Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Studien- und Recherchefahrt zu Stätten der Verfolgung in Oberösterreich (Gedenkstätte KZ Mauthausen, Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und Gedenkstätte KZ Ebensee)

 

„Wer eine Reise tut, kann viel erzählen.“ Und deshalb wird hier über eine Fahrt zu Stätten der Verfolgung in Oberösterreich berichtet. Mit zahlreichen Fotografien wollen wir unseren Nutzern auch diese Stätten einmal etwas näher bringen.

Der nachfolgende Bericht stammt von unserem stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig, der in der Zeit vom 31. Oktober bis zum 3. November 2013 an dieser vom Förderverein Gedenkstätte KZ Hinzert e.V. organisierten Fahrt teilgenommen hat:

„Studienfahrten zu Gedenkorten, an denen die nationalsozialistische (Terror-)Herrschaft ihre Spuren hinterlassen hat, sind ja „in“. Wenn auch die Zeitzeugen, die über die Verbrechen und die Unmenschlichkeit der Nazis berichten können, immer weniger werden, so sind die Stätten der Verfolgung stumme, aber doch „authentische“ Orte, an denen das Unrechtsregime und seine Untaten ansatzweise erfahrbar werden. Diese werden deshalb – ohne einem „Gedenktourismus“ das Wort reden zu wollen – immer wichtiger.

Konkreter Grund, um an dieser Fahrt des Fördervereins Gedenkstätte KZ Hinzert teilzunehmen, war für mich die Hoffnung, in Mauthausen und vor allem in Ebensee doch noch mehr über einen Bauzug der SS, den 12. SS-Eisenbahnbauzug, zu erfahren. Dieser Zug war an Heiligabend 1944 im KZ Sachsenhausen mit ca. 500 KZ-Häftlingen in Marsch gesetzt worden, um in unserer Region (in Kamp[-Bornhofen], Bad Kreuznach und Gießen) Eisenbahngleise wieder befahrbar zu machen. In den letzten Wochen des Krieges war er gleichsam auf der Flucht vor den Alliierten und fand seine letzten Stationen in Mauthausen und in Ebensee. Dort wurden die letzten KZ-Häftlinge auch befreit. Über die Geschichte dieses Zuges recherchiere ich zurzeit und hoffte über sein Ende in Oberösterreich doch noch etwas zu erfahren.

Zusammen mit mir machten sich 13 in der Gedenkarbeit engagierte Personen auf den Weg, unter ihnen auch der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit im heutigen Rheinland-Pfalz, Herr Dieter Burgard. Von ihm, der im „Hauptberuf“ Bürgerbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz ist, stammen auch die meisten der hier gezeigten Fotos.

„Begleitet“ war ich auch von der Autobiografie Joseph Drexels „Reise nach Mauthausen“. Der heute zu Unrecht weitgehend unbekannte Drexel war Mitglied des Widerstandskreises Ernst Niekisch, den man gern als „Nationalbolschewisten“ tituliert. Dr. Joseph Drexel, 1896 in München geboren, wurde 1937 verhaftet, 1939 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und nach Verbüßung der Strafe aus Bayern ausgewiesen. Nach dem 20. Juli 1944 wurde er aufs Neue verhaftet und mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt.

Er überlebte die KZ-Haft und schrieb das Erlebte in dem persönlichen Bericht ‚Reise nach Mauthausen’ nieder. Dieser Bericht wurde vor vielen Jahren von Wilhelm Raimund Beyer zusammen mit dem Urteil des Volksgerichtshofs sowie Berichten des Herausgebers über einschlägige Akten des Reichssicherheitshauptamtes u.a. veröffentlicht als ‚dtv-Dokument’ Nr. 2924 mit dem Titel: ‚Rückkehr unerwünscht. Joseph Drexels ‚Reise nach Mauthausen’ und der Widerstandskreis Ernst Niekisch’. Erwähnt werden soll noch, dass Drexel nach dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Publizist, Gründer und Mitinhaber der ‚Nürnberger Nachrichten’ war. Er starb im Jahr 1976.

