Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ mit regionalem Teil

Ab dem 23. Januar 2020 zeigte unser Förderverein die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ der Bundeszentrale für politische Bildung und des Fotografen Mark Mühlhaus mit einem regionalen Teil in der Citykirche in Koblenz.

Der Vorsitzende unseres Vereins Dr. Jürgen Schumacher begrüßte die recht zahlreichen Besucher mit einer Annäherung an die Wanderausstellung. Zur Erinnerung an den Holocaust und seine Opfer zeigt sie in 19 Fotografien die hier meist wenig oder gar nicht bekannten Orte der Menschheitsverbrechen in Polen, Belarus und in der Ukraine. Zu sehen sind Wiesen, Wälder, Mahnmale, kleine Museen, Treppen, Bahnhöfe und Gebäudereste – das was die NS-Täter von den Massenerschießungen und Giftmorden in den besetzten Gebieten an Spuren hinterlassen hatten und in der Zeit danach als Mahnmale zur Erinnerung geschaffen wurde.

Der stellvertretende Vorsitzende unseres Vereins Joachim Hennig führte dann in die Ausstellung ein. Dabei stellte er auch den Bezug zwischen den beiden Ausstellungsteilen – der Fotoausstellung und dem regionalen Teil - her. Der regionale Teil zeigt 12 Biografien von „nach dem Osten“ deportierten jüdischen Koblenzern. Ganz konkret wurde er am Beispiel des Vernichtungslagers Sobibor.

Lesen Sie nachfolgend die Ansprache unseres stellvertretenden Vorsitzenden zur Ausstellungseröffnung am 23. Januar 2020.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich, Sie heute Abend in die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ mit regionaler Ergänzung einführen zu dürfen.

Konkreter Anlass für das Thema und die Ausstellung ist die 75. Wiederkehr des Tages, an dem am 27. Januar 1945 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Auschwitz ist der größte Friedhof in der Geschichte der Menschheit. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 1,1 Millionen Menschen, vor allem Juden aus ganz Europa, in Auschwitz umgebracht wurden. Auschwitz, das waren drei Lager. Sie gehörten zu dem offiziell sogenannten „SS-Interessengebiet Auschwitz“ – etwa 50 Kilometer westlich der polnischen Stadt Krakau. Der Auschwitzkomplex war das größte der etwa 2.000 Konzentrations- und Arbeitslager und auch das größte Vernichtungslager.

Andere Mordstätten, in denen die Täter Hitler-Deutschlands ebenfalls Zehntausende und gar Hunderttausende Menschen ermordeten, stehen heute oftmals noch immer „im Schatten“ der Aufmerksamkeit und sind hier kaum oder gar nicht bekannt.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist die Bundeszentrale für politische Bildung im Mai 2016 auf Spurensuche an neun Stätten der Verfolgung im damals von Hitler-Deutschland besetzten Osten, im heutigen Polen, Belarus und in der Ukraine gegangen. An diesen Orten wurden zu Zehn- und zu Hunderttausenden Menschen umgebracht, vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma, politische Gegner, Kriegsgefangene, zu „Untermenschen“ herabgestufte Einheimische, psychisch und andere Kranke sowie „Arbeitsunfähige“. Sie alle wurden erschlagen, erschossen, in mobilen Gaswagen oder in Gaskammern mit Motorabgasen, Kohlenmonoxid oder Blausäure ermordet.

Diese Spurensuche wurde von dem Fotografen Mark Mühlhaus begleitet. Seine Bilder sind Grundlage der Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“. Mühlhaus beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit unterschiedlichen Formen des Erinnerns an die NS-Verbrechen und des Gedenkens an die Opfer. Seine Bilder sind eine Annäherung an die Tatorte von damals, und sie geben einen Eindruck davon, wie es heute an diesen Stätten der Verfolgung aussieht, einschließlich der aktuellen Formen des Gedenkens und Erinnerns.

