Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Ausstellung: "Widerstand und Verfolgung im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz 1933 - 1945"

Nach der Ausstellung "'Vergiss mich nicht und komm... - Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 - 1945", die der Förderverein Mahnmal Koblenz zum 27. Januar 2016 in der Citykirche in Koblenz gezeigt hat, präsentiert er nun vom 17. März bis zum 29. April 2016 im Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz in Koblenz die Ausstellung: "Widerstand und Verfolgung im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz 1933 - 1945". Die Ausstellungseröffnung ist am 17. März 2016 im LBZ um 19 Uhr. Im Beiprogramm wird dort am 7. April 2016 um 19 Uhr der Dokumentarfilm des Fördervereins Mahnmal Koblenz "'Mut, Leidensbereitschaft, Heiterkeit, das war sein Vermächtnis' - Der Koblenzer Armeeoberpfarrer Professor Dr. Friedrich Erxleben (1883 - 1955)" uraufgeführt. Unser Förderverein zeigt hier die Einladung des LBZ und den Presseartikel der Rhein-Zeitung  hierzu. Die Veranstalter laden alle Interessierten herzlich dazu ein und freuen sich über ihr Kommen. Der Eintritt ist (wie immer) frei.

Lesen Sie HIER die Einladung des Landesbibliothekszentrums

Lesen Sie HIER auch den Vorbericht der Rhein-Zeitung vom 10. März 2016 - Ausgabe Koblenzüber die Veranstaltung

Lesen Sie nachfolgend auch den Vortrag, den unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig zur Eröffnung der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung im nördlichen Rheinland-Pfalz 1933-145“ hielt.

Widerstand und Verfolgung im nördlichen Rheinland-Pfalz 1933 - 1945

Einführungsvortag für die Ausstellung am 17. März 2016  im Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz in Koblenz

von Joachim Hennig

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Deubel!

Ich freue mich sehr, dass der Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. hier im Landesbibliothekszentrum seine Ausstellung „Widerstand und Verfolgung im nördlichen Rheinland-Pfalz 1933 – 1945“ präsentieren und ich Sie in die Ausstellung einführen kann. Ich möchte Ihnen in gut einer Stunde einen Überblick über die Thematik und die Ausstellung geben.

In meinem Vortrag werden Sie sicherlich einiges über das heute nördliche Rheinland-Pfalz und seine Bürger erfahren, was Ihnen noch nicht so bekannt war. Manches werden Sie auch wiedererkennen, denn Sie kennen es aus der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das braucht Sie nicht zu wundern. Vieles, was anderenorts geschah, geschah auch hier im nördlichen Rheinland-Pfalz und auch in Koblenz. Diese Region und seine Bürger waren damals nicht ungewöhnlich – nicht besonders „stramm“ „Nazi“ und auch nicht besonders „Anti-Nazi“. Das nördliche Rheinland-Pfalz war während des Nationalsozialismus, also in der gesamten Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945, eine „normale“ Region. Koblenz war zwar „Gauhauptstadt“, Hauptstadt des NS-Gaues Koblenz-Trier (später: Gau Moselland), aber ansonsten eine Stadt und auch eine Region wie jede andere auch - mit Opfern und mit Tätern, und auch mit vielen, viel zu vielen Zuschauern. Das nördliche Rheinland-Pfalz war während der NS-Zeit so „Durchschnitt“, so „normal“, dass man an seiner Geschichte im Großen und Ganzen die Geschichte der Verfolgung und des Widerstandes im „Dritten Reich“ regionalgeschichtlich wieder findet - sofern man nur lang und intensiv genug den Spuren der Täter und der Opfer nachgeht.

Die Verfolgung in Koblenz und in dessen Umgebung begann schon wenige Tage nach der sog. Machtergreifung am 30. Januar 1933 mit dem Erscheinungsverbot für Zeitungen, mit der Verhinderung von Demonstrationen und der Entfernung von Demokraten aus Schlüsselstellungen in den Verwaltungen. Eines der ersten Opfer war der Polizeipräsident von Koblenz, Dr. Ernst Biesten. Getreu seinem Wahlspruch „Tue recht und scheue niemand!“ war er seit Jahren ein entschiedener Gegner der Nazis gewesen. Immer wieder trat er mit seiner Koblenzer Polizei den braunen Rabauken entgegen. Was die Nazis jahrelang in der Weimarer Republik nicht schafften, gelang ihnen dann aber schon zwei Wochen nach der Machtübernahme: Sie setzten Biesten als Polizeipräsidenten von Koblenz ab. Am Tag darauf, am 14. Februar 1933, brachte das Nazi-Organ „Koblenzer Nationalblatt“ voller Häme und Genugtuung mit einer zynischen Karikatur Biestens die Meldung des Tages. Wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ konnte er während der ganzen Naziherrschaft kein öffentliches Amt mehr bekleiden konnte. Auch Rechtsanwalt durfte er nicht werden. Er überlebte die Diktatur, war dann Mitbegründer der CDU hier in Koblenz, einer der Väter der rheinland-pfälzischen Verfassung und schließlich erster Präsident des Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs von Rheinland-Pfalz.

Die Kommunisten waren als erste im Fadenkreuz der Nazis. Hitler gab für die sofort nach der Machtübernahme angesetzten Neuwahlen am 5. März 1933 die Parole aus: „Kampf gegen den Marxismus!“ Da war der Brand des Reichstags am Abend des 27. Februar 1933, den die Nazis den Kommunisten in die Schuhe schoben, für sie ein „gefundenes Fressen“. Es war der Vorwand, mit den politischen Gegnern aus der sog. Kampfzeit abzurechnen und insbesondere Kommunisten, auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter zu verfolgen. Zunächst nahmen die Nazis in ganz Deutschland viele Kommunisten in sog. Schutzhaft. So auch in Koblenz. Festgehalten wurden sie vornehmlich im Stadtgefängnis in der Karmeliterstraße. Das steht heute nicht mehr. Es stand da, wo sich jetzt der rückwärtige Teil des früheren Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB - „Koblenzer Hof“) befindet und wo das Gedenkrelief für Pater Josef Kentenich angebracht ist.

Es folgten die ersten Schikanen und Drangsalierungen der Juden, indem man sie als Richter, als Staatsanwälte oder als Rechtsanwälte und auch aus der Ausbildung zu diesen Berufen entfernte, ihre Geschäfte boykottierte und sie wegen vermeintlicher Straftaten kriminalisierte.

