Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Vortrag von Joachim Hennig in Bad Kreuznach zur Erinnerung an Dr. Karl Sack (1896 - 1945).


Aus Anlass der 70. Wiederkehr der Ermordung des höchsten Heeresrichters Dr. Karl Sack am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hält unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig einen Vortrag über diesen in Bosenheim (heute ein Stadtteil von Bad Kreuznach) geborenen Pfarrerssohn im Großen Sitzungssaal (Brückes 1) in Bad Kreuznach. Auf Einladung der Stiftung Haus der Stadtgeschichte Bad Kreuznach macht Hennig in seinem Vortrag auch deutlich, warum Sack, nach dem u.a. eine Straße in Bosenheim benannt ist, bis heute umstritten ist.

Lesen Sie nachfolgend den Vortrag, den unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig am 9. April 2015 in Bad Kreuznach gehalten hat:

Dr. Karl Sack (1896 – 1945): Höchster Heeresrichter im Zweiten Weltkrieg und Widerständler aus Bosenheim

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

haben Sie, liebe Frau Blum-Gabelmann, herzlichen Dank für die freundlichen einführenden Worte und Sie alle für den aufmunternden Beifall. Gern bin ich wieder bei Ihnen hier im Großen Sitzungssaal mit einem Thema zur NS-Zeit. Wer mich und meine Vorträge kennt, weiß, dass ich immer eine harte Kost aus Koblenz nach hier mitbringe. So ist es auch heute.

Begeben wir uns jetzt auf eine Zeitreise, die uns Heutige zurück in 120 Jahre deutsche Geschichte führt. Diese Reise beginnen wir mittendrin in diesem Zeitraum, mit einem Zeitstopp vor 70 Jahren.

Die Zeit stoppt auf den Tag genau vor 70 Jahren: am 9. April 1945. Hier in Bad Kreuznach war der Zweite Weltkrieg bereits zu Ende. Vier Wochen vorher, am Sonntagmorgen des 18. März, waren die ersten amerikanischen Panzer vor der Stadt aufgefahren und darauf-hin hatte eine Delegation die Stadt an die Amerikaner übergeben.

Ganz anders war die Situation in der Mitte des damals noch verbliebenen Deutschen Reiches, etwa in dem 400 Kilometer östlich von hier entfernten Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz, an der tschechischen Grenze. In Flossenbürg war der Krieg noch nicht zu Ende. Dort – wie auch an vielen anderen Orten - zeigte der NS-Terror seine verheerende, menschenverachtende Brutalität. Es war Mörderstunde: Auf die verschiedenste Art und Weise wurden Häftlinge aus Gefängnissen und Konzentrations-lagern umgebracht. Einer dieser Ermordeten war Dr. Karl Sack, geboren 1896 in dem damals noch selbständigen Bosenheim. Er war der höchste Heeresrichter der damaligen deutschen Wehrmacht. An jenem 9. April 1945 wurde er von einem eilig zusammengestellten Exekutionskommando gemeinsam mit Admiral Wilhelm Canaris, Generalmajor Hans Oster, Hauptmann Ludwig Gehre und dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer erhängt. Sie wurden ermordet, damit sie nicht über das Ende des sog. Dritten Reiches hinaus am Leben bleiben konnten. Sie sollten mit der NS-Diktatur, der sie alle über Jahre hinweg gedient hatten, untergehen, vernichtet werden.

Fragen wir uns: Wer war dieser Dr. jur. Karl Sack? Wie war sein Leben und Wirken? Was war der Grund für seine Ermordung in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges?

Karl Sack wird – wie gesagt - am 9. Juni 1896 in Bosenheim geboren. Er ist das zweite Kind des dortigen evangelischen Pfarrers Hermann Sack und seiner Ehefrau Anna, geb. Neuschäffer. Die Eheleute hatten 1892 in Darmstadt geheiratet, offensichtlich stammte Karl Sacks Mutter von da. Karls Sacks war noch nicht lange in Bosenheim. Er war dort noch Pfarrverwalter. Das erste Kind der Eheleute Sack, eine Tochter namens Elisabetha, war aber schon 1895 in Bosenheim geboren. Von ihr wissen wir aus der Biografie Karls Sacks nichts. Wie auch andere Frauen kommt sie in seiner Lebensbeschreibung überhaupt nicht vor. Und dabei ist diese Elisabetha sehr alt geworden und im Jahr 2001 mit 106 Jahren in Langenfeld im Rheinland gestorben. Als die Familie Sack in Bosenheim lebte, war der Ort noch selbständig. Er gehörte verwaltungsmäßig zum Kreis Bingen, damit zu Rheinhessen und zum Großherzogtum Hessen. Kirchenorganisatorisch gehörte es zur Evangelischen Kirche Hessen-Nassau und gerichtsorganisatorisch zum Landgericht Mainz.

Der kleine Karl geht zunächst in die zweiklassige Volksschule in Bosenheim. Nach drei Jahren wechselt er auf das humanistische Königlich-Preußische Gymnasium in Bad Kreuznach (heute: Gymnasium an der Stadtmauer). Aus der Schulzeit von Karl Sack hier in Bad Kreuznach wissen wir nicht viel. Bekannt ist allein, dass der zwei Jahre ältere Alexander Kraell einer seiner Mitschüler war. Wie wir später noch erfahren werden, werden beide später beruflich noch zusammenarbeiten – man begegnet sich im Leben halt oft zweimal.

Im Jahr 1910 – mit 14 Jahren – verlässt Familie Sack Bosenheim. Der Vater wird nach Niederweisel bei Butzbach in Oberhessen versetzt. Karl besucht nun das humanistische Gymnasium in Friedberg und macht im Februar 1914 sein Abitur. Sogleich beginnt er mit dem Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und wird Mitglied in einer Burschenschaft, der Burschenschaft Vineta Heidelberg. Es ist eine farbentragende und fakultativ schlagende Burschenschaft. Der Wahlspruch der Vineta lautet: „amico pectus, hosti frontem“. Das ist lateinisch und heißt: „Dem Freunde die Brust, dem Feinde die Stirn.“ Da kann man jetzt viel hineinlesen. Ich sehe in diesem Spruch vor allem eine bewusste Polarisierung und ein Freund-Feind-Denken. Für sich selbst wählt Sack den Wahlspruch der Jenaer Urburschenschaft von 1815 „Ehre – Freiheit – Vaterland“, den er umwandelt in: „Gott – Ehre – Vaterland“. Danach bleibt es bei dem Dreiklang, „Ehre“ bleibt, „Vaterland“ bleibt, „Freiheit“ wird durch „Gott“ ersetzt. Das ist sicherlich Programm – auch darauf kommen wir noch zurück.

Viel Zeit bleibt dem jungen Karl Sack für sein Studium nicht. Denn wenige Monate später, Anfang August 1914, kommt es zum Ersten Weltkrieg. Sogleich meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. Schon ein Jahr später wird er zum Leutnant befördert. Mindestens fünfmal wird er schwer verwundet. Nach seiner dritten Verwundung wird er als nicht kriegsverwendungsfähig bezeichnet, gleichwohl rückt er wieder freiwillig ins Feld. Wenige Wochen vor Kriegsende, Ende September 1918, wird er wegen seiner schweren Verwundungen aus dem Militärdienst entlassen. Zahlreiche Auszeichnungen hat er erhalten: das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse, eine Tapferkeits-medaille und das Goldene Verwundetenabzeichen.

Nach Kriegsende kehrt Sack in das Zivilleben und in den Hörsaal zurück. Sein Jurastudium setzt er zunächst an der Universität in Frankfurt am Main und dann an der hessischen Landesuniversität in Gießen fort. Bereits im August 1920 schließt er das Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen mit „gutem Erfolg“ ab. Er wird Gerichtsreferendar und während der anschließenden Ausbildung auch promoviert. Im Oktober 1922 legt er das Zweite juristische Staatsexamen mit dem Prädikat „gut“ ab. Einen Monat später heiratet er seine Frau Wilhelmine, geb. Weber. Sie ist vier Jahre jünger als er und stammt aus Butzbach. Sechs Wochen später wird er zum Gerichtsassessor ernannt.

Das ist, meine Damen und Herren, eine Bilderbuchkarriere eines aufstrebenden Juristen, die zu hohen Erwartungen Anlass gibt. Aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammend, Sohn eines Pfarrers, mit einem streng konservativen, politisch deutschnationalen und monarchistischen Weltbild, als Burschenschaftler, hoch dekorierter Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, promovierter Jurist mit zwei guten Prädikatsexamina, verheiratet – aus der Ehe werden bald zwei Söhne hervorgehen – und schon mit 26 Jahren ernannter Gerichtsassessor – da durfte man sich berechtigte Hoffnung auf einen beruflichen Aufstieg machen.

