Ausstellung des Fördervereins zum 27. Januar 2014
Wie jedes Jahr zeigte der Förderverein Mahnmal Koblenz auch zum nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2014 eine Ausstellung. Im Mittelpunkt der diesjährigen Aktivitäten standen die Biografien von Kindern und Jugendlichen, die Opfer des Nationalsozialismus geworden waren. Gezeigt wurden 24 Biografien unter dem Titel "Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen! Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen." Sechs dieser Biografien Jugendlicher beschrieben das Leben so genannter Kindertransport-Kinder, von jüdischen Kindern, die nach den Novemberpogromen in der ersten Jahreshälfte 1939 auf Initiative der Quäker aus Hitler-Deutschland nach England hatten fliehen können. Alle Porträts hat der stellvertretende Vorsitzende unseres Fördervereins Joachim Hennig recherchiert und erarbeitet. Die Eröffnung der Ausstellung war am Donnerstag, dem 16. Januar 2014, um 18.30 Uhr im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium Koblenz. Dort wurde sie anschließend bis zum 7. Februar 2014 präsentiert.
Einführung in die Ausstellung
„’Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen!
Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen.’
Kinder und Jugendliche als Opfer des Nationalsozialismus“
am 16. Januar 2014 im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium Koblenz
von Joachim Hennig.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich, Sie heute namens und im Auftrag des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz in die Ausstellung hier einführen zu dürfen. Sie sehen eine Ausstellung mit Biografien von Kindern und Jugendlichen, deren Schicksale ich recherchiert und erarbeitet habe. Es sind dies insgesamt 24 Lebensbilder, für jedes Lebensbild gibt es eine Personentafel sowie eine Lesemappe. Wie viele von Ihnen wissen, hat der Förderverein Mahnmal Koblenz eine sehr umfangreiche Dauerausstellung mit Biografien der unterschiedlichsten Opfer erarbeitet. Inzwischen sind dies an die 100 Personentafeln. Von diesen Tafeln und Biografien werden hier 16 präsentiert. Hinzu kommen 8 weitere, die ich ganz neu erarbeitet habe. Diese betreffen sog. Kindertransport-Kinder.
Ehe ich jetzt unmittelbar auf die Ausstellung eingehe, möchte ich zu deren besserem und tieferem Verständnis kurz einen Blick auf die Jugend im Nationalsozialismus zu werfen. Dieser Blick ist sehr interessant und facettenreich. Die Jugend jener Jahre setzte sich aus zahlreichen und widersprüchlichen Eindrücken und Gegebenheiten zusammen. Für die Nationalsozialisten hatte die Jugend einen ganz besonderen Stellenwert. Für die damalige Jugend fing bei den Nazis und im Nationalsozialismus alles so positiv und bedeutsam an. „Macht Platz ihr Alten!“ lautete 1927 die zündende Devise von Gregor Strasser, dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP. Die Nazis waren die Partei „der Jungen“. Fortan sollte Jugend von Jugend geführt werden. Die Bedeutung der jungen Generation wurde aufgewertet – durch Uniformen und Aufmärsche, spektakuläre Wettkämpfe und öffentliche Auszeichnungen.
Aber schon ideologisch wurde diese Jugend ausgenutzt – als Partei- und Staatsjugend nach dem Gesetz über die Hitler-Jugend von 1936 als „Soldaten einer Idee“. Man beraubte sie aller Freiräume und autonomen Gestaltungsmöglichkeiten. Zugleich setzte man sie im NS-Spitzel- und Überwachungssystem infam ein: Ältere, auch Eltern und Lehrer, liefen Gefahr, wegen regimekritischer Äußerungen von regimetreuen Jüngeren denunziert zu werden. Das Generationsverhältnis als Abhängigkeit und Kontrolle hatte sich umgekehrt. Hitler selbst hat es propagandistisch einmal so umschrieben:
Wir Alten sind verbraucht... Aber meine herrliche Jugend! Gibt es eine schönere auf der ganzen Welt? Sehen Sie sich diese jungen Männer und Knaben an! Welch Material. Daraus kann ich eine neue Welt formen. Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden... Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich.
Ein derartiges System musste – von seinem totalitären Anspruch her – alles das in den Worten Hitlers „weghämmern“, was nicht in dieses Leitbild des Nationalsozialismus passte. Damit gerieten die Kinder, Jugendlichen und Jugendführer in das Fadenkreuz der Nazis genauso wie die Erwachsenen. Die Nationalsozialisten machten da keinen Unterschied, gaben den Jüngeren keine Schonung wie wir sie – unter ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen - unseren Kindern und Jugendlichen angedeihen lassen. Wie die Erwachsenen wurden auch sie wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung und ihres oppositionellen Verhaltens diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und ermordet.
