65. Jahrestag der Verfassung von Rheinland-Pfalz
Aus Anlass des 65. Jahrestages der Verfassung von Rheinland-Pfalz hielt unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig beim Geschichtsverein Unkel/Rhein am 10. Mai 2012 einen Vortrag über den auch in unserer Ausstellung porträtierten entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus und aufrechten Demokraten Dr. Ernst Biesten. Er zeichnete sein Lebensbild zusammen mit dem von Dr. Adolf Süsterhenn nach unter dem Titel: „Dr. Ernst Biesten und Dr. Adolf Süsterhenn: Die beiden ‚Väter‘ der rheinland-pfälzischen Verfassung aus Unkel“.
Der Vortrag von Joachim Hennig wurde aufgenommen in die Schriftenreihe zur Unkeler Geschichte.
Lesen Sie HIER den Vortrag in Nr. 8 der Schriften zur Unkeler Geschichte
Die Resonanz auf den Vortrag von Joachim Hennig, in dessen Zusammenhang auch eine Gedenktafel für die beiden „Unkeler Verfassungsväter“ enthüllt wurde, zeigen die nachfolgenden Zeitungsartikel.
Bonner Rundschau vom 1. Mai 2012 HIER lesen
Rhein-Zeitung vom 12. Mai 2012 HIER lesen
Generalanzeiger Bonn v. 15. Mai 2012 HIER lesen
Rhein-Zeitung vom 21. Mai 2012 HIER lesen
Blick-Aktuell Region/Ausgabe Unkel v. 17. Mai 2012 HIER lesen
Der Rheinländer Ausgabe Mai 2012 HIER lesen
Vortrag über die Jugend 1933-1945 auf der Burg Stahleck.
Von Ende Mai bis Mitte Juli zeigte der Förderverein Projekt Osthofen in der Gedenkstätte KZ Osthofen die Ausstellung „Es lebe die Freiheit! Junge Menschen gegen den Nationalsozialismus“ des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945.
Im Beiprogramm zu dieser Ausstellung hielt unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig einen Vortrag zum Thema „Jugend 1933-1945 auf der Burg Stahleck.
Lesen Sie HIER den Flyer zu dieser Ausstellung
Lesen Sie nachfolgend den Vortrag von Joachim Hennig:
Jugend 1933 – 1945 auf der Burg Stahleck
Von Joachim Hennig Vortrag gehalten am 30.Mai 2012 in der Gedenkstätte KZ Osthofen
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Jugendliche,
vielen Dank für die freundlichen Worte zur Einführung und Ihnen allen für den aufmunternden Beifall. Im Beiprogramm zur Ausstellung „Es lebe die Freiheit! Junge Menschen gegen den Nationalsozialismus“ möchte ich Ihnen etwas über die Jugend und den Jugendwiderstand im Nationalsozialismus und auch über die Burg Stahleck erzählen. Dass „Jugend“ und „Jugendwiderstand“ etwas mit der hier gezeigten Ausstellung zu tun hat, liegt auf der Hand. Bei der Burg Stahleck ist das aber nicht so klar. Deshalb möchte ich dazu ein paar erklärende Worte geben.
Nähern wir uns also der Burg Stahleck. Das geschieht in der Realität wahlweise von Norden nach Süden oder von Süden nach Norden. Das kommt ganz darauf an, wo man herkommt. Das Beförderungsmittel kann dabei das Auto oder die Deutsche Bahn sein. Auch da kommt es darauf an. Die Burg Stahleck liegt nämlich am Rhein, am Mittelrhein, oberhalb von Bacharach. Und man fährt an ihr vorbei, wenn man die linksrheinische Strecke von Koblenz nach Mainz bzw. von Mainz nach Koblenz nimmt. Man sieht sie aber auch von der anderen Rheinseite, auf der Fahrt von Koblenz nach Wiesbaden bzw. von Wiesbaden nach Koblenz. Besonders schön und intensiv ist der Blick auf die Burg Stahleck, wenn man die Strecke mit dem Schiff zurücklegt. Der Blick wird dann gefangen genommen von dem sich langsam aufbauenden Panorama der Stadt Bacharach mit ihren bunten Fachwerkhäusern, dunklen Mauertürmen, der alten Kirche und den Überresten einer Kapelle. Die Stadtmauern und Wehrtürme klettern den Berg hinauf und erreichen auf einem Bergvorsprung eine mächtige Burg, die alte Pfalzgrafenburg, die heutige Jugendburg Stahleck.