Weiter ging es mit den Gewerkschaften. Sie wurden im Mai 1933 zerschlagen und Gewerkschafter vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. Sie kamen dann zu den Kommunisten ins Gefängnis, wo diese schon seit einigen Wochen in „Schutzhaft“ saßen. Nach dem Verbot der SPD im Juni 1933 füllte sich das Gefängnis verstärkt auch mit SPD-Leuten. Da die Haftstätten in Koblenz bald überfüllt waren, verschleppte man diese „Schutzhäftlinge“ bald in die neu errichteten Konzentrationslager im Emsland. Dort in Esterwegen wurden sie u.a. von einem Koblenzer SS-Mann und späteren Leiter eines Konzentrationslagers gequält. – Diese frühe Verfolgung des politischen Gegners ist heute – leider - immer noch nicht so bekannt. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich hier in meinem Vortrag und in der Ausstellung nicht viel zur Aufklärung beitragen werde. Zusammen mit dem DGB – Region Koblenz – werden wir vom Förderverein Mahnmal Koblenz der Verfolgung und dem Widerstand von Nazigegnern aus der Arbeiter-bewegung im Mai/Juni dieses Jahres eine Veranstaltung zur Wiedergründung der Gewerkschaften vor 70 Jahren widmen. Dieser Veranstaltung wollen wir hier nicht vorgreifen und Sie schon jetzt darauf hinweisen.

Beispielhaft möchte ich nur einen entschiedenen politischen Gegner der Nazis erwähnen. Er ist untypisch für diese Opfergruppe und kann deshalb schon hier präsentiert werden. Gemeint ist Dr. Johannes Bauer. In der Weimarer Zeit war er Direktor der höheren Schule in Bendorf, örtlicher Funktionär der deutschen Beamtengewerkschaft; Führer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Mitglied der SPD, Mitglied des Stadtrats und des Kreistags. Bald nach der Machtübernahme der Nazis wurde er wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus seinem Amt entfernt. Als die Nazis herausbekamen, dass Bauer und auch andere Bendorfer Gewerkschafter Kontakt zum Grenzsekretariat der SOPADE hatten und er illegale Literatur beschaffte und verteilte, wurde er wegen Hochverrats angeklagt und zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der vollständigen Verbüßung der Strafhaft kam er nicht frei, sondern in „Schutzhaft“ und war dann bis zur Befreiung Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Mit anderen befreiten SPD-Mitgliedern proklamierte Bauer das Manifest der demokratischen Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald für Frieden, Freiheit, Sozialismus!“ Nach dem Krieg war er noch Oberstudiendirektor des Gymnasiums in Traben-Trarbach. Johannes Bauer starb dort aber schon bald an den Folgen der jahrelangen Haft.

Die Justiz ließ sich schon sehr früh und auch in anderen Bereichen für das Unrechtsregime missbrauchen. Dies geschah beispielsweise ab 1934 bei den Erbgesundheitsgerichten, die aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sog. Rassenhygiene betrieben. Auch das hier in Koblenz ansässige Erbgesundheitsgericht ordnete Zwangssterilisationen an. Allein 1934 waren es 530 und 1935 920 Anordnungen. Die allermeisten Unfruchtbarmachungen erfolgten zwangsweise. Viele wurden im Städtischen Krankenhaus Kemperhof durchgeführt. Im gesamten Deutschen Reich schätzt man die Opfer der Zwangssterilisationen auf 350.000. Auch darauf kann ich hier nicht weiter eingehen. Hierzu und zu den Opfern der NS-„Euthanasie“ haben wir vor wenigen Wochen eine Ausstellung in der Citykirche präsentiert. Wenn Sie nähere Informationen dazu wünschen und die Ausstellung versäumt haben, dann möchte ich Sie auf die Homepage unseres Fördervereins Mahnmal Koblenz hinweisen.

Eine andere Form des Rassismus der Nazis war es, „fremde Rassen“ als genetisch „minderwertig“ zu diskriminieren, wie es etwa durch die sog. Nürnberger Gesetze und ihre Folgeerscheinungen geschah. In Verfolg dessen gab es hier in Koblenz Mitte September 1935 die „Judenliste von Koblenz“, mit der unter Namensnennung im Einzelnen zum Boykott gegen jüdische Geschäfte, Rechtsanwälte, Ärzte u.a. aufgerufen wurde. Nach dem „Blutschutzgesetz“, einem Nürnberger Gesetz, waren außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen Juden und „Ariern“ verboten. Die Nazis und ihre juristischen Helfer „erfanden“ den Straftatbestand der „Rassenschande“. Er bildete dann die scheinlegale Rechtsgrundlage für Zuchthausstrafen auch für Koblenzer Juden.

Zentrum dieses sich immer mehr steigernden Terrors war die Leitstelle der Geheimen Staatspolizei (Gestapo-Leitstelle) in der Straße „Im Vogelsang“. Das Gebäude existiert heute nicht mehr, wohl aber die Straße „Im Vogelsang“. Dort – in dem ehemaligen Reichsbankgebäude – befand sich auch das „Hausgefängnis“ der Gestapo(leit)stelle Koblenz. Die Gestapo brachte dorthin Mitbürger, vor allem um sie zu verhören und dabei zu quälen und zu foltern.

Im katholischen Rheinland blieb es nicht aus, dass der politische Katholizismus, die katholische Kirche und der katholische niedere Klerus ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten gerieten. Die Nazis wollten letztlich die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und den Einfluss des Katholizismus zurückdrängen und ausschalten. Dabei rückten die katholischen Priester immer mehr in das Blickfeld. Auf ihrem Rücken trugen die Nazis - auch hier in Koblenz - ihren „Weltanschauungs-kampf“ gegen die katholische Kirche aus. Das sah dann beispielsweise so aus, dass schon die Nichtbeflaggung des Kirchturms Anlass für eine vorübergehende „Schutzhaft“ und/oder eine mehrmonatige Gefängnisstrafe für den Pfarrer war. Die Priester waren – weil sie so gut wie keine Unterstützung durch die Amtskirche erhielten – „Märtyrer ohne Auftrag“.

Auch evangelische Pfarrer blieben von den Nazis nicht verschont. Einer der bekanntesten ist der Dickenschieder Pfarrer Paul Schneider, der wiederholt in Koblenz in „Schutzhaft“ inhaftiert war. Teils hielt man ihn in dem bereits erwähnten Karmelitergefängnis fest, teils aber auch im Polizeigefängnis (heute Neubau der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz am Friedrich-Ebert-Ring). Aus diesem Polizeigefängnis heraus wurde Pfarrer Paul Schneider ins KZ Buchenwald deportiert. Wegen seines unbeugsamen Widerstehens aus christlicher Überzeugung erhielt er später den Ehrennamen „Prediger von Buchenwald“. Er ist eines der ersten Koblenzer Opfer des nationalsozialistischen Regimes, das in einem Konzentrations-lager umgebracht wurde.