Ein solches Schicksal hat auch das Mädchen Hannelore Hermann erleiden müssen. Hannelore war ein im Jahr 1928 geborenes „Nesthäkchen“ der jüdischen Koblenzer Familie Hermann. Während ihre beiden älteren Brüder noch rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, blieb sie mit ihren Eltern in Koblenz. Alle drei wurden mit der 1. Deportation von Koblenz aus am 22. März 1942 „in den Osten“ verschleppt und sehr wahrscheinlich im Vernichtungslager Sobibor mit Giftgas ermordet. Mehr möchte ich zu Hannelore Hermann hier nicht sagen. Denn ihr Schicksal wird von Schülern dieses Gymnasiums in der Gedenkstunde am 27. Januar 2014 in der Christuskirche in einer szenischen Lesung anhand von Briefen erzählt. Dem möchte ich nicht vorgreifen – sondern nur noch erwähnen, dass für Hannelore und ihre Eltern Leopold und Johanna Hermann Stolpersteine in der Johannes Müller-Straße 6 verlegt sind.
Ein anderes Opfer wegen seiner Herkunft war Daweli Reinhardt. Daweli lebte mit seinen Eltern und Geschwistern damals im Kernwerk der Feste Franz in Koblenz-Lützel. Es war eine Sinti-Familie, also Zigeuner. Dieser Name ist, weil die Nazis ihn - wie vieles andere auch – missbrauchten, heute verpönt. Daweli wurde als 10-jähriges Kind mit seinen mit seiner Familie in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Von dort wurden er und seine Angehörigen in andere KZs verschleppt. Zuletzt kam Daweli vom Konzentrationslager Sachsenhausen auf den Todesmarsch. Er überlebte und war nach dem Krieg Mitbegründer des Schnuckenack-Reinhardt-Quintetts. Heute ist Daweli verstummt. Schwer krank lebt er in Koblenz-Horchheim und wird rührend und aufopferungsvoll von seinen Töchtern gepflegt. Daweli hat seine Musik und sein Können aber weitergeben. an seine Söhne Mike, Sascha, Django, Bawo und Moro sowie an seinen Neffen Lullo Reinhardt. Wenn Sie deren Musik hier in Koblenz und anderswo hören – vor allem den Sinti-Swing -, vielleicht denken Sie dann an Daweli Reinhardt.
Daweli Reinhardt und Hannelore Hermann stehen für exemplarische Lebenswege und Biografien. In der Ausstellung präsentieren wir weitere Kinder und Jugendliche mit jüdischer oder Sinti-Herkunft. Sie waren Opfer des Rassismus, den die Nazis bis zur Vernichtung betrieben. Das war der Rassismus nach „außen“ – d.h. Ausgrenzung, Diskriminierung und schließlich Vernichtung von Menschen, die wegen ihrer Herkunft anders waren als die von den Nazis propagierten „Herrenmenschen“, den blonden und blauäugigen Arier der nordischen Rasse.
Aber auch vor denen machte der Rassismus der Nazis keinen Halt. Es gab auch den Rassismus nach „innen“ – man nennt das „Rassenhygiene“. Menschen, die in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht nicht den Normen der Nazis entsprachen, wurden ebenfalls aus der nationalsozialistischen „Volkgemeinschaft“ ausgegrenzt, weggesperrt und ermordet. Dies waren die sog. Euthanasie-Opfer, Menschen, die wegen psychischer oder körperlicher Gebrechen im Jargon der Nazis „Ballastexistenzen“, „lebensunwertes Leben“ waren. Von diesen Mordaktionen – man weiß von über 70.000 Opfern allein bei der sog. T 4-Aktion - waren auch Kinder und Jugendliche betroffen. Beispielsweise der im Jahr 1923 in Koblenz geborene psychisch kranke Alois G. Alois lebte in der Anstalt Scheuern bei Nassau an der Lahn. Als er mit 17 Jahren für den Reichsarbeitsdienst als dienstunfähig gemustert wurde, geriet er schnell in die Tötungsmaschinerie der T-4-Aktion. Von Scheuern aus wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg verbracht und dort noch am selben Tag mit Gas ermordet. Seine Mutter, die ihn noch in Scheuern, besuchen wollte, wurde hingehalten und kam dann zu spät. Sie konnte nur noch Alois G.s Habseligkeiten aus Scheuern abholen.
Zu dieser totalitären „Volksgemeinschaft“ und zu der von Hitler geforderten gewalttätigen, herrischen, unerschrockenen, grausamen Jugend passten natürlich nicht bestehende und gewachsene jugendeigene Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus standen bzw. sich von ihm nicht vereinnahmen ließen. So war es aus der Sicht der Nationalsozialisten nur folgerichtig, vor allem die katholische und bündische Jugend und ihre Führer zu bekämpfen und sie gleich- und auszuschalten. Beispielhaft für diese Gruppe wird in der Ausstellung der junge Koblenzer Katholik und spätere Jugendführer Hans Renner porträtiert.