Die Geschichte der Burg Stahleck ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Stadt Bacharach. Bacharach wird urkundlich erstmals im Jahr 923 erwähnt. Es gehörte zum Erzstift von Köln. Dann waren es wohl Kölner Erzbischöfe, die um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts die über Bacharach liegende Burg Stahleck errichteten. Erster bekannter Burgherr war der Burgvogt Goswin von Stahleck, der sich – wie es in alten Urkunden heißt – durch seine „ritterliche Tugend und edle Mannhaftigkeit“ auszeichnete. Er wurde der „Graf zu Stahleck“ und „der Kölnischen Kirche Vogt zu Bacharach“. Urkundlich erwähnt wird der Name der Burg Stahleck dann im Jahre 1135 im Zusammenhang mit einem „Gozwinus de Stalecke“.
Diesem Gozwinus folgte ein Hermann von Stahleck und diesem wiederum Konrad von Staufen, ein Stiefbruder Friedrich Barbarossas. Der Staufer Konrad war von 1156 – 1195 rheinischer Pfalzgraf. Mit Konrad begann die festlichste Zeit auf der Burg Stahleck.
Seitdem sah die Burg Stahleck gute und schlechte Zeiten, romantische und diktatorische Zeitgeister, wohlhabende und Not leidende Menschen sowie bedeutende und unbedeutende Jahre. Die Menschen lebten auf der Burg Stahleck meist freiwillig. Anfangs waren die Bewohner Pfalzgrafen und Kurfürsten, später Burggrafen, Ritter und Amtmänner. Wahrscheinlich auch Burgfräulein. Das kann ich aber nicht so genau sagen, weil ich mich in diesen Epochen nicht so auskenne. Im Laufe der weiteren Jahrhunderte wurde die Burg Stahleck mehr und mehr zur Ruine. Damit prägte sie im 19. Jahrhundert die Rheinromantik wesentlich mit. Schön und romantisch war sie aber nur aus einer gewissen Entfernung. Nah betrachtet war sie sehr heruntergekommen.
Die Stahleck war ein verwahrlostes Gemäuer, als der „Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz“ die Ruine im Jahr 1909 erwarb. Zunächst befand sich auf dem Gelände nur eine Schutzhütte. Mitte der 1920er Jahre errichtete man in der Ruine eine Jugendherberge. Dazu wurde die Burg von Schutt befreit und der Wiederaufbau begann. Zunächst entstanden zwei Fachwerkhäuser im Stil des 17. Jahrhunderts. 1927 standen insgesamt 114 Betten auf der Burg zur Verfügung. Schon bald war die Burg Stahleck bei der wandernden Jugend sehr beliebt.
In der Zeit des Nationalsozialismus blieb die Burg Stahleck Jugendherberge – es kam aber auch noch eine weitere Nutzung hinzu. Wie für die deutsche Geschichte überhaupt war auch diese Zeit die dunkelste in ihrer gesamten Jahrhundertelangen Geschichte.
Das begann schon bald nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933. Schon im März und im April 1933 waren etwa 45 Saarländer zu einem landwirtschaftlichen Lehrgang auf der Stahleck. Ziel war deren Indoktrination im Sinne der Nazis. Damals gehörte nämlich das Saargebiet noch nicht zum Deutschen Reich. Erst im Januar 1935 fand eine Volksabstimmung statt, in der sich die Saarländer für den Anschluss an Deutschland oder Frankreich entschließen konnten. Das Saarland plädierte bekanntlich für Deutschland. Und zur Vorbereitung dieser Abstimmung leisteten die Nazis hier also „Aufklärungsarbeit“.
Noch im selben Jahr machten Schulklassen vor dem Abitur ihre Abschlussfahrten auf die Stahleck. Dabei wurde ihnen außer Heimatgeschichte auch nationalpolitische Erziehung vermittelt. Anfang 1934 gab es schon zweiwöchige nationalsozialistische Schulungskurse.
