Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2010.

Auch in diesem Jahr gedachte der Landtag von Rheinland-Pfalz zum 27. Januar 2010 der Opfer des Nationalsozialismus. Zu den Veranstaltungen im Landtag, in der Landeshauptstadt Mainz und im ganzen Land gab er wieder in einer Broschüre einen Überblick.

Lesen Sie HIER die Broschüre des Landtages zu den Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2010.

Seit Jahren ist dabei der Landtag mit seinem Präsidenten Joachim Mertes an der Spitze engagiert. Die Veranstaltungen des Landtages zum diesjährigen 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz standen unter dem Motto: „Christen im Nationalsozialismus – zwischen Verfolgung, Widerstand und Anpassung“. Im Foyer des Landtages in Mainz wurde dazu eine Ausstellung über den evangelischen Pfarrer Paul Schneider vom Hunsrück eröffnet. Der Titel der Ausstellung des „Predigers von Buchenwald“, so der Ehrentitel des im KZ Buchenwald ermordeten Geistlichen, ist für ihn programmatisch: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“.

Der Gedenktag für die NS-Opfer in Koblenz

Wie es inzwischen in Koblenz schon Tradition geworden ist, zeigte unser Förderverein Mahnmal Koblenz eine Ausstellung mit Beiprogramm und es gab Veranstaltungen am 27. Januar.


Ausstellung über Opfer des Nationalsozialismus mit Beiprogramm


Zum Gedenken an die NS-Opfer zeigte unser Förderverein Mahnmal Koblenz im Rathaus der Stadt die Wanderausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime“. Ergänzt wurde die Ausstellung der Wachtturm-Gesellschaft durch zwölf Biografien Verfolgter Zeugen Jehovas aus dem Raum Koblenz. Bei den diesjährigen Veranstaltungen zum 27. Januar standen
Opfer im Mittelpunkt, die viele, viel zu viele Jahre vergessen waren und auch heute noch um ihre Anerkennung kämpfen müssen: die Zeugen Jehovas bzw. Ernste Bibelforscher, wie sie zur NS-Zeit noch hießen.

In der Wanderausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime“ wurde 35 40 Tafeln präsentiert. Damit wird an die Menschen dieser damals sehr kleinen Gruppe von Christen erinnert, die ein ganz schweres und bemerkenswertes Schicksal erlitten haben, das lange Zeit unbekannt war. Die „Ernsten Bibelforscher“ waren die erste Gruppe, die aus religiösen Gründen verfolgt wurde. Ihr offizielles Verbot datiert bereits vom 24. Juni 1933. Zudem waren die Zeugen Jehovas die einzige religiöse Gruppe, die in den Konzentrationslagern der Nazis eine eigene Häftlingskategorie erhielt, den „lila Winkel“ der Bibelforscher.

Plakat zur Wanderausstellung.


Blick in die Wanderausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime“.


So waren die damals ca. 25.000 Zeugen Jehovas in Deutschland einer sehr frühen, ganz außerordentlichen und erbarmungslosen, sehr oft jahrelangen Verfolgung ausgesetzt: Ungefähr 10.000 von ihnen wurden verfolgt, vor allem – von unterschiedlicher Dauer – inhaftiert. Etwa 2.000 Zeugen Jehovas kamen in den Konzentrationslagern um. Darüber hinaus starben oder wurden ermordet 1.200 weitere Zeugen Jehovas. Zu den letztgenannten gehören allein etwa 250, die als Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.


Hinter diesen blanken Zahlen stehen Lebensschicksale der Opfer und auch Schicksale deren Familien, denn diese waren von den Verfolgungen auch betroffen. Mit der Verfolgung der einzelnen Zeugen Jehovas wurde die gesamte Gruppe terrorisiert: Jeder von ihnen konnte sich ausrechnen, dass auch er denunziert, erkannt und bestraft werden konnte und ihm „Schutzhaft“, Konzentrationslager und auch der Tod drohten. Trotz allem blieben sehr, sehr viele der Zeugen Jehovas „standhaft trotz Verfolgung“, blieben ihrem Glauben treu und gingen unerschrocken in Haft und Tod.

Auch die wenigen von ihnen, die diesem Terror nicht bis zuletzt erduldeten, haben eine brutale Verfolgung erleiden müssen. Ihnen allen zollen wir hohe Anerkennung und Respekt. Die Nichte des späteren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, Geneviève de Gaulle, die als französische Widerständlerin ebenfalls Häftling der Nazis im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück war, formulierte es aus eigenem Erleben dieser Leidensgenossinnen einmal so: „Ich hatte große Achtung vor ihnen, denn sie hätten ja von heute auf morgen freikommen können, wenn sie durch eine Unterschrift ihrem Glauben abgeschworen hätten... Im Grunde waren die Frauen, die so schwach und ausgemergelt aussahen, stärker als die SS, die die Macht auf ihrer Seite hatte und alle Mittel aufbieten konnte.“

