Wieder "Heimatbesuch" von Holocaust-Überlebenden
Auch in diesem Jahr besuchten wieder ehemalige jüdische Bürger von Koblenz ihre frühere Heimatstadt. Vom 10. bis 17. Juli 2016 waren fünf Überlebende des Holocaust mit ihren Ehegatten und Kindern auf Einladung der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit zu Besuch. Dieses 31. Treffen hatte wieder ein interessantes Programm und viele schöne Begegnungen. Zum ersten Mal mit dabei waren der Sohn und die Schwiegertochter der im vorletzten Jahr verstorbenen Eva Salier, geb. Hellendag aus Koblenz-Horchheim. Sohn Ralph Salier-Hellendag und seine Ehefrau Jane gingen den den noch recht zahlreichen Spuren ihrer Mutter und Schwiegermutter nach, die hier in Koblenz noch vorhanden sind und gepflegt werden. Auch unser Förderverein Mahnmal porträtiert Eva Salier in seiner DAUERAUSSTELLUNG Tafel 045
Über den "Heimatbesuch" berichtete u.a. der "LokalAnzeiger - Koblenzer Schängel -" vom 27. Juli 2016 HIER lesen
Einen weiteren Artikel über die Familie Hellendag/Salier brachte "Blick aktuell - Ausgabe Koblenz -" Nr. 29 vom 21. Juli 2016 auf Seite 6 HIER lesen
Neues zu den „Reichsautobahnen“
Nur gelegentlich weisen wir an dieser Stelle auf Veröffentlichungen aus der Umgebung von Koblenz hin. Heute ist es aber ein „Muss“, über eine vor kurzem erschienene Regionalgeschichte zur Zwangsarbeit zu berichten. Der Wittlicher Wolfgang Schmitt-Kölzer hat mit seinem Buch „Bau der ‚Reichsautobahn’ in der Eifel (1939 – 1941/42) – Eine Regionalstudie zur Zwangsarbeit“, Berlin 2016 (ISBN 978-3-86460-460-7) ein wichtiges Buch über den Bau der heutigen Bundesautobahnen A 48/A1 und A 62 geschrieben. Damals sollte eine „Reichsautobahn“ vom Westerwald (von Montabaur, Dernbacher Dreieck) über die Eifel und den Hunsrück bis in die Pfalz (nach Landstuhl) führen.
Titelseite des Buches
Die ersten Bauarbeiten begannen Anfang 1939 im Raum Koblenz. Da es keinen „freien Arbeitsmarkt“ mehr gab, setzten die Nationalsozialisten Tausende von Dienstverpflichteten und Zwangsarbeitern ein. Untergebracht, interniert waren sie in Arbeitslagern, von denen es immer mehr gab, zuletzt waren es mehr als 50. In seiner Arbeit beschreibt Schmitt-Kölzer vor allem den Bau im Bereich der Bauabteilung Wittlich; er reichte von Schweich bei Trier bis nach Ulmen in der Eifel.
In seiner sehr präzisen und äußerst detailreichen Regionalstudie gibt Schmitt-Kölzer eine Fülle von Informationen und Quellenangaben – eine Fundgrube für das Weiterforschen in anderen Bereichen, gerade auch zu den Lagern und Zwangsarbeitern im Koblenzer Raum. Einen Einstieg in eine solche Koblenzer Arbeit hat Schmitt-Kölzer dabei schon hinsichtlich der hier eingesetzten Justizstrafgefangenen geschafft.
Zu den verschiedenen Gruppen von (Zwangs-)Arbeitern gehörten nämlich auch Häftlinge des Koblenzer Gefängnisses. Dieses Gefängnis (wie auch das Wittlicher Gefängnis) hatte „Außenarbeitsstellen“, Außenlager an der Reichsautobahn im Westerwald und in der Eifel. Die ersten Lager entstanden 1939 in Bellthal/Kobern mit 50 Gefangenen und in Höhr-Grenzhausen mit 36 Gefangenen. Statistiken der Gefängnisverwaltung Koblenz und des Reichsjustizministeriums aus dem Jahre 1941 nennen folgende „Außenarbeitsstellen“ der Strafanstalt Koblenz und Belegungszahlen (im Einzelnen: Schmitt-Kölzer, a.a.O., Seite 188):
- Ulmen (240)
- Uersfeld (270, später 670)
- Kobern (78)
- „Eiserne Hand“ bei Bassenheim (312)
- Höhr-Grenzhausen (203) und
- Hilgert (381-400).