Bald entdeckten die Nazis die Burg Stahleck als Repräsentations-stück. Die Burg wurde auf- und ausgebaut. Sie sollte ein „Bollwerk nationalsozialistischen Geistes gegen alle (sein), die den Nationalsozialismus nicht verstehen“. Dazu wurde vor allem das Palas (= Wohnbau einer mittelalterlichen Burg) neu errichtet. Im ersten Obergeschoss des Gebäudes entstand ein großer Saal, der sog. Rittersaal. Er wurde sehr repräsentativ hergerichtet und mit einer Herdheizung und Warmwasserzubereitung versehen. Elf Glasfenster erzählten in altdeutsch-gotischer Schrift die kurz gefasste Burggeschichte und trugen Wappen von Städten und Kreisen des Rheinlandes. Das Schmuckstück des Rittersaals war ein 4 x 35 Meter großer Kamin. Im Rittersaal fanden ca. 200 Personen Platz. Er wurde vor allem für Schulungskurse und Arbeitsgemeinschaften genutzt. So fanden hier Lehrgänge für Volkstanz statt, „auslandsdeutsche“ Jugendliche übernachteten auf ihrer „Deutschlandfahrt“, auch tagten die Gauführer des „Reichsverbandes für deutsche Jugendherbergen“, es gab „brilliante“ Heimatabende für Gäste und für die Bacharacher Bürger. Die „Alte Garde“ der Nazis machte auf ihrer „Westmarkfahrt“ Station auf der Stahleck. Rudolf Hess, der „Stellvertreter des Führers“, besuchte die Stahleck zweimal und wurde begeistert empfangen. Nach seinem Besuch wurde ein neuer, siebenstöckiger Bergfried errichtet, der zu seinen Ehren den Namen „Rudolf Hess-Turm“ erhielt.
Schon bald nach dem Überfall Hitlers auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 änderte sich die Nutzung der Burg. Sie wurde Wehrmachtslazarett, das dann aber 1942 schon wieder aufgelöst wurde. Der Grund war, dass die Verwundeten dort nur sehr begrenzt medizinisch versorgt werden konnten – und das war ja nun eine wichtige Aufgabe eines Lazaretts,
Ab 1940 wurde die Burg Stahleck darüber hinaus „Umerziehungslager“. Das musste zunächst die männliche Jugend von Luxemburg erfahren. Am 10. Mai 1940 hatte Hitler-Deutschland im sog. Westfeldzug Luxemburg, Belgien und Holland überfallen. Die Deutschen nahmen Luxemburg vollständig in Besitz und richteten eine zivile Verwaltung ein. Der NS-Gauleiter vom Gau Koblenz-Trier, Gustav Simon, wurde von Hitler zum Chef der Zivilverwaltung (CdZ) in Luxemburg bestellt. Simon selbst formulierte sehr treffend so: „Die Verfassung bin ich! Die Gesetze mache ich!“ Luxemburg war für Simon eine Art Laboratorium, in dem er ungestört nationalsozialistische Politik betreiben konnte. Erklärtes Ziel war, Luxemburg in „kürzester Zeit dem deutschen Volkstum wieder zurück zu gewinnen“.
Hierbei spielte die Burg Stahleck eine gewisse Rolle. Sie wurde für junge Luxemburger zu einem „Umerziehungslager“. Die erste „Umerziehungsaktion“ galt im November 1940 212 luxemburgischen Studenten aus dem ganzen Gebiet des damaligen Deutschen Reiches, die vor Kriegsbeginn ein Studium in Deutschland begonnen hatten. Sie wurden auf die Burg Stahleck beordert, damit sie dort für die nationalsozialistische Politik und die Kriegsführung begeistert würden. Die Studenten wollten sich dem Zwang der Nazis nicht beugen und wehrten sich in der „Umerziehung“ mit Geschrei und Gebrüll. Dazu stellte seinerzeit der NS-Gaupropagandaleiter fest: „Der Kampf (ist) nun entbrannt zwischen der Zivilverwaltung als Vertreterin des Nationalsozialismus und der deutschfeindlichen Studentenschaft als Anhängerin der Idee der Unabhängigkeit Luxemburgs. Der Nationalsozialismus nehme den angebotenen Kampf auf und werde die deutschfeindlichen Elemente rücksichtslos vernichten.“
Im Sommer 1942 – in wenigen Wochen werden sich diese Ereignisse zum 70. Mal jähren - eskalierte die Situation mit der Jugend Luxemburgs. Mit zunehmender Kriegsdauer und einem Zweifrontenkrieg – nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 – entstand ein immer größerer Bedarf an Soldaten. Auch die Luxemburger mussten möglichst viele stellen. Gauleiter Simon startete eine große Anwerbeaktion, die aber wenig erfolgreich war. Schließlich blieb ihm – auch unter dem Druck aus Berlin – nichts anderes übrig, als in Luxemburg die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Am 30. August 1942 verkündete Simon die Wehrpflicht für die Luxemburger der Jahrgänge 1920 bis 1924. Später wurde sie auf die Jahrgänge bis 1927 ausgedehnt. Die Zwangsrekrutierten erlangten die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch durch den Eintritt in die deutsche Wehrmacht. Die Wehrpflicht war also nicht die Folge der Staatsangehörigkeit, sondern deren Voraussetzung. Das war eine zwangsweise Eingliederung in eine fremde Wehrmacht, die das Völkerrecht verbietet.
