Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

"Rache" an Gewerkschaftern und Widerständlern

RZ-Artikel von Joachim Hennig vom 7. Dezember 2001:

Therese Kaiser - für ihren Mann Jakob Kaiser in „Sippenhaft“ in Koblenz


„Sippenhaft“ ist ein Begriff aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Er bezeichnet die (strafrechtliche) Verantwortlichkeit, Einstandspflicht, „Haftung“ von Angehörigen eines „Täters“ für die ihm zur Last gelegten Taten. Es war die Wahnidee der Nazis, die Widerständler des 20. Juli 1944 „bis ins letzte Glied“  zu verfolgen, sich an deren Familien zu “rächen“ und die Widerständler - sofern sie in Freiheit waren - dadurch zur  Aufgabe zu zwingen. Erfolg hatten die Nazis nicht, sie brachten aber über viele Unschuldige zusätzliches schweres Leid.

So auch über die Familie Jakob Kaisers (geb. 1888). Zurzeit der Weimarer Republik war er ein führender Vertreter der christlichen Gewerkschaften. Bald wurde er ein entschiedener Gegner der Nazis, die 1933 die Gewerkschaften zerschlugen und deren Mitglieder in die machtlose Deutsche Arbeitsfront überführten. Zunächst noch in Köln wohnend entwickelte Kaiser zusammen mit dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer und Politiker Wilhelm Leuschner (1890 - 1944) und dem Deutschnationalen Max Habermann (1885 - 1944)  in der NS-Zeit Pläne für eine zukünftige Einheitsgewerkschaft. Auch nach einer sechsmonatigen Gestapohaft wegen „Landesverrat“ blieb er im Widerstand und hatte später Kontakt  zu Carl Goerdeler, dem „zivilen Kopf“ des Widerstands. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 konnte Kaiser - anders als Leuschner und Habermann - der Gestapo entkommen und in Berlin untertauchen.   

Zu jener Zeit befanden sich Jakob Kaisers Frau Therese und ihre gemeinsame Tochter Elisabeth in (Neuwied-)Irlich. Sie waren dorthin evakuiert worden, nachdem die Familienwohnung in Köln-Klettenberg von Bomben getroffen war. Anfang August 1944 überschlugen sich die Ereignisse: Jakob Kaiser fuhr nach Westen, um seine Familie zu sehen. Die Tochter Elisabeth war zur gleichen Zeit in Berlin. Sie verpassten sich, trafen sich aber bei Freunden in Bonn. Zusammen fuhren sie nach Irlich. Das Wiedersehen war kurz, Kaiser voller Unruhe. Frau und Tochter begleiteten ihn zum Zug nach Koblenz und kehrten nach Irlich zurück. Schon am nächsten Tag war die Gestapo in Irlich und suchte nach Jakob Kaiser. Da man ihn nicht fand, nahm man seine Frau und Tochter, bald darauf auch den Bruder der Ehefrau und dessen Frau fest und inhaftierte sie zunächst im Gefängnis Neuwied. Dann kamen sie nach Koblenz. Dort waren sie drei Monate im Stadtgefängnis in der Karmeliterstraße in Haft. Sie hatten keinerlei Kontakt zur Außenwelt, wussten nichts vom Schicksal der Familie im Übrigen und mussten selbst um ihr Leben fürchten. In dieser Situation nahmen die alliierten Bombenangriffe auf Koblenz zu und zerstörten Anfang November das Stadtgefängnis. Frau Kaiser und ihre Tochter flüchteten in dem allgemeinen Chaos. Drei Wochen später kam die Gestapo erneut nach Irlich. Wiederum verhaftete sie Frau Kaiser, die Tochter Elisabeth und auch Bruder und Schwägerin von Frau Kaiser. Diese vier kamen „auf Transport“ nach Berlin und waren im Gefängnis Moabit in Einzelhaft. Von dort verschleppte man sie mit anderen „Sippenhäftlingen“ ins KZ Buchenwald. Weiter ging es - die Front rückte näher - über Regensburg ins KZ Dachau, dann nach Innsbruck. Jenseits des Brenners wurden sie dann von den Amerikanern befreit.

Die ganze Familie überlebte, sah sich aber erst im März 1946 wieder. Therese Kaiser hat Haft und Verfolgung nie ganz überwunden und erlag 1952 einem Herzleiden. Jakob Kaiser war Mitbegründer der CDU, parteiinterner Kritiker Adenauers und seiner Politik sowie später Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.