Wachpersonal in Uersfeld. Foto: privat (unbekannt),
Quelle: LA NRW R, RWB/29000/2 ------ vgl. Schmitt-Kölzer, a.a.O., Seite 187)
Die sechs Lager in der Zuständigkeit des Koblenzer Gefängnisses wurden 1939/40 eingerichtet. Schon sehr bald war das Koblenzer Gefängnis nicht mehr in der Lage, den Anforderungen der Reichsautobahn-Behörden nach Arbeitskräften nachzukommen. Viele Strafgefangene waren durch die harte Arbeit an der Autobahn innerhalb von kurzer Zeit verschlissen. Eine Vorstellung von der Ausbeutung der Häftlinge gibt ein Aktenvermerk der Bauabteilung Vallendar gegenüber der Organisation Todt, die das Lager Ulmen Anfang 1941 inspizierte. Darin heißt es, „die Leistung der Gefangenen ist 2-3mal höher als die der Kriegsgefangenen oder der freien Holländer“. Immer wieder musste das Koblenzer Gefängnis Häftlinge aus den „Außenarbeitsstellen“ als „untauglich zurücknehmen“. Für sie mussten die Reichsautobahnbehörden den Baufirmen dann schnellstens Ersatz liefern.
Daraufhin wurden ab Sommer 1940 Strafgefangene aus dem ganzen Deutschen Reich in das Koblenzer Gefängnis verlegt und dann in die „Außenarbeitsstellen“ an der Autobahn verbracht. Sie stammten aus dem Stuttgarter Raum, aus Dresden und Breslau, im August 1940 kamen 100 Gefangene aus den Moorlagern im Emsland.
Nicht nur deutsche Häftlinge, sondern auch ausländische wurden in die Lager zur Zwangsarbeit geschickt. So kamen 35 Gefangene aus dem Luxemburger Gefängnis im Dezember 1940 in das Lager Uersfeld. Auch von den Feldgerichten verurteilte Niederländer, Belgier und Franzosen brachte man als „außenarbeitsfähige Zivilstrafgefangene“ an die Autobahn.
Anfang 1941 kamen in zwei Transporten über700 Strafgefangene aus dem besetzten Polen in die Lager Uersfeld, „Eiserne Hand“ bei Bassenheim und Hilgert, darunter auch Juden. Einer dieser Häftlinge war der polnische Zwangsarbeiter Norbert Widok.
Foto: Norbert Widok
Nachdem er zunächst Häftling im Emslandlager Papenburg gewesen war und dann zurück nach Posen gebracht wurde, verschleppte man ihn nach Bassenheim bei Koblenz. In seiner Autobiografie „Überleben“, Walbrzych 2007, beschreibt er seine Ankunft in Bassenheim wie folgt (Seite 32):
Der Zug (mit Viehwaggons, Erg. d.A.) hielt 30 bis 40 Kilometer hinter einer großen Stadt, Köln, wie ich später erfuhr. Wir stiegen an einer kleinen Haltestelle mit Rampe aus. Der Entladungsprozess unterschied sich nicht von dem in Papenburg. Offensichtlich gab es dafür landesweit geltende Verfahren und Standards. Nach Bildung der Kolonnen trieb man uns in die Richtung der kleinen Ortschaft Bassenheim. Dabei begleiteten uns die mir gut bekannten SS-Männer mit ihren Hunden, aber auch Schläge, Schreie und Schüsse…
Nach zwei bis drei Kilometern erreichten wir ein kleines, in Hitlers Maßstäben, in schöner hügeliger Umgebung an einem Hang gelegenes Lager. Es war mit doppeltem Stacheldraht umzäunt und ich sah auch Draht auf Isolatoren und unter Hochspannung. Auf dem Gelände standen sechs bis acht Baracken. Zirka fünf Meter vor dem Zaun lag eine Stacheldrahtrolle. Auf diese Weise war der Bereich bestimmt, dem sich niemand nähern durfte.
