 2 ½ Monate vor der „Machtergreifung“ - in sein Tagebuch schrieb: „Von meinem Rechtsanwalt erfahre ich, dass man in Leipzig (dem Sitz des Reichsgerichts, Erg. des Verf.) die Absicht hat, mein seit drei Jahren schwebendes Hochverratsverfahren nun endlich durchzuführen. Hoffentlich kommen die Talarträger nicht zu spät, und ich bin nicht etwa gar Minister, wenn der Termin stattfindet.“ Im Übrigen betrifft die Frage nach dem Hochverrat der Nazis eigentlich nicht Neuwied. Denn Neuwied war vor, während und nach der „Machtergreifung“ der Nazis so „normal“, dass eine Herausstellung eines Hochverrats der Nazis gerade in Neuwied unangemessen wäre.
Vielmehr bezieht sich die Fragestellung auf ein Strafverfahren gegen 27 Männer und eine Frau aus Neuwied und Umgebung, denen vorgeworfen wurde, als Kommunisten von Anfang Juni 1933 an bis zu ihrer Verhaftung Ende Juli 1933 Hochverrat begangen zu haben. Dieses Strafverfahren fand damals in den – schon gleichgeschalteten - Zeitungen ein großes Echo. Dem Verfahren lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Bezirk Mittelrhein der KPD, der seinen Sitz in Köln hatte, umfasste von der preußischen Rheinprovinz die Regierungsbezirke Aachen, Köln, Koblenz und Trier. Er war der räumlich größte Bezirk der KPD im Deutschen Reich, litt aber unter vergleichsweise geringer Mitgliederzahl und hatte wegen der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg auch organisatorische Probleme. Die Massenverhaftungen im Zuge des Reichstagsbrandes trafen den ohnehin schwachen Bezirk insgesamt und auch die einzelnen Kommunisten in den kleineren Städten und auf dem Land besonders schwer, waren diese doch nur eine Minderheit und dabei in der Regel stadt- und ortsbekannt. Für den Unterbezirk Koblenz, zu dem auch Neuwied gehörte, schätzte man, dass 20 % bis 50 % der Mitglieder in Haft waren. Zudem wurde der bisherige Politische Leiter des Bezirks, Bernhard Bästlein, wegen interner Spannungen abgelöst und kurz darauf verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt waren „bereits drei Garnituren von Oberinstrukteuren (...) durch die Verhaftungen verloren“ gegangen. Das hatte sicherlich seinen Grund auch darin, dass sich unter den Leitern des Bezirks ein Spitzel befunden haben soll. Gleichwohl versuchte die neu besetzte Bezirksleitung in Köln, die Organisationsstruktur der Unterbezirke Koblenz, Marienberg und Trier wieder aufzubauen.
Für den Wiederaufbau des Unterbezirks Koblenz, der seinen Sitz nicht mehr in Koblenz, sondern in Neuwied haben sollte, suchte ein gewisser Schmidt aus Köln, der als Organisationsleiter für den Vertrieb der illegalen Schriften zuständig war, um Pfingsten Elisabeth Tempelhoff in Neuwied auf. Er wollte über Frau Tempelhoff – ihr Ehemann Fritz befand sich seit März 1933 in „Schutzhaft“ – Kontakt zu anderen Kommunisten vor Ort herstellen. Sie sprach Johann Heep an und dieser wiederum Friedrich Stelt sowie Johann Hentgen. Alle wohnten in Neuwied und waren seit einigen Jahren Mitglieder der KPD; Hentgen war sogar eine Zeitlang Ortsgruppenführer der KPD in Weißenthurm und für die Märzwahlen als kommunistischer Stadtverordneter aufgestellt gewesen. Bei einer zweiten Besprechung einige Tage später, an der auch Wilhelm Gattung aus Wirges, der bei seinem Neffen Johann Gattung in Neuwied zu Besuch war, teilnahm, verteilte man die Funktionen im Unterbezirk Koblenz. Stelt wurde Organisationsleiter („Orgleiter“), Hentgen politischer Leiter („Polleiter“) und Heep sollte die Kasse und den Literaturvertrieb übernehmen. Einige Zeit später übermittelte Schmidt aus Köln Stelt zwei Sendungen mit Literatur. Die erste enthielt ein Paket mit Zeitungen und Beitragsmarken, und zwar 400 Stück „Rote Front“ Nr. 17, 49 Stück „Internationale“, 50 Stück „Junge Garde“, 5 Stück „Der Techniker“ und ferner 100 rote Beitragsmarken für Vollarbeiter, 250 blaue Beitragsmarken und 100 Schlussmarken. In der zweiten Sendung waren Broschüren enthalten. Einerseits Heep und Hentgen und andererseits die weiteren Neuwieder Jakob Schönberger und Paul Stein versuchten dann, mit diesem Material den Kontakt zu den einzelnen Ortsgruppen des Unterbezirks Koblenz herzustellen.