Ähnlich aufrecht waren die Zeugen Jehovas bzw. die Ernsten Bibelforscher wie sie damals hießen. Zunächst überzog man sie wegen ihres Glaubens mit Strafverfahren und sperrte sie in Gefängnisse. Später nahm man auch die Mitglieder der Zeugen in Neuwied in „Schutzhaft“ und verschleppte sie in Konzentrationslager. Zwei von ihnen waren die Eheleute Michaelis aus Neuwied. Sie wurden vom Sondergericht Köln, das in Koblenz tagte, zu einem Jahr und vier Monaten bzw. zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Fritz Michaelis kam nach Verbüßung der Gefängnisstrafe nicht frei, sondern wurde in Koblenz in „Schutzhaft“ genommen und dann ins KZ Dachau verschleppt. Ein Jahr später kam er dort um. Seine Frau Liesbeth zog nach der Entlassung aus der Haft nach Berlin. Auch dort blieb sie ihrem Glauben treu, schloss sich einer widerständigen Organisation an und versteckte fahnenflüchtige Glaubensbrüder. Als dies entdeckt wurde, nahm man sie in Haft und verurteilte sie wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu fünf Jahren Zuchthaus.

Das Jahr 1938 kündigte einen Wendepunkt der Verfolgung im Nationalsozialismus an. Der Vorbote dieses Wendepunkts war die sog. Reichspogromnacht am 9./10. November 1938. Sie und ihre Folgen machten den jüdischen Mitbürgern deutlich, dass für sie die bürgerlichen Rechte und Gesetze in einem totalen und existentiellen Sinne nicht mehr galten. In Koblenz wurden von Trupps der SA, SS und Gestapo 19 Geschäfte und 41 Wohnungen demoliert und die jüdischen Mitbürger misshandelt. Eine von vielen war Emma Brasch, die Witwe des zwei Jahre zuvor gestorbenen Rechtsanwalts und Justizrats Dr. Isidor Brasch. Die Eheleute und ihre beiden Söhne Ernst und Walter hatten zunächst in Mayen gewohnt, später verlegte Dr. Isidor Brasch seine Rechtsanwaltskanzlei nach Koblenz. Nach dem Tod ihres Mannes und der Auswanderung ihres jüngeren Sohnes Dr. Walter Brasch und seiner Familie war Emma Brasch in Koblenz wohnen geblieben. Am frühen Morgen des 10. November 1938 fiel eine ganze Horde Nazis in das Haus ein und demolierte es. Bereits im Eingangsbereich rissen die Männer die Kacheln von den Wänden und beschädigten das Treppenhaus. Ihre Verwüstung setzten sie in der Wohnung fort, in der sie die 71-jährige Emma Brasch allein antrafen. Die Nazis zerhackten einen großen Teil der Möbel, und plünderten den Inhalt von Schränken. Die entsetzte alte Dame zerrten sie aus der Wohnung, schleppten sie in den Garten, sperrten sie dort ein und machten von ihr, im Nachthemd, ein Foto – um es später in dem Hetzblatt „Der Stürmer“ zu veröffentlichen und damit die Juden insgesamt lächerlich zu machen.

Noch am selben Tag wurde ihr älterer Sohn Ernst in Frankfurt am Main verhaftet und ins KZ Bauchenwald verschleppt. Nach einigen Wochen kam er mit der Verpflichtung auszuwandern wieder frei. Aber er wanderte nicht aus, er war ein durch die Haft und die Umstände gebrochener Mann. Einige Tage vor der auch ihm drohenden Deportation „in den Osten“ nahm sich Ernst Brasch das Leben. Seine Mutter Emma wurde von Frankfurt aus erst ins Konzentrationslager Theresienstadt und von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurde sie mit Giftgas ebenso ermordet wie ihr jüngerer Sohn Walter, seine Frau Irma und ihre beiden Kinder Jean Pierre und Ilse Erika. Sie schickte man aus dem holländischen Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz-Birkenau ins Giftgas.

Im Zuge der Kriegsvorbereitungen schufen die Nazis die Grundlagen für die Verfolgung im künftigen Krieg, der dann Verfolgungen in einem ganz anderen Maße auslöste bzw. ermöglichte. Mit Kriegsbeginn holte man die in der Schublade verwahrten Gesetze und Verordnungen hervor und setzte sie in Kraft: die Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 17. August 1938(!), die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939, die Kriegswirtschafts-Verordnung vom 4. September 1939 und die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939. Allein schon die Wortwahl „Volksschädling“ macht deutlich, was damit bezweckt war: die „Schädlingsbekämpfung“, so nannten die Nazis die Ermordung von Menschen.

Diese Rechtsvorschriften lieferten die scheinlegale Grundlage für die Bestrafung u.a. von Eides- und Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Saboteuren, und das bedeutete oft - wie es damals hieß - ihre „Ausmerze“. Auch Koblenzer bzw. Personen aus dem Umland wurden Opfer dieser „Blutjustiz“. Einer dieser Eides- und Kriegsdienstverweigerer war der Pallotiner-Pater Franz Reinisch. Er gehörte zum Kreis um Pater Josef Kentenich. Reinisch wurde wegen seiner Gewissensentscheidung, den Treueid als wehrpflichtiger Soldat auf Hitler persönlich nicht leisten zu können, vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil hingerichtet.

Zur Aburteilung von Wehrdienstentziehungen waren auch die zivilen Gerichte zuständig. Solche Straftaten kamen aber nun nicht vor die „normalen“ zivilen Gerichte. Vielmehr hatten die Nazis schon frühzeitig Sondergerichte geschaffen. Ein Sondergericht war der Volksgerichtshof in Berlin. Daneben gab es aber solche auch „vor Ort“. Sie hießen auch so - nämlich Sondergerichte - und waren bei den Landgerichten angesiedelt. Zunächst existierte beim Landgericht in Koblenz noch kein derartiges Sondergericht, es wurde aber Ende 1940 eingerichtet - wegen des starken Geschäftsanfalls wie es hieß. Von da ab spielte in diesem Bereich auch das Sondergericht Koblenz eine schlimme Rolle. Vom Sondergericht in Koblenz sind allein ein Dutzend Todesurteile bekannt.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte in vielem eine schwerwiegende Verschärfung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse und eine weitere Radikalisierung der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und ihre Helfer. Damit änderten sich die Repressalien der Nazis reichsweit und in dem von ihnen angegriffenen und besetzten Europa, aber auch konkret in unserer Region. Es änderte sich nicht die Richtung der Verfolgung, wohl aber deren Schwere und die Zahl der Opfer. Waren bisher - bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges - die Toten die Ausnahme, so war es für die Zeit danach eher umgekehrt: Die Ausnahme waren die Überlebenden.