Drexels ‚Reise’ ist im Folgenden auszugsweise zitiert. Als er erfuhr, dass er ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt werden sollte, schrieb er dazu:

‚Mauthausen’ – ich wusste so viel wie nichts über dieses Lager. Nicht einmal die genaue Lage hätte ich angeben können. Erst später erfuhr ich, dass es sich um eine kleine Stadt am nördlichen Donauufer, ziemlich genau an der Einmündung der Enns in die Donau, handelte, eben dort, wo die Eisenbahn gegen Norden nach Budweis ins Tschechische abzweigt. Heute heißt Mauthausen im Volksmund ‚Mordhausen’ – und in der Tat, dieser Name begriff auf einfältige und drastische Weise alles in sich, was über das Lager zu sagen war. Es war ein ausgesprochenes Vernichtungslager, wie die berühmten Lager von Auschwitz und Treblinka, von welch letzterem nach seiner durch den Vormarsch der Russen erzwungenen Auflösung viele Häftlinge, vor allem aber ein großer Teil des berüchtigten SS-Personals, nach Mauthausen gekommen waren.

Und weiter beschrieb Drexel den Personenzug mit den Häftlingen – sich eingeschlossen -:

Ich war durch viele Gefangenenanstalten und Zuchthäuser gegangen und hatte, wenn auch nur kurz, in Dachau Gelegenheit gehabt, sehr dezimierte Häftlinge zu sehen, dies hier aber übertraf alles bisher Geschaute.

Es war ein Zug nicht mehr von Menschen, sondern von Gespenstern, von menschlichen Schatten aus einem unbegreiflichen Totenreiche, abgemagert bis zum Skelett, die gestreiften Sträflingsanzüge um angedeutete Gerüste von Knochen schlotternd, hohlwangig und ausgemergelt. Eine Sammlung von rasierten Totenköpfen, abstehende Ohren, glanzlose Augen, schmale, verbitterte Münder, halbgeöffnet wie in einem unausgesetzten Schrei nach menschlichem Erbarmen.(…)

Dies alles vollzog sich in voller Öffentlichkeit am helllichten Tage. Aber weder von den Menschen auf dem vollbesetzten Bahnsteig noch von denen im Zuge nahm irgendjemand verabscheuende Notiz. Auf keinem Gesichte ein Ausdruck von Entsetzen oder doch wenigstens von Scham und Trauer. (…) Aus den Fenstern des Zuges blickten die Menschen so teilnahmslos, als wohnten sie einem Transport von Schlachtvieh bei. (…)

Wut und Verzweiflung stritten in mir und pressten mir das Wasser in die Augen, aber gleichzeitig, mit der Erkenntnis meiner völligen Hilflosigkeit überfiel mich auch – das sei nicht verschwiegen – eine nackte und entsetzliche Angst vor dem, was mir bevorstehen mochte…

Einen Eindruck hiervon bekam Drexel schon in der kurzen Unterhaltung mit einem ihn bewachenden SS-Mann, der sich Gedanken über seine Rückkehr machte. Darauf der SS-Mann zu Drexel:

‚Mensch, wenn ich an deiner Stelle wäre, bräuchte ich mir darüber keine Gedanken zu machen. Du hast es leicht, Du brauchst nicht zurückzulaufen, bei Dir ist es ganz einfach: Du gehst beim Tor hinein und kommst beim Schlot wieder heraus.’ (…) Immerhin, seine Antwort war nicht ohne Schlagfertigkeit und die zwar zynische, aber treffsichere Formulierung umschrieb einen Sachverhalt grausigster Wirklichkeit auf vollkommene Weise. (…) Das war also mehr oder weniger verblümt ein Todesurteil.

Mit diesen Gedanken stieg Joseph Drexel vom Städtchen Mauthausen hoch zum Konzentrationslager. Auf Joseph Drexel machte es seinerzeit einen starken Eindruck:

Da erhob sich vor uns der gewaltige, granitene Hauptbau des Lagers mit einem mächtigen Eingangstor, über dem ein riesiger Hoheitsadler seine mächtigen Flügel breitete. Dreifache Stacheldrahtzäune, von denen der mittlere, auf Isolatoren montiert, elektrisch geladen war, hohe steinerne Wachtürme, mit schwerer Maschinengewehrbestückung und Scheinwerfern, einige lang gestreckte Steingebäude, von denen eines, der Zellenbau für Einzelhäftlinge, der so genannte ‚Bunker’, und eines das Krematorium war und dahinter, von breiten Lagerstraßen durchzogen, auf denen ein geschäftiges Treiben herrschte, das Heer der Baracken. (…)

