Wieder „Heimatbesuch“
Auch in diesem Sommer besuchten wieder ehemalige jüdische Koblenzer ihre alte Heimat. Diese Heimatbesuche haben eine lange Tradition, die bis in die 1980er Jahre zurückgeht. Immer wieder kommen diese früheren, in Koblenz und Umgebung verfolgten und geflohenen jüdischen Bürger gern an Rhein und Mosel, um ihre alte Heimat wieder zu sehen, Freunde zu treffen und Informationen auszutauschen.
Auch an ihnen geht aber die Zeit nicht spurlos vorüber. Viele der früheren Gäste sind heute nicht mehr unter uns, anderen ist der Weg aus den USA und Israel nach Koblenz zu beschwerlich und anstrengend. Immerhin setzten in diesem Jahr vier Besucher diese gute Tradition fort: die drei ehemaligen Koblenzer Werner Appel, seine Schwester Ruth Homrighausen und Tami Blattner geb. Taubin, sowie Lea Sassoon, die in Vallendar ihre Wurzeln hat.
Am Montag, dem 24.06.2013, stellte sich Werner Appel wieder als Zeitzeuge in der Bischöflichen Realschule, Koblenz, zur Verfügung. Das Gespräch war von Frau Kruppa erneut gut vorbereitet.
Werner Appel im Kreis der Schüler mit Fr. Kruppa
Am Nachmittag trafen sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Vertreter des Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, Vertreter des Fördervereins Mahnmal Koblenz und die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Koblenz zu einer Gedenkstunde auf dem jüdischen Friedhof in der Schwerzstraße.
Im Anschluss daran hielt Lea Sassoon einen Dia-Vortrag über die Entstehung und Geschichte der Stadt Tel Aviv. Der Dienstag war für den Besuch des Geysirs in Andernach vorgesehen. Es war für alle ein unvergessliches Erlebnis. Am Mittwoch empfing der Oberbürgermeister der Stadt Koblenz, Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig, die Gäste, diesmal im Weindorf Koblenz.
Der Donnerstag stand zur freien Verfügung. Am Abend trafen sich die Gäste auf Einladung von Achim Hennig vom Förderverein Mahnmal Koblenz in einer Weinstube in Koblenz-Güls. Es war für alle wieder ein erlebnisreicher Abend mit vielen guten Gesprächen.
Gemütliches Beisammensein der "Heimatbesucher" mit den Eheleuten Zielinski und Hennig in den Gülser Weinstuben
Am Freitagvormittag besuchte die kleine Gruppe die Berufsbildende Schule Wirtschaft Koblenz. Die Schülerinnen und Schüler waren zu einem Gespräch mit mehreren Zeitzeugen eingeladen. Teilnehmer der Runde waren der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz Dr. Heinz Kahn (*1922), Werner Appel (*1928) die frühere Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk (*1927) und die Studiendirektorin a. D. Martin (* 1928).
Sie berichteten über das Leben und Überleben in der NS-Zeit, vom Alltag und von den Nöten. Die beiden Zeitzeuginnen brachten den Schülerinnen und Schülern nahe, wie sich das System des Nationalsozialismus bis in den Alltag, in die Familie und Jugendgruppe ausbreitete, Zustimmung und „Mitmarschieren“ verlangte – ansonsten drohten Nachteile und Repressionen. Deutlich wurde sehr bald, dass die Jugend von Heinz Kahn und Werner Appel von Diskriminierung und Verfolgung geprägt war. Während Werner Appel sein Überleben in Koblenz schilderte, berichtete Heinz Kahn von der eigenen Deportation und der seiner Familie und der Selektion auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau, die er als einziger seiner Familie überlebte.
Alle Zuhörenden waren von den Schilderungen zutiefst beeindruckt. Die verschiedenen Lebensbilder machten ihnen deutlich, wie menschenverachtend und totalitär das NS-Regime war, dass diejenigen, die sich nicht anpassen wollten oder – wie die Juden - nicht anpassen konnten, ausgegrenzt, verachtet und oftmals verfolgt und ermordet wurden. Die Zeitzeugen warben eindringlich für unsere Demokratie, ihre Werte, Strukturen und Organisationen, damit sich diese Geschichte – so oder ähnlich – nicht wiederholt.