Zu dieser bundesweiten Wanderausstellung der Zeugen Jehovas in Deutschland hat der Förderverein Mahnmal Koblenz einen regionalen Teil mit Schicksalen von Zeugen Jehovas aus dem Koblenzer Raum erarbeitet. Er wird zusammen mit der Ausstellung der Zeugen Jehovas im Rathaus präsentiert. Dargestellt werden von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig unter dem Titel: „Trotz allem standhaft! – Die Verfolgung und Resistenz der Zeugen Jehovas im Raum Koblenz 1933 – 1945“ die Schicksale von insgesamt zwölf Familien bzw. Einzelpersonen. Diese stammen zwar nicht unmittelbar aus Koblenz, da es hier zur damaligen Zeit keine Versammlung und nicht einmal eine Einzelperson dieser Glaubensgemeinschaft gab, wohl aber aus dessen Umgebung.

 

Blicke in den von unserem Förderverein präsentierten regionalen Teil mit Biografien von
verfolgten Zeugen Jehovas aus der Umgebung von Koblenz.

Kleine Versammlungen von Zeugen Jehovas bestanden damals in Neuwied und im Westerwald sowie an der Nahe: Von ihnen werden porträtiert: Die Familie Fritz Michaelis und Friedel Kreier aus Neuwied, Familie Gustav und Helene Meutsch aus Borod/Westerwald und Hermann Kubalski aus Wissen/Sieg, Johanna und Otto Müller sowie Heinrich Herbener aus Idar-Oberstein, Auguste Schneider aus Bad Kreuznach und Luise Thomas und ihre Töchter Anna und Ruth aus Kirn/Nahe. Außerdem gibt es Lebensbeschreibungen von Maria Hombach mit ihrer Schwester Anna aus Bad Ems, Max Hollweg aus Marienfels bei Nastätten und Jakob Stiehl aus Manubach bei Bacharach. All diesen Porträtierten ist gemeinsam, dass sie in der Nähe von Koblenz gelebt haben bzw. in Koblenz verfolgt wurden. Denn Koblenz war damals Sitz von Verwaltungsbehörden, wie der Gestapo(leit)stelle Koblenz, und von Gerichten, wie dem Sondergericht, die maßgeblich an der Verfolgung der Zeugen Jehovas in der Region beteiligt waren. Hier wurden sie in „Schutz“- und Untersuchungshaft genommen. Hier machte man ihnen vor dem Sondergericht den Prozess wegen „illegaler Betätigung für die Internationale Bibelforscher-Vereinigung“. Von hier aus organisierte man ihre Verschleppung in die Konzentrationslager und führte diese dann auch durch. Hier begann ihr Leidensweg, der manche von ihnen bis ins Konzentrationslager Auschwitz und in den Tod führte. Eine ganz besondere Rolle in der Ausstellung spielt die Familie Schürmann. Ein Mitglied der Familie, Heinz Schürmann, lebt seit Jahrzehnten in Mayen. Diese große Familie, von der zahlreiche Angehörige Zeugen Jehovas waren und auch heute noch sind, hat während der gesamten NS-Zeit ein kaum vorstellbares Maß an Verfolgung erlitten.


Eröffnet wurde die Ausstellung mit einer sehr gut besuchten Veranstaltung am Mittwoch, dem 13. Januar 2010, um 19.00 Uhr im Historischen Rathaussaal.
 
 
Es sprachen Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann, der Vorsitzende unseres Fördervereins Mahnmal Koblenz Dr. Frank Tiedemann und als Vertreter der Zeugen Jehovas in Deutschland Wolfram Slupina. Umrahmt wurde die Eröffnung von zwei jungen, sehr talentierten Gitarristen der Gitarrenakademie der Musikschule Koblenz.
 

Die Ansprache des Vorsitzenden Dr. Frank Tiedemann wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Anwesende,

ich freue mich, hier als Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. zur Eröffnung der Ausstellung: „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ ein Grußwort zu sprechen.