An den Steinbauten arbeiteten noch Häftlinge als Maurer und Steinmetzen. Viele Gebäude waren noch in halbfertigem Zustand. An dieser Stadt – denn um nichts weniger als eine solche handelte es sich – wurde nun schon Jahre gebaut und würde wahrscheinlich noch Jahre gebaut werden, wie am Turm von Babel. Und vielleicht würde überhaupt nie aufgehört werden, die Strafanstalten und Zuchthäuser und Konzentrationslager zu erweitern und baulich zu vervollkommnen, bis eines Tages nach dem Muster dieser ‚Repräsentativbauten’ Hitlers, des größten Baumeisters aller Zeiten, auch das Reich fertig gebaut sein würde. Und es würde nach seinem hohen Willen das vollendeste Zuchthaus der Welt sein, abgeschlossen ringsum durch dreifache Stacheldrähte, mit einem ausgeklügelten System von Verboten und Geboten, ein waffenstarrendes Trappistenkloster, ein Reich von Millionen Arbeitssklaven, von einer handvoll Sklavenhaltern in ockerfarbenen Uniformen gedrillt, ein potenziertes Sparta mit Einheitskleidung und Einheitsfressen, der Schrecken und der Abscheu seiner Nachbarn.

Wenn unsere Gruppe doch auch unter ganz anderen Umständen (nach einem sehr angenehmen und opulenten Frühstücksbüfett und mit dem Bus) die Örtlichkeit erreichte, so wirkte das ehemalige Lager auf uns ganz ähnlich: wie eine Zwingburg, wie eine Stein gewordene Anmaßung der Nazis. Welchen Eindruck muss sie erst auf die dorthin verschleppten, ausgemergelten und erschöpften Häftlinge gemacht haben.

Nach einer kurzen Besprechung im Besucherzentrum begaben wir uns zuerst zum so genannten Russenlager oder auch Krankenlager – noch vor dem mächtigen Gebäudekomplex. Es war ursprünglich zur Aufnahme sowjetischer Kriegsgefangener gedacht. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, ebenso wenig wie von dem daneben liegenden Fußballplatz der SS.

 

 

Bald kamen wir auch an das Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers, das noch immer den Eindruck einer Zwingburg verstärkte.

 

Hinter dem Eingangstor erstreckte sich dann die breite ehemalige Lagerstraße mit Baracken links und rechts und dem anschließenden Appellplatz.

Die Wirkung des Ortes war für uns sehr zwiespältig. Natürlich war es beklemmend, an einem Ort zu stehen, an dem Menschen gequält wurden und gelitten haben – und das im Namen des deutschen Volkes. Man geht davon aus, dass es an die 200.000 Häftlinge waren, die unter unmenschlichen Bedingungen hier leben, arbeiten und sterben mussten. Mehr als 105.000 Häftlinge beiderlei Geschlechts – zuletzt gab es dort auch ein Frauenlager – sind hier zu Tode gekommen.

Wie hält man – auch nur als engagierter Besucher – solche Untaten und Verbrechen aus? Wie reagiert man darauf? Manchmal braucht man eine Entlastung von diesen beklemmenden Gefühlen. Auch dies gab es in der heutigen Gedenkstätte: Spuren von Ästhetik.


 

Sehr bedrückend war der Besuch des Bunkers, des Gefängnisses des Konzentrationslager. Joseph Drexel hat während seiner ganzen Haftzeit in Mauthausen den „Bunker“ nicht verlassen dürfen.

Ich befand mich in einer der berüchtigten Dunkelzellen, in denen missliebige Häftlinge bis zu mehreren Wochen und ohne Nahrung manchmal auch tagelang ohne den sonst üblichen Trank von einem Becher Wasser blieben, sofern sie nicht vorher ihr Leben freiwillig oder mit leichter Nachhilfe beendet hatten.

Besonders schlimm für die Häftlinge war der Winter. Dazu berichtete Joseph Drexel:

Der Winter war früh gekommen. Ein Leichentuch von Schnee hatte dem Lager das ihm angemessene Gewand gegeben. Noch immer trugen wir nichts auf unseren ausgemergelten Leibern als Hemd und Hose. Es war, namentlich nachts, bitterkalt in unseren Zellen. In meiner und in den benachbarten Zellen war es vielleicht nicht so bitterkalt wie in den weiter abgelegenen, denn die unsrigen lagen genau über dem Krematorium. Das Feuer, das die Leichen unserer Kameraden in Asche verwandelte, schützte uns vor Erfrierung. Schwer – sehr schwer – diesen makabren Vorgang nicht zynisch zu kommentieren. Die Welt wird vom Wahnsinn regiert. Wir sind nur im normalen Zustand nicht hellsichtig genug, es zu erkennen.