Dies provozierte in den darauffolgenden Tagen eine Reihe von Streikaktionen in verschiedenen Ortschaften. Geschäftsleute schlossen ihre Läden, Lehrer und Beamte weigerten sich, ihren Dienst anzutreten, in der Schwerindustrie verließen Arbeiter ihren Arbeitsplatz, Bauern lieferten keine Milch ab. Diese Aktionen hatten mehr symbolischen Charakter. Sie dauerten nur einige Stunden an und hatten keine nachhaltige, schon gar keine zerstörerische Wirkung. Insgesamt zogen sie sich da und dort im Land bis zum 2. September 1942 hin.
Als Reaktion darauf richtete Simon ein polizeiliches Standgericht ein. Dieses verurteilte sofort und in nächtlichen Sitzungen in Luxemburg-Stadt 20 Protestler zum Tode. Die Urteile waren sofort rechtskräftig – es gab kein Rechtsmittel dagegen. Simon als Chef der Zivilverwaltung bestätigte nur noch die Todesurteile. Die Vollstreckung aller 20 Urteile fand meist schon am ersten Tag nach der Verurteilung im SS-Sonderlager/KZ Hinzert statt. Blutrote Plakate, die noch in der Nacht der Urteilsverkündung gedruckt und sogleich im ganzen Land aufgehängt wurden, machten die Todesurteile bekannt und erklärten die Hinrichtungen für bereits vollzogen, auch wenn sie in Wirklichkeit erst ein oder zwei Tage später erfolgten. Simon war mit der Arbeit des Standgerichts sehr zufrieden und äußerte sich anerkennend.
In mehreren Fällen ordnete das Standgericht die Einstellung des Verfahrens an. Freisprüche gab es aber keine. 31 Angeklagte wurden zur Überstellung an die Geheime Staatspolizei verurteilt. Das hatte „Schutzhaft“ mit Einlieferung in ein Konzentrationslager zur Folge. Die meisten von ihnen wurden erst ins KZ Hinzert eingeliefert und von dort aus nach einigen Monaten in ein bei Lublin im von Nazi-Deutschland besetzten polnischen Generalgouvernement gelegenes KZ verschleppt.
Verschleppt wurden auch an dem Streik beteiligte Schülerinnen und Schüler. Die Mädchen wurden in die Jugendherberge nach Adenau gebracht. Die Jungen – es waren 183 Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren - kamen auf die Burg Stahleck. Am 3. September 1942 wurden sie auf die Burg Stahleck gebracht. Das war die Strafe dafür, dass sie gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für Luxemburger am 30. August 1942 protestiert hatten.
Die Eltern der Schüler erhielten von der NSDAP-Hitler-Jugend – Befehlsstelle Luxemburg“ ein hektographiertes Schreiben, in dem es unter dem Betreff „Inhaftierung Ihres Sohnes …. Wegen Teilnahme an einem Schulstreik u.a. hieß:
Ihr Sohn … hat, trotzdem ihm die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Einrichtung eines Standgerichts bekannt war(en), an einem Schulstreik teilgenommen und durch sein Verhalten die anderen Schüler zum Mitstreik zu veranlassen versucht. Ihr Sohn ist aus diesem Grunde in Haft genommen worden.
Dieser Vorfall hat bewiesen, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihren Sohn im volksdeutschen Sinne zu erziehen. Der Gauleiter hat Ihnen aus diesem Grunde die Erziehungsberechtigung über Ihren Sohn entzogen und der Hitler-Jugend übertragen. Ihr Sohn wurde heute einem Erziehungslager der Hitler-Jugend im Reich zugewiesen. Die Dauer des Aufenthalts hängt im Wesentlichen von dem Verhalten Ihres Sohnes ab.