Von links: W. Appel, Fr. Verhülsdonk, Dr. Kahn, Fr. Martin, Lehrerin Fr. Schmelzer
Nach diesem anstrengenden Termin traf man sich nachmittags bei Kaffee und Kuchen im Hotel Brenner. Anschließend besuchten die Gäste den Gottesdienst in der Synagoge, der mit dem Kaddisch endete.
Der Heimatbesuch klang am Samstag mit dem Schabbat-Gottesdienst in der Koblenzer Synagoge aus. Für die ehemaligen jüdischen Bürger waren es wieder interessante und erlebnisreiche Tage. Alle waren sich einig, dass sie – wenn die Gesundheit es zulässt – im nächsten Jahr wiederkommen zum Heimatbesuch in Koblenz.
Lesen SIE HIER zum Heimatbesuch auch die Berichte in
„Wir von hier“ (Beilage zur Rhein-Zeitung) vom 12. und vom 26. Juli 2013.
Zur Erinnerung an Marcel und Teofila Reich-Ranicki
Die Zeitungen und Zeitschriften sind voll mit Nachrufen und Würdigungen Marcel Reich-Ranickes, der vor wenigen Tagen im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Deutschland und die Literaturwelt darüber hinaus trauern um den bedeutendsten deutschen Literaturkritiker. Damit hat sich ein langes und überaus sehr wechselhaftes Leben erfüllt. Marcel Reich-Ranicki selbst hat die Anfangsjahre festgehalten in seiner Autobiografie „Mein Leben“. Sie wurde zu einem Erfolgsbuch, die auch für das Fernsehen verfilmt wurde.
Über dem scharfzüngigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki vergisst man fast den Zeitzeugen, der als junger Jude im von Hitler-Deutschland besetzten Polen viel erleben und erleiden musste.
Mit dieser Autobiografie hat Marcel Reich-Ranicki zugleich seiner im April 2011 verstorbenen Frau Teofila ein literarisches Denkmal gesetzt. Seine Frau, mit der er bis zu ihrem Tod 69 Jahre verheiratet war, lernte er im Warschauer Ghetto im Jahr 1940 kennen und lieben. Die beiden gingen dann im wahrsten Sinne des Wortes „durch dick und dünn“. Erst mussten die beiden um ihre nackte Existenz im Warschauer Ghetto kämpfen, dann gelang ihnen die Flucht, um schließlich bis zur Befreiung von Hitler-Deutschland illegal und versteckt in dem besetzten Polen zu leben.
Mit Dankbarkeit erinnert sich unser Förderverein Mahnmal Koblenz an den Besuch von Marcel und Teofila Reich-Ranicki am 30. Oktober 2008 in Koblenz. Beide hatten es sich – obwohl sie nicht mehr sehr mobil waren – nicht nehmen lassen, von Frankfurt/Main anzureisen und die Ausstellung „Vergessen heißt Verbannung. Erinnern ist der Pfad der Erlösung“ im Oberlandesgericht Koblenz zu eröffnen. Gezeigt wurden 16 Originalbilder von Teofila Reich-Ranicki, die diese im Warschauer Ghetto gezeichnet hatte. Ergänzt wurde die Ausstellung durch 16 Lebensbilder jüdischer Koblenzer, die der stellvertretende Vorsitzende unseres Fördervereins erarbeitet hatte. Die Ausstellungseröffnung durch die Eheleute Reich-Ranicki war sicherlich eine der letzten öffentlichen Veranstaltungen der beiden. Umso mehr und lieber erinnert sich der Förderverein mit Dank an Marcel und Teofila Reich-Ranicki und an die bewegende Ausstellungseröffnung durch diese beiden Überlebenden des Holocaust in Koblenz.
Foto: Marcel Reich-Ranicki bei der Ausstellungseröffnung im Oberlandesgericht Koblenz am 30. Oktober 2008