Mit dem Krieg verstärkte sich auch die Verfolgung der Sinti und Roma. Hatte man diese als Zigeuner bezeichneten Menschen zunächst schikaniert, dann registriert und die in der Umgebung von Koblenz lebenden Sinti hier konzentriert, so wurden sie alsbald deportiert. Im Zusammenhang mit dem sog. Westfeldzug wurden im Mai 1940 zehn in Koblenz lebende Sinti-Familien (insgesamt 77 oder 78 Personen) aus ihren Wohnungen herausgeholt und gesammelt. Sie kamen in Ghettos in das besetzte Polen, aus denen inzwischen polnische Juden vertrieben worden waren. Um dort überhaupt überleben zu können, mussten sie - selbst 10-jährige Kinder - in Steinbrüchen u. ä. sehr hart arbeiten.

Im Zuge des „Westfeldzuges“ wurden die Nazis auch vieler politischer Gegner habhaft, die seit 1933 in das Ausland emigriert waren. Auch aus Koblenz und Umgebung flohen einige, vor allem Juden, nach Holland – wie wir das bei dem Koblenzer Rechtsanwalt Walter Brasch und seiner Familie schon gesehen haben. Andere, „Politische“ - es waren ganz überwiegend Kommunisten -, suchten zunächst im Saargebiet, das einen Sonderstatus hatte, Zuflucht und flohen später weiter nach Frankreich. Teilweise nahmen sie sogar auf Seiten der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teil. Nach der Besetzung eines Teils von Frankreich wurden sie von den kollaborierenden Franzosen den Nazis ausgeliefert. Man verschleppte sie nach Deutschland und einige von ihnen saßen in Gestapohaft in Koblenz. Ihnen machte man dann vor dem Volksgerichtshof in Berlin den Prozess.

So zum Beispiel der Bad Kreuznacher Kommunist Hugo Salzmann. Als die Nazis nach ihrer Machtübernahme ein Kopfgeld – tot oder lebendig – von 800 Reichsmark auf ihn auslobten, floh er ins Saargebiet und dann weiter nach Paris. Seine Frau Julianna folgte ihm mit ihrem Baby. In Paris war Salzmann weiter im Widerstand gegen Hitler-Deutschland aktiv. Mit Kriegsbeginn wurde er von den Franzosen im südfranzösischen Konzentrationslager Le Vernet interniert. Als die Franzosen seiner Frau habhaft wurden, lieferten sie sie an die Gestapo aus. Anschließend kam sie ins Gefängnis in Koblenz und nach einer einjährigen Haft hier ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Dort starb Julianna Salzmann wenige Monate vor der Befreiung an Entkräftung und „Herzeleid“. Ihren Mann Hugo lieferten die Franzosen ebenfalls an die Nazis aus und diese verschleppten ihn nach Koblenz. Nach einjähriger Haft hier verurteilte ihn der Volksgerichtshof in Berlin wegen Hochverrats zu 8 Jahren Zuchthaus. Nach seiner Befreiung aus dem Zuchthaus durch die Amerikaner war Hugo Salzmann in Bad Kreuznach wieder politisch aktiv – bis ihm das Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1956 eine politische Betätigung unmöglich machte.

Ein anderer Emigrant und Häftling im südfranzösischen Konzentrationslager Le Vernet war Friedrich Wolf. Er stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Neuwied und wuchs hier auf. Im I. Weltkrieg war der ausgebildete Mediziner Truppenarzt und dann entschiedener Kriegsgegner. In der Weimarer Republik wurde Friedrich Wolf Schriftsteller. Er verfasste medizinische Bücher und dann vor allem Gedichte, Romane und Schauspiele. Erst Mitglied der SPD, trat er dann in die KPD ein. Kurz nach dem Reichstagsbrand floh er nach Frankreich und vollendete dort sein berühmtestes Stück „Professor Mamlock“. Es beschreibt die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Nazis auf einen idealistischen jüdischen Arzt. Später wanderte Wolf weiter in die Sowjetunion, verließ das Land vor den stalinistischen Säuberungen, um am Spanischen Bürgerkrieg bei den Internationalen Brigaden teilzunehmen. Er wurde aber in Frankreich festgehalten und dann im Konzentrationslager Le Vernet interniert. Mit Hilfe der Sowjets konnte er nach Russland ausreisen. Dort wurde er Mitbegründer und Frontbeauftragter des Nationalkomitees Freies Deutschland. Nach dem Krieg kehrte Friedrich Wolf nach Deutschland zurück. In der SBZ war er weiter schriftstellerisch und im Kulturbetrieb Nachkriegsdeutschlands aktiv. Er war Mitbegründer der DEFA und des PEN-Zentrums Deutschland, außerdem war er erster Botschafter der DDR in Polen.

Im Hitler-Deutschland gab es trotz jahrelanger Verfolgung und Gleichschaltung auch noch Widerstand oder widerständisches Verhalten. Obwohl die Kommunisten von Anfang an ganz massiv von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, gelang es ihnen, über die Jahre hinweg in traditioneller Form vielfältigen Widerstand zu leisten. Auch hielten sie in kleinen Zirkeln Kontakt untereinander und bestärkten sich und andere in ihrer Gegnerschaft gegen den Hitler-Faschismus. Ein solcher Kreis von Vertrauten und Gleichgesinnten hatte sich um 1940 auch in Metternich gebildet. Kopf und Herz dieser Gruppe waren die Eheleute André und Anneliese Hoevel, nach denen die Hoevelstraße im Rauental benannt ist. Sie stammten nicht aus Koblenz, sondern waren nach vielen Jahren der Verfolgung, die sie als Kommunisten zu erdulden hatten, hierhergekommen. Ihnen wurde zum Verhängnis, dass sie denunziert wurden, weil sie ausländische Sender gehört und sich über das Gehörte untereinander und mit Angehörigen der Wehrmacht ausgetauscht hatten. Darin sah man ein todeswürdiges Rundfunkverbrechen. Aufgrund eines Urteils wurden beide innerhalb von fünf Minuten im Gefängnis von Frankfurt/Main-Preungesheim mit dem Fallbeil hingerichtet.