Wie das damals für die Luxemburger Schüler auf der Burg Stahleck war, beschrieb später Lucien Olinger so:
Wir waren ja heranwachsende Jugendliche. Das war demütigende Schikane. Es waren Erniedrigungen, es waren permanente Drohungen, es war eine Entwürdigung ohnegleichen, Angst, Peinigungen, Spott, Verachtung, ständiger Hunger als heranwachsende Jugendliche, Entkräftung, Erschöpfung mit einem allmählichen körperlichen Verfall. Diese Ungewissheit, dass unsere Eltern nicht wussten, wo wir uns befinden. All dies hat uns als Internierte wirklich tief getroffen. Wir waren erbarmungslos ausgeliefert an unsere Schinder, die in stundenlangen Appellen, in Exerzierübungen mit einem sadistischen Vergnügen ohnegleichen diese aufmüpfigen Luxemburger mürbe machen würden.
Einen Monat später wurden die den betreffenden Jahrgängen angehörenden Schüler zur deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert. Die anderen Jugendlichen blieben bis Dezember auf der Burg Stahleck. Dann wurden sie vom Leiter des HJ-Erziehungslagers Stahleck, dem Sturmführer Struht, mit den Worten verabschiedet:
Nach drei Monate langem Aufenthalt verlasst Ihr nun wieder die schöne Jugendburg Stahleck, um in Eure Heimat zurückzukehren. Während Eurer Lagerzeit habt Ihr manch harte, aber auch sehr viele schöne, unvergessliche Stunden verlebt und habt selbst eine innere und äußere Wandlung an Euch feststellen können. Welche Bedeutung dieses Lager für Euer späteres Leben hat, das könnt Ihr erst ermessen, wenn Ihr einmal in den Reihen des Arbeitsdienstes marschiert und später den grauen Rock des deutschen Soldaten tragt. Das Lager allein sollte aber nicht nur Vorbereitung sein für die Wehrmacht, nein, es sollte Euch zu tüchtigen, zuverlässigen jungen Menschen erziehen, die auch im öffentlichen Leben ihre Pflicht erfüllen. Seid Euch dessen bewusst, dass Euch eine solche zweite Gelegenheit nicht mehr geboten und dass man sich ein zweites Mal nicht so viel Mühe machen wird.
Mit dieser Nazi-Propagandarede und der abschließenden unverhohlenen Drohung kehrten die letzten Luxemburger Schüler zu Weihnachten 1942 von der Burg Stahleck zu ihren Familien in Luxemburg zurück.
Nur einige Monate später – am 5. Juni 1943 – wurde auf der Burg Stahleck ein „Jugenddienstlager“ eingerichtet. Dazu hieß es in einer Anordnung des HJ-Führers für das Gebiet Moselland, die am 17. Juli 1943 im Rundschreiben der NSDAP Hitler-Jugend veröffentlicht wurde:
Aufgrund der verschiedenen kriegsbedingten Erziehungsschwierigkeiten, die sich innerhalb und außerhalb des HJ-Dienstes sowie in den Betrieben bemerkbar gemacht haben, hat der Obergebietsleiter für das Gebiet Moselland eine besondere Erziehungsverschickung angeordnet.
In Zukunft sollen erziehungsgefährdete männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren in drei- bis sechswöchentlichen Lehrgängen im Jugenddienstlager auf Burg Stahleck in einer harten Erziehung, die in erster Linie durch anstrengende körperliche Arbeiten und wehrsportliche Ertüchtigung erreicht werden soll, nachhaltig zu Zucht und Ordnung angehalten werden. (…)
Vorerst ist nach folgenden Grundsätzen bei der Einberufung nach Stahleck zu verfahren:
Zur Aufnahme in Burg Stahleck sind zunächst A r b e i t s b u m m l e r bestimmt, also Jugendliche, die deren Ordnungsempfinden nur in Bezug auf pflichtgemäße Erfüllung der Arbeit gestört ist. Ferner solche Jugendliche, die wegen n a c h h a l t i g e r D i e n s t v e r s ä u m n i s s e innerhalb der Hitler-Jugend oder der Berufsschule sowie wegen n a c h h a l t i g e r V e r s t ö ß e gegen die Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend auffällig geworden sind.
Es werden nur solche Jugendliche nach Stahleck einberufen, auf die durch leichtere erzieherische Maßnahmen, wie z.B. Verweise, Wochen-endarrest oder sonstige Ordnungsstrafen, vergeblich eingewirkt worden ist.
Ausgeschlossen von der Aufnahme in das Lager sind Jugendliche, die aufgrund ihrer Verfehlungen eine b e s o n d e r e kriminelle Veranlagung oder bereits eine Verwahrlosung erkennen lassen und somit durch die Art ihrer Verfehlungen nur der Strafverfolgung unterliegen oder in Fürsorgeerziehung zu bringen sind.