Wir näherten uns dem Ort durch den ehemaligen Krankenbau am Ende des ehemaligen Hauptlagers. Dort ist heute ein Museum untergebracht. Sehr eindrucksvoll war ein Raum der Stille installiert – mit den Namen der im Konzentrationslager ums Leben gekommenen Menschen. Ausgelegt war auch das Totenbuch von Mauthausen.

Dort fanden wir auch die Eintragung über Nikolaus Thielen. Thielen war gebürtig aus St. Sebastian bei Koblenz und lebte zuletzt mit seiner Familie in Vallendar. Als Reichstagsabgeordneter der KPD musste er unmittelbar nach dem Reichstagsbrand aus Deutschland fliehen und emigrierte in das damals noch unter der Verwaltung des Völkerbundes stehende Saargebiet. Er wurde aber von seiner Partei zurückbeordert, um die KPD illegal wieder aufzubauen. Bei seinem ersten konspirativen Kontakt wurde er verhaftet. Es folgten eine Anklage wegen Hochverrats und eine Verurteilung durch den Volksgerichtshof zu 15 Jahren Zuchthaus. Er verbüßte einen Teil der Strafe im Zuchthaus und wurde dann ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. Auch er erhielt den Vermerk „R.u.“ („Rückkehr unerwünscht“) und kam Anfang 1944 zu Tode.

 

An den ehemaligen Krankenbau (heute Museum) schlossen sich die Gaskammer und die Krematoriumsanlagen an, in denen heute noch ein Krematoriumsofen zu sehen ist. Daneben befindet sich – wie von Drexel beschrieben – der Zellenbau, in dem der „Bunker“ untergebracht war.

Andere Bereiche des ehemaligen Lagers waren nicht mehr vorhanden, wie etwa das Zeltlager. Dort befanden sich zuletzt vor allem ungarische Juden, für die es nicht die geringsten hygienischen Einrichtungen gab.

Ebenfass verschwunden ist der frühere Todesblock 20. Er war vor allem mit sowjetischen Offizieren belegt, sog. K-Häftlingen. „K“ war das Kürzel für „Kugel“ und bedeutete Hinrichtung durch Genickschuss. Etwa 500 dieser Häftlinge flüchteten Anfang Februar 1945. Dies löste eine große Suchaktion aus („Mühlvierteler Hasenjagd“), der nur wenige von ihnen entkommen konnten.

Weithin sichtbar waren aber auch heute noch die zahlreichen Wachttürme von Mauthausen.

 

Außerhalb des KZ-Lagers befindet sich noch heute der „Wiener Graben“, ein Steinbruch. Er war einer der Hauptgründe für das Anlegen des Lagers gerade an diesem Ort. Dort mussten tausende Häftlinge unter schwersten Bedingungen arbeiten und sterben. Das Ziel war – neben der Gewinnung von Granit für die Protzbauten der Nazis – die „Vernichtung durch Arbeit“. Zum Steinbruch führte eine 186-stufige Stiege, die „Todesstiege“. Hier wurden tausende Häftlinge erschossen oder von herunterrollenden Steinen erschlagen. Ein anderer Todesort waren die steilen Wände des Steinbruchs. Dort wurden viele Häftlinge herunter gestoßen oder sie sprangen aus Verzweiflung in den Tod. Zynisch nannte die SS diese Wand „Fallschirmspringerwand“.

 

 

Unter dem Eindruck dieser Qualen und Unmenschlichkeit kamen wir dann auch zu den Denkmälern der Nationen. Dort stehen Mahnmale von 18 Nationen, die an die Verfolgung und Ermordung deren Angehöriger im Konzentrationslager Mauthausen erinnern. Ein solcher „Park“ von Denkmälern an einem ehemaligen KZ-Lager war für uns alle eine ganz neue Erfahrung. Sie befremdete auch. Das galt vor allem für die Denkmäler, die das „Heldische“ der Opfer dokumentieren sollen.

