Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

 
Tafel für Stahleck  24. März 2005

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Noch kurz vor Ostern überreichten Dieter Burgard (2. v. r.), MdL und Vorsitzender des Sprecherrats der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz, und Joachim Hennig (ganz r.), stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal Koblenz, auf der Burg Stahleck bei Bacharach dem „Burgherrn“, dem Betriebsleiter/Herbergsvater Bernhard Falke (2.v.l.), eine Tafel über die Geschichte der Burg Stahleck zur NS-Zeit. Die Tafel war von Joachim Hennig im Rahmen der Ausstellung des Fördervereins Mahnmal Koblenz über verfolgte Kinder und Jugendliche aus Koblenz und Umgebung während der NS-Zeit erarbeitet worden.
Die Übergabe der Tafel fand im Rittersaal der Jugendherberge in Anwesenheit des Beigeordneten von Bacharach, Herrn Werner Reiter (ganz l.), statt.
 
Lesen Sie nachfolgend die einführenden Worte unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig bei der Übergabe der von unserem Förderverein erarbeiteten Ausstellungstafel am 24. März 2005 auf der Burg Stahleck:


Die Burg Stahleck – in der NS-Zeit nicht nur Jugendherberge
 
Sehr geehrter Herr Falke, lieber Herr Burgard, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Jugendliche!

Ich freue mich, heute hier sein zu können und die Tafel „Burg Stahleck“ in der Jugendherberge Burg Stahleck/Jugendgästehaus Bacharach am Rhein mit übergeben zu dürfen.

Zunächst einmal möchte ich eine Frage beantworten, die Sie sicherlich schon gestellt haben: Wie kommen die eigentlich dazu, der Jugendherberge eine Tafel zu schenken? Zur Beantwortung dieser Frage muss ich ein wenig ausholen.

Wie Sie schon gehört haben, bin ich stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. Dieser Förderverein hat mitgeholfen, dass das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus im Sommer des Jahres 2001 in Koblenz errichtet wurde. Außerdem ist der Förderverein immer zum 27. Januar, dem nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, besonders aktiv. Seit einigen Jahren organisiert der Verein am 27. Januar in einer der Koblenzer Kirchen eine Gedenkfeier mit christlich-jüdischem Gebet. Inzwischen ist es eine Tradition, dass im Zusammenhang damit eine Ausstellung eröffnet wird, die dann zwei bis drei Wochen in Koblenz gezeigt wird.  

Zum 27. Januar des letzten Jahres zeigten wir in einem Koblenzer Gymnasium eine Wanderausstellung zum Thema „Verfolgte Jugend im Nationalsozialismus“.  Es war die Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“. Sie enthält als „Herzstück“ Biografien verfolgter Jugendlicher. Allen Porträts ist eigen, dass die Jugendlichen eine besonders harte Verfolgung erlitten haben. Denn sie waren in jungen Jahren Häftlinge der Jugendschutzlager Moringen und Uckermark.   

Diese Wanderausstellung war für mich Anstoß, über verfolgte Kinder und Jugendliche aus Koblenz und Umgebung einen regionalen Teil zu erarbeiten. Ich habe 14 Lebensbilder von Kindern und Jugendlichen aus Koblenz und Umgebung erstellt. Der Anlass für die Nazis, sie zu verfolgen, war vielfältig: Teils war es ihre politische Gesinnung oder ihr christlicher Glaube, teils ihre andere „Rasse“, manchmal ihre Nonkonformität, ihr widerständisches Verhalten, ihre Arbeitsverweigerung oder ganz generell ihr Anderssein.

Dabei stieß ich auch auf das Schicksal von Willi Lohner, seinem Freund Hans-Clemens Weiler und die Michaeltruppe aus Kruft – das liegt in der Eifel zwischen Andernach und Mayen. Beide waren zunächst vom Nationalsozialismus ein bisschen – sagen wir – begeistert, brachte er doch Schwung, schmissige Musik und auch Aufbruchstimmung mit. Schon bald vollzog sich bei diesen beiden aber nach und nach ein Bewusstseinswandel. Sie erschreckte der Kirchenkampf des NS-Regimes und sie erlebten, wie Priester wegen ihres Glaubens mundtot und auch ins KZ verschleppt wurden.

Da gründeten sie – gerade einmal 16 bzw. 15 Jahre alt - eine Organisation, die sie unter den Schutz des Erzengels Michael stellten und Michaeltruppe nannten. Willi Lohner leitete die Gruppe als „Bezirkskommandant“, Hans-Clemens Weiler war sein Stellvertreter und „Kreiskommandant“. Es war eine Organisation von ca. 50 „künftigen Kämpfern“, die militant waren und sich auf eine bewaffnete Auseinandersetzung vorbereiteten.

Die Gruppe traf sich in einer Kapelle außerhalb von Kruft. Man hörte Vorträge, las die Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen, sammelte Informationen über Konzentrationslager sowie über Repressalien gegen Kirche und Klerus.