Diese Zwangserziehung mit Freiheitsberaubung und Schikanierungen nannten die Nazis „Lehrgänge“. Nach fünf Monaten hatten 236 Jugendliche solche Lehrgänge durchlaufen. Zum Teil waren sie von der Arbeitsverwaltung, sog. Reichstreuhänder der Arbeit, von dem HJ-Bannführung gemeldet worden, darunter waren aber auch straffällig gewordene Jugendliche und solche, die wegen kleiner Verfehlungen (Ordnungswidrigkeiten) aufgefallen waren, einige wurden gar auf den Antrag ihrer Eltern eingewiesen. Mit den Ergebnissen waren die Nazis ganz zufrieden. Es hieß:
Die bisherigen erzieherischen Erfahrungen können als günstig bezeichnet werden. Ein Jugendlicher musste wegen völligen Versagens im Lager der vorläufigen Fürsorgeerziehung überwiesen werden. Im Übrigen ist nach Abschluss der für die einzelnen Teilnehmer bestimmten Lagerzeit eine laufende Überwachung durch die zuständigen Stellen, die die Einweisung beantragt haben, gewährleistet.
Während dieser Zeit – im Spätsommer und Herbst 1943 – kamen außerhalb dieser „Lehrgänge“ auch sechs junge Schüler aus der Pellenz, aus der zwischen Andernach und Mayen gelegenen Osteifel, auf die Burg Stahleck. Sie nannten sich Michaeltruppe und waren eine Gruppe von widerständigen katholischen Jungen, die für ihr Alter und die hiesigen Verhältnisse ungewöhnlich militant waren.
Der Anführer der Michaeltruppe war ein gewisser Willi Lohner aus Niedermendig zusammen mit seinem Freund Hans-Clemens Weiler aus Kruft. Beide waren zunächst vom Nationalsozialismus ein bisschen – sagen wir – begeistert, brachte er doch Schwung, schmissige Musik und auch Aufbruchstimmung mit. Schon bald vollzog sich bei den beiden aber ein Bewusstseinswandel. Sie erschreckte der Kirchenkampf des NS-Regimes und sie erlebten, wie Priester wegen ihres Glaubens mundtot und auch ins KZ verschleppt wurden.
Da gründeten sie – gerade einmal 16 bzw. 15 Jahre alt - im November 1942 eine Organisation, die sie Michaeltruppe nannten – benannt nach dem Erzengel Michael, dem Schutzpatron der Deutschen. Beim Eintritt in die Truppe mussten die Mitglieder eine Erklärung unterschreiben, in der es hieß:
Ich gelobe bei Gott und meiner Ehre, dass ich hiermit in die Michaeltruppe eintrete und ein treues Mitglied bleiben will. Ich weiß, welche schweren Strafen bei Verrat auf mich fallen werden.
Ihr Erkennungszeichen war eine Plakette aus Metall, auf der der Heilige Michael abgebildet war. Das war nötig, weil die Gruppe so konspirativ arbeitete und mit 50 bis 60 jungen Leuten so groß war, dass man sich untereinander ausweisen musste. Zentrum des Widerstandes war Kruft, dort lebten die meisten Jugendlichen. Als Treffpunkt diente eine örtliche Kapelle.
Nachts verteilte die Gruppe die Hirtenbriefe des Münsteraner Bischofs Clemens August von Galen. Darin verurteilte der Bischof die Tötung sog. lebensunwerten Lebens. Auch sammelte die Gruppe Informationen über Konzentrationslager sowie über Repressalien gegen Kirche und Klerus.
Willi Lohner leitete die Gruppe als „Bezirkskommandant“, Hans-Clemens Weiler war sein Stellvertreter und „Kreiskommandant“. Die anderen Mitglieder nannten sich „Kämpfer“. Das klang nicht nur sehr militant, sondern war es auch unter den damaligen Bedingungen. Die Gruppe baute eine Art Spionagering auf. Man sammelte Informationen über militärische Anlagen (z. B. über den Flugplatz Niedermendig oder über Waffenlager). Willi Lohner besorgte Sprengstoff und Handfeuerwaffen und legte ein Waffenversteck an.
Ziel und Zweck der Gruppe beschrieb Hans-Clemens Weiler so:
In Deutschland besteht die Gefahr der Verfolgung der Katholiken. In erheblichem Maße werden Klöster beschlagnahmt und geschlossen. Zur Stabilisierung des katholischen Glaubens ist (die Michaeltruppe) gegründet worden. Es muss dafür gesorgt werden, dass der katholischen Kirche nach dem Kriege die beschlagnahmten Klöster zurückgegeben werden. Die Mitglieder sollen versuchen, in den Besitz von Waffen zu gelangen, denn nach dem Kriege müssen wir dafür sorgen, dass die der katholischen Kirche beschlagnahmten Güter zurückgegeben werden. Wenn es dann zum Kampf kommt, stehen die Vereinsmitglieder wenigstens nicht ohne Waffen da.
