Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

"Ostarbeiter" ausgebeutet

RZ-Artikel von Joachim Hennig vom 5. Dezember 2001:

Die ukrainische Zwangsarbeiterin Sofia M. im Kemperhof

Der nationalsozialistische „Ausländereinsatz“ zwischen 1939 und 1945 ist wie der Völkermord an den Juden in der Geschichte ohne Beispiel. In jenen Jahren waren mehr als 13 Millionen Kriegsgefangene und „Zivilarbeiter“, Männer, Frauen und Kinder, im „Großdeutschen Reich“ beschäftigt. Die meisten von ihnen, mit Sicherheit 80 %, eher noch 90 %, mussten Zwangsarbeit leisten. In der nationalen Hierarchie standen die Polen und vor allem die „Ostarbeiter“ (Russen, Ukrainer u.a.) als „slawische Untermenschen“ ganz unten. Millionen Menschen aus dem Osten entwurzelten die Nazis und ihre zahlreichen Helfer und verschoben sie wie Vieh hierher, um sie auszubeuten. Ihr Elend und die an ihnen begangenen Verbrechen sind weitgehend unaufgeklärt und namenlos.

In Koblenz lässt sich der Schleier der Unwissenheit und des Vergessenwollens nur an ganz wenigen Stellen und auch nur ein bisschen heben. Ein solcher Ort ist vor allem das Städtische Krankenhaus Kemperhof. Von ihm ist bekannt, dass dort hunderte von Zwangsarbeiterinnen ihre Leibesfrucht haben abtreiben lassen müssen. Aus den Akten wissen wir auch ein wenig von den dort beschäftigt gewesenen Hilfskräften.

Eine von ihnen war die Ukrainerin Sofia M. Sie musste zunächst in einer Urmitzer Schwemmsteinfabrik arbeiten. Bald erkrankte sie an einem Gallenleiden und kam deswegen im April 1943 in den Kemperhof. Da sie - wie es hieß - infolge ihrer Krankheit anderwärts nicht mehr leistungsfähig war und ständiger ärztlicher Aufsicht bedurfte, behielt man sie als Hausgehilfin und Dolmetscherin dort, da sich die Stationsärzte ansonsten „mit dem Ostarbeitervolk“ nicht verständigen konnten. Auch entsprach man damit einem Anliegen der Gestapo, die keine Beschäftigung deutscher Hausgehilfinnen in der Ostarbeiterstation wünschte.

Der Kemperhof  war mit Sofia M. offensichtlich zufrieden. Sie galt „als ruhig und gesittet, was sie für den Krankenhausbetrieb besonders geeignet macht(e)“. So gehörte sie zu denjenigen, die schon einmal ein wenig Bekleidung und ein Paar Straßenschuhe erhielten. Im Februar 1944 wurde ihr gar das Privileg einer „Raucherkarte“ zuteil.

Anfang Juni 1944 kommt es dann zu einem Vorfall im Kemperhof. Dieser wird von der Leitung des Krankemhauses nicht weiter gemeldet. Durch Denunziation erfährt der Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF) doch davon. In seinem Bericht liest es sich so: „Die NS-Schwester Agnes St. fuhr vor 14 Tagen mit dem Essenwagen über den Flur der Frauenstation II. Dort war die Ostarbeiterin Sofia M. am Putzen. Der Wagen läuft etwas schief und fuhr so über das Geputzte. M. warf den Wagen zur Wand und zugleich bespuckte sie die NS-Schwester St. Ich möchte noch dazu bemerken, dass die M. eine ganz rohe Person ist und sie auch für fähig halte, dass sie andere Ostarbeiterinnen aufhetzt.“

Dieser Bericht bringt dann die bürokratische Maschinerie gegen Sofia M. in Bewegung. Schon zwei Tage später reicht der Kriegskreisobmann der DAF den Bericht an den Stadtrat Fuhlroth weiter mit dem Bemerken: „Eine Bestrafung der Ostarbeiterin durch die Gestapo ist scheinbar nicht erfolgt, da das Krankenhaus für die Zeit der Haft offenbar auf die Arbeitskraft nicht verzichten wollte.“ Wenige Tage später, am 29. Juni 1944, wird Sofia M. in Gestapohaft genommen. Man kann sich ausmalen, was mit ihr, die als Zwangsarbeiterin ohnehin vogelfrei ist, in den Kellerräumen des „Hausgefängnisses“ der Gestapo „Im Vogelsang“ geschieht. Am 11. Juli 1944 wird sie entlassen. Dann verliert sich auch diese flüchtige Spur.