 

Foto: Denkmal für die jüdischen Opfer


Foto: Denkmal der früheren DDR

 

Foto: Denkmal der früheren Tschechoslowakei

 

Foto: Denkmal für den sowjetischen Armeegeneral Karbyschew

 

Wie weit waren diese Denkmäler entfernt von den Erfahrungen und Gefühlen des Zeitzeugen Joseph Drexel. Er schrieb nach seiner Entlassung:

Heute, der Hölle entronnen, frage ich mich oft, woher der Mensch die unwahrscheinliche Kraft nimmt, alle diese hündischen Erniedrigungen seelischer und körperlicher Art zu bestehen, denen er an solchen Schinderstätten auf eine im Voraus unberechenbare Zeit hinaus täglich und stündlich ausgesetzt ist. Vergeblich suche ich nach einer Antwort, die sich nicht als eine nachträgliche Interpretation erweisen könnte.

Ist es der Wille zum Überleben? Das wäre nichts als billige Aufschneiderei, denn der Vorsatz, um jeden Preis durchzuhalten, komme was wolle, ist längst kraftlos geworden. (…)

Oder war es ein Rest von religiösem Bewusstsein? Sei es in der Form der Hingabe an einen Gott oder an eine Idee? Nichts davon. Die Ehrlichkeit gebietet zu gestehen: Der Vorrat an religiösen oder auch pseudoreligiösen Gehalten mag so groß sein wie er will, er ist nicht und in keinem Menschen, nicht einmal in einem Priester, wie ich erlebt habe, unerschöpflich. Er ist wohl anfangs und je nach den Umständen kürzer oder länger eine gewaltige Spende und eine nicht hoch genug einzuschätzende Kraftquelle, aber er verbraucht sich in dem Maße, wie der Mensch nach und nach unter das Niveau eines Tieres herabgedrückt wird.

 

Mit diesen zum Teil sehr nahe gehenden, aber auch unterschiedlichen, teilweise sich widersprechenden Eindrücken verließen wir die Gedenkstätte KZ Mauthausen.

Am Nachmittag besuchten wir den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. – in Alkoven in der Nähe von Mauthausen. Die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Gefühle hatten wir auch hier. Als wir aus dem Bus ausstiegen, sahen wir ein schönes Renaissance-Schloss mit einem mächtigen Turm.

 


 

Im Inneren umfing uns ein Innenhof mit Säulenumgängen in mehreren Etagen. Es war schön anzusehen, doch es fröstelte einen. Denn man wusste, dass in diesem Schloss von 1940 bis 1944 eine von insgesamt sechs NS-Euthanasie-Anstalten untergebracht war. In ihr wurden nahezu 30.000 körperlich und geistig beeinträchtigte, psychisch kranke Menschen aus Landesheil- und -pflegeanstalten sowie arbeitsunfähige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ermordet.

Unter den Opfern waren auch viele KZ-Häftlinge aus Mauthausen, die unter der Tarnbezeichnung „13f14“ dorthin zum Töten gebracht wurden. Schon Joseph Drexel kannte – wenn auch erst später – diesen Zusammenhang:

Bei Mauthausen war eine jener Großvernichtungsstätten im Rahmen der Vernichtungsaktion geistig Erkrankter, und viele der Angehörigen dieser Unglücklichen mögen sich heute daran erinnern, dass das kleine Paket mit der Asche ihrer Toten den Aufgabestempel Linz trug. Und nun wissen sie auch, wo ihre unglücklichen Väter, Mütter, Geschwister, Frauen und Kinder ermordet wurden.

Deshalb war man nicht lange gefangen von dem schönen Schlossbau. Konfrontiert mit dieser Geschichte wird der Besucher zudem gleich am Anfang des Innenhofs, dort wo sehr zahlreiche Gedenktäfelchen von Angehörigen der Opfer an diese erinnern.

Wir hatten eine sehr interessante Führung durch die von der ehemaligen NS-Euthanasieanstalt genutzten Räume und die beiden Ausstellungen (eine zur Geschichte der Eugenik und der Geschehnisse im Nationalsozialismus und die andere „Wert des Lebens“, die die Entwicklung der Situation behinderter Menschen von der Industrialisierung bis zur Gegenwart zeigt). Dies kann hier im Einzelnen nicht wiedergegeben werden.

Erwähnt werden soll nur, dass die Verhältnisse in Hartheim zum Teil anders waren und sind als in den bekannten NS-Euthanasie-Anstalten im „Altreich“ und den Gedenkstätten heute. So gab es in Österreich keine sog. Zwischenanstalten, in die die Patienten von den Heil- und Pflegeanstalten aus Tarnungsgründen zunächst verlegt wurden, um von da aus dann in die Tötungsanstalten verschleppt zu werden. Die Hartheimer Mordopfer kamen vielmehr unmittelbar aus den Landesheil- und -pflegeanstalten.