Die Michaeltruppe ging sehr vorsichtig vor. Informationen wurden nicht mit der Post verschickt, sondern ausschließlich durch Kuriere weitergegeben. Dennoch gelang es der Koblenzer Gestapo Anfang August 1943, Briefe von Hans-Clemens Weiler abzufangen. Daraufhin wurden am 8. August 1943 Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und vier weitere Mitglieder der Truppe von der Gestapo verhaftet. Sie und weitere Verhaftete kamen zunächst zum Verhör nach Koblenz. Sie wurden von der Gestapo tagelang von morgens bis abends vernommen. Jeden Tag fuhren Willi Lohners Eltern zur Gestapo nach Koblenz, um seine Freilassung zu erbitten – aber erfolglos. Danach brachte man die sechs Jungen in die Jugendarrestanstalt Neuwied. Am 7. September 1943 wurden Willi, Hans-Clemens und die vier weiteren Mitglieder der Michaeltruppe von der Koblenzer Gestapo auf die Burg Stahleck gebracht.
Später berichtete Hans-Clemens Weiler über seine Haft und die Willi Lohners auf der Burg Stahleck u.a. folgendes:
(Am 7. September) 1943 brachte uns ein Gestapobeamter zum Jugenddienstlager Stahleck. Es war ein verschärftes Wehrertüchtigungslager zum Zwecke der Erziehung von Jugendlichen, die sich irgendwelcher Vergehen, besonders Beleidigungen von NS-Führern, Versäumung des HJ-Dienstes usw. schuldig gemacht hatten. (Der Beamte) ordnete unsere „Aufbewahrung“ in Einzelzellen bei Arrestverpflegung an. Da aber nur zwei Arrestzellen vorhanden waren, wurden Lohner und ich in diese gesperrt. Die anderen vier Kameraden aber wurden bei den übrigen Lagerinsassen untergebracht. Am folgenden Morgen Verhör durch Lagerführer Struth. Nachdem er sich ein Bild gemacht hatte, sagte er (fast wörtlich): „Du weißt wohl, dass das Hochverrat ist. Du weißt auch wohl, dass so was den Kopf kostet. Euer Kopf sitzt locker. Wenn Euch noch etwas retten kann, dann ist das Eure Jugend. Ich will versuchen, was sich machen lässt, wenn Ihr natürlich Eure Gesinnung innerlich ändert. Hunger ist zwar der beste Lehrmeister, um gerade junge Menschen wie Euch die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Die Gestapo hat mir aufgetragen, Euch bei Wasser und Brot zu halten, dort oben im Turm aber will ich Euch herauslassen, Ihr sollt mit den anderen arbeiten. Nur abends kommt Ihr (in die Arrestzellen).
Unterdessen ermittelte die Staatspolizeistelle Koblenz weiter gegen Willi Lohner und Hans-Clemens Wagner und andere Mitglieder der Michaeltruppe. Am 1. Oktober 1943 stellte sie als Ermittlungsergebnis fest:
Das Gesamtergebnis der Ermittlungen ergibt einwandfrei, dass Weiler und Lohner sich führend bei der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens betätigt haben. Für Lohner und Weiler als Anführer der Bande hat das Reichssicherheitshauptamt Überführung in ein Jugendschutzlager angeordnet.
Daraufhin wurden die vier anderen Mitglieder der Michaeltruppe als „Mitläufer“ am 8. Oktober 1943 aus der Haft auf der Burg Stahleck entlassen. Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler blieben dort weiter in Haft. Beide wurden auch am 30. Oktober 1943 wegen „ihrer staatsfeindlichen Betätigung an führender Stelle“ von ihrer Schule, dem Gymnasium in Andernach, verwiesen.
Am 8. Dezember 1943 holte man die beiden schließlich auf der Burg Stahleck ab, brachte sie nach Koblenz und von dort aus mit einem Nachtschnellzug nach Göttingen.
Beide kamen ins „Jugendschutzlager Moringen“ bei Göttingen. Dort mussten sie in einem Salzbergwerk Munition herstellen. Hans-Clemens zog sich dabei eine Tuberkulose zu, von der er sich nie mehr richtig erholte.
