In der Rhein-Zeitung vom 14. Dezember 2000 folgte die Biografie des bündischen Jungen Mannes Edgar Lohner:
Bündischer Mythos als Hochverrat
Teil 6 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 14. Dezember 2000:
Edgar Lohner
Der totalitäre NS-Staat ließ keine autonomen Instanzen und Organisationen zu, nicht einmal nonkonformes Verhalten einzelner. Dies galt auch und gerade im Bereich der Jugend. Schon 1933 gab der Reichsjugendführer von Schirach das Ziel vor: „Wie die NSDAP nunmehr die einzige Partei ist, so muss die HJ (Hitler-Jugend) die einzige Jugendorganisation sein.“ Deshalb verboten die Nazis erst den kommunistischen Jugendverband und dann die Sozialistische Arbeiterjugend. Die Jugendorganisationen der bürgerlichen Parteien lösten sich selbst auf. Dann schränkten die Nazis die Arbeit der konfessionellen Jugendverbände und der bündischen Jugendgruppen ein. 1936 folgte das Verbot der Bündischen Jugend. Das waren Gruppen, Freundeskreise bürgerlicher Jugendlicher, die ein Recht auf Selbstbestimmung und Selbsterziehung in Anspruch nahmen und eine Gegenkultur pflegten: die autonome Fahrt, das Zelten in Kothen, das Gruppenerlebnis, die Erfahrung mit Gleichaltrigen.
Trotz Verbot bildete sich in Bonn eine illegale Gruppe von Schülern, zu der auch der Andernacher Edgar Lohner gehörte. Sie veranstalteten Lager und Fahrten „nach bündischer Art“. In den Sommerferien 1937 - Edgar Lohner war 17 Jahre alt - fuhr er mit einem Freund zur Weltausstellung nach Paris. Dort lernten sie zwei jüdische Mädchen kennen, die zum Kreis um den Schriftsteller Karl Otto Paetel gehörten. Paetel war früher ein Führer der Bündischen Jugend gewesen, der wegen seiner sozialrevolutionären Ideen hatte emigrieren müssen. Er war in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden, blieb aber in Paris weiter aktiv. 1938 und nach dem Abitur 1939 fuhren Edgar Lohner und andere Schüler der Bonner Gruppe wieder nach Frankreich. Sie vertieften die Kontakte zu Paetel sowie zu den beiden Jüdinnen. Tagsüber führten sie mit Paetel politische Diskussionen und ließen sich von ihm politisch unterweisen. Abends wurde „ein bündischer Betrieb aufgezogen“ und am Lagerfeuer wurden bündische Lieder gesungen. Man kam sich näher und Edgar Lohner schlief wiederholt mit einer der beiden Jüdinnen. Nach der Rückkehr ins „Reich“ veranstalteten die Bonner weitere Fahrten und Lager in der näheren Umgebung. Auch hielten sie brieflichen Kontakt zu Gleichgesinnten. Durch die Briefe wurde die Gruppe entdeckt, ihre Mitglieder kamen in Untersuchungshaft.
Die Folge davon waren zwei Prozesse gegen Edgar Lohner und gegen andere Mitglieder der Bonner Gruppe. Zunächst verurteilte sie das Landgericht Koblenz, Edgar Lohner u.a. wegen „Rassenschande“ zu neun Monaten Gefängnis. Das Gericht setzte sich dabei darüber hinweg, dass die „Rassenschande“ in Paris zu einer Zeit begangen worden war, in der sie im Ausland noch gar nicht strafbar war. Damit verstießen die Richter gegen den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ („nulla poena sine lege“), getreu dem NS-Prinzip, dass der Satz „Kein Verbrechen ohne Strafe“ die höhere und stärkere Rechtswahrheit sei. Dann verhängte der Volksgerichtshof in Berlin gegen Edgar Lohner eine dreijährige Zuchthausstrafe und gegen den „Kopf“ der Bonner Gruppe sechs Jahre Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Bestraft wurde damit der Kontakt zu dem Emigranten Paetel und die „Förderung seiner politischen Pläne“.
Im Nachkriegsdeutschland gingen die Gruppenmitglieder doch noch ihren Weg. Edgar Lohner hatte bald promoviert und war Dozent. Der „Kopf“ der Gruppe war gar Legationsrat im Auswärtigen Dienst geworden. Seine Doktorarbeit hatte das Thema „Jugendbewegung und Nationalsozialismus. Zusammenhänge und Gegensätze.“