Als wir uns vom Förderverein Mahnmal im Frühsommer letzten Jahres um diese Wandera
usstellung der Zeugen Jehovas für die diesjährigen Veranstaltungen zum 27. Januar bemühten, trafen wir auf „alte“ Bekannte: auf Sie, sehr geehrte Eheleute Annemarie und Ottmar Jakob von der Versammlung Koblenz Nord, und auf andere Zeugen Jehovas aus Koblenz und Umgebung und auf Sie, sehr geehrter Herr Wolfram Slupina vom Zweigbüro in Selters. Man kannte sich. Denn schon im Mai 2001- also vor nunmehr fast neun Jahren – war diese Ausstellung der Zeugen Jehovas in Koblenz gezeigt worden, und zwar im Kurfürstlichen Schloss - allerdings nur für drei oder vier Tage. Trotz der kurzen Dauer war die Ausstellung seinerzeit ein großer Erfolg. Nach neun Jahren wird sie in Koblenz wieder präsentiert. Sie fragen sich bestimmt: Warum ein zweites Mal? Und bestimmt auch: Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Nun: Es hat sich in den neun Jahren viel geändert und dies und der Zeitablauf rechtfertigen eine erneute Ausstellung. Erwähnt werden muss – damit auch das nicht in Vergessenheit gerät -, dass damals mein Vorgänger im Amt, Herr Kalle Grundmann, den ich hier sehr herzlich begrüße, die Geschicke des Fördervereins Mahnmal Koblenz mit Erfolg und Umsicht lenkte. Veranstalter damals waren aber die Zeugen Jehovas in Deutschland. Zu der Wanderausstellung gab es eine kleine regionale Ergänzung der Ausstellung durch unser Vereinsmitglied Joachim Hennig. Heute ist der Förderverein Mahnmal Koblenz Veranstalter der Ausstellung und die Zeugen Jehovas vor Ort sind unser Kooperationspartner. Auch diesmal gibt es einen regionalen Teil zur Wanderausstellung. Es sind zwölf Lebensbilder von Zeugen Jehovas aus dem Raum Koblenz – also bereits eine kleine Ausstellung in der Ausstellung. Sie hat auch einen eigenen Titel: „Trotz allem standhaft! Die Verfolgung und Resistenz der Zeugen Jehovas im Raum Koblenz 1933 – 1945“. Das Wissen um die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Koblenzer Raum und dessen Präsentation ist also erheblich größer geworden. Dazu haben wir vom Förderverein Mahnmal Koblenz zusammen mit dem Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas in Selters entscheidend beigetragen. Auch sonst haben wir unsere Aktivitäten wesentlich gesteigert und können Erfolge vorweisen. Ich erinnere nur an das im Jahr 2001 für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz auf dem Reichensperger Platz errichtete Mahnmal, unsere sehr interessante und gut besuchte Homepage sowie die Dauerausstellung mit inzwischen 80 Biografien von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung, von der wir mit den 12 porträtierten Zeugen Jehovas hier einen Teil zeigen.
Und auch die Zeugen Jehovas haben sich seit dem Jahr 2001 verändert. Sinnfälligster Ausdruck ist die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland. Vorausgegangen war ein 13 Jahre langer Streit mit dem Land Berlin – bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht und zum Bundesverfassungsgericht. Selbst heute sind sie noch nicht unangefochten. So streiten sich die Juristen noch darüber, ob die Anerkennung im Land Berlin Signalwirkung für die anderen Bundesländer hat oder aber ob die Anerkennung in jedem einzelnen Bundesland noch erstritten werden muss – sofern das Land nicht den Urteilsspruch in Berlin akzeptiert. In diesen Rechtsstreitigkeiten spiegelt sich auch der Mangel an gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz der Zeugen Jehovas wider. Die chiliastische Glaubensgemeinschaft, die sich als Fortsetzung der Urkirche Christi versteht, zeichnet großen Missionseifer aus. Sie lebt streng nach der Bibel und in der Naherwartung des darin verheißenen „Reiches Gottes“, das Jesus Christus auf der Erde errichten wird. Dieser Glaubenseifer und diese Glaubensüberzeugung haben es in unserer säkularen Welt sehr schwer – der Absolutheitsanspruch der Zeugen Jehovas macht uns – der Mehrheitsgesellschaft - die Akzeptanz noch schwerer.
Die Stadt Koblenz mit Ihnen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Schulte-Wissermann an der Spitze, hat sich von diesem schwierigen Verhältnis zu den heutigen Zeugen Jehovas bei der Beurteilung unserer jüngsten Geschichte nie irritieren lassen. In Koblenz lässt man seit vielen Jahren den NS-Opfern – und auch den Zeugen Jehovas als NS-Opfer – den Respekt und die Anerkennung zuteil werden, die sie verdienen. – Aber gleichwohl hat sich heute auch auf Seiten der Stadt etwas verändert. Denn die Stadt Koblenz ist jetzt ebenfalls Kooperationspartner dieser Ausstellung. Es ist sogar das erste Mal, dass der Aufgang hier im Rathaus als Ausstellungsraum genutzt wird. Besonders dankbar sind wir, dass wir die Ausstellung hier im Historischen Rathaussaal eröffnen können – es ist ja der Festsaal der Stadt schlechthin. In diesen Dank schließen wir auch Sie, lieber Herr Preußer, vom Kulturamt ein. Sie haben es möglich gemacht, dass auch die Begleitveranstaltungen zur Ausstellung hier stattfinden können.
Zu der Ausstellung gehören drei Begleitveranstaltungen: Neben einem Filmabend am kommenden Montag freuen wir uns sehr, Ihnen am Donnerstag in einer Woche ein Zeitzeugengespräch und am 1. Februar eine Präsentation einer Geschichtsarbeit anbieten zu können. Zeitzeugen sind die authentischsten Informanten über unsere jüngste Geschichte. Die, die über die NS-Zeit aus eigener Anschauung berichten können, werden aber immer weniger – liegen doch die Schrecken dieses dunkelsten Kapitel unserer Geschichte inzwischen 65 und mehr Jahre zurück. Umso mehr freuen wir uns, dass Sie, sehr geehrter Herr Heinz Schürmann, wieder einmal über die Verfolgung Ihrer Familie und ihre eigene Verfolgung als kleiner Junge berichten werden. Eine glückliche Fügung ist es auch, dass wir die Schülerin Ann-Jacqueline Frieser für die dritte Begleitveranstaltung gewonnen haben. Auch Dir und Deiner Familie ein herzliches Willkommen hier in Koblenz. Du hast mit Deiner Arbeit über einen Zeugen Jehovas am Geschichtswettbewerb „Helden“ des Bundespräsidenten teilgenommen und bist vor zwei Monaten die dritte Bundessiegerin geworden – Deine Arbeit gehört damit bundesweit zu den besten 50 von insgesamt fast 2.000 Arbeiten. Ergänzt wird die Präsentation dieser Schülerarbeit durch einen Vortrag des Rechtshistorikers Dr. Dirksen über die Doppelverfolgung der Zeugen Jehovas – Verfolgung einmal durch die Nazis und ein zweites Mal durch die DDR – das ist ein ebenso dunkles wie auch weitgehend unbekanntes Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte.
Mit dieser Ausstellung und auch gerade mit dem regionalen Teil und dem Begleitprogramm wollen wir den Opfern des NS-Regimes ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Integrität und ihre Würde zurückgeben. Wir wollen sie auch als Leitbilder für uns alle und insbesondere für unsere Jugendlichen präsentieren. Auch wenn diese Menschen anders gläubig waren und sind als wir, können sie für uns Vorbilder für Zivilcourage und Mut sein, wie auch für Glaubensgewissheit und ein Handeln entsprechend dem, was man für richtig erkannt hat. Dabei wollen wir deutlich machen, dass es solche Menschen auch bei uns – hier in der Koblenzer Region – gab. Damit diese Menschen nicht vergessen werden, damit die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der NS-Zeit uns eine Mahnung zu Toleranz und freiheitlichem Denken und Handeln ist und wir diese NS-Opfer als Vorbilder für uns erkennen können, zeigen wir die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung“ – nach neun Jahren auch ein zweites Mal: Man kann solche aufrüttelnden Ausstellungen nicht oft genug präsentieren und anschauen.
 