Ein solches totalitäres System brachte auch jugendeigenen Widerstand und jugendeigene Resistenz hervor. Dies waren Gruppen und später auch nur noch einzelne aus dem bündischen, dem christlichen und dem Arbeiter-Milieu. Am bekanntesten sind aus der Zeit des Krieges – zu einem Zeitpunkt, in dem diese überkommenen Gruppen längst zerschlagen oder gleichgeschaltet waren – informelle Gruppen. Die bekannteste war die „Weiße Rose“. Hierauf möchte ich nicht näher eingehen.
Eingehen möchte ich aber auf die in der Ausstellung porträtierte Michaeltruppe mit ihren Führern Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler. Diese 15 Jahre alten Schüler des Andernacher Gymnasiums gründeten Ende 1942 eine große Gruppe mit Jugendlichen aus Kruft und Umgebung. Sie nannten sich „Michaeltruppe“ und waren teilweise sehr militant. Sie spionierten Waffenlager aus und beobachten den Niedermendiger Flughafen. Willi Lohner legte sogar ein Waffenversteck an. Im August 1943 wurden die Oberschüler entdeckt und von der Gestapo festgenommen. Sie kamen in „Schutzhaft“, u.a. auch auf der Burg Stahleck oberhalb von Bacharach. Von dort brachte man sie ins Jugend-KZ Moringen. Dort mussten sie hart arbeiten, Hans-Clemens wurde schwerkrank, beide überlebten aber. Während Hans-Clemens unter den Folgen der KZ-Haft sehr leiden musste und 1974 starb, machte Willi Lohner nach dem Krieg das Abitur nach, wurde Schauspieler und gründete das Tourneetheater „Wilhelm Lohner Ensemble“.
Eine besondere Gruppe in der Ausstellung bilden Biografien von Kindertransport-Kindern. Erstmalig gezeigt werden 7 Lebensbilder von Kindern und Jugendlichen, die vor den Nazis und ihrem Terror gerettet werden konnten. Es sind 6 jüdische Kinder und Jugendliche aus Koblenz, die mit dem Kindertransport in der 1. Jahreshälfte 1939 nach England auswandern konnten. Ein weiteres Kind – Hugo Salzmann jr. – wird ebenfalls porträtiert. Hugo Salzmann konnte aus Frankreich nach Österreich fliehen. Das ist ein ganz besonderes Schicksal. Ich kann hierauf nicht eingehen, empfehle diese Personentafel aber Ihrer Aufmerksamkeit.
Kurz eingehen möchte ich auf die Biografien der 6 Kindertransport-Kinder nach England. Sie sind im Rahmen der Aktion „Kindertransporte“ zu sehen, die vor 75 Jahren stattfand. Auslöser dieser groß angelegten Aktion war der Novemberpogrom („Reichspogromnacht“) vom 9./10. November 1938. Nach diesen antisemitischen Zerstörungen und Übergriffen konnte eine Gruppe von englischen Juden erreichen, dass die britische Regierung die Einreise von deutschen, österreichischen und tschechischen Kindern im Alter zwischen zwei und 17 Jahren erlaubte. In dieser einzigartigen Hilfsaktion, die von Anfang Dezember 1938 bis Ende August 1938 dauerte und durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ihr Ende fand, gelangten mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche aus dem Deutschen Reich nach England. Die Kinder erhielten eine Nummer, durften nur ein Foto, eine Reichsmark und wenig Gepäck mitnehmen. An manchen Abreise-Bahnhöfen war es ihren Eltern verboten, sich von den Kindern am Bahnsteig zu verabschieden. Der Abschied fiel den allermeisten Kindern unendlich schwer – dabei ahnten die wenigsten von ihnen, dass sie ihre Eltern nie mehr wiedersehen würden. In England angekommen, erwartete die Kinder und Jugendlichen ein ungewisses und sehr unterschiedliches Schicksal. Manche von ihnen kamen zu Pflegeeltern, die sich vorher zur Aufnahme bereit erklärt hatten, andere wurden am Londoner Bahnhof - wie manche sagten – auf dem „Viehmarkt“ von den künftigen Pflegeltern bei der Ankunft ausgewählt, wieder andere wiederum kamen in Kinderheimen unter. Nicht wenige von ihnen wurden dann nach einiger Zeit in andere Hände weitergereicht. Die Schicksale – auch später in England – waren also sehr unterschiedlich. Die Gefühle der Kinder reichten dabei von Dankbarkeit bis zur Verbitterung. Bei wohl den meisten von ihnen tauchte das Phänomen Survivor Guilt auf – die „Schuld der Überlebenden“. Diese ist gerade bei Kindern und Jugendlichen häufig zu beobachten, wurden sie doch gerettet, weil ihre Eltern die Stärke aufbrachten, sie wegzuschicken; die wenigsten Eltern haben dann den Holocaust überlebt.