Im Sommer 1943 – also ein ganzes Jahr vor dem Attentat vom 20. Juli 1944 – baute die Michaeltruppe einen Spionagering auf. Man sammelte Informationen über militärische Anlagen (z. B. über den Flugplatz Niedermendig oder über Waffenlager). Willi Lohner besorgte Sprengstoff und Handfeuerwaffen und legte ein Waffenversteck an.

Anfang August 1943 fing die Gestapo Briefe von Hans-Clemens Weiler ab. Daraufhin wurden Willi Lohner und er von der Gestapo verhaftet. Sie und weitere Verhaftete kamen zunächst zum Verhör nach Koblenz. Sie wurden von der Gestapo tagelang von morgens bis abends vernommen. Danach brachte man sie in die Jugendarrest-anstalt Neuwied.

Dann – am 7. September 1943 – passiert das, was letztlich dazu geführt hat, dass wir heute Abend auf der Jugendherberge Burg Stahleck/Jugendgästehaus Bacharach am Rhein zusammen gefunden haben: Willi, Hans-Clemens und vier weitere Mitglieder der Michaeltruppe wurden von der Koblenzer Gestapo auf die Burg Stahleck gebracht.

Sicherlich sind Sie jetzt so erstaunt wie ich es war, als ich das zum ersten Mal in alten Akten las. Auf die Burg Stahleck? Was hatte die Burg Stahleck – damals als ich als junger Bursche noch regelmäßig Wanderfahrten machte und in Jugendherbergen übernachtete hieß sie noch Jugendburg Stahleck – was hatte die gute „Stahleck“ mit diesem Nazi-Terror zu tun?

Die Burg Stahleck war eben – wie der Titel einer kleinen Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung lautet – in der NS-Zeit nicht nur Jugendherberge. Vielmehr war die Burg Stahleck ab 1940 – auch – ein Umerziehungs- und Jugenddienstlager.

Mit den Nationalsozialisten erfuhr die Stahleck einen Aufschwung. Auf der Burg fanden zunächst auch nationalpolitische Kurse statt. Dazu hielten sich Gruppen von 60 bis 90 Schülern aus Schulen des Rheinlands ca. drei Wochen hier zur Indoktrination im Sinne der Nazis auf.
            
Im Jahre 1940 wurde die Stahleck „Umerziehungslager“. Die erste bekannte „Umerziehungsaktion“ galt im November 1940 212 luxemburgischen Studenten aus dem ganzen Gebiet des damaligen Deutschen Reiches, die vor Kriegsbeginn ein Studium in Deutschland begonnen hatten. Sie wurden auf die Burg Stahleck beordert, damit sie dort für die nationalsozialistische Politik und die Kriegsführung begeistert würden.

Am 3. September 1942 wurden 183 luxemburgische Schüler auf die Burg Stahleck gebracht. Das war die Strafe dafür, dass sie gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für Luxemburger am 30. August 1942 protestiert hatten. Einen Monat später wurden die den betreffenden Jahrgängen angehörenden Schüler zur deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert; die anderen Jugendlichen konnten Ende 1942 von der Burg Stahleck nach Luxemburg zurückkehren.

Am 5. Juni 1943 wurde dann auf der Burg ein „Jugenddienstlager“ eingerichtet. Es diente der Disziplinierung deutscher Jugendlicher. In drei Wochen, mit einer Verlängerung bis zu sechs Wochen, sollten Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren „in harter Erziehung, die ... durch anstrengende körperliche Arbeiten und wehrsportliche Ertüchtigung erreicht werden soll, nachhaltig zu Zucht und Ordnung angehalten werden“. Opfer waren Jugendliche, die als „Arbeitsbummler ... und wegen nachhaltiger Dienstversäumnisse innerhalb der Hitler-Jugend oder der Berufsschule sowie wegen nachhaltiger Verstöße gegen die Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend auffällig geworden (waren)“. Das „Jugenddienstlager“ war Mitte November 1943 eine „Institution“. Mit Genugtuung wurde gemeldet, dass bisher 236 Jugendliche durch das Lager Stahleck gegangen waren.
 
Und in diese Situation kamen Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und vier weitere Mitglieder der Michaeltruppe Anfang September 1943 hinein und wurden von der Koblenzer Gestapo auf die Stahleck verschleppt. Das geschah außerhalb des soeben erwähnten „Jugenddienstlagers“.

Später erinnerte sich Hans-Clemens Weiler über seine Haft auf der Stahleck: „(Am 7. September 1943 brachte uns ein Gestapobeamte) zum Jugenddienstlager Stahleck. Es war ein verschärftes Wehrertüchtigungslager zum Zwecke der Erziehung von Jugendlichen, die sich irgendwelcher Vergehen, besonders Beleidigungen von NS-Führern, Versäumung des HJ-Dienstes usw. schuldig gemacht hatten. (Der Gestapo-Beamte) ordnete unsere ‚Aufbewahrung’ in Einzelzellen bei Arrestverpflegung an. Da aber nur zwei Arrestzellen vorhanden waren, wurden Lohner und ich in diese gesperrt. Die anderen vier Kameraden aber wurden bei den übrigen Lagerinsassen untergebracht.