Anfang März 1945 wurde Willi Lohner aus dem Jugend-KZ Moringen mit der Auflage entlassen, sich „freiwillig“ zum Dienst in der Waffen-SS zu melden. Kaum auf freiem Fuß floh er in Richtung Heimat, dort waren zu dieser Zeit bereits die Amerikaner.
Anfang April 1945 wurde das Jugend-KZ Moringen von der Wachmannschaft geräumt. Hans-Clemens Weiler war zu der Zeit noch in Moringen Während die anderen Häftlinge auf den „Evakuierungsmarsch“ gingen, blieben er und andere Marschunfähige zurück und irrten umher. Am 11. April 1945 waren die Amerikaner da und befreiten sie.
Hans-Clemens Weiler hatte sich im Jugend-KZ Moringen eine Tuberkulose zugezogen. Diese wurde nach der Befreiung zwar behandelt, er erhielt aber einen schweren Rückschlag. Bald stellte man eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. bei ihm fest. Von den Folgen der Tuberkulose erholte er sich zeit seines Lebens aber nicht mehr. Hans-Clemens Weiler starb 1974 in Bonn.
Dem Anführer der Michaeltruppe Willi Lohner war ein anderes Schicksal beschieden. Er ließ sich durch all die Schikanen, Erniedrigungen, die schwere Arbeit nicht von seinem Lebensziel abbringen. Kaum war er befreit und kaum waren die Schulen nach dem Krieg wiedereröffnet, machte er da weiter, wo er wegen der Verfolgung der Nazis hatte aufhören müssen. Er setzte sich wieder auf die Schulbank und machte im Jahr 1946 am Gymnasium in Mayen sein Abitur nach. Im Anschluss daran studierte er Musik und Germanistik. Sein Ziel war das Lehramt. Kurz vor dem Staatsexamen orientierte sich Willi Lohner aber um und wurde Schauspieler. Er zog nach Hamburg und gründete dort eine Familie. 1955 rief er ein eigenes Tournee-Theater in Leben, das „Ensemble Wilhelm Lohner“.
Im Jahr 2004/05 hatte ich persönlichen Kontakt zu Willi Lohner. Dadurch war es mir möglich, von Willi Lohner noch manche Informationen sowie auch das eine oder andere Foto zu erhalten. Im Jahr 2007 starb Willi Lohner in Hamburg – am 27. Januar, dem nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Meine Damen und Herren, liebe Jugendliche. Das war die Kurz-Geschichte der Burg Stahleck im Wandel der Zeiten, vor allem in der NS-Zeit und auch die Geschichte von saarländischen Jugendlichen, Luxemburger Studenten und Schülern, nonkonformistischen und nicht angepassten jungen Deutschen und vor allem auch der Michaeltruppe, ihrem Chef Willi Lohner und seinem Freund Hans-Clemens Weiler. Mit dieser Geschichte sollen wir erinnert werden, dass wir nicht geschichtslos in den Tag hineinleben, sondern dass alles und jedes eine Geschichte hat. Wir können die Geschichte nicht wegdrängen und unterdrücken. Sie – gerade die Geschichte der NS-Zeit - ist da und kommt irgendwann immer mal wieder hoch. Es ist eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Wir müssen diese Geschichte positiv annehmen. Schon wegen der Opfer, wegen Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler. Aber auch unseretwegen. Damit wir unsere Demokratie und ihre staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen – trotz aller Unzulänglichkeiten und Fehler – voll und ganz bejahen und offensiv verteidigen: Es gibt nichts Besseres. - Im Gegenteil: Aus der Geschichte wissen wir, dass jede Folge von übersteigertem Nationalismus, von Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus ins Verderben führt – nicht nur bei den Opfern sondern auch bei uns selbst. Wehret deshalb den Anfängen.
Die Botschaft aus dieser Geschichte ist aber nicht nur mahnend und warnend. Sie soll auch Mut machen. Sie soll mithelfen, ein eigenes Lebensgefühl zu entwickeln und zu stärken – fern jeder Bevormundung und jedes Zwangs. Aber nicht ungebunden und ziel- und planlos. Sondern vielmehr frei und mit elementaren Werten – wie sie heute in den Grundrechten unseres Grundgesetzes festgeschrieben sind – und mit nachahmenswerten Leitbildern – wie Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und die anderen Mitglieder der Michaeltruppe.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Lesen Sie HIER auch den Artikel über die Veranstaltung in der Rhein-Main-Presse vom 2. Juli 2012.