Es folgte das Lebensbild des Neuwieder Zeugen Jehovas Friedel Kreier.
Diener Jehovas bis in den Tod
Teil 4 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 1. Dezember 2000:
Friedel Kreier
Die Opfer der Nazis in Koblenz stammten nicht nur aus der Stadt selbst, sondern auch aus der näheren Umgebung. Koblenz war schon damals ein Verwaltungs- und Gerichtszentrum, in dem und durch das Menschen aus der ganzen Region verfolgt wurden.
Einer von ihnen war der Zeuge Jehovas Friedel Kreier aus Neuwied. Nach der Aufführung des damals imposanten „Photodramas der Schöpfung“ schloss er sich der Glaubensgemeinschaft an, die früher Ernste Bibelforscher hieß. Als Milchhändler, der viel in den umliegenden Dörfern herum kam, erzählte er von dem Gesehenen und den Bibelforschern. Das war nicht leicht: Sie wurden wegen ihrer verbal scharfen Angriffe gegen Kirchen, Staat und auch Großkapital sowie ihrer endzeitlichen Vorstellungen, die man als Aufruf zur Revolution missdeutete, polizeilich observiert. Man sah in ihnen - völlig zu Unrecht - „Wegbereiter des Bolschewismus“.
Kaum waren die Nazis an der Macht, wurde die Gemeinschaft verboten und jede Art der Werbung für sie unter Strafe gestellt. Eine neue Dimension erhielt die Verfolgung mit der Ernennung Himmlers zum Chef der deutschen Polizei und der Einrichtung eines „Sonderkommandos“. Daraufhin gelang der Gestapo Koblenz der entscheidende Schlag gegen die Bibelforscher-Gemeinde Neuwied und gegen Kreier persönlich.
Am 31. August 1936 wurde er festgenommen, im Karmelitergefängnis in Koblenz in Untersuchungshaft gehalten und mit 20 anderen Bibelforschern angeklagt. Da es damals noch kein eigenes Sondergericht Koblenz gab, saß das im Koblenzer Justizgebäude tagende Sondergericht Köln über sie zu Gericht. Es verurteilte 19 von ihnen zu Gefängnisstrafen allein deshalb, weil sie Bibelforscher waren, deren Schriften besaßen und sich als solche versammelt hatten. Kreiers Strafe lautete auf neun Monate Gefängnis.
Nach Strafverbüßung kam er nicht frei, sondern aufgrund eines zwischenzeitlich ergangenen Gestapo-Erlasses unmittelbar in KZ-Haft. Schon dieser Erlass zeigt, mit welcher unerbittlichen Härte die vergleichsweise kleine und völlig unpolitische Glaubensgemeinschaft der Bibelforscher verfolgt wurde. Deutlich wird das auch am „lila Winkel“, den sie im KZ tragen mussten. Damit wurden sie als einzige religiöse Gruppe mit einem eigenen Kennzeichen stigmatisiert.
Kreier kam ins KZ Sachsenhausen und wurde dann zwischen den KZs Sachsenhausen, Dachau, Buchenwald und wiederum Dachau hin und her gestoßen. In einem dieser KZs erlitt er eine schwere Verletzung an der Hüfte, die zeitlebens blieb. Trotzdem hielt er an seinem Glauben fest und machte gar etwas ganz Ungewöhnliches: Obwohl die Nazis den Bibelforschern - wie keiner anderen Verfolgtengruppe - die Freiheit versprachen, wenn sie ihrem Glauben abschwörten, tat er das nicht, sondern ließ sich im Gegenteil - er war noch gar nicht offiziell getauft - im KZ in einer Regentonne als Bibelforscher taufen.
Nach der Befreiung fing Kreier wieder dort an, wo er zuvor hatte aufhören müssen. Er war Mitbegründer der Zeugen Jehovas in Neuwied, ihr Gruppen- und Versammlungsleiter und maßgeblich beim Aufbau der Versammlungen in Koblenz, Andernach und Bendorf beteiligt. Zeitzeugen berichten von seiner Glaubenstreue und seinem humorvollen Wesen, die auch der Naziterror nicht hat vernichten können. Als Zeuge Jehovas war Friedel Kreier bis zu seinem Tod im Jahre 1971 in Neuwied aktiv.