V.l.n.r.: Vorstandsmitglied unseres Fördervereins Bodo Zielinski, Vorsitzender Dr. Frank Tiedemann,
stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig, Vertreter der Zeugen Jehovas Wolfram Slupina.

Zu der Ausstellung gehören drei Begleitveranstaltungen: Neben einem Filmabend am kommenden Montag freuen wir uns sehr, Ihnen am Donnerstag in einer Woche ein Zeitzeugengespräch und am 1. Februar eine Präsentation einer Geschichtsarbeit anbieten zu können. Zeitzeugen sind die authentischsten Informanten über unsere jüngste Geschichte. Die, die über die NS-Zeit aus eigener Anschauung berichten können, werden aber immer weniger – liegen doch die Schrecken dieses dunkelsten Kapitels unserer Geschichte inzwischen 65 und mehr Jahre zurück. Umso mehr freuen wir uns, dass Sie, sehr geehrter Herr Heinz Schürmann, wieder einmal über die Verfolgung Ihrer Familie und ihre eigene Verfolgung als kleiner Junge berichten werden. Eine glückliche Fügung ist es auch, dass wir die Schülerin Ann-Jacqueline Frieser für die dritte Begleitveranstaltung gewonnen haben. Auch Dir und Deiner Familie ein herzliches Willkommen hier in Koblenz. Du hast mit Deiner Arbeit über einen Zeugen Jehovas am Geschichtswettbewerb „Helden“ des Bundespräsidenten teilgenommen und bist vor zwei Monaten die dritte Bundessiegerin geworden – Deine Arbeit gehört damit bundesweit zu den besten 50 von insgesamt fast 2.000 Arbeiten. Ergänzt wird die Präsentation dieser Schülerarbeit durch einen Vortrag des Rechtshistorikers Dr. Dirksen über die Doppelverfolgung der Zeugen Jehovas – Verfolgung einmal durch die Nazis und ein zweites Mal durch die DDR – das ist ein ebenso dunkles wie auch weitgehend unbekanntes Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte.
Mit dieser Ausstellung und auch gerade mit dem regionalen Teil und dem Begleitprogramm wollen wir den Opfern des NS-Regimes ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Integrität und ihre Würde zurückgeben. Wir wollen sie auch als Leitbilder für uns alle und insbesondere für unsere Jugendlichen präsentieren. Auch wenn diese Menschen anders gläubig waren und sind als wir, können sie für uns Vorbilder für Zivilcourage und Mut sein, wie auch für Glaubensgewissheit und ein Handeln entsprechend dem, was man für richtig erkannt hat. Dabei wollen wir deutlich machen, dass es solche Menschen auch bei uns – hier in der Koblenzer Region – gab. Damit diese Menschen nicht vergessen werden, damit die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der NS-Zeit uns eine Mahnung zu Toleranz und freiheitlichem Denken und Handeln ist und wir diese NS-Opfer als Vorbilder für uns erkennen können, zeigen wir die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung“ – nach neun Jahren auch ein zweites Mal: Man kann solche aufrüttelnden Ausstellungen nicht oft genug präsentieren und anschauen.