Karl Sack beginnt Ende 1922 als Hilfsrichter beim Amtsgericht Gießen. Schon im nächsten Jahr muss er die Stelle wechseln, man schickt ihn zum Amtsgericht Ober-Ingelheim, um - wie es heißt – „für den erkrankten Amtsgerichtsrat richterliche Aushilfe zu leisten“. Das klingt recht harmlos, erhält aber durchaus Brisanz durch die Zeitläufte und die Hintergründe. Denn Ingelheim – wie ganz Rheinhessen - ist seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg von den Franzosen besetzt. Sie installieren ein Besatzungsregime, das die Separatisten in vielfältiger Weise unterstützt und deren Gegner bzw. Honoratioren schikaniert und aus dem Rheinland ausweist. So wurde auch der Ober-Ingelheimer Amtsgerichtsrat ausgewiesen, er hatte sich dann krankgemeldet.

In dieser Situation kommt nun der junge Hilfsrichter Karl Sack nach Ober-Ingelheim und findet ein führerloses Amtsgericht vor. Seine Aufgabe ist es, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und aufrecht zu erhalten – und das unter den Bedingungen der französischen Besetzung. Dazu gehört – wenn man es gut machen will -, Übergriffe der Separatisten abzuwehren und den Einfluss insbesondere des französischen Kreisdelegierten auf die Rechtspflege zu verhindern bzw. zurückzudrängen. Und das alles steht unter der Drohung der Ausweisung aus dem Rheinland.

Die Situation eskaliert Ende Oktober 1923 mit der Ausrufung der Rheinischen Republik durch die Separatisten. Sie sollte nach ihrem Willen eine selbständige Republik „im Verbande des Deutschen Reiches“ sein und das (preußische) Rheinland, Alt-Nassau, Rhein-hessen und die bayerische Rheinpfalz umfassen. Nach Aktionen der Separatisten zuerst in Aachen und dann in Koblenz wird auch in Ober-Ingelheim die Rheinische Republik ausgerufen. Auf dem Ober-Ingelheimer Rathaus wird die grün-weiß-rote Fahne der Rheinischen Republik gehisst und die Separatisten richten eine militärische Wache ein. Sie geben sogar ein eigenes Notgeld heraus, das sogleich inflationär in Umlauf kommt. Als die Geschäftsleute von Ober-Ingelheim die Annahme verweigern und daraufhin unter starken Druck gesetzt werden, interveniert Sack dagegen bei der französischen Besatzung. Er erstattet ein Rechtsgutachten, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Bürger nicht zur Annahme des Notgeldes verpflichtet sind. Das und die Folge müssen die Franzosen akzeptieren. Das separatistische Notgeld verliert schnell an Bedeutung. Schließlich erledigt sich die separatistische Bewegung – wie auch an anderen Orten des Rheinlandes. Man kann feststellen: Sack ist mit den Mitteln des Rechts den Separatisten engagiert und erfolgreich entgegengetreten. Später, im Jahr 1936, verfasst er einen 36-seitigen „Erlebnisbericht aus der Franzosen- und Separatistenzeit in Ober-Ingelheim in den Jahren 1923 – 1925“.

Im Sommer 1925 – inzwischen sind die beiden Söhne Heinz Hermann und Karl August geboren – verlässt Karl Sack mit seiner Familie Ober-Ingelheim, um eine neue Stelle als Amtsanwalt beim Amtsgericht in Alsfeld in Oberhessen anzutreten. Von dort wechselt er Anfang Februar 1926 an das Amtsgericht Schlitz in Ober-hessen. In Schlitz wird er wenig später planmäßig als Richter, als Oberamtsrichter, angestellt. Dies sind wohl die unbeschwertesten und glücklichsten Jahre in Leben Karl Sacks. In dieser Zeit tritt er der Deutschen Volkspartei (DVP) bei. Die DVP war eine national-liberale Partei der Weimarer Republik. Obwohl sie zunächst die Weimarer Reichsverfassung ablehnte, war sie von 1920 bis 1931 an fast allen Reichsregierungen beteiligt. Ihre führende Persönlichkeit war Gustav Stresemann. Er war wiederholt Außenminister und maßgeblich an völkerrechtlichen Verträgen beteiligt, die Deutsch-land nach dem Ersten Weltkrieg wieder in die Völkergemeinschaft zurückbrachten. Zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand wurde Stresemann 1926 der Friedensnobelpreis verliehen. Im Jahr darauf tritt Sack der DVP bei.

Ende 1930 kehrt Sack aus Oberhessen nach Rheinhessen zurück, wird zum Landgerichtsrat ernannt und an das Landgericht Mainz versetzt. Dort erlebt er das Ende der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie, und die Machtübernahme Hitlers und seiner „Bewegung“.

Sehr interessant wäre zu wissen, wie Sack das Aufkommen und die „Machtergreifung“ der Nazis beurteilt und welche Folgerungen er für sich persönlich gezogen hat. Leider gibt es von ihm dazu keine Erkenntnisse. Er hat weder ein Tagebuch geführt noch hat er einen überlieferten Briefverkehr gepflogen. Es gibt nichts Persönliches von ihm. Das macht die Einschätzung seiner Person und seiner Handlungen zu Beginn der NS-Diktatur und auch später sehr schwierig und eröffnet Spekulationen und Mutmaßungen Tor und Tür. Auch wir wollen hier eine solche Vermutung äußern, allerdings basiert sie auf einer recht tragfähigen Grundlage.

In der bisherigen Darstellung haben wir gesehen, dass Karl Sack – auch durch das protestantische Elternhaus geprägt – sehr konservativ, deutsch-national und monarchistisch eingestellt war. Diese Haltung und Weltsicht hat er dokumentiert und gelebt, etwa mit dem Eintritt in die schlagende Burschenschaft Vineta, seinen Wahlspruch: „Gott – Ehre – Vaterland“, seinen aufopferungsvollen Einsatz als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges und auch mit seinem Eintreten gegen die französische Besatzungsmacht und den Separatismus. Damit war Karl Sack ein typischer Jurist jener Jahre. Diese waren zum ganz überwiegenden Teil autoritär geprägt und deutschnational gesonnen. Sie standen der Weimarer Republik, einer „Demokratie ohne Demokraten“, reserviert bis feindlich gegenüber. Prägend für diese Juristen war auch der Wunsch, nicht abseits zu stehen, sondern mit zur „Volksgemeinschaft“ der Nazis zu gehören, und die Hoffnung auf eine Karriere, die durch die Personalpolitik der Nationalsozialisten, vor allem bei der Entlassung der jüdischen Juristen, noch beflügelt wurde. Bereits im März und im Mai 1933 gab es geradezu einen Ansturm der Juristen auf die Mitgliedschaft in der NSDAP – man nannte sie die „Märzgefallenen“ und „Maiveilchen“ -, bevor die NSDAP im Mai 1933 die Parteieintritte für einige Jahre stoppte.

Höhepunkt der Hitler-Euphorie war der Deutsche Juristentag Ende September/Anfang Oktober 1933 in Leipzig. Er stand unter dem Motto: „Dem Deutschen Volk das deutsche Recht.“ Auf der Schlusskundgebung am 3. Oktober 1933 vor dem Reichsgericht schworen sich die dort versammelten mehr als 12.000 (nach anderen Quellen mehr als 19.000) Juristen auf die „neue Justiz“ und Hitler persönlich ein. Sie alle bekannten in dem „Rütli-Schwur“:

Wir schwören beim ewigen Herrgott,

wir schwören bei dem Geiste unserer Toten,

wir schwören bei all denen, die das Opfer einer

volksfremden Justiz einmal geworden sind,

wir schwören bei der Seele des deutschen Volkes,

dass wir unserem Führer auf seinem Wege als deutsche

Juristen folgen wollen bis zum Ende unserer Tage.

Diese Selbstauslieferung der übergroßen Zahl der Juristen an den Nationalsozialismus und Hitler persönlich – gerade einmal acht Monate nach der Machtübernahme der Nazis - ist eines der beschämendsten Zeugnisse der deutschen Justiz.