In der Ortsgruppe Hönningen suchten sie Andreas Müller auf, der Anfang 1932 Mitglied der KPD und dann auch der „Roten Hilfe“ geworden war. In Leutesdorf sprachen Heep und andere Josef Riemenschnitter an. Riemenschnitter war – wie bereits erwähnt - nach dem Reichstagsbrand in „Schutzhaft“ genommen und am 3. April 1933 entlassen worden. Auch in Wollendorf stellten Heep und andere Kontakte her, ohne dass Näheres bekannt geworden ist. In Oberbieber wurde Max Schmidt angesprochen. In Gladbach waren Johann Hecken und Valentin Kern – auch sie waren inzwischen aus der gegen ihn verhängten „Schutzhaft“ entlassen worden - zur Mitarbeit bereit.
In Heimbach-Weis hatte sich die Ortsgruppe der KPD zunächst schon aus eigenem Antrieb wieder aufgebaut. Da Heep und Hentgen dort unbekannt waren, fiel es ihnen schwer, Kontakte zu knüpfen. Um dieses Misstrauen zu beseitigen, kam der Funktionär Schmidt aus Köln zusammen mit Heep zu einer Besprechung dorthin. Schmidt machte den Kommunisten vor Ort „die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens der Kommunisten klar (...) mit der Aufforderung, den Anweisungen Heeps zu folgen“. Daraufhin erklärte sich Bernhard Baumgarten bereit, „die Sache provisorisch zu übernehmen“. Als Kurier zwischen Heep und Heimbach-Weis diente Aloys Gattung, ein – wie es hieß – „der Polizei bekannter Kommunist“. Als Kassierer betätigte sich Martin Gosziniak. Er war seit 1925 Mitglied der KPD, eine Zeitlang Zeitungsausträger der KPD und schon vor dem Erscheinen Heeps Kassierer der Ortsgruppe Heimbach-Weis. Überführt wurde Gosziniak u.a. aufgrund eines Briefes vom 11. Juli 1933, den er an den nach Frankreich emigrierten Willi Meurer schrieb. Darin heißt es u. a.: „Wenn die Faschisten meinen, die KPD ist tot, dann sind sie auf dem Holzwege. Wir haben in Deutschland heute mehr Kommunisten wie früher (...) Wir sind mit Material hier auch versehen worden (...) Zum Schluss die besten Kampfesgrüße (...) Rot Front (...) gez. Martin.”