Auch Kinder und Jugendliche aus Koblenz und Umgebung konnten auf diese Weise dem Holocaust entfliehen. Nicht wenige haben ihr Leben in England und anderswo meistern können, wie die sechs Biografien der hier porträtierten Kinder und Jugendlichen zeigen. Es ist eine selektive Auswahl von ehemaligen Koblenzern, die auf „Heimatbesuch“ in ihre Geburtsstadt als Gäste für einige Tage zurückkehrten. Das sind sicherlich die glücklicheren Biografien, denn die gescheiterten Kinder und Jugendlichen werden kaum den Kontakt zur alten Heimat und ihren Menschen gesucht haben.
Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass wir heute und hier einen Sohn eines solchen Kindertransport-Kindes bei uns haben. Es ist Herr Simon Burne, der extra für diese Ausstellung aus England nach Koblenz gekommen ist. Herr Burne ist der jüngere Sohn von Hans Bernd/Dr. John Burne und Enkel des Koblenzer HNO-Arztes Dr. Hugo Bernd und dessen Frau Senta. Sein Vater konnte im Mai 1939 vor den Nazis fliehen. Seine Großeltern blieben in Koblenz zurück, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass die Deutschen – wie es dann doch geschah – solche Menschheitsverbrechen an den jüdischen Mitbürgern begehen würden. Dr. Hugo und Senta Bernd wurden am 2. März 1943 mit der 5. Deportation von Koblenz aus in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort in den Gaskammern ermordet. Das Vermögen der Familien wurde vom NS-Staat eingezogen.
Das Schlusswort zur Ausstellung gebührt nun Ihnen, lieber Herr Burne. Bitte Simon, sprechen Sie zu uns.
Zur Ausstellungseröffnung einen Artikel der Rhein-Zeitung HIER lesen
Einen SWR-Beitrag hier anhören:
Vor gut 70 Jahren wurden tausende deutscher Kinder in Zügen nach England transportiert. Ihre Eltern waren Juden und versuchten sie vor dem Nazi-Regime in Sicherheit zu bringen. Für manche war das ein Abschied für immer. Denn viele der jüdischen Eltern wurden später in Konzentrationslagern umgebracht. Im Vorfeld des Ausschwitz-Gedenktages am 27. Januar wurde gestern in Koblenz eine Ausstellung eröffnet mit Einzelschicksalen solcher Kinder . SWR-Reporterin Bärbel Brüggmann hat dabei auch Angehörige der Opfer getroffen.
Am Vormittag des 31. Januar 2014 zeigte der stellvertretende Vorsitzende unseres Fördervereins Joachim Hennig in einer internen Veranstaltung für drei 10. Klassen des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums Koblenz den von ihm erarbeiteten und von dem "Filmer" Herbert Bartas technisch umgesetzten Film " Werner Appel - Jüdisches Leben und Überleben in Koblenz 1933 - 1945".
Am Vormittag des 4. Februar 2014 gab der stellvertretende Vorsitzende unseres Vereins Joachim Hennig für zwei Klassen des Wirtschaftsgymnasiums eine Einführung in die Ausstellung „’Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen! Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen.“ und führte sie anschließend durch die Ausstellung.
Ergänzt wurde die Ausstellung durch zwei weitere Veranstaltungen:
Zum einen durch den Vortrag von Joachim Hennig: "Die Verfolgung deutscher und ausländischer Kinder und Jugendlicher in Koblenz und Umgebung" am Freitag, 31. Januar 2014, 19.00 Uhr:
Jugend und Jugendwiderstand im Nationalsozialismus
Vortrag am 31. Januar 2014 im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium Koblenz von Joachim Hennig
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
namens und im Auftrag des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. begrüße ich Sie sehr herzlich zum Vortrag „Die Verfolgung deutscher und ausländischer Kinder und Jugendlicher in Koblenz und Umgebung“. Dieser Vortrag gehört zum Beiprogramm der Ausstellung „Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen! Eine kurze Spanne Zeit ist uns zugemessen.“, die im Foyer der Schule zu sehen ist und die Sie vielleicht schon gesehen haben.
Ehe ich auf die Verfolgung und auch den Widerstand der Jugend im Nationalsozialismus näher eingehe, möchte ich mit Ihnen zum besseren und tieferen Verständnis einen Blick auf die Jugend im Nationalsozialismus werfen. Dieser Blick ist sehr facettenreich. Die Jugend jener Jahre setzte sich aus zahlreichen und widersprüchlichen Eindrücken und Gegebenheiten zusammen. Für die Nationalsozialisten hatte die Jugend einen ganz besonderen Stellenwert. Für sie fing bei den Nazis und im Nationalsozialismus alles so positiv und bedeutsam an. Die Nationalsozialisten verhöhnten bekanntermaßen die Weimarer Republik, die erste deutsche Demokratie, und ihre führenden Politiker – sie nannten sie die „Novemberverbrecher“ und auch die „Republik der Greise“. Die Weimarer Republik hätte – so die Nazis – er Jugend keinen Platz, geschweige denn eine Jugend zu bieten. Dagegen gebe es nur ein „Heilmittel“, den „jungen“ Nationalsozialismus. Bewusst präsentierten sich die Nazis als Lobby einer benachteiligten und „zu kurz gekommenen“ Jugend. „Macht Platz da, ihr Alten, eure Zeit ist abgelaufen!“ lautete 1927 die zündende Devise von Gregor Strasser, dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP. Die Nazis waren die Partei „der Jungen“. Fortan sollte Jugend von Jugend geführt werden. Die Bedeutung der jungen Generation wurde aufgewertet – durch Uniformen und Aufmärsche, spektakuläre Wettkämpfe und öffentliche Auszeichnungen.