Unterdessen verfolgte der Nationalsozialismus schon längst nicht mehr nur seine traditionellen Gegner. Als totale Weltanschauung und als totaler Staat ließ man in letzter Konsequenz keine autonomen Instanzen oder Organisationen neben sich zu. Deshalb duldete man im Bereich der Jugend auch keine autonomen Erziehungsträger und keine autonomen Gruppen und selbst kein nonkonformes Verhalten einzelner. Diesen Totalitätsanspruch setzten die Nazis durch, indem sie bald außer der Hitler-Jugend keine Jugendverbände mehr duldeten.

Dabei bekämpften die Nazis – sofern sich die Organisationen nicht „freiwillig“ gleichschalteten wie die evangelischen Jugendverbände - nicht nur ihnen ferner stehende Verbände wie die katholische „Sturmschar“, sondern auch ihnen ideologisch und personell nahestehende Bünde wie den „Nerother Wandervogel – Deutscher Ritterbund“. Dieser hatte – und hat auch heute wieder - seinen Stammsitz auf der Burg Waldeck im Hunsrücker Baybachtal. Wie wohl sich der Bund unter der Leitung der Brüder Robert und Karl Oelbermann als „Teil der nationalen Erhebung“ verstand, geriet er in das Fadenkreuz der Nazis – weil er eigenständig bleiben und sich nicht von den Nazis vereinnahmen lassen wollte. Kurz nach dem Verbot des Nerother Wandervogel wurde Robert Oelbermann – sein Bruder Karl befand sich gerade auf große Fahrt auf See – verhaftet, wegen homosexueller Betätigung angeklagt und verurteilt. Nach seiner 1 ½jährigen Haft kam er nicht frei, sondern wurde ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Dort starb er 1941völlig entkräftet und ohne ärztliche Hilfe.

Nach wie vor wurden die katholischen Priester und Patres verfolgt. Eine größere Anzahl von ihnen wurde allein wegen der Verteidigung ihres religiös-seelsorgerischen Bereichs, ihrer kulturellen Autonomie und ihrer ethischen Maximen schikaniert und festgenommen und dann in Koblenz in Gestapohaft gehalten. Besonders unerbittlich gingen die Nazis und ihre Helfer gegen die in Schönstatt bei Vallendar beheimatete Schönstatt-Bewegung vor. Mehrere Patres von ihnen saßen hier im Karmelitergefängnis in „Schutzhaft“ und verschleppte man dann ins KZ Dachau. Nur einige von ihnen - wie der Gründer der Schönstatt-Bewegung Pater Josef Kentenich - überlebten diese - wie man es nannte - „Hölle ohne Gott“. Auch drei Marienschwestern von „Schönstatt“ - zum Teil nach vorheriger „Schutzhaft“ in Koblenz – kamen ins KZ, ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Es war gerade das Verfolgungsschicksal katholischer Priester, das katholische Jugendliche aus der hiesigen Gegend aufrüttelte und widerständisch und gar ungewöhnlich militant werden ließ. Die Anführer dieser Gruppe waren Willi Lohner aus Niedermendig und sein Freund Hans-Clemens Weiler aus Kruft. Beide waren zunächst vom Nationalsozialismus ein bisschen – sagen wir – begeistert, brachte er doch Schwung, schmissige Musik und auch Aufbruchstimmung mit. Schon bald vollzog sich bei den beiden aber ein Bewusstseinswandel. Sie erschreckte der Kirchenkampf des NS-Regimes und sie erlebten in ihrer unmittelbaren Umgebung, wie Pfarrer wegen ihres Glaubens mundtot und ins KZ verschleppt wurden. Da gründeten sie – gerade einmal 16 bzw. 15 Jahre alt - im November 1942 eine Organisation, die sie Michaeltruppe nannten.

Diese Gruppe ging vorsichtig vor, trotzdem entdeckte sie die Gestapo im August 1943. Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und vier weitere Mitglieder der Truppe wurden verhaftet und verhört. Danach brachte man die sechs Jungen erst in die Jugendarrestanstalt Neuwied und dann auf die Burg Stahleck. Willi Lohner und Hans-Clemens Wagner blieben dort zwei Monate und wurden dann in das „Jugendschutzlager“ Moringen verschleppt. Dort mussten sie in einem Salzbergwerk Munition herstellen. Hans-Clemens zog sich dabei eine Tuberkulose zu, von der er sich nie mehr richtig erholte. Er starb 1974. Wilhelm Lohner machte sein Abitur nach, studierte und begründete ein eigenes Tourneetheater, das „Ensemble Wilhelm Lohner“.

Die Verfolgung der Juden endete im Völkermord. Seit der sog. Reichspogromnacht hatte sich ihre Lage weiter zugespitzt. In den folgenden Wochen und Monaten ging ein Hagel diskriminierender Verordnungen auf sie nieder. Ein Symbol war der gelbe Stern. Er signalisierte den bevorstehenden Beginn der Deportation. Die Juden waren auch in Koblenz und dessen Umgebung die mit Abstand größte Opfergruppe. Wie keine andere Gruppe wurde für sie die geradezu fabrikmäßige Vernichtung in den KZs des Ostens angeordnet und ganz konsequent durchgeführt. Nachdem im Sommer oder Herbst 1941 die Vernichtung der in deutschen Einflussgebiet lebenden Juden beschlossen und im Januar 1942 auf der sog. Wannsee-Konferenz der verwaltungsmäßige Ablauf des Völkermords koordiniert worden war, setzten ab März 1942 auch die Deportationen der in Koblenz und Umgebung noch lebenden Juden ein.

Der erste Transport, der mit Güterwaggons vom Güterbahnhof in Lützel aus erfolgte, fand am 22. März 1942 statt – in wenigen Tagen jährt sich diese 1. Deportation vor 74 Jahren. Mit dem Transport wurden 338 Juden aus dem Stadt- und Landkreis Koblenz in ein Ghetto in Ostpolen verschleppt. Notdürftig Platz gab es dort auch nur, nachdem zuvor eingepferchte polnische Juden in die nahe gelegenen Vernichtungslager Chelmno, Belzec und Sobibor verschleppt und dort ermordet worden waren. Das gleiche Schicksal war auch den Juden aus Koblenz bestimmt und im Herbst oder Winter 1942 kamen alle da noch Lebenden im Rahmen der sog. Aktion Reinhard - benannt nach dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich - in den Vernichtungslagern Sobibor oder Belzec um. In der Folgezeit gab es noch fünf weitere Deportationen von Koblenz aus mit zum Teil unterschiedlichen Zielen,