Die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ will diese Orte der im Namen Deutschlands begangenen Massenverbrechen im Osten - soweit das heute geht - anschaulich machen. Denn tatsächlich sind nur an wenigen Mordstätten noch Gebäude(reste) erhalten oder rekonstruiert. Oft ist das Gelände inzwischen überformt mit einer Gedenklandschaft oder überwuchert von Wiesen und mit Bäumen überwachsen. Die Menschheitsverbrechen waren von Anfang an getarnt, später wurde oftmals erfolgreich versucht, die Spuren ganz zu beseitigen.

Nehmen wir zum Beispiel das Vernichtungslager Sobibor. Die Fotoausstellung zeigt Bilder, wie es heute dort aussieht. Sobibor war kein Lager, dort gab es keine noch so primitiven Unterkünfte für die Opfer, dort fanden auch keine Selektionen wie an der Rampe von Auschwitz-Birkenau statt. Die mit Zügen ankommenden Menschen - zu allermeist Juden - wurden am Tag ihrer Ankunft – nachdem sie ihrer letzten Habe beraubt worden waren - in die Gaskammern getrieben und mit Motorabgasen ermordet. Man geht von 170.000 bis 250.000 Ermordeten aus. Überlebt haben nur knapp 50 von ihnen, die zusammen mit 320 anderen am 14. Oktober 1943 den Aufstand wagten, entkommen und überleben konnten.

Die meisten der jüdischen Bürger aus Koblenz und Umgebung sind im Vernichtungslager Sobibor oder auf dem Weg dorthin ermordet worden – und nicht in Auschwitz. Die 1. Deportation am 22. März 1942 ging in das sog. Durchgangsghetto nach Izbica bei Lublin im Generalgouvernement. Wer den tagelangen Transport dorthin überlebte und dann die katastrophalen Zustände und die willkürlichen Erschießungen in Izbica wurde in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort ermordet. Diesen Leidensweg gingen etwa auch Hannelore Hermann und ihre Eltern Leopold und Johanna Hermann sowie der Rechtsanwalt Dr. Arthur Salomon und seine Ehefrau Alma und die Tochter Ruth. Exemplarisch für die dort ermordeten Koblenzer Juden zeigt unser Förderverein Mahnmal Koblenz in der regionalen Ergänzung zur Fotoausstellung deren Biografien. Diese sog. reichsdeutschen Juden folgten den einheimischen Juden nach. Diese waren zuvor aus Izbica in die Vernichtung nach Sobibor verschleppt worden, um in ihren Häusern Platz für die reichsdeutschen Juden zu schaffen.

Die 2. Deportation Koblenzer Juden am 30. April 1942 ging in ein anderes Durchgangsghetto im Generalgouvernement – nach Krasniczin. Dorthin wurden der Cochemer Julius Hein und sehr viele in der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn lebenden psychisch Kranken verschleppt wie der expressionistische Dichter Jakob van Hoddis und Manfred Moses Goldschmidt. Auch von dort wurden die da noch Lebenden nach Sobibor weiter verschleppt und ermordet. Der 3. Transport mit ausschließlich Patienten und Pflegepersonal der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn ging unmittelbar ins Vernichtungslager Sobibor. Unter ihnen war auch die in der Ausstellung porträtierte Literaturwissenschaftlerin Dr. Johanna Hellmann.

Die 4. Deportation von Koblenz aus brachte vor allem alte und im Ersten Weltkrieg verdiente Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt. Zahlreiche von ihnen starben dort, andere wurden weiter verschleppt in das Vernichtungslager Treblinka. Im regionalen Teil der Ausstellung zeigen wir die Biografie der 74-jährigen Emma Brasch, die nach einer sehr langen Verfolgung in Treblinka mit Motorabgasen ermordet wurde. Heute ist in Treblinka eine Gedenkstätte, die Sie ebenfalls in der Fotoausstellung sehen können.