Während über die Ortsgruppen Bendorf und Vallendar aus dieser Quelle nichts Näheres bekannt ist und die Situation in Wirges hier nicht weiter vertieft werden soll, sind die Verhältnisse in den drei Neuwieder Ortsgruppen (Nord-Süd, Süd-Ost und Heddesdorf) interessant. Die Leitung der Ortsgruppe Neuwied Nord-Süd hatte offenbar Richard Schulze. Er war seit einem Jahrzehnt Mitglied der KPD und galt der Polizei schon lange als Angehöriger der sog. 2. Führergarnitur. Als Kassierer fungierte Johann Echternach, nach eigenen Angaben ebenfalls ein langjähriges Mitglied der KPD. „Polleiter“ der Ortsgruppe Süd-Ost war Johann Gattung, der diese Funktion schon früher wahrgenommen hatte. In Neuwied-Heddesdorf wurden Eduard Steinhauer „Polleiter“ und Jakob Thoma „Orgleiter“. Beide waren längere Zeit Mitglieder der KPD gewesen. Steinhauer hatte früher für den Kreistag kandidiert und Thoma war bis März 1933 „Polleiter“ in Heddesdorf gewesen.
Spitzel informierten die Polizeiverwaltung Neuwied über die Aktivitäten sehr frühzeitig. Insbesondere der sehr eifrige Polizeikommissar Hensen, dessen Geschicklichkeit und Umsicht die Presse später ausdrücklich lobte und dem der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung „für seine vorbildliche Arbeit Dank und Anerkennung aussprach“, tat sich hervor. Schon bald war er im Besitz einer namentlichen Aufstellung der Personen, die in Neuwied und Umgebung Aufgaben für die illegale KPD wahrnehmen sollten. Hand in Hand arbeitete er dabei mit dem Landjägerhauptmann Kurz zusammen. Hensen hatte diese Aktivitäten dem Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin umgehend gemeldet und von diesem die Anweisung erhalten, mit dem Zugriff zu warten, bis man auch an die Bezirksleitung in Köln herankomme. Die Tätigkeit der Kommunisten wurde wie es in einem Bericht des kommissarischen Landrats an den Regierungspräsidenten in Koblenz vom 12. Juli 1933 hieß, „schärfstens und fortlaufend durch den Kreisleiter der Landjägerei und die Neuwieder Polizei überwacht. Es sollen in den nächsten Tagen Eingriffe noch nicht vorgenommen werden, doch wird die Polizei darauf bedacht sein, dass weiteres Flugblattmaterial nicht mehr zur Verteilung gelangt. Die örtlichen Verteiler sind bekannt. Es soll aber erst dann durchgegriffen werden, wenn der Kurier, der das Material anscheinend aus Köln überbringt, sowie die Stelle, die in Köln den Versand der Flugblätter betreibt, festgestellt worden sind.“ Dabei hat – wie es später im Urteil heißt – „in Neuwied die Leitung des Unterbezirkes Koblenz der neu zu organisierenden Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ihren Sitz (gehabt).Von dieser Stelle aus wurde unter anderem die Verteilung des gesamten illegalen Druckschriftenmaterials besorgt. Diese Schriften haben, soweit sie ermittelt sind, sämtlich aufreizenden und hetzerischen, durchweg hochverräterischen Inhalt.“
Als erster wurde Johann Heep am 1. Juli 1933 verhaftet. Bei ihm fand man zwei von der Bezirksleitung für Instrukteure der KPD ausgestellte Ausweise. Verhöre und ein Brief des Funktionärs Schmidt aus Köln, der der Polizei in die Hände fiel, sowie dessen Entschlüsselung, führten zur Verhaftung Schmidts. Dann, am 25. Juli 1933, schlug die Neuwieder Polizei im Zuge einer vom Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin für ganz Preußen angeordneten umfangreichen Razzia auf Kommunisten gezielt gegen die ihnen namentlich bekannten Kommunisten zu. Die Polizei nahm – wie es in den Meldungen der Zeitungen dazu hieß - „unter Mithilfe zahlreicher Hilfspolizisten eine umfangreiche Aktion gegen die KPD in unserer Stadt vor.“ 13 Personen wurden festgenommen und Material „aller Art“ beschlagnahmt. Weitere Festnahmen folgten. Schon unter dem Datum des 1. August 1933 konnte der kommissarische Landrat Dr. Reppert dem Regierungspräsidenten in Koblenz berichten, dass gegen 18 Personen ein Verfahren eingeleitet worden sei und dass „die Polizei (...) bestrebt (ist), durch rücksichtslose Wegnahme des Führungsnachwuchses sowie der technischen und finanziellen Hilfsmittel und Unterbindung jeglicher Propaganda die kommunistische Tätigkeit im Kreise Neuwied auszuschalten.“
Für dieses Strafverfahren war, da der damals noch bestehende Landgerichtsbezirk Neuwied zum Oberlandesgerichtsbezirk Kassel gehörte, die Generalstaatsanwaltschaft Kassel zuständig. Sie verfasste am 23. August 1933 eine Anklageschrift gegen insgesamt 28 Personen. Kaum einen Monat später – am 21., 22. und 23. September 1933 - verhandelte der Strafsenat des Oberlandesgerichts Kassel im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Neuwied.