Lesen Sie Hier den Bericht über die Ausstellungseröffnung in der Rhein-Zeitung vom 15. Januar 2010.

Begleitet wurde die Ausstellung von drei Veranstaltungen, die ebenfalls im Historischen Rathaussaal stattfanden:

Am Montag, dem 18. Januar 2010 war Filmabend. Gezeigt wurden zwei Filme: Einmal der Film zur Ausstellung, „Standhaft trotz Verfolgung – Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime“
und der Film von Loretta Walz: „’Wir hatten uns nichts vorzuwerfen’. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus“. Der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig gab dazu eine Einführung.

Lesen Sie HIER die Einführung, die Joachim Hennig zu den beiden Filmen gab:


Einführung in den Filmabend am 18. Januar 2010

von Joachim Hennig

Meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, sie als stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. hier im Historischen Rathaussaal begrüßen zu dürfen. Wie Sie wissen, zeigen wir in Kooperation mit den Zeugen Jehovas in Koblenz und mit der Stadt Koblenz aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar dieses Jahres die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“. Sie haben sie sicherlich auf dem Weg hierher angeschaut oder auch schon zuvor gesehen. Zu dieser Wanderausstellung der Zeugen Jehovas in Deutschland hat der Förderverein Mahnmal Koblenz einen regionalen Teil mit Schicksalen von Zeugen Jehovas aus der Koblenzer Region erarbeitet. Auch diesen Teil hier oben haben Sie sicherlich schon gesehen. Zu dieser Ausstellung gibt es auch ein Begleitprogramm, das sind drei Veranstaltungen. Erste Veranstaltung ist heute ein Filmabend.

Wir zeigen zwei Filme. Zunächst ist das der Film „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“. Es folgt dann der Film „Wir hatten uns nichts vorzuwerfen – Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus“. Zu beiden möchte ich Ihnen eine Einführung geben. Ich beginne mit dem Film „Standhaft trotz Verfolgung“.

Dieser Film ist der Begleitfilm, den die Zeugen Jehovas zu der gleichnamigen Wanderausstellung erarbeitet haben. In 28 Minuten – so lange dauert der Film – erhalten Sie einen sehr guten Einblick in diese Thematik. Dabei kann man den Film mindestens aus drei Blickwinkeln heraus betrachten. Ich möchte sie Ihnen kurz vorstellen.

Der erste Blickwinkel ist das Kennen lernen der Verfolgungs-geschichte der Zeugen Jehovas. Dies geschieht nicht abstrakt, sondern vielmehr anhand von Zeitzeugenberichten. Bekannte Zeugen Jehovas wie Heinrich Dickmann, Paul Gerhard Kusserow, Gertrud Pötzinger, Horst Schmidt und Hans Wohlfahrt schildern in kurzen Interviews, wie sie und andere Glaubensgeschwister dem Terror der Nazis widerstanden und standhaft trotz Verfolgung geblieben sind. Zu sehen sind auch Max Hollweg und Maria Hombach. Beide stammen übrigens aus dem Koblenzer Raum - Max Hollweg aus Marienfels bei Nastätten und Maria Hombach aus Bad Ems –, sie werden übrigens in unserem regionalen Teil der Ausstellung ebenfalls porträtiert.

Ergänzt werden diese Lebensgeschichten durch Wort- und Schriftdokumente der Zeugen Jehovas aus der NS-Zeit sowie durch Stellungnahmen von Historikern und Mithäftlingen. Zu Wort kommt etwa auch die Nichte des späteren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, Geneviève de Gaulle, die als französische Widerständlerin ebenfalls Häftling der Nazis im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück war. Sie formulierte es aus eigenem Erleben dieser Leidensgenossinnen einmal so: „Ich hatte große Achtung vor ihnen, denn sie hätten ja von heute auf morgen freikommen können, wenn sie durch eine Unterschrift ihrem Glauben abgeschworen hätten... Im Grunde waren die Frauen, die so schwach und ausgemergelt aussahen, stärker als die SS, die die Macht auf ihrer Seite hatte und alle Mittel aufbieten konnte.“ – Dieser Blickwinkel ist der persönliche, der biografische und ich möchte noch sagen emotionale Blickwinkel, aus dem man diesen Film sehen kann und sehen sollte.