Zugegeben: Wir wissen nicht, ob Sack auf diesem Deutschen Juristentag war. Aber wenn dort mehr als 12.000 – nach anderen Angaben mehr als 19.000 - Teilnehmer waren und freudig den Rütli-Schwur schworen, dann spricht doch sehr viel dafür, dass auch er unter ihnen war. Das gilt umso mehr vor dessen persönlichen Hintergrund, den wir soeben skizziert haben. Und es gibt noch ein weiteres Indiz: Wenn Sack auch nicht zu den beschriebenen „Märzgefallenen“ und Maiveilchen“ gehörte, so trat er doch kurz nach der Machtübernahme der Nazis in den Nationalsozialistischen Deutschen Rechtswahrerbund (NSRB) ein. Davon hat sich Karl Sack bestimmt etwas versprochen und er ist mit Sicherheit zu dem Ergebnis gekommen, dass er in dieser Phase etwas tun müsse, um seine Situation zu verändern und seinem Berufsweg eine Wendung zu geben. Denn trotz seiner beiden guten Prädikatsexamina und seiner politischen Grundeinstellung ist seine zu hohen Erwartungen Anlass gebende Karriere nicht in Fahrt gekommen: Seit mehr als 11 Jahren ist er schon Richter und praktisch immer noch im Eingangsamt – Landgerichtsrat beim Landgericht Mainz.

Und tatsächlich tut sich für Karl Sack eine Perspektive auf: Die Nationalsozialisten führen eine neue Sondergerichtsbarkeit ein: die Militärgerichtsbarkeit. Die Militärjustiz war nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft worden. Gerade einmal 3 ½ Monate nach der Machtübernahme der Nazis richten sie mit dem „Gesetz über Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit“ vom 12. Mai 1933 die Militärjustiz wieder ein. Im Laufe des Jahres ergehen noch Ausführungsbestimmungen und zum 1. Januar 1934 tritt das Gesetz in Kraft.

Eingeführt werden 1934 zunächst „Kriegsgerichte“ als erste Instanz und „Oberkriegsgerichte“ als Berufungsgerichte. Die dritte Instanz, die Revisionsinstanz gegen Urteile der Oberkriegsgerichte, ist das Reichsgericht, in Hoch- und Landesverratssachen der Volksgerichtshof. In diese neue Gerichtsbarkeit wechselt Karl Sack zum 1. Oktober 1934 und ist damit von Anfang an mit dabei. Nach einer Probezeit von einem halben Jahr wird er im März 1935 zum Kriegsgerichtsrat ernannt. Im selben Monat ergeht das Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht. Ein schneller und deutlicher Auf- und Ausbau der Deutschen Wehrmacht ist damit ebenso vorprogrammiert wie der der Militärjustiz.

Das bringt eine deutliche Stellenvermehrung und auch eine Vermehrung von Beförderungsstellen mit sich. So nimmt es nicht wunder, dass Sack bereits ein halbes Jahr später zur Beförderung zum Oberkriegsgerichtsrat ansteht. In seiner dienstlichen Beurteilung hierfür heißt es u.a.:

Weiß hervorragend mit allen gesetzlichen Bestimmungen Bescheid, hat überaus klare, strenge und gerechte soldatische Auffassungen und führt sein Amt mit unbeirrbarer Sachlichkeit, ungehemmt von jedem anderen Einfluss.

Im Januar 1936 wird Sack zum Oberkriegsgerichtsrat befördert. Im selben Jahr, am 1. Oktober 1936, wird ein eigenes höchstes Militärgericht eingerichtet, das Reichskriegsgericht in Berlin. Es ist Rechtsmittelinstanz innerhalb der Wehrmachtsjustiz. Um zu prüfen, ob Karl Sack dort Richter werden könnte, wird er im Juli 1936 in das Reichskriegsministerium abkommandiert. Im selben Jahr schreibt er, von dem im Übrigen nichts Persönliches überliefert ist, den bereits erwähnten 36-seitigen Bericht über seine Ober-Ingelheimer Zeit. Er ist ganz offenbar als eine Selbst-Empfehlung für höhere Aufgaben in der NS-Justiz gemeint.

Auch im Reichskriegsministerium ist man mit ihm zufrieden. Schon drei Monate später wird seine Ernennung zum Ministerialrat befürwortet und im Januar 1937 wird er zum Ministerialrat im Reichskriegsministerium ernannt. In dieser Zeit ist er mit Vorarbeiten für eine neue Militärstrafgerichtsordnung und die Verordnung über Strafrechtspflege im Kriege befasst. Das sind Gesetze, die die Rechtsgrundlage der Militärgerichtsverfahren in dem damals von Hitler schon geplanten Zweiten Weltkrieg bilden sollen und dann auch bilden. Mit Sacks Arbeiten ist man im Kriegsministerium so zufrieden, dass man ihn im Januar 1938 zum Reichskriegsgerichtsrat ernennt. Man lässt ihn aber noch nicht gehen, sondern hält ihn noch, um noch Sachgebiete zu bearbeiten, „deren Erledigung durch ihn sehr erwünscht (sind)“.

Als er dann endgültig an das Reichskriegsgericht wechselt, wird er mit einer Sonderaufgabe betraut, die seine ganze Arbeitskraft beansprucht. Es geht hierbei um seine Mitwirkung an der Aufarbeitung der sog. Blomberg-Fritsch-Krise Anfang 1938. Sacks Tätigkeit hierbei wird später – nach dem Krieg – als Beginn seines Widerstandes gegen das NS-Regime dargestellt. Sie und ihre Folgen bedürfen deshalb eines näheren Eingehens.

Zunächst ein Wort zur Wehrmacht im NS-Staat. Von Anfang an standen die Wehrmacht und ihr Personal voll und ganz hinter dem NS-Staat. Im Jahr 1935 – nachdem die Wehrmacht maßgeblich bei der Beseitigung der SA-Spitze und anderer Unliebsamer im Rahmen der sog. Röhm-Affäre mitgeholfen hatte, sprach das der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, Generalmajor Walter von Reichenau deutlich aus:

Wir sind Nationalsozialisten auch ohne Parteibuch, die besten, ernstesten, treuesten. Die Wehrmacht ist die einzige, letzte, größte Hoffnung des Führers.

Das war nun sicherlich in mancherlei Hinsicht übertrieben, aber daraus wird deutlich, für wie wichtig und staatstragend sich die Wehrmacht hielt. Sie überhöhte das mit der Zwei-Säulen-Theorie: Getragen wurde der NS-Staat von zwei Säulen, die eine war die Partei und die andere die Wehrmacht. Beide standen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzten sich. Dieses Bild konnte man haben, nachdem man den Konkurrenten, die ehedem mächtige SA und ihren Stabschef Ernst Röhm, ausgeschaltet hatte. Indessen erwuchs der Wehrmacht ein neuer und viel geschickterer und mächtigerer Konkurrent: Himmlers SS. Für den Bereich der Justiz, und auch den Bereich der Wehrmachtsjustiz, kam als Konkurrent noch die Geheime Staatspolizei, die Gestapo hinzu. Ihr oberster Chef war als Chef der deutschen Polizei ebenfalls Himmler. Beides – SS und Gestapo – war eng miteinander verzahnt. Viele Gestapomitglieder zumal in führenden Funktionen waren Mitglieder der SS und auch des SS-Nachrichtendienstes, des Sicherheitsdienstes SD. Und die Gestapo arbeitete hartnäckig daran, die Justiz aus wichtigen staatspolitischen Bereichen herauszuhalten und herauszudrängen – und selbst die „Behandlung“ dieser Justizangelegenheiten zu übernehmen.

Das ist dann die Situation, in der es im Januar 1938 zur Blomberg-Fritsch-Krise kommt.

Diese Krise beginnt als Blomberg-Affäre. Werner von Blomberg, Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht und verwitwet, lernt eine 35 Jahre jüngere Frau kennen und will sie kurz entschlossen heiraten. Dazu benötigt er Hitlers Einwilligung. Hitler willigt sofort ein, er und Göring sind die Trauzeugen des Paares. Nur wenige Tage später reden die Prostituierten Berlins davon, dass eine von ihnen die soziale Leiter hinaufgestiegen und den Reichskriegsminister geheiratet habe. Tatsächlich ist die Frau vor Jahren als Prostituierte registriert gewesen. Die Sache kommt hoch. Hitler verlangt, dass Blomberg die Ehe annullieren lässt. Als dieser das ablehnt, wird Reichskriegsminister von Blomberg von Hitler am 27. Januar 1938 entlassen.

Als sein Nachfolger kommt der Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch in Betracht. Im Zuge dieser Affäre erinnert man sich an eine dunkle Personalie von diesem. Vor zwei Jahren, im Jahr 1936, war von Fritsch in den Verdacht geraten, von einem Berliner Strichjungen wegen homosexueller Handlungen erpresst worden zu sein. Hitler hatte seinerzeit untersagt, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Jetzt wird er wieder daran erinnert und er ordnet die Wiederaufnahme der seinerzeit eingestellten Ermittlungen an. Sie werden – weil Homosexualität im Spiel ist – zunächst von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) durchgeführt. Zugleich beauftragt Hitler seinen Reichsjustizminister Franz Gürtner mit der Erstattung eines Rechtsgutachtens. Nachdem Fritsch einen Rücktritt abgelehnt hat, entlässt Hitler auch diesen und macht sich selbst zum Obersten Befehlshaber der Wehrmacht. Der Reichsjustizminister und einflussreiche Wehrmachtsjuristen erreichen durch Intervention bei Hitler aber noch ein gerichtliches Nachspiel der Affäre Fritsch. Hitler ordnet als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und dann eines militärischen Sondergerichtsverfahrens vor dem eigens dafür geschaffenen und von ihm zusammengestellten Gericht des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht an. Untersuchungsführer in dem Ermittlungsverfahren wird ein Reichskriegsgerichtsrat namens Walter Biron, Protokollführer wird Karl Sack.