Opfer der 2. Deportation von Koblenzer Güterbahnhof in Lützel, die am 30. April 1942 stattfand, waren fast ausschließlich Patienten der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn. In dieser Anstalt für Nerven- und Gemütskranke waren Anfang der 1940er Jahre nur noch jüdische Patienten, „weil – so der Runderlass des Reichsministeriums des Innern – ein „Zusammenwohnen Deutscher mit Juden auf die Dauer nicht tragbar ist“. Einer dieser Patienten – und das freiwillig und schon seit 1933 – war Hans Davidsohn. Berühmt wurde er als expressionistischer Dichter unter dem Pseudonym Jakob van Hoddis. Der französische Dichter André Breton sagte einmal über ihn: „Mit van Hoddis befinden wir uns an der Spitze der deutschen Poesie, seine Stimme erreicht uns vom höchsten und dünnsten Zweig des vom Blitz getroffenen Baums.“ Bald nach seinen literarischen Meisterwerken verfiel Jakob von Hoddis in geistige Umnachtung. Als seine Familie 1933 emigrierte und ihn nicht ins Ausland mitnehmen konnte, kam er in die Anstalt in Bendorf-Sayn. Im Jahr 1942 wurde er mit vielen anderen Patienten aus Bendorf-Sayn sehr wahrscheinlich nach Izbica bei Lublin deportiert und dann im Vernichtungslager Sobibor mit Giftgas ermordet.

Mit dieser Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten wurden wesentliche Teile der damaligen bürgerlichen Gesellschaft ausgerottet. Kaufleute, Unternehmer, Rechtsanwälte, Ärzte, Künstler u.a. mit ihren Familien wurden Opfer dieses Rassenwahns. Alle Verfolgten verloren schon durch die bloße - wie es hieß - „Auswanderung“ ihre deutsche Staatsangehörigkeit. In den Konzentrationslagern kamen mindestens 576 jüdische Mitbürger aus dem Stadt- und Landkreis Koblenz um - nur 24 Personen überlebten. Fast zeitgleich mit ihrer Deportation in die Vernichtungslager war bestimmt worden, dass nach dem Tod eines Juden sein Vermögen dem Deutschen Reich verfiel. Verantwortlich für diese Deportationen war die Geheime Staatspolizei - Staatspolizeistelle Koblenz.

Ein solches Schicksal hat auch Heinz Kahn erleiden müssen. Heinz und seine jüngere Schwester Gertrud waren Kinder des in Hermeskeil praktizierenden Tierarztes Dr. Moritz Kahn und seiner Frau Elise. 1936 musste Heinz die Schule verlassen, damit sie „judenrein“ wurde. Noch in Hermeskeil war die Familie vom Novemberpogrom, der „Reichspogromnacht“, betroffen. Ihr Haus in Hermeskeil mussten sie unter Wert an die Gemeinde verkaufen. Sie zogen nach Trier. Heinz und seine Schwester Gertrud wurden als Juden dienstverpflichtet. Am 1. März 1943 wurde die Familie Kahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Heinz überlebte als einziger seiner Familie. Er kam zur Arbeit - zur Zwangsarbeit nach Auschwitz III – Auschwitz-Monowitz. Bald übertrug man ihm besondere Aufgaben, zeitweise war er Pfleger, Häftlingsschreiber und Lagerläufer. Dadurch hatte er gewisse Privilegien und konnte anderen Häftlingen helfen. Von Auschwitz wurde er kurz vor dessen Befreiung ins KZ Buchenwald verschleppt und einige Monate später dort auch befreit. Dann kehrte er nach Trier zurück, wurde erster Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Trier, machte sein Abitur nach, studierte Veterinärmedizin, legte sein Examen ab und promovierte. Mit seiner Frau Inge zog er 1954 nach Polch. Dort führte er viele Jahre eine Tierarztpraxis. Seit 1987 war er Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Koblenz. Heinz Kahn starb vor zwei Jahren im Alter von 91 Jahren.

Ein ähnliches Schicksal wie die Juden hatten die Sinti zu erleiden. Der massenhafte Mord an ihnen begann mit Himmlers Auschwitz-Erlass von Dezember 1942, mit dem etwa 22.000 Sinti und Roma aus ganz Europa in den als „Zigeunerlager“ bezeichneten Abschnitt des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Die erste Deportation der Sinti aus Koblenz fand am 10. März 1943 statt – vor nunmehr 73 Jahren. Betroffen hiervon waren etwa 150 Personen, 40 Männer, 44 Frauen und 65 Kinder. Es waren „Zigeunermischlinge“ wie sie die Nazis nannten. Die Menschen hatte man aus der Stadt Koblenz und Umgebung in der Nähe des Deutschen Ecks – vermutlich in der Castorschule – gesammelt. Am Morgen des 10. März 1943 brachte man sie zum Hauptbahnhof, verfrachtete sie in drei Personenwaggons und deportierte sie nach Auschwitz-Birkenau.

Unter den Deportierten war auch die Familie Karl Reinhardt. Diesen und den anderen deutschen „Zigeunern“ half nichts – auch nicht, dass Vater Karl noch bis vor kurzem Unteroffizier der deutschen Wehrmacht und Wachsoldat in Koblenz war und dessen ältester Sohn Bernhard in Nordafrika unter Generalfeldmarschall Rommel gekämpft hatte. Als „Zigeuner“ hatte man sie aus der Wehrmacht entlassen. Bernhard Reinhardt war sogar – noch vor der Deportation der übrigen Familie – ins Konzentrationslager Flossenbürg verschleppt worden. Von den Kindern Karl Reinhardts leben noch Daweli Reinhardt und Ottilie Degé, geb. Reinhardt. Bawo Reinhardt ist vor etwa 2 Jahren hier verstorben. In Koblenz und auch darüber hinaus sind sehr bekannt die Enkel Karl Reinhardts, so weit sie Musik machen: Lullo Reinhardt und Django Reinhardt und Djangos Brüder: Mike, Bawo, Sascha und Moro.

In der Folgezeit hat es mindestens noch eine weitere Deportation von Sinti aus Koblenz gegeben. Diese fand Ende April 1944 statt und hatte ebenfalls das „Zigeunerlager“ des KZ Auschwitz-Birkenau zum Ziel. Diese Deportationen wurden von der Kriminalpolizei hier in Koblenz mitorganisiert und durchgeführt. Wie bei den Juden gab es auch unter den Sinti und Roma in Auschwitz „Selektionen“. Die Arbeitsfähigen wurden in andere KZs verschleppt, die übrigen Anfang August 1944 „liquidiert“. Allein in Auschwitz wurden 26 Sinti aus Koblenz ermordet.