Aber es gibt noch einen zweiten Blickwinkel. Das ist der zeitgeschichtliche Blickwinkel. Ich kenne keinen anderen Film, der die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland in so komprimierter Form und allgemein verständlich darstellt wie dieser Film. Dabei kommt ihm auch das Verdienst zu, diese Geschichte konsequent aus der Opferperspektive darzustellen. Das ist schwer, weil es aus dieser Zeit praktisch nur Filmmaterial der Nazis, also Propagandamaterial wie Wochenschauen, gibt. Dem Film gelingt es, dieses Bildmaterial einzubauen und zugleich Distanz dazu zu schaffen. Erzählt wird so anhand der Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas die Geschichte der 12 Jahre Naziherrschaft. Denn die Verfolgung der Zeugen fand – und das ist wie vieles ihrer Verfolgungsgeschichte sehr bemerkenswert – während der gesamten 12 Jahre statt. Das begann mit dem Verbot der Glaubensgemeinschaft am 24. Juni 1933 und endete nach den Todesmärschen aus den Konzentrationslagern erst mit der Befreiung der KZ-Häftlinge im Frühjahr 1945. Dabei erfahren wir auch etwas über die Verhältnisse in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern. Erwähnt wird auch die Verfolgung anderer Opfer, etwa der Kommunisten und der Juden. Denn die Zeugen Jehovas waren es, die schon sehr früh über die Verhältnisse in den Konzentrations-lagern aufklärten und die eigene Verfolgung aber auch die anderer, vor allem der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, publik machten.

Und es gibt noch ein dritter Blickwinkel, aus dem heraus Sie den Film sehen können. Es ist der – justizkritische Aspekt. Denn die Justiz in der NS-Zeit hat die Verfolgung der Zeugen Jehovas wesentlich mit verursacht und gefördert und sogar bewirkt. Wie ein roter Faden zieht sich die Verstrickung der NS-Justiz in die Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas durch diese 12 Jahre. Das begann – „harmlos“ – mit Geldstrafen und geringen Gefängnisstrafen von Amtsgerichten gegen einzelne Bibelforscher, weil sie entgegen dem Verbot weiterhin ihren Glauben lebten und von Haus zu Haus gingen und Menschen für ihren Glauben gewinnen wollten. Das setzte sich 1935/1936 mit schärferen Strafen der Sondergerichte wegen des gleichen Sachverhalts fort. Ab 1937 ließ sich die Justiz zum „Vorspiel“ des Dramas in den Konzentrations-lagern missbrauchen. Denn das weitere Schicksal der vor den Sondergerichten stehenden angeklagten Zeugen Jehovas bestimmte aufgrund von Geheimerlassen letztlich die Gestapo. Wurden die Zeugen Jehovas womöglich freigesprochen oder schworen sie nach der Verbüßung ihrer Gefängnisstrafe von ihrem Glauben nicht ab, so wurden sie aus den Gefängnissen heraus der Gestapo überstellt. Die damalige Justiz war also – wenn Sie so wollen – eine Justiz auf Abruf. Sie lieferte noch die scheinlegale Grundlage für die Verfolgung, die dann - an die strafrechtliche Verfolgung anschließend - die Zeugen Jehovas in die KZs und in den Tod führte. Die Richter und Staatsanwälte, die für diese Verfolgung mit verantwortlich waren, waren übrigens keine jugendlichen Hasardeure. Wer Mitte der 1930er Jahre Richter und Staatsanwalt war, war 1880, 1890 geboren, hatte seine Ausbildung zum Juristen im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik, der ersten Demokratie auf deutschem Boden, erhalten und/oder hatte seine berufliche Laufbahn in der Weimarer Republik begonnen.

Mit dem Beginn des von Hitler-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges wurde die Justiz selbst zum unerbittlichen Verfolger der Zeugen Jehovas. Mit der Kriegssonderstrafrechts-Verordnung und dessen § 5 wurde das, was sieben Jahre zuvor noch mit einer Geldstrafe geahndet wurde – nämlich das Leben nach den Geboten ihrer Glaubensgemeinschaft – auf einmal „todeswürdig“ – die Verweigerung des Kriegsdienstes durch den jungen Zeugen Jehovas selbst wie auch deren Unterstützung und Hilfe durch andere. So sind mehr als 250 junge Zeugen Jehovas wegen Verweigerung des Kriegsdienstes zum Tode verurteilt und auch hingerichtet worden. Ihre Rehabilitierung hat übrigens mehr als 50 Jahre gedauert. Erst im Jahr 1997 hat der Deutsche Bundestag die Todesurteile der NS-Justiz gegen Kriegsdienstverweigerer für nichtig erklärt und den Opfern eine einmalige Entschädigung zugesprochen. Dies ist ein sehr beschämendes Kapitel der deutschen Justizgeschichte – und zwar sowohl in der NS-Zeit als auch in der Zeit danach.