Der Verteidiger von Fritschs und auch die Reichskriegsgerichtsräte Biron und Sack finden dabei heraus, dass die Anschuldigungen auf einer Verwechslung beruhen. Nicht Freiherr von Fritsch hatte den Kontakt mit dem Strichjungen, sondern vielmehr ein Rittmeister namens von Frisch. In dem sich anschließenden Gerichtsverfahren bricht der Vorwurf gegen von Fritsch endgültig zusammen. Der Vertreter der Anklage, Reichskriegsgerichtsrat Biron, beantragt daraufhin die Feststellung der erwiesenen Unschuld von Fritschs. Das Gericht – unter Vorsitz von Göring – spricht von Fritsch wegen erwiesener Unschuld frei.

Dieses Verfahren wird in der Nachkriegsliteratur sehr unterschiedlich bewertet. Der Neffe von Fritschs, Graf von Kielmannsegg, sah schon im Jahr 1949 in der Affäre seines Onkels eine Intrige Himmlers und Görings, um die Wehrmachtsspitze auszuschalten. Andere sahen in ihr einen von Hitler wenn auch nicht initiierten, so doch maßgeblich betriebenen Handstreich zur Ausschaltung kritischer Generäle, um an die Schaltstellen der militärischen Macht zu gelangen – ernannte er sich danach doch zum Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Diese Interpretation wurde vom maßgeblichen Biograf Karls Sacks und seinen Anhängern gern aufgegriffen. Sie machten Sack zum großen Aufklärer in der Untersuchung. Vor allem aber gaben sie dieser Untersuchung einen regimekritischen, geradezu widerständigen Charakter – und damit den Beginn des Widerstandskampfes von Karl Sack.

Demgegenüber bin ich mit anderen Stimmen in der Literatur der Auffassung, dass die ganze Sache deutlich niedriger zu hängen ist. Nur schwer nachvollziehbar ist zum einen die maßgebliche Rolle Sacks im Untersuchungsverfahren. Schließlich war er nicht Untersuchungs- sondern nur Protokollführer. Zudem war er erst wenige Tage zuvor zum Reichskriegsgerichtsrat aufgestiegen, während der Untersuchungsführer Biron einige Jahre lebens- und dienstälter war. Ist es da nahe liegend, dass er dieses Untersuchungsverfahren so maßgeblich steuerte? Zudem hat Biron als Vertreter der Anklage auf Freispruch plädiert. Angesichts dessen kann er doch nicht so zögerlich und unentschlossen sein, wie der Sack-Biograf meint.

Zum anderen wird man wohl nicht in der aufklärerischen Arbeit dieses Untersuchungsverfahrens ein regimekritisches, widerständisches Verhalten sehen können. Schließlich wurde dieses Verfahren auf Anordnung Hitlers durchgeführt. Er selbst hat das Gericht eingesetzt und dessen Mitglieder bestimmt. Das Gericht hat von Fritsch in allen Anklagepunkten wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Dabei wird man gerade auch nicht Göring eine Intrige gegen von Fritsch nachsagen können. Denn er war Vorsitzender dieses Gerichts. In der Hauptverhandlung hat er den Hauptbelastungszeugen sehr in die Enge getrieben. Daraufhin hat das Gericht von Fritsch nach dreitägiger Hauptverhandlung in einem recht umfangreichen Urteil, in dem sehr viele Gesichtspunkte für und wider erörtert wurden, in allen Punkten wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Weitere Indizien sind für mich die anschließenden Berufswege von Biron und Sack. Der damalige Reichskriegsgerichtsrat Biron avancierte noch zum Senatspräsidenten beim Reichskriegsgericht – und von dem weiteren Werdegang Sacks werden wir ja gleich noch hören.

Für mich ist die Fritsch-Affäre entstanden durch eine schlampige Ermittlung der Polizei und Gestapo, dunkle Zeugen aus dem Milieu, eine gewisse Hysterie bedingt durch die Moralvorstellungen der NS-Spitze und einen Schuss Wichtigtuerei der Gestapo-Ermittler, insgesamt durch eine Verkettung von Umständen, die dann zu einer Verwechslung der Personen und zur Beschuldigung des Generalobersten Werner Freiherr von Fritsch führten. Die Blomberg-Fritsch-Krise ist auch und gerade vor dem angesprochenen Hintergrund der Rolle der Wehrmacht im NS-Staat zu sehen. Es war ein Machtkampf der Wehrmachtsjustiz gegen die Gestapo. Es ging dabei nicht um politischen oder militärischen Widerstand gegen das NS-Regime, sondern vielmehr um die Macht im NS-Staat und die Zurückdrängung der Gestapo durch die (Wehrmachts-)Justiz.

Festzuhalten für die Bewertung des späteren Handelns von Sack ist hier nur noch, dass er bei diesen Ermittlungen Kontakt hatte mit Dr. Hans von Dohnanyi. Dohnanyi war Persönlicher Referent von Reichsjustizminister Gürtner. Sack und er hatten sich in dienstlicher Eigenschaft schon 1936 bei der Strafrechtskommission des Reichsjustizministers kennengelernt. Hier, im Rahmen der Blomberg-Fritsch-Krise treffen sie wieder zusammen – und sind jeweils dienstlich mit der Affäre befasst. Auch darauf werden wir noch zurückkommen.

Nach Abschluss des Untersuchungsverfahrens gegen von Fritsch nimmt Karl Sack erst richtig seine Tätigkeit als Reichskriegsgerichtsrat auf. Er ist dem Senat für Hoch- und Landesverratssachen zugeteilt. Bis zum Oktober 1939 wirkt er an ungefähr 50 Einzelverfahren mit, 14 sind Verfahren wegen Landesverrats und enden alle mit einem Todesurteil.

Inzwischen hat Hitler mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg entfacht. Offensichtlich hält es Sack, den vielfach verwundeten und hoch dekorierten Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, nicht mehr an seinem Schreibtisch und auf der Richterbank des Reichskriegsgerichts in Berlin. Er will zur kämpfenden Truppe. Vielleicht verspricht er sich davon auch noch einen Schub für sein berufliches Fortkommen. Denn – wie wir gesehen haben – hat Sack durchaus ein Gespür dafür, wann und wohin ein Wechsel für seine Karriere vorteilhaft ist. Und so verlässt er Anfang November 1939 auf eigenen Wunsch das Reichskriegs-gericht und wird Rechtsberater des Oberbefehlshabers des Heeresgruppenkommandos A, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt. Dort ist er 1 ¾ Jahre, zunächst im Westfeldzug und dann im russischen Sommerfeldzug.

Die Beurteilung seiner dienstlichen Leistungen ist weiterhin ausgezeichnet. 1940 heißt es, Sack sei ein überdurchschnittlich begabter Beamter, den neben großem juristischem Können eine schnelle Auffassungsgabe, Frische und ein klarer Blick für die Notwendigkeiten auszeichne. Der bewährte Feldsoldat des Weltkrieges denke und handle soldatisch und verstehe es vorzüglich, „Gesetz und jeweilige militärische Belange miteinander in Einklang zu bringen“. Seine Rechtsberatung sei von „warmem menschlichen Verständnis und absoluter Unbestechlichkeit des Urteils getragen“. Weiter heißt es, er „wurzle im Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung“. Die Beurteilung schließt mit der Feststellung, dass sich Sack, der als Heeresgruppenrichter „seine Stellung als Rechtsberater des Herrn Oberbefehlshabers sehr gut“ ausfülle, für die höchsten Richterstellen empfehle.

Mit dieser Empfehlung ist Sack dann für kurze Zeit in die Wehrmachtsrechtsabteilung in Berlin abkommandiert. Dort prüft man, ob er für eine herausgehobene Tätigkeit tatsächlich geeignet ist. Die Überprüfung ist positiv, und so wird Sack im August/-September 1941 erneut zur Wehrmachtsrechtsabteilung abkommandiert und als Gruppenleiter dort eingesetzt. Zum 1. Oktober 1942 ernennt man ihn zum Chef der Heeresrechtsabteilung im Oberkommando des Heeres mit dem Titel „Chefrichter des Heeres“ ernannt. Die Heeresrechtsabteilung hat ihren Sitz im sog. Bendlerblock in Berlin-Mitte und ist eine Abteilung des Allgemeinen Heeresamtes (AHA). Chef dieses Amtes ist General der Infanterie Friedrich Olbricht. Auf Olbricht werden wir noch zurückkommen, er ist einer der wichtigsten Verschwörer vom 20. Juli 1944.

