Die Ausgabe vom 7. Dezember 2000 brachte das Porträt des jüdischen Koblenzers Max Kaufmann:
Ein Kuss als „Rassenschande“
Teil 5 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 7. Dezember 2000:
Max Kaufmann
Die „Rassereinheit des deutschen Volkes“ war ein zentrales Anliegen der NSDAP und wurde die wichtigste Aufgabe der frühen NS-Rechtspolitik. Das zeigen nicht nur die vielen Zwangssterilisationen aus „Rassenhygiene“ nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sondern auch das (Nürnberger) „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ von 1935. Es untersagte Ehen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ und verbot außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen den beiden Menschengruppen u.a.m. Täter konnte nur der Mann sein, egal ob Jude oder „Deutschblütiger“. Die Frau blieb straflos und sollte als Zeugin zur Verfügung stehen. Das Gesetz traf sehr viel mehr Juden als „Deutschblütige“ und isolierte diese schon sehr bald.
Einer von ihnen war der damals 57jährige jüdische Kaufmann Max Kaufmann. Er lebte in Koblenz, war durch die Inflation verarmt und Witwer. 1937 zog er zur Untermiete, zur gleichen Zeit bezog eine „Deutschblütige“ das Zimmer gegenüber. Eines Abends passt er sie im dunklen Flur ab und gibt ihr einen Kuss. Nach Angaben der Frau, die sich ihm dann entzogen hat, soll er sie von hinten mit den Armen angefasst und die linke Brust fest gedrückt haben. Es kommt zur Anklage wegen „versuchter Rassenschande“. Der jüdische Rechtsanwalt Dr. Treidel setzt sich sehr für ihn ein. Er macht geltend, die Zeugin sei schwachsinnig und deswegen vom Erbgesundheitsgericht zwangssterilisiert. Das hilft alles nichts. Die große Strafkammer des Landgerichts Koblenz glaubt der Zeugin und verurteilt Kaufmann wegen versuchter Rassenschande zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus sowie zu drei Jahren Ehrverlust.
RA Dr. Treidel lässt nicht locker. Er legt gegen das Urteil Revision u.a. mit der Begründung ein, es liege hier kein Versuch sondern eine noch straflose Vorbereitungshandlung vor. Die Revision wird verworfen: Kaufmanns Verhalten sei darauf hinausgelaufen, die Frau zum Geschlechtsverkehr zu bewegen. Das sei schon der Anfang der Ausführung und damit strafbarer Versuch gewesen. Dafür reiche eine Handlung des Täters, die tatsächlich oder doch wenigstens nach seiner Vorstellung darauf gerichtet sei, den beabsichtigten Geschlechtsverkehr unmittelbar zu verwirklichen. So sei es aber hier gewesen - auch unabhängig davon, dass die Frau damit nicht einverstanden gewesen sei. Denn das geschützte Rechtsgut sei nicht nur das deutsche Blut sondern die deutsche Ehre, und zwar die Rassenehre des ganzen deutschen Volkes. Als Treidel von Kaufmanns „arischem“ Nachmieter erfährt, dass die gleiche Frau auch diesen Mann ohne Grund der sexuellen Belästigung bezichtigt, stellt er noch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Auch das lehnt die Strafkammer ab: Immerhin habe Kaufmannn den Kuss zugegeben, allein dieser rechtfertige die Verurteilung wegen versuchter Rassenschande. Die Zuchthausstrafe wegen des Kusses hat er bis auf den letzten Tag im Zuchthaus Butzbach/Hessen verbüßt. Am 9. März 1939 wurde er entlassen. Zur Ruhe kam Max Kaufmann aber nicht mehr: 1940 musste er als Vorbestrafter von Koblenz nach Berlin, von dort deportierte man ihn in den Osten...