Die Ausgabe vom 7. Dezember 2000 brachte das Porträt des jüdischen Koblenzers Max Kaufmann:
Ein Kuss als „Rassenschande“
Teil 5 der RZ-Serie von Joachim Hennig über Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz vom 7. Dezember 2000:
Max Kaufmann
Die „Rassereinheit des deutschen Volkes“ war ein zentrales Anliegen der NSDAP und wurde die wichtigste Aufgabe der frühen NS-Rechtspolitik. Das zeigen nicht nur die vielen Zwangssterilisationen aus „Rassenhygiene“ nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sondern auch das (Nürnberger) „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ von 1935. Es untersagte Ehen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ und verbot außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen den beiden Menschengruppen u.a.m. Täter konnte nur der Mann sein, egal ob Jude oder „Deutschblütiger“. Die Frau blieb straflos und sollte als Zeugin zur Verfügung stehen. Das Gesetz traf sehr viel mehr Juden als „Deutschblütige“ und isolierte diese schon sehr bald.
Einer von ihnen war der damals 57jährige jüdische Kaufmann Max Kaufmann. Er lebte in Koblenz, war durch die Inflation verarmt und Witwer. 1937 zog er zur Untermiete, zur gleichen Zeit bezog eine „Deutschblütige“ das Zimmer gegenüber. Eines Abends passt er sie im dunklen Flur ab und gibt ihr einen Kuss. Nach Angaben der Frau, die sich ihm dann entzogen hat, soll er sie von hinten mit den Armen angefasst und die linke Brust fest gedrückt haben. Es kommt zur Anklage wegen „versuchter Rassenschande“. Der jüdische Rechtsanwalt Dr. Treidel setzt sich sehr für ihn ein. Er macht geltend, die Zeugin sei schwachsinnig und deswegen vom Erbgesundheitsgericht zwangssterilisiert. Das hilft alles nichts. Die große Strafkammer des Landgerichts Koblenz glaubt der Zeugin und verurteilt Kaufmann wegen versuchter Rassenschande zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus sowie zu drei Jahren Ehrverlust.
RA Dr. Treidel lässt nicht locker. Er legt gegen das Urteil Revision u.a. mit der Begründung ein, es liege hier kein Versuch sondern eine noch straflose Vorbereitungshandlung vor. Die Revision wird verworfen: Kaufmanns Verhalten sei darauf hinausgelaufen, die Frau zum Geschlechtsverkehr zu bewegen. Das sei schon der Anfang der Ausführung und damit strafbarer Versuch gewesen. Dafür reiche eine Handlung des Täters, die tatsächlich oder doch wenigstens nach seiner Vorstellung darauf gerichtet sei, den beabsichtigten Geschlechtsverkehr unmittelbar zu verwirklichen. So sei es aber hier gewesen - auch unabhängig davon, dass die Frau damit nicht einverstanden gewesen sei. Denn das geschützte Rechtsgut sei nicht nur das deutsche Blut sondern die deutsche Ehre, und zwar die Rassenehre des ganzen deutschen Volkes. Als Treidel von Kaufmanns „arischem“ Nachmieter erfährt, dass die gleiche Frau auch diesen Mann ohne Grund der sexuellen Belästigung bezichtigt, stellt er noch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Auch das lehnt die Strafkammer ab: Immerhin habe Kaufmannn den Kuss zugegeben, allein dieser rechtfertige die Verurteilung wegen versuchter Rassenschande. Die Zuchthausstrafe wegen des Kusses hat er bis auf den letzten Tag im Zuchthaus Butzbach/Hessen verbüßt. Am 9. März 1939 wurde er entlassen. Zur Ruhe kam Max Kaufmann aber nicht mehr: 1940 musste er als Vorbestrafter von Koblenz nach Berlin, von dort deportierte man ihn in den Osten...