Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Der Gedenktag für die NS-Opfer in Koblenz

Im Mittelpunkt des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in diesem Jahr stand die Opfergruppe der Juden. Sie traf zahlenmäßig und von der Schwere der Maßnahmen her die weitaus schlimmste Verfolgung. Konkreter Anlass für das Erinnern an sie sind zwei Jahrestage: Am 20. Januar jährte sich zum 70. Mal die sog. Wannsee-Konferenz und am 22. März ebenfalls zum 70. Mal die erste Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung.

Zu diesen Ereignissen und deren Vorgeschichte gab unser Förderverein die nachfolgende Presseerklärung heraus:

Der Förderverein Mahnmal Koblenz zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz am 27. Januar 2012

Wie jedes Jahr erinnert der Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz in Kooperation mit der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit und der Stadt Koblenz an die NS-Opfer aus Koblenz. Im Mittelpunkt der diesjährigen Veranstaltungen zum nationalen Gedenktag am 27. Januar 2012 steht die Opfergruppe der Juden. Sie traf zahlenmäßig und von der Schwere der Maßnahmen her die weitaus schlimmste Verfolgung. Konkreter Anlass für das Erinnern an sie sind zwei Jahrestage: Am 20. Januar jährt sich zum 70. Mal die sog. Wannsee-Konferenz und am 22. März ebenfalls zum 70. Mal die erste Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung.

Die Konferenz am Großen Wannsee in Berlin bereitete den Völkermord an den europäischen Juden, den Holocaust oder die Shoa wie man ihn auch nennt, vor. Auf ihr wurde nicht der Massenmord beschlossen – das geschah höchstwahrscheinlich durch einen nicht mehr auffindbaren Befehl Hitlers im Spätsommer/Frühherbst 1941. Vielmehr wurde auf ihr die Organisation in groben Zügen besprochen. Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), berief diese Sitzung ein, zu der Vertreter aller „zuständigen“ Behörden erschienen waren: das Außenministerium, die Ministerien für Justiz und Inneres, das Amt für den Vierjahresplan, die Reichskanzlei und die Funktionäre der einzelnen SS-Dienststellen. Zunächst betonte Heydrich, die „Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage liege ohne Rücksicht auf geografische Grenzen zentral beim Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (Himmler)“. Diese Kompetenz ging auf die schriftliche Ermächtigung Görings an ihn vom 31. Juli 1941 zurück, „alle erforderlichen Vorbereitungen (…) zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage“. In verschleiernder, grauenhaft beschönigender Sprache legte Heydrich den 15 Teilnehmern der Konferenz dar, wie der Völkermord an 11 Millionen Juden in ganz Europa organisiert würde. Die Juden sollten danach „in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz“ kommen, „wo zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird“ – so Heydrich weiter -, „da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus anzusprechen ist.“

Auch die regionale Zeitfolge wurde festgelegt. Heydrich dazu: „Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt. Das Reichsgebiet einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren wird, allein schon aus Gründen der Wohnungsfrage und sonstigen sozialpolitischen Notwendigkeiten vorweggenommen werden müssen. Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in so genannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.“ Auch wurde der Personenkreis festgelegt, wobei hinsichtlich der in Mischehen lebenden Juden noch keine endgültige Entscheidung getroffen wurde. Die anwesenden Vertreter der Ministerien nahmen die Ausführungen ohne jeden Widerspruch zur Kenntnis.

Damit war die Vernichtung von Millionen Menschen – nur weil sie anders waren als die „Herrenmenschen“ der Nazis - auf den Weg gebracht. Es begann der Höhepunkt des menschenverachtenden Antisemitismus, der jahrzehntelang zuvor geschürt worden war und der seit der Machtübernahme der Nazis immer brutaler und umfassender in die Tat umgesetzt wurde.