Aber schon ideologisch wurde diese Jugend als Hitler-Jugend ausgenutzt – zunächst als Nachwuchsformation der NSDAP, als Partei-Jugend und dann später - nach dem Gesetz über die Hitler-Jugend von 1936 – als Staats-Jugend.
Die HJler sollten „Soldaten einer Idee“ sein. Man beraubte sie aller Freiräume und autonomen Gestaltungsmöglichkeiten. Zugleich setzte man sie im NS-Spitzel- und Überwachungssystem infam ein: Ältere, auch Eltern und Lehrer, liefen Gefahr, wegen regimekritischer Äußerungen von regimetreuen Jüngeren denunziert zu werden. Das Generationsverhältnis als Abhängigkeit und Kontrolle hatte sich umgekehrt. Hitler selbst hat es propagandistisch einmal so umschrieben:
Wir Alten sind verbraucht... Aber meine herrliche Jugend! Gibt es eine schönere auf der ganzen Welt? Sehen Sie sich diese jungen Männer und Knaben an! Welch Material. Daraus kann ich eine neue Welt formen. Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden... Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich.
Entsprechend dem „Führergedanken“ war der Aufbau der HJ bis in die letzte Jungschar hinein aufs Genaueste reglementiert: Das „Deutsche Jungvolk“ (DJ) in der HJ war für die 10- bis 14-jährigen Jungen, deren Eintritt jahrgangsweise jeweils zum 20. April („Führers Geburtstag“) zu erfolgen hatte. Die eigentliche Hitler-Jugend erfasste die 14- bis 18-jährigen Jungen, die ab dem 18. Lebensjahr in die entsprechenden Gliederungen der Partei eintreten „durften“. Das Pendent zum „Jungvolk“ war für 10- bis 14-jährigen Mädchen der „Jungmädel“. Daran schloss sich für die 14- bis 18-jährigen Mädchen der „Bund deutscher Mädel“ (BDM) in der HJ an. Das angegliederte Werk „Glaube und Schönheit“ erfasste dann die 17- bis 21-jährigen Mädchen. Für die Jungen schloss sich an die HJ dann der ein halbes Jahr dauernde Reichsarbeitsdienst (RAD) an und daran dann der Wehrdienst an – der mit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitler dann unbegrenzt war.
Schon im Herbst 1933 hat dieses Prinzip der Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley sehr treffend beschrieben:
Während der alte Staat ein Nachtwächterstaat war, ist unser Staat ein Erziehungsstaat, ein Pädagoge, ein väterlicher Freund. Er lässt Menschen nicht los von der Wiege bis zum Grabe…. Und so fangen wir schon beim Kinde von drei Jahren an; sobald es anfängt zu denken, bekommt es schon ein Fähnchen zu tragen. Alsdann folgt die Schule, die Hitler-Jugend, die SA, der Wehrdienst. Wir lassen den Menschen nicht los, und wenn das alles vorbei ist, kommt die Arbeitsfront und nimmt die Menschen immer wieder auf und lässt sie nicht mehr los bis zum Grabe, mögen sie sich auch dagegen wehren!
Diese totale Erfassung der Jugend war vor allem möglich, weil zuvor alle konkurrierenden Kräfte und Bünde der Jugendarbeit weitgehend ausgeschaltet worden waren.
Das galt zum einen für die Jugendorganisationen der linken Parteien, also des Kommunistischen Jugendverbandes – KJVD - und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ). Die kommunistische Jugend war wie die KPD unmittelbar nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933, den die Nazis den Kommunisten in die Schuhe schoben, Verfolgung ausgesetzt. In diese Verfolgung waren auch die jungen Kommunisten mit einbezogen. Eine kleine Biografie hierzu kann ich Ihnen leider nicht mitteilen, da es meines Wissens hier in Koblenz keinen solchen linken Jugendverband gab, jedenfalls gab es meines Wissens keine jungen Leute, die wegen ihrer Mitgliedschaft oder solcher Aktivitäten Verfolgung erleiden mussten.