Das weitere Schicksal von Norbert Widok kann in seiner Kurzbiografie in der Dauerausstellung HIER - auf Tafel 90- nachgelesen werden
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Justizgefangenen waren sehr hart. Die zu Gefängnisstrafen Verurteilten mussten 11 Stunden, die zu Zuchthausstrafen Verurteilten 12 und Polen sogar 14 Stunden arbeiten. Je länger der Krieg dauerte, umso schlechter wurde die Ernährung der Gefangenen. Für ihre harte Arbeit gab es nur einen Hungerlohn. Für die Gefängnisse war die Außenarbeit der Häftlinge hingegen ein gutes Geschäft. Aus dem Lager Ulmen ist bekannt, dass die Gefängnisleitung in Koblenz von den Baufirmen 60 Reichspfennige pro geleisteter Arbeitsstunde erhielten, der Gefangene davon aber nur weniger als 2 Pfennige bekam. Und dabei hatten die Häftlinge einen sehr langen Arbeitstag und mussten auch bei schlechtem Wetter, bei Eis und Schnee arbeiten.
Üblich waren auch Schikanen, um die Gefangenen zu schnellerer Arbeit anzutreiben und zu erniedrigen. In einem anonymen Brief von Februar 1941 schildert ein ehemaliger Häftling die Situation wie folgt (vgl.: Schmitt-Kölzer, a.a.O., S. 197 f.):
Leute, die nie eine schwere Arbeit getan haben, werden ohne Rücksicht auf ihren Körperzustand zu dieser schweren Arbeit herangezogen. Diese Arbeit fällt diesen Leuten doppelt schwer, mithin haben sie eine doppelte Strafe zu verbüßen. Das ist doch nicht recht. Auch die Behandlung ist gottserbärmlich. Man hört nur Staatsverbrecher, Spitzbuben, Lumpen und so weiter, und doch sind auch anständige Menschen darunter. Blutige Hände und Füße werden hohnlachend zurück gewiesen mit der Antwort ‚Faule Hunde‘. Auch mit Erschießen wird man bedroht. Ich habe gehört, dass ein Beamter sagte‚ ‚Wenn Sie nicht den Mund halten, schieße ich Sie über den Haufen und mir passiert nichts‘. Dies alles geschieht durch Anordnung des Vorstandes in Koblenz. [...] Aber solches wird ja nicht gesehen, nur die so genannten faulen Gefangenen. Deren Leben wird unerträglich gemacht mit ungenügender Ernährung und mangelhafter Kleidung.
Viele, vor allem Polen, versuchten zu fliehen. Allein imSeptember 1941 entwichen aus dem Lager Uersfeld 13 polnische Zwangsarbeiter. Sie konnten den Wachmännern beim Transport mit dem Zug zur Baustelle in Kaisersesch entfliehen.
Einer von ihnen war der polnische Zwangsarbeiter Czeslaw Wawrocki (vgl. Schmitt-Kölzer, a.a.O., S. 195 f.). Er kam Ende August 1940 aus dem Emslandlager Neusustrum in das Lager Uersfeld. Von dort konnte er ein Jahr später mit zwei anderen polnischen Gefangenen fliehen. Zwei Monate schlug er sich quer durch Deutschland durch und gelangte bis ins Sudetengebiet. Dort wurde er von der Gestapo verhaftet und gefoltert. Über Gefängnisse und das Zuchthaus Siegburg verschleppte man ihn ins Konzentrationslager Buchenwald. Dort verliert sich seine Spur.
Sein Lebens- und Leidensweg ist in der Kurzbiografie auf dieser Homepage - HIER auf Tafel 83 - festgehalten
Das mit viel Propaganda begonnene Projekt „Reichsautobahn“ kam im Laufe des Jahres 1941 zum Erliegen. In einem Schreiben der obersten Reichsautobahnbehörde in Berlin von Ende Mai 1941 an den Gauleiter Simon heißt es schon (zit. nach: Schmitt-Kölzer, a.a.O., Seite 94ff [96]):
Auf den Strecken Montabaur-Koblenz, Koblenz-Polch und Wittlich-Trier werden die Bauarbeiten voraussichtlich in den nächsten Wochen zum Erliegen kommen oder nur mehr in ganz geringem Umfang weitergeführt werden können.
So kam es dann auch. Die letzten Bauarbeiten wurden Ende 1941 eingestellt.
Abschließend kann dieses Buch nur warm empfohlen werden: zum Lesen und zur weiteren eigenen Aufarbeitung der Geschichte der Reichsautobahn-Lager und ihrer (Zwangs-)Arbeiter in Koblenz und Umgebung – und anderswo.
Das Buch ist im Koblenzer Buchhandel erhältlich. Eine Facebook-Seite steht ebenfalls zur Verfügung.