Schon einige Wochen nach dem 30. Januar 1933 gab es die ersten Ausschreitungen gegen Juden. Am 1. April 1933 rief die NSDAP zum Boykott „jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte auf“. Dem Terror der Straße folgte der Terror der Gesetze und der Bürokratie. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 wurden die meisten Beamte „nicht-arischer Abstammung“ in den Ruhestand versetzt, eine Woche später verloren viele jüdische Rechtsanwälte ihre Zulassung. Eine Flut von weiteren Gesetzen und „Durchführungsverordnungen“ schloss sich an: Juden durften keine Kassenärzte mehr sein, für jüdische Studenten galten Zulassungsbeschränkungen, jüdischen Dozenten und Arbeitern und Angestellten im öffentlichen Dienst wurde gekündigt, Juden durften keine Steuerberater mehr werden und konnten nicht mehr Vorgesetzte in der Wehrmacht sein. Kein Jude durfte mehr Redakteur oder ständiger Mitarbeiter einer Zeitung oder Zeitschrift sein. Juden wurden aus Sportclubs, von der Benutzung von Sportplätzen und Schwimmbädern ausgeschlossen. Überall gab es Schilder: „Juden sind hier unerwünscht!“ oder gar: „Hunden und Juden ist der Zutritt verboten!“.

Nach einer neuen Welle antijüdischer Hetze in der NS-Presse ergingen dann am 15. September 1935 die infamen „Nürnberger Rassengesetze“. Das „Reichsbürgergesetz“ erfand den Begriff des „Reichsbürgers“. Nur er sollte die vollen Bürgerrechte haben und diese waren den „Ariern“ vorbehalten. Die Juden waren nur noch „Staatsbürger“ – Bürger zweiter Klasse. Zugleich wurden die letzten jüdischen Beamten aus ihrem Amt entfernt. Das so genannte „Blutschutzgesetz“ erfand den Straftatbestand der „Rassenschande“. Danach war die Eheschließung und auch der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Ariern“ unter Strafe gestellt. Alsbald durften Juden eine Vielzahl von Berufen nicht mehr ausüben – und wenn, dann nur noch für ihre jüdischen Mitbürger.

Ende 1937 ging die „Schonfrist“ auch für die jüdischen Firmen und Banken zu Ende. Göring gab die Parole aus: „Die Juden müssen jetzt aus der Wirtschaft raus!“ Es begann die große Welle der „Arisierungen“, der mehr oder minder noch freiwillige Verkauf jüdischer Firmen und Geschäfte an „Arier“. Schon bald musste jeder Jude sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen anmelden und durfte über sein Eigentum nur noch mit Genehmigung der Regierung verfügen.

Im Sommer 1938 ergingen weitere Berufsverbote mit der Folge, dass sich ein Jude kaum noch in der Wirtschaft betätigen konnte. Zur gleichen Zeit wurde die besondere Kennkarte für Juden und die Verpflichtung zur Annahme des zusätzlichen jüdischen Zwangsvornamens „Sara“ bzw. „Israel“ verordnet.

Am 9. November 1938 inszenierte Goebbels zusammen mit der SA, der SS und der Gestapo das, was man heute „Reichspogromnacht“ nennt. Überall im Reich brannten die Synagogen. Am 11. November lag das offizielle Zwischenergebnis vor: 815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesetzte oder zerstörte Warenhäuser, 171 in Brand gesetzte oder zerstörte Wohnungen. 191 Synagogen waren in Brand gesteckt, 76 weitere vollständig demoliert. Dazu kamen Gemeindehäuser, Friedhofskapellen und andere jüdische Einrichtungen. Die endgültigen Zahlen lagen sehr viel höher. Fast 100 Juden waren ermordet worden, noch mehr hatten Verletzungen erlitten. 20.000 bis 30.000 Männer verschleppte man in die Konzentrationslager. Es war der Übergang von der Ausgrenzung und Diskriminierung der Juden zu ihrer völligen Entrechtung und Vernichtung - dem Holocaust, der Shoa.