Die totale Erfassung der Jugend im Nationalsozialismus war zum anderen möglich durch die frühe und fast vollständige Ausschaltung und Gleichschaltung der herkömmlichen Jugendverbände. Diese hatten im öffentlichen Leben der Weimarer Republik eine erhebliche Rolle gespielt. Sie waren im Reichsausschuss deutscher Jugendverbände organisiert und hatten zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nazis insgesamt mehr als 5 Millionen Mitglieder. Anfang April 1933 landete der Reichsjugendführer der NSDAP Baldur von Schirach einen Coup. Schirach ließ die Geschäftsstelle des Reichsausschusses durch einen HJ-Trupp im Handstreich besetzen und sämtliche Akten beschlagnahmen. Den Vorsitzenden zwang er zum Rücktritt. Damit war der Generalangriff der HJ auf alle konkurrierenden Jugendverbände eröffnet. Fast alle von ihnen wurden aus- bzw. gleichgeschaltet.
Ein Beispiel, dazu noch ein auf den ersten Blick verwirrendes, ist das Schicksal des „Nerother Wandervogels“ und seines Führers Robert Oelbermann. Dieser Silvester 1919/20 auf dem Nerother Kopf bei Daun gegründete Bund fühlte sich 1933 durchaus als Teil der „nationalen Erhebung“. Man wollte aber eigenständig bleiben. Im Juni 1933 überfielen SA und HJ den Nerother Wandervogel, der inzwischen die Burg Waldeck im Hunsrück zu seinem Stammsitz gemacht hatte. Der Koblenzer NS-Regierungspräsident Harald Turner, dessen Sohn selbst „Nerother“ war, hielt die Hand über dem Wandervogel. Das half aber alles nichts. Der Nerother Wandervogel löste sich selbst auf, Anfang 1936 wurde er offiziell verboten. Eine Woche später wurde Robert Oelbermann unter dem Vorwurf, sich in zwei Fällen homosexuell betätigt zu haben, verhaftet und dann zu 21 Monaten Zuchthaus verurteilt. Für die Gestapo war Oelbermann ein „Mensch, der überhaupt nicht wieder in die Freiheit gehört“. In unmittelbarem Anschluss an seine Zuchthausstrafe wurde er deshalb ins Konzentrationslager verschleppt, erst nach Sachsenhausen, dann nach Dachau. Dort starb Robert Oelbermann Ende März 1941 völlig geschwächt und ohne ärztliche Hilfe, angeblich an einem „Versagen von Herz und Kreislauf bei Asthma und Ödemen“.
Einzig die katholische Jugendbewegung ließ sich nicht gleichschalten. Der energische Widerstand ihrer Führung und das spätere Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl verhinderten die Auflösung ihrer Organisation. Ihre Arbeit wurde dennoch durch vereinzelte, regionale Überfälle, durch Arbeitsbeschränkungen für ihre Mitglieder und die dauernde propagandistische „Bearbeitung“ stark behindert.
Ein Beispiel für die katholische Jugendbewegung war die Sturmschar, die im Jahr 1929 aus dem Katholischen Jungmännerverband (KJMV) hervorging. Dieser neue Jugendverband wuchs schnell. Im Jahr 1932 gab es das 1. Reichstreffen der Sturmschar. Es fand in Koblenz statt. Anfang 1933 hatte die Sturmschar über 23.000 Mitglieder. Sie nahmen zumeist Führungsaufgaben in den örtlichen katholischen Jungmänner-vereinen wahr.
Höhe- und Wendepunkt der Arbeit der Sturmschar war eine Rom-Wallfahrt mit Papst-Audienz an Ostern 1935. An ihr nahmen 60 Busse (vier aus der Diözese Trier) mit mehr als 1.500 Mitgliedern teil. Auf der Rückreise wurden alle Teilnehmer an der deutsch-schweizerischen Grenze auf Anordnung der Gestapo festgehalten und durchsucht. Fahnen, Zelte und Kluftbestandteile wurden unter dem Vorwurf der „bündischen Umtriebe“ beschlagnahmt. Die Weiterreise wurde ihnen erst nach Protesten aus dem Ausland gestattet.
Diese Romfahrt hatte dann noch Folgen. Mitte Juli 1935 fertigte der Diözesanpräses Johannes Müller darüber einen Bericht und wurde deswegen von der Gestapo verhaftet. Der Sturmscharler Hans Renner, ein Koblenzer, der mittlerweile Diözesanwart in Trier war, machte dessen Verhaftung publik und wurde daraufhin selbst verhaftet. Erst Anfang Dezember 1935 kam Hans Renner frei. Seine Weiterarbeit war nur unter weiteren Schikanen und Behinderungen sowie wiederholten Hausdurchsuchungen und nach vorübergehenden Festnahmen und Verhören möglich. Am 10. November 1937 wurde der Jungmännerverband der Diözese Trier und mit ihm die Sturmschar aufgelöst, eine weitere Tätigkeit verboten und das Vermögen beschlagnahmt. Hans Renner musste seine Tätigkeit als Diözesanwart beenden. Er wurde Buchhalter bei der Firma PLEWA in Speicher und blieb 40 Jahre lang in ihren Diensten. Bis ins hohe Alter war er sehr rüstig. Hans Renner starb im Jahr 2005 in Speicher.