Sack weitet seine Zuständigkeit noch aus. Er verbindet seine Heeresrechtsabteilung mit einer weiteren Abteilung, der Heeresfeldjustizabteilung. Beide Abteilungen bilden dann die Amtsgruppe Heeresrechtswesen und Sack ist der Chef dieser Amts-gruppe. Er ist damit der oberste Fachvorgesetzte aller Heeresrichter. Ihm unterstehen – um Ihnen eine Größenordnung zu nennen – im Jahr 1943 mehr als 1.000 Militärgerichte. Inzwischen ist er zum Ministerialdirektor im Oberkommando des Heeres befördert und wird – nach einer Umorganisation – im Mai 1944 noch Generalstabsrichter, das entspricht dem Rang eines Generalleutnants.

Damit ist Karl Sack innerhalb von knapp 10 Jahren vom recht unscheinbaren Landgerichtsrat am Landgericht Mainz zum Chef von mehr als 1.000 Gerichten und zum obersten Fachvorgesetzten deren Richter aufgestiegen. Es bedarf keiner größeren Erörterung, dass diese glanzvolle Karriere ein hohes Maß von Anpassung an das und Konformität zu dem NS-System erforderte, dem man diente und weiter dient – zumal wenn man sich die Rigorosität der NS-Diktatur vor Augen hält.

Welche Erwartungen Sack dabei erfüllte und auch noch erfüllen sollte, wird aus dem Schreiben des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel vom 26. September 1942 – also aus Anlass seiner Ernennung zum „Chefrichter des Heeres“ - deutlich. Darin schreibt Keitel, dass nach dem „Willen des Führers“ zur Erfüllung der Aufgaben des „Großdeutschen Reiches“ eine starke Rechtspflege erforderlich sei, auch für die Wehrmacht. Und er äußert sich zufrieden mit der Arbeit der Heeresjustiz, die dazu beigetragen habe, Zersetzungserscheinungen im Keime zu ersticken. Keitel verlangt von den Kriegsgerichten, auf dieser Linie fort zu fahren und schreibt wörtlich:

Nicht zuletzt setze ich als selbstverständlich voraus, dass der Richter jeden Ranges fest in der nationalsozialistischen Weltanschauung wurzelt und seine Arbeit danach ausrichtet. Dieses Gedankengut weiter zu vertiefen, ist eine Aufgabe, die ich dem Chef der Heeresjustiz besonders ans Herz lege.

Als höchster Fachvorgesetzter aller Heeresrichter hat Sack vor allem die Aufgabe, die Urteile der Militärgerichte zu überprüfen, zu bestätigen bzw. nicht zu bestätigen und so für eine einheitliche Rechtsanwendung und Strafzumessung zu sorgen. Ziel ist, die Disziplin und Ordnung in der Deutschen Wehrmacht mit den Mitteln des Rechts aufrechtzuerhalten. Dies wird mit der Dauer des Krieges und der zunehmenden Erfolglosigkeit der Wehrmacht immer dringlicher und schwieriger. Die militärische Führung und auch Sack greifen immer mehr zu einer rigorosen Abschreckungsjustiz, die oft mit einem Todesurteil und dessen Vollstreckung endet.

Die Richtung dafür vorgegeben hat Hitler selbst in einem Erlass vom 14. April 1940 für die Strafzumessung bei Fahnenflucht. In ihm heißt es u.a.:

Die Todesstrafe ist geboten, wenn der Täter aus Furcht vor persönlicher Gefahr gehandelt hat oder wenn sie nach der besonderen Lage des Einzelfalles unerlässlich ist, um die Manneszucht aufrechtzuerhalten.

Die Todesstrafe ist im Allgemeinen angebracht bei wiederholter oder gemeinschaftlicher Fahnenflucht oder versuchter Flucht ins Ausland. Das gleiche gilt, wenn der Täter erheblich vorbestraft ist oder sich während der Fahnenflucht verbrecherisch betätigt hat.

Sack verfolgt diese Linie als Chef der Heeresjustiz weiter und erfüllt damit die in ihn gesetzten Erwartungen voll und ganz. Nach einem knappen Jahr als Chefrichter des Heeres fasst er seine Erfahrungen bei der Bestätigung bzw. Nichtbestätigung von Urteilen der Wehrmachtsgerichte zusammen. Dazu gibt er den „Erfahrungsbericht Nr. 1 in Bestätigungssachen“ vom 1. September 1943 an alle Kriegsgerichte heraus. Darin heißt es etwa zur Strafverfolgung von Deserteuren:

Erschwerungsgründe sind vor allem staats- und wehrfeindliche Einstellung und asoziale Persönlichkeit. Der Krieg fordert harte Opfer der besten Männer, rafft volksbiologisch wertvolle Menschen hinweg und bringt unsägliches Leid über sittlich und körperlich hochstehende Sippen. Es kann daher ein besonderer Schutz minderwertiger Menschen nicht in Frage kommen, mag es sich im Einzelnen auch um bemitleidenswerte Personen handeln. Bei wehrfeindlicher Einstellung ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen.

Und schließlich weitet Sack in seinem Erfahrungsbericht den Begriff der Fahnenflucht noch aus und bedroht damit noch viel mehr Soldaten mit dem Tode. In dem Bericht heißt es:

Im Übrigen muss auch der Soldat, der nicht mehr den Willen hat, an gefährdeten Stellen zu kämpfen, wohl aber in anderen Feldtruppenteilen, etwa bei rückwärtigen Einheiten Dienst tun will, bei richtiger Würdigung der heutigen Kampfverhältnisse als Fahnenflüchtiger behandelt werden. Der Begriff der „Furcht vor persönlicher Gefahr“ darf dabei nicht zu eng gefasst werden. Der Krieg erfordert restlosen Einsatz des letzten Mannes. Wer sich den Unbilden der Witterung und den Beschwerlichkeiten des Landes entziehen will, handelt aus Mangel an Mut und muss dem Täter gleichgestellt werden, der sich vor der feindlichen Waffenwirkung scheut. Mehr wie je in einem Krieg hängt der Endsieg im gegenwärtigen Lebenskampfe unseres Volkes davon ab, dass jeder Mann sich in unerschütterlicher Treue auf dem ihm anvertrauten Posten hält.

Die von Sack so geforderte und auch in die Tat umgesetzte rigorose Abschreckungsjustiz war eine „Blutjustiz“. Die Wissenschaft geht heute von einer Gesamtzahl der Todesurteile der Wehrmachtsjustiz von 25.000 bis 30.000 aus – ohne Berücksichtigung der Justiz gegen Kriegsgefangene und Zivilisten.

Diese Zahlen und diese Anweisungen einschließlich der menschenverachtenden Sprache passen – und darüber müssen wir wohl nicht lange reden – nicht zu dem Bild eines Widerstandskämpfers. Hier ging es nicht um Rechtsprechung, sondern um „Ausmerze“ von „volksschädlichen Subjekten“, die dem „Endsieg“ Adolf Hitlers und des deutschen Volkes im Wege standen. Deshalb müssen wir alle uns die Frage stellen, wie Karl Sack noch kurz vor Ende des Krieges, der bekanntlich nicht mit dem „Endsieg“ endete, als Widerstandskämpfer ermordet wurde.

Diese Frage haben Sie sich bestimmt schon seit einiger Zeit gestellt. Ich muss Ihnen sagen, dass ich sie nicht einfach und eindeutig beantworten kann. Andere haben es auch schon versucht und keine überzeugende und klare Antwort gefunden bzw. finden wollen. Selbst der sehr wohlmeinende Biograf Karl Sacks namens Hermann Bösch kommt nicht umhin festzustellen, dass von ihm praktisch keine persönlichen Zeugnisse über sein widerständiges Verhalten (wie Tagebuchaufzeichnungen, Briefe u.ä.) existieren, ebenso wenig wie Primärquellen aus der Zeit. Das allermeiste, das es überhaupt gibt, sind Aussagen und Wertungen, die meist ehemalige Wehrmachtsjuristen nach dem Krieg gemacht haben. So sind wir darauf angewiesen, Indizien und Mosaiksteine zu sammeln und diese zu einem Bild zusammen zu fügen, das redlich ist und der Person, dem Leben und Wirken Sacks möglichst gerecht wird.