Zudem gab es in Hartheim in der Vernichtung dieser Menschen keinen „Bruch“ wie im "Altreich". Bekanntlich wurde die sog. T 4-Aktion im Altreich – vor allem wohl aufgrund der Predigten des Bischofs von Münster Clemens Graf von Galen, Ende August 1941 beendet; hieran schloss sich nach einiger Zeit die zweite Phase der Krankenmorde, die sog. wilde Euthanasie an. Dabei ließ man die Menschen verhungern oder brachte sie mit Injektionen um. Diese Unterbrechung hat es in Hartheim nicht gegeben. Dort wurde die ganze Zeit über mit Giftgas gemordet. Der Grund lag auch daran, dass Hartheim keine „Pflegeanstalt“ war, sondern „reine Tötungsanstalt“. Die Patienten wurden an einem Tag nach Hartheim verschleppt und dann am selben Tag dort auch ermordet.

In Hartheim gibt es deshalb(?) auch keine Krankenakten wie in anderen Tötungsanstalten (etwa in Hadamar). Die Transportlisten enthalten aber die Namen der Opfer. Mit diesen geht die Gedenkstätte sehr zurückhaltend um. In der Ausstellung werden diese Namen dokumentiert – aber nur die bloßen Namen, keine Geburtsdaten und Wohnorte; im Übrigen sind die Namen nicht alphabetisch aufgeführt sondern willkürlich. Das erschwert eine Recherche ganz beträchtlich. Im Wesentlichen gibt es weiterführende Angaben nur durch die Angehörigen der Opfer, die sich an die Gedenkstätte gewandt haben und mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Das ist eine Situation, wie wir sie für die NS-Euthanasieopfer inzwischen überwunden haben. Heutzutage ist es hier eher so, dass sich die Angehörigen der Opfer an die Gedenkstätten und Initiativen wenden, wenn sie durch deren Arbeit von dem – oft bisher unbekannten – Schicksal der Opfer erfahren haben.

Foto: „Raum der Stille“

 

Am nächsten Tag fuhren wir nach Ebensee, der letzten Station unserer Studien- und Gedenkstättenfahrt. Ebensee liegt am Südufer des Traunsees in Oberösterreich. In Ebensee angekommen, wurde die Straße immer schmaler. Wir fuhren durch einen steinernen Torbogen und entlang eines kleinen Baugebiets. Bald sahen wir einen Friedhof und dann das Parkschild „ KZ-Friedhof“. Da waren wir richtig.

Begrüßt wurden wir von dem Leiter der Gedenkstätte Wolfgang Quartember.

Foto: Wolfgang Quartember erläutert die Lage der einzelnen KZ-Bereiche

 

Wir erfuhren, dass wir uns auf dem Grund und Boden des Konzentrationslagers Ebensee befanden. Hier gab es 28 Baracken mit Unterkünften und weitere Funktionsbaracken. Kurz nach dem Krieg wurden die Baracken des KZ abgerissen und eine Siedlungsgesellschaft bebaute das Gelände. So entstand auf dem Lager des ehemaligen KZ ein neuer, kleiner Ortsteil des Ortes Ebensee.

Das mutete uns schon ein wenig befremdlich an. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als wir die Ortsstraße zurück gingen und wieder an den steinernen Torbogen kamen. Dieser Torbogen ist noch der ursprüngliche Eingang des Konzentrationslagers. Heute befindet sich an einem Pfosten eine kleine Erinnerungstafel. Drumherum liegen dann die Häuser. Nach Angaben von Herrn Quartember stört dies die Bewohner nicht wirklich.

 

Foto: Eingang KZ Ebensee

 

