In der Ausgabe vom 11. Januar 2001 folgte ein Bericht über die ukrainische Zwangsarbeiterin W. T.
„Der ärztliche Dienst hat angeordnet...“
Teil 10 der RZ-Serie über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 11. Januar 2001:
W. T.
Im Zuge des II. Weltkrieges kam es zu einem millionenfachen Arbeitseinsatz von Ausländern im NS-Staat. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 waren es polnische Kriegsgefangene und auch „Zivilarbeiter“, wobei letztere immer öfter zwangsweise verpflichtet wurden. Nach dem „Westfeldzug“(1940) folgten ihnen französische Kriegsgefangene und „Zivilarbeiter“ wie auch solche anderer Nationen.
Eine Wende im Arbeitseinsatz brachte der Krieg gegen die Sowjetunion. Er war nach Hitlers Absicht ein „Weltanschauungskrieg“ und „Vernichtungskampf“ gegen ein „asoziales Verbrechertum“. Die Folge war ein massenhaftes Sterben/Verhungernlassen der Kriegsgefangenen, prophezeite Göring doch „das größte Sterben seit dem Dreißigjährigen Krieg“. Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad (Anfang 1943) und im „Totalen Krieg“ verlangte die NS-Kriegswirtschaft aber mehr denn je nach Arbeitskräften. Die Nazis entdeckten die „Ostvölker“ - obwohl sie als „Untermenschen“ galten - zunehmend als „wichtige Hilfskräfte“. Im August 1944 waren im Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ mehr als 7,6 Millionen Ausländer beschäftigt, davon 1,9 Millionen Kriegsgefangene und 5,7 Millionen „Zivilarbeiter“, darunter 2,8 Millionen Sowjets.
Eine davon war die Ukrainerin W. T. Sie war im Jahre 1920 in der Nähe von Charkow geboren. Wie es sie an den Rhein verschlug, ist nicht bekannt. Wir wissen aber, dass seit Sommer 1942 die Arbeitskräfte dort kaum noch freiwillig zu rekrutieren waren. Schon damals erklärten die Leiter der Anwerbungen, „dass trotz Steigerung der Werbung, Wegführung von Vieh oder selbst Androhung der Erschießung die restliche Bevölkerung nicht gewillt ist, den Gestellungsbefehlen nachzukommen“.
Als „Ostarbeiterin“ war sie zunächst bei der Brohltal AG in Urmitz beschäftigt, ehe sie Ende Januar 1944 als Haushaltsgehilfin in das städtische Krankenhaus Kemperhof überwiesen wurde. In der dortigen „Ostarbeiter-Baracke“ untergebracht dürfte ihre Lage der generellen Lebenssituation der Ostarbeiterinnen entsprochen haben: Schlechte Ernährung, Bezahlung, Unterbringung und Kleidung, oft überlange Arbeitszeiten, mangelnde ärztliche Versorgung, Übervorteilung durch deutsche Vorgesetzte, Diffamierungen und Mißhandlungen sowie hohe Todesraten. Das Nürnberger Tribunal der Alliierten nannte es „Sklavenarbeit“.
Ende Juli 1944 teilte der Kemperhof dem Arbeitsamt entsprechend den Vorschriften mit, dass W. T. im dritten Monat schwanger war („Ostarbeiterinnen, welche schwanger sind, müssen zeitig der betr. Stelle gemeldet werden, damit Abhilfe geschaffen wird“). Dieses verfügte mit dem Bemerken „Der ärztliche Dienst beim Gauarbeitsamt Moselland in Koblenz hat angeordnet“ die Unterbrechung. Eine Woche Ende August 1944 war W. T. stationär im Kemperhof: Währenddessen wurde bei ihr - wie bei mehreren hundert Polinnen und Ostarbeiterinnen allein im Kemperhof - die Leibesfrucht abgetrieben. Nach einer Woche wurde sie als „geheilt“ entlassen. Noch am gleichen Tag forderte sie das Arbeitsamt Koblenz an und der Kemperhof überwies sie dorthin. Dann verliert sich ihre Spur. - Übrigens war die deutsche Bevölkerung der Region nach einem Bericht des Sicherheitsdienstes (SD) der Auffassung, dass „die Polen und insbesondere die Russen viel zu human behandelt (werden)“.