Obwohl die Presse zuvor auf diesen Prozess hingewiesen hatte, war das Interesse der Zuschauer daran recht gering. Vermutlich war das Publikum davon unterrichtet, dass die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden werde. Tatsächlich wurde die Öffentlichkeit auf Antrag des Anklagevertreters wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ ausgeschlossen. Nach der Vernehmung der zahlreichen Angeklagten zur Person und zur Sache sagten vor allem Polizeikommissar Hensen und Landjägerhauptmann Kurz als Zeugen der Anklage aus. In seinem Plädoyer erging sich der Staatsanwalt in Tiraden gegen den Kommunismus und „Bolschewismus“. Noch immer – so der Staatsanwalt – „predigten diese Kreaturen Hass, Kampf aller gegen alle und Vernichtung“. Immer noch sei „der Kommunismus der innere Feind (des) Staates“. „Gegen diese Bestrebungen gebe es nur eins, rücksichtslosen Kampf, bis der Gegner am Boden liege und restlos vernichtet sei. In diesem Kampfe gehörten die Gerichte in die vorderste Front des Abwehrkampfes.“
Dieser Staatsanwalt, der sein Studium und/oder seine Ausbildung sowie seine bisherige Berufstätigkeit sicherlich zu Zeiten der Weimarer Republik erfahren hatte und in seinem Plädoyer so agitierte, konnte mit den fünf Berufsrichtern, die als Strafsenat über die 28 Angeklagten zu Gericht saßen und langjährige, in der Weimarer Republik „gediente“ Richter waren, zufrieden sein. Das Gericht sprach sieben Angeklagte frei, da ihnen eine Beteiligung an den Aktivitäten nicht nachgewiesen werden konnte. Die übrigen 21 Angeklagten verurteilte es zu längeren Gefängnis- und auch Zuchthausstrafen. Insgesamt war dieses keine zwei Monate währende Reden miteinander, das Verteilen von Zeitschriften und das Sammeln von Mitgliedsbeiträgen Anlass für insgesamt 15 Jahre Gefängnis und 16 Jahre und 6 Monate Zuchthaus, insgesamt also 31 Jahre und 6 Monate Freiheitsentzug.
Die Straftat, wegen der die Angeklagten - bis auf einen von ihnen – verurteilt wurden, war die „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“. Nach der Auffangvorschrift des § 86 des damaligen Strafgesetzbuches wurde „jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung (...) mit Zuchthaus bis zu drei Jahren (...) bestraft.“ Das stellte – nach heutigem Rechtsempfinden – eine völlig unangemessene Vorverlagerung des Staatsschutzes in einen Bereich strafloser Vorbereitungshandlungen dar. Diese Rechtsprechung hatte das Merkmal der „Gewalt“ geradezu „pulverisiert“, den politischen Meinungskampf kriminalisiert und den Begriff des „literarischen Hochverrats“ erfunden und verfestigt.