Mit fortschreitendem Weltkrieg kamen immer mehr ausländische Staatsangehörige ins Deutsche Reich und auch nach Koblenz. Sie waren für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft dringend nötig, denn es standen damals sehr viele Männer als Soldaten im Krieg und zudem wurden in der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft viele Arbeitskräfte gebraucht. Diese Ausländer waren entweder Kriegsgefangene oder - wie man sie im Unterschied hiervon verharmlosend nannte - „Zivilarbeiter“. In Koblenz gab es zeitweise 1.265 Fremdarbeiter, vor allem Russen und Polen. Beispielsweise in Moselweiß und in Lützel existierten „Ostarbeiterlager“. Die Zwangsarbeiter waren bei öffentlichen Betrieben und bei Privatfirmen beschäftigt und kehrten vielfach nach der Arbeit in die Sammelunterkunft zurück. Am schlechtesten ging es den Sowjets. Sie waren für die Nazis „Untermenschen“, mussten das Abzeichen „Ost“ für Ostarbeiter tragen, waren fast ausschließlich in Sammellagern - mit Stacheldraht herum - untergebracht. Ihre Lebenssituation war generell gekennzeichnet durch schlechte Ernährung, Bezahlung, Unterbringung und Kleidung, oft überlange Arbeitszeiten, mangelnde ärztliche Versorgung, Übervorteilung durch deutsche Vorgesetzte, Diffamierungen und Misshandlungen. Man wollte nur ihre Arbeitskraft. Schwangerschaften waren unerwünscht. Allein im Städtischen Krankenhaus Kemperhof wurde bei mehreren hundert Polinnen und Ostarbeiterinnen die Leibesfrucht abgetrieben. Kam es gleichwohl zur Geburt eines Kindes, so hatte es angesichts der gesamten Umstände kaum eine Lebenschance und wurde der Mutter auch weggenommen, damit diese sofort wieder Zwangsarbeit leisten konnte. Bei Arbeitsverweigerungen und „Unbotmäßigkeit“ kamen sie vorübergehend in Gestapohaft. Auf dem Koblenzer Hauptfriedhof sind aus jenen Jahren 630 Sowjetbürger, 57 Polen und andere ausländische Staatsangehörige beerdigt.

Auch gab es ausländische KZ-Häftlinge in der Umgebung von Koblenz. Sie mussten Zwangsarbeit in dem KZ-Außenlager „Rebstock“ bei Dernau an der Ahr und im KZ-Außenlager „Zeisig“ bei Bruttig-Fankel leisten. Das Lager Zeisig war ein Außenlager des elsässischen KZs Natzweiler, das Lager Rebstock ein Außenlager des KZ Buchenwald. Einer der KZ-Häftlinge in Dernau war Roger Detournay. Er hatte den Beruf eines Drehers erlernt und schloss sich als 16-Jähriger der französischen Widerstandsbewegung an. Erst verteilte er Flugblätter mit antideutschem Inhalt, dann beteiligte er sich an Sabotagakten. Im Juli 1944 wurde er festgenommen und einen Monat später mit dem letzten Transport von Paris nach Deutschland ins KZ Buchenwald verschleppt. Dort wurde er zur Zwangsarbeit nach Dernau gebracht, um in den dortigen Tunnelanlagen an der Herstellung der „Wunderwaffe“ V2 zu arbeiten. Vor den heranrückenden Alliierten stellte man Ende des Jahres dort den Betrieb ein und verbrachte die Häftlinge zur weiteren Arbeit nach Thüringen. Auch dort musste nach wenigen Monaten die Produktion eingestellt werden. Die Häftlinge gingen auf den Todesmarsch. Roger Detournay überlebte auch diesen und wurde in der Tschechoslowakei befreit.

Bisher wurde immer von Verfolgungssituationen und von widerständigem Verhalten von Personen berichtet, die Mitglieder von Gruppen waren - und die deshalb widerständig und/oder Opfer von Verfolgung wurden. Der Betreffende wurde verfolgt, weil er Kommunist, Zeuge Jehovas, katholischer Priester, Sinto, Jude, Zwangsarbeiter o.ä. war. Auf der Höhe des Terrors wurde potentiell jedes nonkonforme Verhalten, ja jede abweichende, „defätistische“ Meinungsäußerung zum Verbrechen. Damit erreichte die Verfolgung eine ganz neue Dimension: Es kam tendenziell zur Verfolgung des Volkes.

Pastor Martin Niemöller, einer der aktivsten Köpfe der Bekennenden Kirche und langjähriger Verfolgter der Nazis, hat diese Entwicklung und die Unfähigkeit, dagegen wirksam protestieren zu wollen und später zu können, einmal in die treffenden Worte gekleidet:

Als die Nazis die Kommunisten holten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,

habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,

gab es keinen mehr,

der protestieren konnte.

Als Lichtblick in jener ganz dunklen Zeit, als moralische Instanz und als Funken Hoffnung auf ein besseres Deutschland gab es den Attentats- und Umsturzversuch am 20. Juli 1944. Unmittelbar beteiligt daran war Philipp Freiherr von Boeselager aus Kreuzberg an der Ahr. Wie sein älterer Bruder Georg war er ein hochrangiger Offizier und schon länger vor dem 20. Juli 1944 in die Attentatspläne eingeweiht. Im März 1943 waren beide Brüder zum Pistolen-Attentat auf Hitler bereit, jedoch kam es nicht dazu. Im Herbst desselben Jahres besorgte von Boeselager noch Sprengstoff für das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nach dessen Attentat am 20. Juli 1944 sollte Boeselager mit sechs Schwadronen (1.200 Reitern) seines Kavallerieregiments von der Ostfront zu einem Sammelplatz eilen. Dort sollten die Reiter auf Lkw umsteigen und zu einem Feldflugplatz bei Warschau gebracht werden. Bei einem Erfolg des Attentats sollten sie mit 20 Flugzeugen in die Hauptstadt fliegen, das Reichssicherheitshauptamt und das Propagandaministerium stürmen und Himmler und Goebbels „festsetzen“. Am Nachmittag des 20. Juli 1944 musste Boeselager diese Operation mittendrin abbrechen, weil bekanntlich das Attentat Stauffenbergs misslungen war.

Die Attentäter waren aber nicht ganz allein. Es gab zumal in Berlin zahlreiche Zirkel und Widerstandsgruppen. Mitglieder dieser Gruppen stammten auch aus dem heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz.