Meine sehr geehrten Damen und Herren. Aus welchem Blickwinkel auch immer Sie jetzt den Film „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ sehen – aus diesem oder jenem oder auch diesem und jenem: Ich wünsche Ihnen anrührende und informative 28 Minuten.

 

So, meine sehr geehrten Damen und Herren,

das war jetzt der erste Film, den wir Ihnen zeigen wollten: „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“. Ich denke, ich habe Ihnen nicht zuviel versprochen. Es ist ein wirklich guter Film. Den kann man sich auch noch ein zweites Mal ansehen und/oder anderen zeigen. Wenn Sie Multiplikator sind – etwa als Lehrer oder in der Jugendarbeit Tätiger -, dann können Sie sich an die Zeugen Jehovas wenden. Dort erhalten Sie den Film dann kostenlos zur eigenen Information und zur Vorführung für andere. – Das ist doch richtig, Herr Jakob, oder?

Ehe ich Ihnen jetzt noch ein paar Worte zu dem zweiten Film sage, möchte ich mich noch ganz herzlich bei einem bedanken, der im Allgemeinen nicht im Vordergrund steht, sondern eher im Hinter-grund seine sehr verdienstvolle Arbeit verrichtet – und erst eine Veranstaltung wie diese hier mit möglich macht. Das ist Herr Claus-Dieter Jentsch, Sie sind mit Ihrem Team, zu dem auch Ihr Sohn gehört, derjenige, der für die Technik hier sorgt – und auch bei der Ausstellungseröffnung dafür gesorgt hat. Ihnen, sehr geehrter Herr Jentsch, ein ganz herzliches Dankeschön für Ihre Unterstützung. Es ist sehr gut, wenn man viele helfende Hände und auch Kooperationspartner hat.

Damit kommen wir nun zu dem zweiten Film des heutigen Abends. Es ist ein Film von Günter Hoffmann und Loretta Walz mit dem Titel: „’Wir hatten uns nichts vorzuwerfen.’ – Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus.“ Das ist eine Loretta Walz Videoproduktion. Loretta Walz ist bekannt für ihre sehr einfühlsamen Filme über Frauen im Konzentrationslager, vor allem über das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Der hier vorgestellte Film fügt sich in das Schaffen von Loretta Walz ein. Entstanden ist er in Zusammenarbeit mit der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und dem Institut für Geschichte und Biografie der Fernuniversität Hagen.

Der Film erzählt ebenfalls die Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Er orientiert sich noch stärker an Biografien von Zeitzeugen und hat als Hintergrund die Verhältnisse im KZ Ravensbrück. Zum Ort so viel: Das Konzentrationslager Ravensbrück lag in der Nähe der Stadt Fürstenberg an der nördlichen Grenze des heutigen Bundeslandes Brandenburg. Heute ist es eine wichtige Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus. In der NS-Zeit war es das wichtigste Frauen-Konzentrationslager. Es war in zeitlicher Hinsicht das dritte Frauen-KZ – nach Moringen und Lichtenburg. Es wurde ganz neu geplant und gebaut – wie die KZ Buchenwald und Sachsenhausen. Es war kein frühes Konzentrationslager und es war - wie die späteren zum Teil – auch kein Vernichtungslager. Ende 1944 waren ca. 43.000 Frauen im KZ Ravensbrück. Offiziell eröffnet wurde das KZ Ravensbrück am 15. Mai 1939. Die erste Stärkemeldung führte 974 Häftlinge auf. Die meisten von ihnen waren Zeuginnen Jehovas – nämlich 388 -, sowie 114 politische Häftlinge, 119 sog. kriminelle Vorbeugehäftlinge, 240 sog. Asoziale und 95 Frauen, die wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“ im KZ inhaftiert waren, 137 Frauen waren Jüdinnen. Die Zusammensetzung der Häftlinge – gerade auch im Zuge des Zweiten Weltkrieges – änderte sich natürlich. Die Zahl der Zeuginnen Jehovas nahm noch zu, in der Relation zu den 43.000 Häftlingen im Jahr 1944 war ihr Anteil aber dann recht gering.