Wir haben bis jetzt den Lebens- und Berufsweg Karl Sacks bis zum 1. Mai 1944, bis zu seiner Ernennung zum Generalstabsrichter, nachgezeichnet. Dabei haben wir keinerlei widerständiges, verschwörerisches Verhalten Sacks feststellen können – obwohl es im militärischen Bereich seit Frühjahr/Sommer 1938 solches gegeben hat. Auslöser war damals die erwähnte Blomberg-Fritsch-Krise sowie die Kriegsvorbereitungen Hitlers. An diesen Verschwörerplänen war Sack aber nicht beteiligt, sie zerstoben im Übrigen dann angesichts der Appeasementpolitik der Engländer und der Franzosen und dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938.

Vielmehr hat Sack - wie wir gesehen haben - die Wehrmachtsjustiz zu einer rigorosen Abschreckung im Dienste Hitlers und des „Endsiegs“ angetrieben.

Die ersten nachgewiesenen Unterstützungshandlungen Sacks für einen Widerständler betrafen den bereits erwähnten Hans von Dohnanyi. Ihn hatte Sack im Rahmen der Strafrechtskommission im Jahr 1936 kennen gelernt und mit ihm weiteren Kontakt im Rahmen der Blomberg-Fritsch-Krise. Dann schied Dohnanyi aus dem Reichsjustizministerium aus und war Richter am Reichs-gericht. Wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wechselte er zur Amtsgruppe Auslandsnachrichten/-Abwehr. Das war der militärische Geheimdienst. Sein Chef war Admiral Wilhelm Canaris. Chef des Stabes war Generalmajor Hans Oster. Canaris und Oster waren seit 1938 entschiedene Hitlergegner und Verschwörer. Zu diesen stieß ganz bewusst Dohnanyi.

Die Arbeit beim Geheimdienst brachte es mit sich, dass die Mitarbeiter von den Verbrechen der Wehrmacht und dem Holocaust früh und eingehend erfuhren. Dohnanyi entschloss sich zu einer Hilfsaktion für einige Juden, sie sollten mit Hilfe des Amtes Ausland/Abwehr in die Schweiz gebracht werden. Dabei musste man mit Devisen arbeiten. Wegen angeblicher Devisenvergehen wird Dohnanyi Anfang April 1943 verhaftet. Mit ihm werden weitere Mitglieder des Amtes Ausland/Abwehr festgenommen: sein Vorgesetzter Hans Oster, Dietrich Bonhoeffer – der Schwager von Hans von Dohnanyi ist – und der später als „Ochsensepp“ bekannte Josef Müller. Es ging damals also noch nicht um eine Verschwörung bzw. eine Beteiligung Dohnanyis und der anderen an einer Verschwörung. Aufgrund der Bekanntschaft mit Dohnanyi setzt sich Sack vielmehr für ihn und auch für den „Ochsensepp“ Müller ein. Er sorgt für eine Verzögerung der Ermittlungen gegen die beiden und dafür, dass sie auf den unpolitischen Bereich dieses Falles beschränkt bleiben. Alexander Kraell, der Schulkamerad vom Gymnasium in Bad Kreuznach, der inzwischen Senatspräsident beim Reichskriegsgericht ist, unterstützt ihn dabei. Dessen Motive dabei sind nicht klar.

Weitere nachgewiesene Unterstützungshandlungen Sacks für den militärischen Widerstand datieren von Ende Juni/Anfang Juli 1944 und ergeben sich aus dem Kontakt mit dem späteren Hitler- Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Stauffenberg wurde nach seiner schweren Verwundung und Genesung im Oktober 1943 Stabschef des Allgemeinen Heeresamtes und arbeitete damit bei derselben Dienststelle wie Karl Sack. Daher kennen sich die beiden.

Vor diesem Hintergrund spricht Stauffenberg Sack an und bittet ihn, Kontakt zu Oberst Wilhelm Staehle aufzunehmen. Staehle ist der letzte Kommandant der Invalidensiedlung in Berlin-Frohnau, ist gut bekannt mit Carl Friedrich Goerdeler und Mitglied einer bürgerlich-oppositionellen „Teegesellschaft“ und Widerstands-gruppe, dem Solf-Kreis. Mitglieder des Solf-Kreises werden seit Januar 1944 verhaftet. Am 12. Juni 1944 wird Wilhelm Staehle von der Gestapo festgenommen. Das ist die Zeit, in der die Vorbereitungen für das Attentat auf Hitler auf Hochtouren laufen. Die Verschwörer um Stauffenberg sind durch die Verhaftung Staehles empfindlich getroffen. Sie wollen unbedingt wissen, was er bei seinen Vernehmungen durch die Gestapo über seinen Kontakt zu Goerdeler und dessen Pläne als „ziviler Kopf“ der Verschwörung ausgesagt hat.

Um dies zu erfahren, tritt Stauffenberg an Sack als den höchsten Heeresrichter heran. Noch vor dem Attentat am 20. Juli 1944 besucht Sack Staehle in der Untersuchungshaft. Er erfährt, dass dieser seinen jahrelangen Kontakt zu Goerdeler nicht verschwiegen, aber nichts für die Verschwörer „Gefährliches“ verraten hat. Sack informiert Staehle noch darüber, dass er dessen Überführung in ein Wehrmachtsgefängnis angeordnet habe, um ihn vor den Vernehmungen durch die Gestapo zu schützen.

Über dieses Gespräch, das von der Gestapo mitgehört wird, informieren die Verschwörer Goerdeler, der daraufhin vorsichtiger wird. In der Folgezeit beschäftigt sich die Gestapo mit der Frage, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Sacks Besuch bei Staehle und der Warnung Goerdelers besteht.

Unterdessen kommt es am 20. Juli 1944 zum Attentats- und Umsturzversuch, die beide scheitern. Man fragt sich, ob und ggf. wo Sack dabei eine Rolle spielt. Es ist nicht viel, was dazu in Erfahrung gebracht werden kann. Nachgewiesen ist, dass Sack als höchster Heeresrichter genau unter dem Datum des 20. Juli 1944 die Anordnung des Chefs der Parteikanzlei Martin Bormann vom März 1944 an alle Gerichte des Feld- und Ersatzheeres weiterleitet. Darin verbietet Bormann, der sich auf einen „Auftrag des Führers“ beruft, allen Parteigenossen, Leumundszeugnisse oder Befürwortungen von Gnadengesuchen für „Volksschädlinge“ abzugeben.

Das einzige mehr oder minder Außerdienstliche, was ich dazu in der Literatur in Erfahrung bringen konnte, ist, dass Karl Sack an diesem 20. Juli 1944 zu Hause beim Geburtstagskaffee seiner Frau sitzt. Da erreicht ihn gegen 16 Uhr ein Anruf des Chefs des Stabes von General Olbricht, also von seinem Chef. Olbricht, der gerade die Befehle für den Umsturz, die Walküre-Befehle ausgegeben hat, lässt ihn bitten, sofort zur Dienststelle im Bendlerblock zu kommen. Sack fährt dorthin, wird von Olbricht kurz über die Situation ins Bild gesetzt und verlässt nach ca. 15 Minuten wieder den Bendlerblock. Anschließend fährt Sack in die Privatwohnung des Abwehrchefs Canaris und informiert diesen über die Situation. Dann fährt Sack wieder nach Hause. Dort erreicht ihn erneut ein Anruf vom Bendlerblock. Wieder eilt Sack dorthin. Olbricht hat ein Abendessen für Leute seiner Umgebung herrichten lassen, nimmt aber an dem Essen selbst nicht teil. Sack verlässt schon bald am frühen Abend des 20. Juli den Bendlerblock. Olbricht wird dann mit Stauffenberg und anderen Mitverschwörern kurz nach Mitternacht im Hof des Bendlerblocks erschossen.

Sofort beginnt das NS-Regime einen Rachefeldzug gegen die Verschwörer – die tatsächlichen und die vermeintlichen. Im Reichssicherheitshauptamt wird aus 400 Gestapo- und Kripobeamten die „Sonderkommission 20. Juli“ gebildet. Sie nimmt in den folgenden Wochen mehr als 600 Männer und Frauen fest. Schon wenige Tage später werden der Chef des Amtes Ausland/Abwehr Wilhelm Canaris und am 11. August Goerdeler festgenommen. Der Fall Dohnanyi und der anderen Abwehr-Leute wird von der „Sonderkommission 20. Juli“ übernommen.

All dies hat keine erkennbaren Auswirkungen auf Sack persönlich. Wohl aber dienstlich. Es tritt genau das ein, was Sack in der Blomberg-Fritsch-Affäre 1938 zu verhindern versucht hat: Nicht nur die Gestapo hat jetzt umfassende Vollmachten, sondern Himmler der Chef der Deutschen Polizei und Reichsführer-SS wird von Hitler jetzt auch noch zum Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt. Himmler ist damit Sacks Vorgesetzter. Am Tag darauf bestellt Himmler als neu ernannter Befehlshaber des Ersatzheeres seine Abteilungsleiter – darunter auch Karl Sack – zu sich und verpflichtet jeden von ihnen – ganz feierlich – mit einem Händedruck zu unbedingter Treue gegenüber dem „Führer“.