Ein System wie der Nationalsozialismus musste – von seinem totalitären Anspruch her – alles das in den Worten Hitlers „weghämmern“, was nicht in dieses Leitbild des Nationalsozialismus passte. Damit gerieten die Kinder, Jugendlichen und Jugendführer in das Fadenkreuz der Nazis genauso wie die Erwachsenen. Die Nationalsozialisten machten da keinen Unterschied, gaben den Jüngeren keine Schonung wie wir sie – unter ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen - unseren Kindern und Jugendlichen angedeihen lassen. Wie die Erwachsenen wurden auch sie wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung und ihres oppositionellen Verhaltens diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und ermordet.
Ein solches Schicksal haben auch die Geschwister Heinz und Gertrud Kahn erleiden müssen. Heinz und Gertrud waren Kinder des in Hermeskeil praktizierenden Tierarztes Dr. Moritz Kahn und seiner Frau Elise. Sein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und hatte zahlreiche Orden und Auszeichnungen erhalten. Schon bald nach der Machtübernahme der Nazis begannen die Schikanen und Diskriminierungen für die Kahns. 1936 musste Heinz die Schule verlassen, damit sie „judenrein“ wurde. Noch in Hermeskeil war die Familie vom Novemberpogrom, der „Reichspogromnacht“, betroffen. Vater Moritz kam einige Tage ins Gefängnis, dann ließ man ihn aber frei. Sein Haus in Hermeskeil musste er dann unter Wert an die Gemeinde verkaufen.
Im März 1939 zog die Familie Kahn nach Trier. Heinz und seine Schwester Gertrud wurden als Juden dienstverpflichtet und mussten in verschiedenen Betrieben zwangsweise Arbeit verrichten. Am 1. März 1943 wurde die Familie Kahn - Vater Moritz, Mutter Elise, Sohn Heinz und Tochter Gertrud - von Trier aus in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Bei der Selektion auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau wurde Heinz von der Familie getrennt. Zum Abschied sagte sein Vater zu ihm: „Heinz, Du kommst zur Arbeit, Du musst überleben!“ So kam es auch. Zum letzten Mal hatte Heinz seine Familie gesehen. Heinz kam zur Zwangsarbeit nach Auschwitz III – Auschwitz-Monowitz. Aufgrund seiner Geschicklichkeit und Umsicht kam Heinz dann nach Auschwitz II – Auschwitz-Birkenau, dort übertrug man ihm besondere Aufgaben, zeitweise war er Pfleger, Häftlingsschreiber und Lagerläufer. Dadurch hatte er gewisse Privilegien und konnte anderen Häftlingen helfen.
Mitte Januar 1945 wurde Heinz Kahn ins KZ Buchenwald verschleppt. Dort arbeitete er im „Selektionskommando“. Dies musste die Toten u.a. auf Goldzähne untersuchen, sie ihnen entfernen und das Zahngold für die SS sammeln. Nach der Befreiung kehrte er nach Trier zurück. Er wurde erster Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Trier, machte sein Abitur nach, studierte Veterinärmedizin, legte sein Examen ab und promovierte. Mit seiner Frau Inge zog er 1954 nach Polch. Dort leben sie noch heute. Bis vor kurzem betrieb Dr. Kahn dort eine Tierarztpraxis. Seit 1987 ist er Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde von Koblenz. Heinz Kahn steht nicht nur für verfolgte jüdische Jugendliche, sondern auch für den jüdischen Jugendwiderstand. Als Häftlingsschreiber im Krankenbau von Auschwitz-Birkenau rettete er vor seiner Verschleppung im Januar 1945 viele Unterlagen, indem er sie in Marmeladeneimer packte, diese verschweißte und sie dann in Wasserlachen versenkte. Deshalb war er auch Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess vor nunmehr 50 Jahren. Im KZ Buchenwald gehörte Heinz Kahn zu den Mitwissern des Illegalen Internationalen Lagerkomitees und war Beschaffer und Verstecker der einen oder anderen Schusswaffe für die Befreiung des Lagers.
Die Verfolgung und der Widerstand sind – nicht nur bei den Kindern und Jugendlichen – sondern ganz generell in unserem Bewusstsein ein Schicksal der Deutschen. Zu kurz kommt häufig, dass auch sehr viele Ausländer Verfolgung erlitten und Widerstand leisteten. Betrachtet man die Landkarte des damaligen Europas, so muss man feststellen, dass sehr viel mehr Angehörige anderer Staaten Opfer von Verfolgung und Träger von Widerstand waren als die Deutschen. Und diese Feststellung kann man nicht einfach mit dem Argument beiseiteschieben – okay das spielte sich nicht in Deutschland, sondern eben im Ausland ab. So war es auch – aber nicht nur. Denken Sie nur an die vielen ausländischen Zwangsarbeiter, auch hier in Koblenz und Umgebung. Was wissen wir wirklich von ihren Schicksalen, ihrer Verfolgung und ihrem Widerstand? Deshalb möchte ich hier kurz das Schicksal eines jungen Franzosen ansprechen, der Widerstand gegen die deutschen Besatzer geleistet hat und deshalb hier bei uns verfolgt wurde.