Am folgenden Morgen Verhör durch Lagerführer Struth. Nachdem er sich ein Bild gemacht hatte, sagte er (fast wörtlich): ‚Du weißt wohl, dass das Hochverrat ist. Du weißt auch wohl, dass so was den Kopf kostet. Euer Kopf sitzt locker. Wenn Euch noch etwas retten kann, dann ist das Eure Jugend. Ich will versuchen, was sich machen lässt, wenn Ihr natürlich Eure Gesinnung innerlich ändert. Hunger ist zwar der beste Lehrmeister, um gerade junge Menschen wie Euch die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Die Gestapo hat mir aufgetragen, Euch bei Wasser und Brot zu halten, dort oben im Turm aber will ich Euch herauslassen, Ihr sollt mit den anderen arbeiten. Nur abends kommt Ihr (in die Arrestzellen)“.
Am 1. Oktober 1943 schrieb die Gestapo: „Das Gesamtergebnis der Ermittlungen ergibt einwandfrei, dass Weiler und Lohner sich führend bei der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens betätigt haben. Für Lohner und Weiler als Anführer der Bande hat das Reichssicherheitshauptamt Überführung in ein Jugendschutzlager angeordnet.“
 
Während die anderen Gruppenmitglieder von Burg Stahleck entlassen wurden, blieben Lohner und Weiler dort.

Am 30. Oktober 1943 wurden Willi und Hans-Clemens übrigens wegen „ihrer staatsfeindlichen Betätigung an führender Stelle“ von der Schule verwiesen.

Am 8. Dezember 1943 wurden die beiden schließlich auf der Burg Stahleck abgeholt, nach Koblenz gebracht und von dort aus mit einem Nachtschnellzug nach Göttingen verschleppt.

Beide kamen ins „Jugendschutzlager Moringen“ bei Göttingen. Dort mussten sie in einem Salzbergwerk Munition herstellen. Hans-Clemens zog sich dabei eine Tuberkulose zu, von der er sich nie mehr richtig erholte.

Anfang März 1945 wurde Willi Lohner aus dem Jugend-KZ Moringen mit der Auflage entlassen, sich „freiwillig“ zum Dienst in der Waffen-SS zu melden. Kaum auf freiem Fuß floh er in Richtung Heimat, dort waren zu dieser Zeit – es ist ziemlich genau die Zeit vor 60 Jahren -bereits die Amerikaner.

Anfang April 1945 wurde das Jugend-KZ Moringen von der Wachmannschaft geräumt. Hans-Clemens Weiler war noch im Jugend-KZ Moringen Während die anderen Häftlinge auf den „Evakuierungsmarsch“ gingen, blieben er und andere Marschunfähige zurück und irrten umher. Am 11. April 1945 waren die Amerikaner da und sie waren dann auch frei.

Zu Hans-Clemens Weiler und Willi Lohner ist noch folgendes nachzutragen:  
      
Hans-Clemens Weiler starb 1974 in Bonn an den Folgen der im Jugend-KZ zugezogenen Krankheit. Willi Lohner machte nach alledem in den ersten Nachkriegsjahren sein Abitur nach und wurde Schauspieler. Seit mehreren Jahrzehnten und noch heute lebt er mit seiner Familie in Hamburg und führt ein eigenes Tournee-Theater, das „Ensemble Wilhelm Lohner“.

Meine Damen und Herren, liebe Jugendliche. Das war die Geschichte von Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und der Michaeltruppe wie auch unserer Burg Stahleck in der NS-Zeit. Und warum habe ich diese Geschichte hier erzählt? Vordergründig natürlich, um mit diesen Worten die Tafel der Burg Stahleck hier zu übergeben. Aber es ist natürlich mehr: Mit dieser Geschichte sollen wir erinnert werden, dass wir nicht geschichtslos in den Tag hineinleben, sondern dass alles und jedes eine Geschichte hat. Wir können die Geschichte nicht wegdrängen und unterdrücken. Sie – gerade die Geschichte der NS-Zeit - ist da und kommt irgendwann immer mal wieder hoch. Es ist eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Wir müssen diese Geschichte positiv annehmen. Schon wegen der Opfer, wegen Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler. Aber auch unseretwegen. Damit wir unsere Demokratie und ihre staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen – trotz aller Unzulänglichkeiten und Fehler – voll und ganz bejahen und offensiv verteidigen: Es gibt nichts Besseres. Im Gegenteil: Aus der Geschichte wissen wir, dass jede Folge von übersteigertem Nationalismus, von Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus ins Verderben führt – nicht nur bei den Opfern sondern auch bei uns selbst. Wehret deshalb den Anfängen.

Die Botschaft aus dieser Geschichte ist aber nicht nur mahnend und warnend. Sie soll auch Mut machen. Sie soll mithelfen, ein eigenes Lebensgefühl zu entwickeln und zu stärken – fern jeder Bevormundung und jedes Zwangs. Aber nicht ungebunden und ziel- und planlos. Sondern vielmehr frei und mit elementaren Werten – wie sie heute in den Grundrechten unseres Grundgesetzes festgeschrieben sind – und mit nachahmenswerten Leitbildern – wie Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und die anderen Mitglieder der Michaeltruppe.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.