Wir gingen dann einen ansteigenden Weg entlang und sahen schon bald die Öffnungen im Gestein. Das waren Eingänge zu Stollen. Es gab zwei Stollensysteme: die Stollenanlage „A“ und die Stollenanlage „B“. Wir erfuhren, dass das KZ Ebensee ein typisches Baulager zur Errichtung zweier Stollenanlagen war. Es bestand von Mitte November 1943 bis zur Befreiung am 6. Mai 1945. Die Stollenanlagen waren eines der ersten Bauprojekte des Sonderstabes Kammler. Sie waren für die Raketenversuchsanstalt Peenemünde bestimmt. Das „Altwerk“ Peenemünde sollte ausgelagert werden, einmal in das „Nordwerk“ im Konzentrationslager Mittelbau-Dora und zum anderen in das „Südwerk“ in Ebensee. Hier in der Stollenanlage „B“ waren Prüfstände für die A4-Raketen (die sog. Wunderwaffen V2) vorgesehen. Dazu kam es aber letztlich wegen verschiedener Probleme nicht. Stattdessen wurde in der Stollenanlage „A“ eine Raffinerie eingerichtet, die noch teilweise in Betrieb ging. Teile der Stollenanlage „B“ wurde von dem Steyr-Daimler-Puch-Konzern für die Produktion von Motorteilen für Lastkraftwagen und Panzer genutzt.

 

Foto: Wolfgang Quartember erklärt vor dem Stollen

 

In dem von uns besuchten Stollen hatten die Opferverbände und Angehörigen einen Gedenkort eingerichtet. Hier gedachte man vor allem der polnischen Häftlinge. Sie waren nach dem Warschauer Aufstand vielfach festgenommen und verschleppt worden. In Mauthausen bildeten sie die mit Abstand größte nationale Opfergruppe. Viele von ihnen wurden dann weiter nach Ebensee gebracht.

 

Foto: Gedenkort im Stollen

 

In diesem Stollen war auch eine Ausstellung über das KZ Ebensee eingerichtet. Dort war das Zugangsbuch dokumentiert. Für die Recherche nach dem 12. SS-Eisenbahnbauzug war interessant zu sehen, dass unter dem 4. Mai einmal ein Zugang „SS-Baubrigade“ von 206 Häftlingen (Häftlingsstärke daraufhin: 16.254) und ein weiterer Zugang „Neuengamme“ von 214 Häftlingen (Häftlingsstärke daraufhin: 16.468) verzeichnet ist. Bei dem Zugang von 206 Häftlingen dürfte es sich um den gesuchten 12. SS-Eisenbahnbauzug handeln. Diese Häftlinge wurden in Ebensee registriert, eine förmliche Aufnahme in das KZ gab es ebenso wenig wie Häftlingsnummern. Immerhin erklärte mir Herr Quartember, dass es Listen mit den Häftlingen ohne Häftlingsnummern gibt. Diese könnte man durchsehen und dann die Herkunft der Häftlinge feststellen. Das wäre aber eine mühsame Arbeit, deren Erfolg nicht sicher sei.

Interessant war noch zu erfahren, dass es seinerzeit in Ebensee einen Verschubbahnhof gab, der seinerzeit für das Zementwerk angelegt bzw. erweitert worden war. Er war an das überörtliche Streckennetz angeschlossen. Von daher konnte der 12. SS-Eisenbahnbauzug, dessentwegen ich in Ebensee recherchieren wollte, gut über Mauthausen gefahren sein und seine Odyssee hier in Ebensee beendet haben.

 

Foto: Ausgang Stollen

 

Zum Abschluss besuchten wir noch den „KZ-Friedhof“ von Ebensee. Dort liegen sehr viele KZ-Häftlinge bestattet, teilweise in Einzelgräbern, aber auch in zwei Massengräbern. Hier sahen wir ebenfalls kleine Gedenktafeln für einzelne Opfer und auch Denkmäler von Nationen. Besonders auffällig war das sowjetische Denkmal. Das polnische Denkmal war mit Blumen geschmückt. Auch hier hatte offenbar eine Delegation polnischer Offizieller oder Angehöriger Blumenschmuck niedergelegt. Gleiches hatten wir schon am Tag zuvor an dem Denkmal Polens in der Gedenkstätte Mauthausen gesehen. Für die katholischen Polen ist Allerheiligen (1. November) der Tag zur Erinnerung an die Toten. In dieses Gedenken schließen sie auch KZ-Häftlinge, die in der Erde anderer Staaten ruhen, mit ein.

 

Foto: Denkmal auf dem Friedhof KZ-Ebensee

 

Abschließend noch ein Literaturhinweis für die Konzentrationslager Mauthausen und Ebensee:

Zur Vertiefung empfiehlt sich die Lektüre des Bandes 4 des von Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenen Werkes: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, München 2006 mit den Beiträgen von Florian Freund/Bertrand Perz: Mauthausen – Stammlager (S. 293 – 346) und Florian Freund: Außenlager Ebensee (S. 354 – 360).