Allerdings war diese Rechtsprechung keine Erfindung des mit dem 30. Januar 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialismus. Vielmehr beruhte sie auf der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts. Dieses hatte in einem nie veröffentlichten Urteil am 11. April 1932 entschieden:
Die KPD verfolgt, wie sie selbst zugibt, das Ziel an Stelle der in der Reichsverfassung festgelegten Gleichberechtigung aller Bürger die Diktatur des Proletariats zu errichten und eine Räteregierung nach russischem Vorbild einzuführen. Dieses Ziel soll nicht auf gesetzlichem Wege durch eine Abstimmung im Parlament, sondern durch eine Zertrümmerung des bürgerlichen Staates im Wege der Gewalt erreicht werden.“
Dieser Rechtsprechung am Ende der Weimarer Republik folgten nun die mit Hoch- und Landesverratsverfahren befassten Senate der Oberlandesgerichte auch nach der „Machtergreifung“, wobei sie damit – welch Ironie – mithalfen, den zuvor so als schützenswert angesehenen „bürgerlichen Staat“ zu „zertrümmern“. Bemerkenswert ist auch, wie das Oberlandesgericht Kassel in seinem Urteil von September 1933 diese Rechtsprechung des Reichsgerichts aus dem Jahr zuvor – ohne sie zu zitieren(!) – übernimmt und dabei „zeitgemäß“ modifiziert. So heißt es u.a.:
“Die KPD verfolgt, wie gerichtsbekannt ist, und wie auch aus den in der vorliegenden Sache verbreiteten Druckschriften (...) unzweideutig hervorgeht, das Ziel, an Stelle der Gleichberechtigung aller deutschen Volksgenossen die Diktatur des Proletariats zu setzen und an die Stelle des nationalen deutschen Führerstaats eine Räteregierung nach russischem Vorbild einzuführen, also die Verfassung zu ändern. Dieses Ziel soll mit Gewalt durch die Zertrümmerung des heutigen Staates erreicht werden.
Die Schlussfolgerung des Gerichts lautete dann: Jeder, der an der Verwirklichung dieses Zieles mitarbeitet, jeder, der das geplante hochverräterische Unternehmen vorbereiten hilft und sei es auch nur durch Weitergabe einer einzigen derartigen hochverräterischen Denkschrift, macht sich also (jedenfalls objektiv) nach § 86 (des Strafgesetzbuches) strafbar.”
Bemerkenswert sind auch die Ausführungen des Gerichts zu den hohen Strafen. So heißt es u.a.: „Was nun die Strafzumessung betrifft, so hat der Senat einmal allgemein strafschärfend die besondere Gefährlichkeit der vorliegenden Handlungen berücksichtigt, insbesondere aber auch den Umstand, dass die (...) Angeklagten noch im Juni und Juli 1933 nicht davor zurückgeschreckt sind, trotz des endgültigen Sieges (sic!) der nationalsozialistischen Revolution und trotz der eindrucksvollen, jedem Volksgenossen zum Bewusstsein gekommenen nationalen Kundgebung wieder in dieser staats- und volksfeindlichen Weise zu wühlen. Solche Verräter am deutschen Volke, die den Wiederaufbau des deutschen Staates stören wollen, müssen möglichst lange der Freiheit beraubt werden. Es muss der Gedanke des Mitleids, der bei einigen, offenbar verführten Angeklagten aufkommen kann, im Interesse des Staatsganzen und der unbedingten Staatsautorität zurücktreten. Die oberste Richtschnur bei der Strafzumessung musste aber der Gedanke der Gerechtigkeit und der Abschreckung, nicht der Gedanke des Mitleids und der Gnade sein.“
Die zu Zuchthaus Verurteilten mussten ihre Strafe im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden verbüßen, die Gefängnisstrafe für die anderen wurde in der Strafanstalt Freiendiez vollstreckt.