Der Film lebt maßgeblich von der Person Gertrud Pötzinger, die schon in dem Film „Standhaft trotz Verfolgung“ zu sehen war. Sie kommt in diesem Film ausführlicher zu Wort. Sie, die sieben Jahre Haft in Gefängnissen und dann im Konzentrationslager Ravensbrück erleiden musste, schildert kraftvoll und sehr glaubwürdig, wie sie sich selbst und ihrem Glauben treu geblieben ist. Dabei schildert sie auch, wie sich ab 1943 für die Zeugen Jehovas die Verhältnisse in den Konzentrationslagern änderten. Auf einmal und auf Befehl Himmlers wurden sie zu privilegierten Arbeiten herangezogen. Viele von ihnen kamen in Arbeit – und zwar in sog. Familien- und Außenkommandos. Sie durften sogar das KZ verlassen und waren Kindermädchen u.ä. in SS-Familien. Dafür bekamen sie sogar Ausweise. Übrigens: Eine solche Privilegierung hatte auch die im regionalen Teil der Ausstellung porträtierte Helene Meutsch aus Borod/Westerwald.

Da das KZ Ravensbrück von Anfang an auch ein KZ für Männer war – allerdings ein sehr viel kleineres -, werden in diesem Film auch dort inhaftiert gewesene Männer interviewt. Das ist vor allem Friedrich Klingenberg. Auch er erfuhr ab 1943 eine Privilegierung und war auf dem nahe gelegenen Gut von Felix Kesten tätig, dem Leibarzt Heinrich Himmlers.

Dies sind alles eindrucksvolle Schicksale, die sehr glaubwürdig zeigen, wie Menschen geprägt und geleitet von einem Wertsystem sich selbst und ihren Werten treu bleiben – das ist in ihrem Fall der Glaube an Jehova Gott und die Verbindlichkeit des ihm gegebenen Gelübdes. Diese Menschen können Leitbilder für uns alle sein – egal, ob man Zeuge Jehovas ist oder nicht, egal, ob man dieses Wertsystem für sich für verbindlich erklärt hat oder ein anderes – etwa ein christlich-humanitäres Wertsystem. Hauptsache ist, dass man sich in der heutigen Zeit in seinem Denken, Wollen und Handeln überhaupt von einem Wertsystem leiten lässt.

Diese Biografien der Zeitzeugen stehen für das Schicksal sehr, sehr vieler Zeugen Jehovas, die in der NS-Zeit ähnliches erleben und erleiden mussten. Im Jahr 1933 lebten in Deutschland etwa 25.000 Zeugen Jehovas. Insgesamt sind 11.300 Zeugen Jehovas – Deutsche, aber auch Österreicher, Tschechen und Menschen anderer Nationalität – als Haftopfer registriert. Darüber hinaus gibt es viele Zeugen, die in anderer Form, wie z.B. durch Geldstrafen, Verlust des Arbeitsplatzes, Rentenentzug, Misshandlungen in der Schule, Entzug des Sorgerechts u.a. mehr, Verfolgung in der NS-Zeit erleiden mussten. Nimmt man diese Schikanen und Existenz-gefährdungen zu den Inhaftierungen hinzu, so ist von einer Gesamtzahl von 13.400 durch den Nationalsozialismus verfolgten Zeugen Jehovas auszugehen. Dies sind aber nur die Überlebenden. Hinzu kommen noch die, die die schwerste Verfolgung erlitten haben: den Tod durch Hinrichtung oder durch die unmenschliche Behandlung und Vernichtung in den Konzentrationslagern. Registriert ist der Tod von 950 deutschen und 540 ausländischen Zeugen Jehovas, insgesamt also 1.490 Menschen. In der Fachliteratur wird allgemein von 1.500 Todesopfern gesprochen, in der Literatur der Zeugen Jehovas ist von fast 2.000 Todesopfern die Rede. Dies sind alles ungefähre Zahlen. Ganz exakt lässt sich das nicht feststellen. Eins ist jedoch auch klar: Je mehr wir über die Verfolgung der Zeugen Jehovas gerade auch vor Ort wissen, je größer wird die Zahl der verfolgten Zeugen Jehovas, der Toten und der Überlebenden.

Der Film endet mit dem Hinweis, dass die Zeugen Jehovas nur wenige Jahre nach der Befreiung vom Faschismus erneut verfolgt wurden – und zwar durch die Staatsorgane der damaligen DDR. Dies führt uns zu der dritten Begleitveranstaltung zu der Ausstellung. In ihr steht am Montag, 1. Februar, zur gleichen Zeit an gleichem Ort die „Doppelverfolgung der Zeugen Jehovas“ im Mittelpunkt. Dazwischen, an diesem Donnerstag, wird Herr Heinz Schürmann aus Mayen mit mir und auch mit Ihnen ein Zeitzeugengespräch führen über die Verfolgung seiner Familie und auch von ihm selbst in der NS-Zeit. Das Gespräch findet ebenfalls hier und auch um 19.00 Uhr statt. Zu allen Veranstaltungen sind Sie und viele andere sehr herzlich eingeladen.

Jetzt sehen wir uns gemeinsam aber erst einmal den Film „Wir hatten uns nichts vorzuwerfen“. Er dauert 33 Minuten. Wenn Sie danach noch wollen, können wir uns gern über diese beiden Filme unterhalten.
Alle Fotos: Heinz Rinck