In diesem Artikel porträtierte Hennig Anna Speckhahn aus dem Rauental:
„Die Jugend wird im BDM sehr verdorben“
Teil 11 der RZ-Serie über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 18. Januar 2001:
Anna Speckhahn
Schon kurz nach 1933 begannen die Nazis Menschen wegen politischer Äußerungen zu verfolgen. 1934 starteten sie eine Kampagne gegen „Miesmacher“, „Nörgler“ und „Kritikaster“ (sog. Muckerer-Feldzug). Sie schufen sich neue Strafnormen wie die Heimtücke-Verordnung („Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen...“). Daneben konnten Bekundungen „grober Unfug“ oder gar Hochverrat sein. Der Willkür war Tor und Tür geöffnet. Die Tatbestände waren unklar und es hing vom Belieben des Staatsanwalts ab, ob eine Äußerung als Heimtücke (beim Sondergericht), als Hochverrat (beim Volksgerichtshof) oder als grober Unfug (beim Amtsgericht) angeklagt wurde. Hinzu kam, dass die Gestapo sich immer mehr einmischte. War die gerichtliche Entscheidung ihrer Meinung nach zu milde, übte sie Urteilskorrektur - und nahm den Betreffenden in „Schutzhaft“. Mit zunehmender Kriegsdauer verzichtete man öfter auf ein Strafverfahren und verhängte die „Schutzhaft“ unmittelbar. Eines dieser Opfer war die Gastwirtsfrau Anna Speckhahn.
1883 bei Limburg/Lahn geboren kam sie mit ihrem Ehemann 1911 nach Koblenz. Zunächst übernahmen sie das Hotel „Kaiserhof“ und nach dem I. Weltkrieg das Gasthaus „Fort Montalambert“ in Moselweiß. Frau Speckhahn war eine gläubige und tätige Katholikin und wegen ihres freundlichen Wesens und ihrer Hilfsbereitschaft allseits geschätzt. Nach Schicksalsschlägen, u.a. dem frühen Tod ihres Mannes, blieb sie mit ihrem kleinen Sohn allein zurück, heiratete erneut und betrieb die Gaststätte weiter.
Mit der sog. Machtergreifung änderte sich viel für Anna Speckhahn. Als Gastwirtin und mit ihrer offenen Art zog sie die Aufmerksamkeit ihrer Gäste und Nachbarn auf sich. Sie war schon bald kein „unbeschriebenes Blatt“ mehr. In dem von der NSDAP-Kreisleitung erstellten „Persönlichkeitsprofil“ verübelte man ihr, u.a. kein Mitglied der NSDAP zu sein und sich mit Ausreden davor zu drücken. Man vergaß ihr nicht, vor 1933 der NSDAP ablehnend gegenüber gestanden zu haben. Anstoß nahm man auch an ihren wiederholten Äußerungen in „staatsfeindlichem Sinne“ sowie an ihrem Umgang, verkehrte doch noch Anfang der 40er Jahre eine Jüdin bei ihr. Allerdings hatte man - wie die Gestapo feststellen musste - kein „gerichtsverwertbares Beweismaterial“ gegen sie.
Das änderte sich 1941, als man einen Brief an ihre in New York lebende Schwester abfing, in dem sie sich über die schlechte Versorgung beschwerte. Eine Anklage wegen versuchten Landesverrats wie auch wegen Heimtücke blieb ihr aber erspart. Der Staatsanwalt ließ es mit einer Verwarnung genügen.
Im Oktober 1943 wird aber der Milchladen neben der Gaststätte zum „Tatort“. Im Schwatz meint Anna Speckhahn, die Jugend werde durch BDM und HJ verdorben, sie solle lieber wieder kirchlicher erzogen werden. Sie wird deswegen von einer Nachbarin denunziert, von der Gestapo festgenommen und im Karmelitergefängnis in „Schutzhaft“ gehalten. Ohne Verfahren kommt sie im Dezember 1943 auf „Transport“ ins Frauen-KZ Ravensbrück. Sechs Wochen später ist sie tot. - Anna Speckhahn war für den Pfarrgemeinderat von St. Elisabeth 1996 Anlass, die Initiative für ein Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz zu ergreifen.