Eine solche Widerständlerin war die in Boppard geborene Maria Terwiel. Sie war sog. Halbjüdin und diese Herkunft hatte ihre Lebensplanung als Volljuristin zerstört. Nach Erlass der Nürnberger Rassengesetze musste sie ihr Jurastudium aufgeben. Sie ging dann mit ihrem Lebensgefährten Helmut Himpel, dem sie wegen eben dieser Rassengesetze nicht heiraten durfte, nach Berlin. Dort schlossen sich beide der von der Gestapo so genannten Roten Kapelle an. Beide nahmen an Aktionen der Gruppe teil. Maria Terwiel stellte Flugschriften her und verbreitete sie. Die wichtigste und größte Aktion auch Maria Terwiels waren die Herstellung und Verbreitung der Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens Graf von Galen gegen die Krankenmorde der Nazis im Rahmen der sog. T4-Aktion. Viele Mitglieder dieser großen Widerstandsgruppe wurden ab September 1942 von der Gestapo verhaftet und von dem Reichskriegsgericht in Berlin zum Tode verurteilt. Auch gegen Maria Terwiel und ihren Lebensgefährten Helmut Himpel erging ein Todesurteil. Beide wurden im Hinrichtungsschuppen des Zuchthauses Berlin-Plötzensee ermordet.

Dieser „Blutjustiz“ fiel auch der in Bad Ems geborene Adolf Reichwein zum Opfer. In der Weimarer Zeit war Reichwein Reformpädagoge, zuletzt Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde in Jena und auch Mitglied der SPD. Die an die Macht gekommenen Nazis entfernten ihn aus seinem Amt, er war dann – mit großem Erfolg – Lehrer an der einklassigen Dorfschule in Tiefensee. So „bewährt“ wurde Reichwein Museumspädagoge in Berlin. Dort knüpfte er Kontakt zu dem um Helmuth James Graf von Moltke entstandenen „Kreisauer Kreis“. Reichwein nahm auch an den großen Tagungen dieses Widerstandskreises aktiv teil und war als Kultusminister einer „Regierung nach Hitler“ vorgesehen. Noch kurz vor dem 20. Juli 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet, im Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Ein weiterer, zu einer großen Gruppe gehörender Widerständler war der in Koblenz geborene und hier aufgewachsene katholische Priester und Armeeoberpfarrer a. D. Professor Dr. Friedrich Erxleben. Er war ein Freund vieler Politiker, Diplomaten und Künstler, wie etwa Carl Zuckmayer und Theodor Heuss, und ein profiliertes Mitglied des sog. Solf-Kreises. Nur mit großem Glück und nur ganz knapp entging er einer Verurteilung durch den Volksgerichtshof und dem mutmaßlichen Tod durch das Fallbeil im Hinrichtungsschuppen von Berlin-Plötzensee. Nach dem Krieg kehrte er nach Koblenz zurück und wurde dann Pfarrer in der Moselgemeinde Müden. Mehr möchte ich zu diesem außergewöhnlichen Koblenzer, der hier so gut wie vergessen ist bzw. war, nichts sagen. Ich möchte Sie alle einladen, zur Uraufführung des Dokumentarfilms über ihn am Donnerstag, dem 7. April, um 19 Uhr an gleicher Stelle zu kommen.

Und noch ein letztes: Nach dem gescheiterten Attentat setzte ein Rachefeldzug Hitlers ein. Dabei machten die Nazis und ihre Helfer nicht einmal vor deren Familienangehörigen, also Frauen und Kindern, und selbst nicht vor einer Schwägerin eines Prinzen von Hohenzollern halt. Diese, Lina Lindemann, war mit dem Artilleriegeneral Fritz Lindemann verheiratet und lebte zurzeit des Attentats bei ihrer Schwester auf Burg Namedy bei Andernach. Frau Lindemann war als sog. Sippenhäftling längere Zeit in Gestapohaft im hiesigen Karmelitergefängnis, ehe sie dann über viele Stationen fast durch das ganze damalige Deutsche Reich gehetzt und schließlich im Hochpustertal in Südtirol befreit wurde.

Damit, meine Damen und Herren, bin ich zwar nicht am Ende und auch nicht fertig, aber ich höre hier mit dem Vortrag auf. Vieles konnte ich nur verkürzt darstellen, manches gar nicht. Bitte haben Sie dafür Verständnis.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.

Im Beiprogramm zur Ausstellung „Verfolgung und Widerstand im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz 1933 – 1945“ zeigt unser Förderverein am Donnerstag, dem 7. April 2016, um 19.00 Uhr im Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz den Dokumentarfilm:

„Mut, Leidensbereitschaft, Heiterkeit – das war sein Vermächtnis.“ - Der Koblenzer Armeeoberpfarrer und Widerständler Prof. Dr. Friedrich Erxleben (1883 – 1955)“. Es ist die Uraufführung dieses Films, den unser Förderverein nach einer mehrjährigen Recherche und umfangreichen filmischen Arbeiten nun fertiggestellt hat.

Dieser neue vom Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. erarbeitete Dokumentarfilm erzählt die Lebensgeschichte eines ungewöhnlichen in Koblenz geborenen und aufgewachsenen Priesters, Künstlers, Gelehrten, Weltbürgers und Widerständlers gegen das NS-Regime. Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Armeeoberpfarrer war Friedrich Erxleben Dozent und Professor in zahlreichen Großstädten Europas sowie Oratoriensänger und Violinvirtuose. In Berlin war er mit zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens befreundet, u.a. mit Theodor Heuss und Carl Zuckmayer. Von Zuckmayer stammt auch das Motto des Films, mit dem dieser von seinem Freund „Petrus“ in seiner Autobiografie „Als wär’s ein Stück von mir“ erzählt. In den 1930er Jahren gehörte Erxleben zum Solf-Kreis, einer Teegesellschaft, in der über Kunst, Kultur und Politik diskutiert wurde, und die Juden und politisch Verfolgten beim Überleben half. Im Mai 1944 wurde Friedrich Erxleben verhaftet, kam ins Konzentrationslager Sachsenhausen und in Gefängnisse. Man machte ihm wegen „Wehrkraftzersetzung“ den Prozess vor dem Volksgerichtshof. Bevor es zum Urteil kam, war der Krieg zu Ende. 1946 kehrte Erxleben an Rhein und Mosel zurück. Zunächst lebte er wieder in Koblenz bei seinem Bruder Augustinus, der Inhaber der Metternicher Klosterbrauerei war. Noch im selben Jahr wurde Erxleben Gemeindepfarrer in Müden/Mosel und verlebte die glücklichsten Jahre seines sehr wechselvollen Lebens. Friedrich Erxleben starb 1955 im Ruhestand in Linz/Rhein.