Mit der 4. Deportation endeten die großen bzw. größeren Deportationen von Koblenz aus. Es wurden dann „nur“ noch Einzelpersonen deportiert, wie der HNO-Arzt Dr. Hugo Bernd und seine Frau Selma unmittelbar ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau oder der Rechtsanwalt Dr. Isidor Treidel und seine Ehefrau Erna, die zunächst nach Theresienstadt verschleppt wurden und dann weiter zur Ermordung ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau.

Andere Koblenzer wurden von anderen Orten aus nach dem Osten deportiert. Beispielhaft werden im regionalen Teil der Ausstellung Dr. Walther Brasch, seine Frau und ihre Kinder Jean Pierre und Ilse Erika porträtiert, die nach ihrer Emigration nach Holland von dort aus nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Das gleiche Schicksal widerfuhr den hier ebenfalls porträtierten Moses und Paul Sonnenberg.

Die Fotoausstellung von Mark Mühlhaus „Im Schatten von Auschwitz“ und der regionale Teil des Fördervereins Mahnmal Koblenz wollen die Erinnerung an diese Verbrechen und an die Menschen, die sie erleiden mussten, wachhalten. Das sind wir Nachgeborenen den Nachbarn unserer Eltern und Großeltern schuldig – wir sind es als Zivilgesellschaft allen NS-Opfern schuldig.

Am 6. Dezember 2019 war Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz. Sie hat dort die Gefühle und Gedanken ausgesprochen, die sie uns allen für diese Ausstellung und den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gleichsam auf den Weg gegeben hat. Ich zitiere Angela Merkel:

„Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden, Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten.“ Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern angetan worden sei, „muss man eigentlich verstummen.“ Aber: „Schweigen darf nicht unsere einzige Antwort sein.“ Es sei unsere Pflicht, die Erinnerung an die begangenen Verbrechen wachzuhalten. Sich als Deutsche der Verantwortung für diese Taten bewusst zu sein, „ist fester Bestandteil unserer nationalen Identität.“ Die unantastbare Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – „so kostbar diese Werte auch sind, so verletzlich sind sie auch.“ Deswegen müssten diese Werte – so die Bundeskanzlerin weiter mit Blick auf die Gegenwart – immer wieder verteidigt werden. Es gebe einen „Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus“. Deshalb: „Wir dulden keinen Antisemitismus. Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben. Und auch keine Relativierung.“

Soweit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Sehen wir uns jetzt gemeinsam die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ und ihren regionalen Teil an.

Im Begleitprogramm zur Ausstellung referierte der Berliner Zeithistoriker Dr. Andrej Angrick am 26. Januar 2020 über die hinter den Bildern von heute stehenden Ereignisse in den Mordstätten. Das Geschehen war die „Geheime Reichssache“ „Aktion 1005“, die Anordnung, sämtliche Massengräber im deutsch besetzten Europa unkenntlich zu machen. Die Mordstätten waren aufzuspüren, die Leichen auszugraben, zu verbrennen und das Gelände zu tarnen. Die eigentliche Arbeit mussten Juden aus den Ghettos, russische Kriegsgefangene und Gefängnisinsassen erledigen. Anhand von Aussagen der Täter und Berichten der wenigen Überlebenden vermittelte der Referent einen Eindruck von dieser gigantischen Vertuschungsaktion, die letztlich doch nicht alles Gras über die Menschheitsverbrechen wachsen ließ und alle Holocaustleugner der Lüge straft.

Lesen Sie HIER den Bericht unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig „Gedenken an den Holocaust auch in Koblenz“ im „Schängel“ Nr. 5 vom 29. Januar 2020.

 Bezugnehmend auf den o.gen. Artikel im Koblenzer Schängel lesen Sie bitte auch:

„Aktion 1005“ – Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942-1945 
Vortrag gehalten von Dr. Andrej Angrick am 26. Januar 2020 in Historischen Rathaussaal in Koblenz

und

Führung durch die Ausstellung „Im Schatten von Auschwitz“ mit regionalem Teil
von Joachim Hennig.