Wenige Tage später erließ Göring mehrere Verordnungen, mit denen die Juden nicht nur völlig aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen wurden, sondern auch noch für den gegen sie gerichteten Pogrom zahlen mussten: Die Versicherungssummen für Schäden durch den Pogrom wurden nicht den jüdischen Versicherungsnehmern ausgezahlt, sondern zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. Aufgrund einer Verordnung zur „Wiederherstellung des Straßenbildes“ mussten alle Juden die entstandenen Schäden an ihren Geschäften und Wohnungen auf eigene Kosten beseitigen lassen. Allen deutschen Juden wurde eine Kollektivstrafe von einer Milliarde Mark auferlegt.

In den nächsten Tagen und Wochen ging ein Hagel neuer diskriminierender Verordnungen auf die Juden nieder. So wurden beispielsweise alle Juden von staatlichen Schulen und Universitäten ausgeschlossen, auch war der Besuch von Theatern, Konzerten, Museen, Sportplätzen und Bädern verboten. Immer neue Gemeinheiten ersannen die Bürokraten, etwa das Verbot, Haustiere zu halten. Der Mieterschutz für Juden war weitgehend aufgehoben. Wenn man ihnen kündigte, mussten sie in so genannte Judenhäuser umziehen.

Ab September 1941 musste jeder Jude vom 6. Lebensjahr an einen gelben Stern auf der Kleidung aufgenäht tragen. Damit war die öffentliche Demütigung und Brandmarkung vollkommen. Die Überwachung der verfolgten Minderheit wurde perfekt mit dem gleichzeitig erlassenen Verbot, den Wohnort ohne Genehmigung zu verlassen. Damit waren die Grundvoraussetzungen für die sich dann anschließende Deportation der Juden „nach dem Osten“ geschaffen. Nach und nach waren aus den Nachbarn Juden geworden und aus den Juden dann keine Menschen, sondern - wie der oberste Parteirichter der NSDAP bereits 1938 sagte – eine „Fäulniserscheinung“.

Lesen Sie dazu HIER auch den umfangreichen Vorbericht im Super Sonntag vom 22. Januar 2012, der auf eine Erklärung unseres Fördervereins zurückgeht.

 

Ausstellung:

Die Verfolgungsgeschichte der Juden und ihrer Deportationen aus dem Westen „nach dem Osten“ war auch Thema der Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod – Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn“ der Deutschen Bahn AG, die diese in Kooperation mit unserem Förderverein im DB-Museum Koblenz-Lützel noch bis zum 31. Januar 2012 präsentierte.

Lesen Sie HIER der Flyer zur Ausstellung: „Sonderzüge in den Tod – Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn“ der Deutschen Bahn AG,

 

Gedenkveranstaltungen in Koblenz am 27. Januar 2012.

Die Gedenkveranstaltungen begannen am 27. Januar 2012 mit einer Statio am Mahnmal für die NS-Opfer aus Koblenz auf dem Reichensperger Platz. Auch hier stand die Verfolgungsgeschichte der Menschen jüdischer Herkunft im Mittelpunkt. Beispielhaft wurde sie ansatzweise erfahrbar an den Einzelschicksalen ehemaliger Koblenzer Juden, der in diesem Jahr besonders gedacht wurde. Während Oberbürgermeister Prof. Hofmann-Göttig die Namen verlas, brachten Schülerinnen und Schüler der Diesterweg-Schule und der Hans-Zulliger-Schule von unserem Förderverein erarbeitete Biografien dieser ehemaligen Mitbürger an dem Mahnmal an.

Anschließend, gegen 18.00 Uhr, fand dann die Gedenkstunde in der Christuskirche mit interkonfessionellem Gebet statt.

 

Lesen Sie auch die umfangreiche Berichterstattung der Printmedien zu den Veranstaltungen:

HIER in Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – vom 4. Februar 2012

und HIER im Koblenzer LokalAnzeiger „Der Schängel“ vom 1. Februar 2012