Sack versieht sodann weiterhin seinen Dienst als höchster Heeresrichter. In der Chefrichterbesprechung am 9. August 1944 schwört Sack die versammelten Wehrmachtsrichter auf Himmler ein und unterstreicht die Pflicht der Heeresgerichte, streng nach den Richtlinien des „Reichsführers SS“ tätig zu werden. Sie seien in der Sache voll berechtigt. Einige Tage später erhält Sack von Himmler die Mitteilung/Anweisung, dass grundsätzlich die Todesstrafe geboten sei, wenn Soldaten sich dahin äußerten, dass es gut wäre, wenn das Attentat vom 20. Juli 1944 geglückt wäre. Schließlich verlangt Sack in einem Rundschreiben vom 1. September 1944 an die Militärgerichte, die Strafzumessung müsse lebendig wirken. Es dürfe keine nüchterne Aufzählung von Strafschärfungs- und Milderungsgründen geben. Die Tat müsse ihrem wahren Charakter nach deutlich gekennzeichnet, das Urteil aus dem Kriegsgeschehen und den Kriegsnotwendigkeiten gerechtfertigt sein.

Eine der letzten Amtshandlungen Sacks ist eine Meldung an den „Reichsführer SS“. Vor dem Hintergrund, dass die Hinrichtungen der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 begonnen haben, teilt Sack Himmler mit, dass die Vollstreckung der Todesstrafe durch Enthaupten bei der allgemeinen Justiz in der Strafanstalt Berlin-Plötzensee im Monat nur zwei- bis dreimal stattfindet und infolgedessen ständig etwa 400 bis 500 Verurteilte auf die Hinrichtung dort warten. In dieser Zeit bestätigt Sack als höchster Richter der Heeresjustiz täglich durchschnittlich drei bis fünf Todesurteile – ohne Erbarmen und das, obwohl seine beiden Söhne

Heinz Hermann und Karl August im Krieg gefallen sind.

Nur wenige Tage später, am 7. September 1944, bricht das Unheil über Karl Sack selbst herein. Von diesem Tag datiert der Bericht des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Kaltenbrunner an den Leiter der Parteikanzlei Bormann. Darin fasst Kaltenbrunner die Erkenntnisse der Gestapo über Sack zusammen und erwähnt insbesondere, dass Sack Staehle nach dessen Verhaftung in der Untersuchungshaft aufgesucht und ihn über den Inhalt seiner Gestapo-Verhöre ausführlich befragt habe. Am folgenden Tag, am 8. September 1944, wird Sack von der Gestapo verhaftet.

Ob Anlass für diese Verhaftung allein das mitgehörte Gespräch mit Staehle ist, erscheint fraglich. Denn immerhin hat dieser Kontakt fast acht Wochen vorher, noch vor dem 20. Juli 1944, stattgefunden. Es ist wahrscheinlich, dass noch einiges hinzugekommen ist, vielleicht Informationen, die die Gestapo aus den Verhören Goerdelers erhalten hat. Es ist wohl kein Zufall, dass Sack an dem Tag von der Gestapo verhaftet wird, an dem die Hauptverhandlung gegen Goerdeler vor dem Volksgerichtshof beginnt.

Auf jeden Fall verschlechtert ein weiteres Ereignis die Lage Sacks und der Abwehr-Leute um Dohnanyi, Oster, Canaris und Bonhoeffer wesentlich. Es ist ein Aktenfund, der Fund der sog. Zossener Dokumente. Am 22. September 1944 entdecken Beamte der „Sonderkommission 20. Juli“ in einem Bunker im Quartier des Oberkommandos des Heeres in Zossen Akten, die das Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht im Laufe der Jahre über die Widerstandsbewegung angelegt hat. Dazu gehören Teile des Canaris-Tagebuchs mit Aufzeichnungen über Gespräche mit Militärs über Möglichkeiten eines Umsturzes zwischen Herbst 1939 und Frühjahr 1940 und eine Studie Osters über die personellen Ressourcen der Verschwörung gegen Hitler sowie die nach einem Staatsstreich vorzunehmenden Exekutionen von Angehörigen der Staats- und Parteiführung.

Daraufhin werden Dohnanyi und die anderen Abwehr-Leute zu diesen Aktivitäten eingehend befragt. Nicht bekannt ist, inwieweit Sack in diese Ermittlungen einbezogen ist. Es ist aber davon auszugehen, dass aufgrund dieses Aktenfundes und/oder Vernehmungen von Goerdeler der Gestapo bekannt wird, dass u.a. Karl Sack von den Verschwörern als Reichsjustizminister vorgesehen war. Denn Wehrmachtsjuristen, die Sack helfen wollen, erhalten auf die Frage nach dem Grund für Sacks Festnahme sowie seinen Verbleib die Antwort, sein Name habe auf einer Ministerliste der Verschwörer gestanden.

Ende 1944 hält der die Ermittlungen leitende Beamte namens Walter Huppenkothen – auch auf ihn wird noch zurückzukommen sein - die „Bearbeitung des hochverräterischen Komplexes“ für abgeschlossen. Gegen die Verschwörer aus dem Bereich der Abwehr und auch gegen Sack könne Anklage erhoben werden. Hitler erlässt aber die Weisung, die durch die Zossener Dokumente belasteten Häftlinge nicht dem Volksgerichtshof zu überstellen. Vielmehr kommt es zu weiteren Verhören.

So bleiben Sack und weitere Gefangene wie Dohnanyi und die anderen der Abwehr ohne gerichtliches Verfahren weiter in Gestapohaft. Die Lage der Gefangenen ändert sich, als durch amerikanische Luftangriffe am 3. Februar 1945 wichtige Gebäude der NS-Herrschaft schwer beschädigt und zerstört werden. Daraufhin werden Sack und die Abwehr-Leute in das Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz verschleppt. Von Dohnanyi bleibt im KZ Sachsenhausen, er ist so krank, dass er nicht dorthin transportiert werden kann.

Möglicherweise hätten die Gefangenen das Ende der NS-Diktatur und die Befreiung noch erlebt, wären nicht am 5. April 1945 fünf Bände von Canaris’ Tagebuch gefunden worden. Als diese Hitler sofort vorgelegt werden, befiehlt er nach einem Wutanfall die sofortige „Vernichtung der Verschwörer“: Huppenkothen soll die „Mitglieder“ des Canaris-Kreises von SS-Standgerichten aburteilen lassen und dabei selbst die Anklage vertreten.

Weisungsgemäß organisiert Huppenkothen die SS-Standgerichtsverfahren, und zwar ein Verfahren für den totkranken Dohnanyi im KZ Sachsenhausen und ein weiteres im KZ Flossenbürg. Zunächst wird Dohnanyi in Sachsenhausen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dann werden in Flossenbürg angeklagt Wilhelm Canaris, Hans Oster, Dietrich Bonhoeffer, Karl Sack und Ludwig Gehre – letzterer ebenfalls ein Mitglied des Amtes Ausland/Abwehr. Huppenkothen ist der „Ankläger“, als Vorsitzer des Standgerichts fungiert der Jurist und SS-Sturmbannführer Dr. Thorbeck, Chefrichter beim SS- und Polizeigericht in München, Ein Beisitzer ist der Kommandant des KZ Flossenbürg. Ein zweiter Beisitzer ist bis heute unbekannt geblieben. Grundlage des Verfahrens sind die fünf Bände Tagebuchaufzeichnungen.

Wie später festgestellt wird, weisen diese beiden SS-Standgerichtsverfahren mindestens 9 eklatante Fehler auf. So steht ihre Zuständigkeit, ihre Zusammensetzung und ihr Verfahren in eklatantem Widerspruch selbst zu dem NS-(Un-)“Recht“. Weitere Fehler sind etwa fehlende Verteidiger, fehlende Protokollführung und eine fehlende Urteilsbestätigung. Wie zu erwarten war, werden alle Angeklagten wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode verurteilt. Am frühen Morgen des 9. April 1945 – also vor genau 70 Jahren - werden sie im Hof des Konzentrationslagers Flossenbürg hingerichtet.

Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Sie setzt sich – in Intervallen – praktisch bis heute fort.