Wohl alle Verurteilten mussten ihre Haftstrafen vollständig verbüßen. Obwohl viele von Ihnen Gnadengesuche - teilweise sogar wiederholt – stellten, kamen sie nicht früher frei. Zu Valentin Kerns Gesuch beispielsweise äußerste sich der Bürgermeister von Engers vom 27. Dezember 1933 an den Landrat in Neuwied wie folgt: „Obwohl gegen den Arbeiter und politischen Gefangenen Valentin Kern, Gladbach, außer seinem politischen Vergehen nichts vorliegt, bin ich nicht in der Lage, jetzt schon einen Antrag auf Straferlass oder Strafaufschub zu befürworten. Kern, der als einflussreicher Funktionär der KPD schon zu Beginn der nationalen Revolution in Schutzhaft genommen wurde, versprach bei seiner ersten Entlassung, sich weder staats- noch volksfeindlich zu betätigen. Trotzdem war er der erste der KPD-Funktionäre, der zum Wiederaufbau der zerschlagenen KPD-Ortsgruppen die Hand bot und sich zur Mitarbeit bereit erklärte. Bei dem Einfluss, den Kern eben wegen seines sonstigen einwandfreien Lebenswandels hatte, hätte Unberechenbares geschehen können, wenn die Arbeit der KPD-Wühler nicht frühzeitig genug entdeckt worden wäre. Ich bin der Auffassung, dass der Strafgefangene Kern zuerst mindestens die Hälfte seiner Strafe verbüßen muss, ehe von der Gewährung eines Gnadenerweises die Rede sein kann.“
Jakob Thoma half es nicht einmal, dass sich für ihn die Leitung des Zuchthauses Wehlheiden und sein früherer Arbeitgeber einsetzten. Auf sein (zweites) Gnadengesuch stellte der Anstaltsleiter fest: „Thoma hat sich hier sehr gut geführt und macht einen offenen Eindruck. Er hat zunächst aus seiner kommunistischen Gesinnung keinen Hehl gemacht, hat sich aber im Laufe der Strafverbüßung von den kommunistischen Gedankengängen losgelöst und sich vollkommen umgestellt. Er ist besorgt um seine Familie. Den Vertrauensposten als Büroreiniger hat er nicht missbraucht. Bedingte Aussetzung eines Strafrestes von 4 Monaten wird befürwortet.“ Nach Ablehnung auch dieses Gesuchs stellte Thoma einen weiteren Antrag. Auch diesen befürwortete die Anstaltsleitung ausdrücklich und verwies dabei auf ein Schreiben seines früheren Arbeitgebers, der Firma Hilgers A.G. Rheinbrohl und Neuwied. Darin heißt es, Thoma sei ein alter Arbeiter der Firma und als Nieter für Brückenbauten einer ihrer zuverlässigsten Leute gewesen. Sie sei zurzeit mit dringenden Brückenbauten, wie etwa der Rheinbrücke Neuwied, beschäftigt und um tüchtige Nieter verlegen, so dass sie die von den Behörden gesetzten Termine voraussichtlich nicht einhalten könne. Deshalb bäte man um die vorzeitige Haftentlassung Thomas und glaube, dass er durch die sofortige Wiedereinstellung als Arbeiter ein nützliches Glied der Volksgemeinschaft werden könne. Aber auch dieses dritte Gnadengesuch wurde abgelehnt und Jakob Thoma erst nach vollständiger Verbüßung seiner Zuchthausstrafe von einem Jahr und drei Monaten entlassen.
Die längste Strafe musste Paul Stein verbüßen. Im Anschluss an seine Untersuchungshaft war er vom 10. November 1933 bis zum 16. Mai 1934 im Zuchthaus Wehleiden und dann anschließend bis zum 23. Januar 1936 im Straflager Börgermoor bei Papenburg/Emsland. Endlich in Freiheit wurde er von der Polizei belehrt, dass er, wenn er sich wieder staatsfeindlich betätigen sollte, seine sofortige Inschutzhaftnahme bzw. Verbringung in das Konzentrationslager zu gewärtigen habe. Er erklärte aber – was in solchen Fällen erwartet wurde -, dass er sich niemals wieder staatsfeindlich betätigen werde.
Damit hatten die Nazis auch ihre aktivsten politischen Gegner mit Hilfe der Justiz auf Dauer mundtot gemacht.