Das standgerichtliche Verfahren in Flossenbürg hatte für den Ankläger Huppenkothen und den Richter Thorbeck nach dem Krieg noch ein Nachspiel. Es folgten: ein Strafverfahren vor dem Land-gericht München, das mit einem Freispruch für Huppenkothen endete, ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof, das dieses Urteil aufhob, ein weiteres Urteil des Landgerichts München, mit dem Huppenkothen wiederum freigesprochen wurde, ein weiteres Verfahren vor dem Bundesgerichtshof, das auch dieses Urteil aufhob, ein Urteil des Landgerichts Augsburg, mit dem Huppenkothen zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und schließlich im Jahr 1956 ein letztes Verfahren vor dem Bundesgerichtshof.

Das Urteil von 1956 ist das berühmt-berüchtigte Huppenkothen-Urteil. Mit ihm änderte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung. In ihm heißt es zum Angriffskrieg und Vernichtungskrieg Hitlers und der Sicherung der Disziplin hierbei u.a., jeder Staat habe das Recht auf Selbstbehauptung und in einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden. Ein solches recht könne man auch dem NS-Staat nicht absprechen.

Und nach Erörterung, dass der Widerstand gegen das NS-Regime ein Verbrechen war, das allenfalls die Schuld der Widerständler ausschließen konnte, heißt es dann weiter:

Soviel darf aber gesagt werden: Einem Richter, der damals einen Widerstandskämpfer wegen seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für überführt erachtete, kann heute in strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden, wenn er angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze nicht der Frage nachging, ob dem Widerstandskämpfer etwa der Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstands unter dem Gesichtspunkt eines höheren, den Strafdrohungen des staatlichen Gesetzes voraus liegenden Widerstandsrechts zur Seite stehe, sondern glaubte, ihn des Hoch- oder Landesverrats bzw. des Kriegsverrats (…) schuldig erkennen und deswegen zum Tode verurteilen zu müssen.

Das war juristischer Verrat an den Widerstandskämpfern, sie waren danach also Verbrecher. Und das war ein „Persilschein“ für die NS-Justiz. Denn wer hielt sich damals – gerade auch wenn man an die Weisungen Sacks denkt – für nicht berechtigt so zu handeln wie er handelte. Und selbst wenn der Betreffende Zweifel gehabt haben sollte: Wer gab nach dem Krieg das schon zu – und ging dann seines „Persilscheins“ verlustig? Die Folgen dieses Urteils waren verheerend. Kein einziger Richter, kein Staatsanwalt wurde in der Bundesrepublik Deutschland wegen der tausendfachen Justizverbrechen im „Dritten Reich“ verurteilt. Es dauerte dann fast 40 Jahre, bis das höchste deutsche Strafgericht, der Bundesgerichtshof, in einem Verfahren gegen einen ehemaligen DDR-Richter die Fehlerhaftigkeit dieser Rechtsprechung eingestand.

Die Geschichte von und über Dr. Karl Sack selbst beginnt mit der Würdigung durch den bedeutenden Historiker Gerhard Ritter. Er bezeichnete Sack als „eine der edelsten und tapfersten Gestalten der deutschen Widerstandsbewegung“. Sie setzte sich fort mit den seit den 1950er Jahren regelmäßig stattfindenden „Kameradschafts-treffen“ ehemaliger Kriegsrichter. Bis zu 300 ehemalige Kriegs-richter trafen sich alle zwei Jahre, um drei Anliegen durchzusetzen: Erstens die „Festigung der alten, in schwerer Zeit bewährten“ kriegsrichterlichen „Kameradschaft“. Zweitens die Mitarbeit bei der Wiedereinführung einer „ordentlichen Militärgerichtsbarkeit“. Und drittens die propagandistische Lobbyarbeit in eigener Sache – sie sollte ein geschöntes, apologetisches Geschichtsbild von der NS-Militärjustiz schaffen.

Ein wichtiges Ergebnis dieser Lobbyarbeit war ein „Forschungs-vorhaben“ zweier ehemaliger Kriegsrichter, die 1967 in der Reihe „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus“ einen Band zur Geschichte der Wehrmachtsjustiz schreiben sollten. Der Heraus-geber der Reihe, das Institut für Zeitgeschichte in München, lehnte aber die Veröffentlichung des Manuskripts wegen seiner offensichtlichen Geschichtsknittelung ab. Im selben Jahr – 1967 – erschien von dem Sack-Biograf Hermann Bösch die erste Biografie mit dem Titel: „Heeresrichter Dr. Karl Sack im Widerstand.“ Sie ist sehr unkritisch und beschreibt Sack als entschiedenen Widerstandskämpfer und Hitlergegner seit der Blomberg-Fritsch-Krise von Anfang 1938. 10 Jahre später veröffentlichte dann ein früherer Militär-richter und Strafrechtsprofessor namens Erich Schwinge das erste umfassende Werk zur NS-Militärjustiz. Es war eine sehr unkritische, die Geschichte der NS-Militärjustiz verfälschende Arbeit. Sie hatte bis gegen Ende der 1980er Jahre das Deutungs-monopol der NS-Militärjustiz und bestimmte das Bild dieser Gerichtsbarkeit und ihrer Mitglieder. In die gleiche Kerbe zielte dann die von Stephan Dignath im Auftrag des evangelischen Kirchenvorstandes Bosenheim herausgegebene weitere Biografie mit dem Titel: „Dr. Karl Sack – Ein Widerstandskämpfer aus Bosenheim – Bekenntnis und Widerstand.“ Sack war dabei für Schwinge und seine Kameraden der NS-Militärjustiz geradezu „Gold“. Denn als vom NS-Regime hingerichteter Widerstandskämpfer wurde und wird er als ein „Aushängeschild“ der ganzen Militärjustiz benutzt. Für die Apologeten der NS-Militärjustiz soll er die falsche These von der Wehrmachtsjustiz als „Enklave des Widerstandes“ stützen.

Dieses Bild wurde in den folgenden Jahren maßgeblich von dem sog. Hobbyhistoriker Fritz Wüllner und dem Militärhistoriker Manfred Messerschmidt korrigiert. Deren Bewertung der NS-Militärjustiz floss dann im Jahr 1991 in ein Urteil des Bundes-sozialgerichts ein. In einem Entschädigungsverfahren einer Witwe eines hingerichteten Soldaten bezeichnete es die Todesstrafenpraxis als Terrorjustiz. Das lasse vermuten – so das Gericht weiter -, dass grundsätzlich die Todesurteile der Wehrmachtgerichte offensichtlich unrechtmäßig sind.

Diese kritische Aufarbeitung der NS-Militärjustiz hat inzwischen auch das Bild des Widerstandskämpfers Karl Sack teilweise korrigiert. Zwar hat der Biograf Sacks, Hermann Bösch, auf das Urteil des Bundessozialgerichts hin noch einmal eine umfang-reichere Biografie Sacks veröffentlicht, doch bringt diese nichts Neues. Andererseits hat der Historiker Norbert Haase ein kritisches Bild und meiner Meinung nach zutreffendes Bild des Generalstabsrichters Sack gezeichnet.

Zusammenfassend kann man heute zu dem Bosenheimer Pfarrers-sohn Karl Sack feststellen: Mit Blick auf seine Tätigkeit als höchster Heeresrichter sowie seine nicht ganz klare und nicht so bedeutende Rolle im Widerstand ist er eine umstrittene Persönlichkeit des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime.

Zu Ehren von Karl Sack sind Straßen in Bosenheim, in Gießen und in Butzbach nach ihm benannt. Am ehemaligen Reichskriegsgericht in Berlin, dem heutigen Berliner Kammergericht, erinnert seit 1984 eine Tafel an ihn. Eine weitere Erinnerungstafel ist an dem Geburtshaus von Karl Sack in der Karl Sack-Straße 2 in Bad Kreuznach-Bosenheim angebracht. Auf ihr heißt es, Karl Sack sei gewesen ein

Widerstandskämpfer gegen das Unrecht des 3. Reiches, für Freiheit, Recht und Menschenwürde.

Das ist nach meinem Vortrag ja nun starker Tobak.

 

Gegenüberstellung:

Erinnerungstafel:


Feststellung:

Gegen das Unrecht des 3. Reiches    

BSG: Todesstrafenpraxis als Terrorjustiz.

Todesurteile
der Wehrmachtgerichte offensichtlich

 unrechtmäßig

Für Freiheit  

Wahlspruch: Gott – Ehre – Vaterland

gerade nicht: Freiheit

Für Recht    

3 – 5 Todesurteile pro Tag bestätigt

Für Menschenwürde     

„Ausmerzen von asozialen Subjekten“

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld mit dem Thema und mit mir.


Lesen Sie HIER den Artikel über die Veranstaltung in der Allgemeinen Zeitung – Rhein-Main Presse vom 20. April 2015.

sowie HIER einen Leserbrief dazu in der Allgemeinen Zeitung – Rhein-Mai Presse vom 28. April 2015.