Und das ist die Geschichte von Roger Detournay. Roger wurde zurzeit der französischen Besetzung des Rheinlandes nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1926 in Euskirchen geboren. Nach Rückkehr seiner Familie nach Frankreich, lebte er in der Nähe von Chartres und machte eine Ausbildung als Dreher. Bald nach dem Einmarsch Hitler-Deutschlands in Frankreich schloss er sich der französischen Widerstandsbewegung an. Er verteilte Flugblätter, beteiligte sich an Sabotageakten, Attacken auf deutsche Soldaten und half, Brände zu legen. Im Juli wurde Roger festgenommen, kam ins Gefängnis von Chartres. Dort musste er – wie er sagte - ein „Urteil“ unterschreiben, das er für ein Todesurteil hielt. Kurz vor der Befreiung von Paris ging er von dort aus mit anderen französischen Widerstandskämpfern in Viehwaggons „auf Transport“. Man verschleppte ihn ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Dort musste er die toten Häftlinge ins Krematorium bringen, seine Füße waren – wie er sehr eindrucksvoll schilderte - immer voller Blut. Als gerade 18-Jähriger kam er im September 1944 zu einem Sonderkommando und zur Zwangsarbeit in das KZ-Außenlager „Rebstock“ bei Dernau an der Ahr.
In unmittelbarer Nähe des heutigen Rotweinwanderweges an der Ahr existierte dieses Außenlager „Rebstock“ des Konzentrationslagers Buchenwald in der Zeit von Ende August bis Mitte Dezember 1944. Insgesamt etwa 400 Häftlinge verschiedener Nationen wurden von Buchenwald aus in mehreren Transporten nach Dernau verschleppt. Die Häftlinge mussten in einem alten, nicht benutzten Eisenbahntunnel der im Ersten Weltkrieg angelegten, aber nie benutzten Eisenbahnlinie Zwangsarbeit leisten. Ihre Aufgabe bestand darin, elektrische Armaturen für Fahrzeuge und Bodenanlagen für die „Wunderwaffe“ V 2 einzurichten. Untergebracht waren sie unweit des Tunnels und ganz in der Nähe des Dorfes Dernau. Dieser Betrieb hatte zur Tarnung die Firmenbezeichnung „Johannes Gollnow & Sohn“. Die Firma „Johannes Gollnow & Sohn“ hatte ihren Stammsitz ursprünglich in Stettin. Ende 1943 wurde die Firma auch unter einer Postfachnummer in Koblenz geführt.
In einem Tunnel musste Roger Detournay 12 Stunden lang für Hitlers „Wunderwaffe“ V 2 arbeiten. Als die Arbeit im November 1944 eingestellt wird, verfrachtete man ihn und andere KZ-Häftlinge in das KZ-Außenlager Artern in Thüringen. Dort wurde die Zwangsarbeit bis zur Auflösung des Lagers fortgesetzt. Anfang April 1945 trieb das SS-Wachpersonal Roger Detournay und die anderen Häftlinge auf den „Todesmarsch“ in Richtung Tschechoslowakei. Viele starben an Entkräftung oder wurden von der SS „liquidiert“. Roger Detournay überlebte und kehrte nach Frankreich zurück. Auf Einladung unseres Fördervereins besuchte er im Sommer 2005 wieder Dernau, den Ort seiner Verfolgung und der Zwangsarbeit. Wenige Monate später starb Roger Detournay an einer tückischen Krankheit.
Nach diesen Kurzbiografien möchte ich nun – wie anfangs angesprochen – Ihnen einiges über die Burg Stahleck bei Bacharach erzählen, sie gleichsam an den Mittelrhein entführen und Sie feststellen lassen, dass wir damit nah am Thema sind.
Die Burg Stahleck ist sicherlich auch im Trierer Land bekannt – schön gelegen am Mittelrhein, ganz in der Nähe der Pfalz bei Kaub. Man kennt sie vom Vorbeifahren mit dem Zug, vor allem aber vom Schiff her und natürlich als Jugendherberge von Klassenfahrten her, den eigenen und denen der Kinder und vielleicht sogar Enkel. In der NS-Zeit war die Burg Stahleck mehr als eine Jugendherberge.
Die Geschichte der Stahleck geht zurück bis in die 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Das ist aber nicht unsere Zeit. Deshalb machen wir einen Sprung ins 20. Jahrhundert machen. Vor ziemlich genau 100 Jahren erwarb der „Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz“ die Stahleck – sie war damals eine totale Ruine. Mitte der 1920er Jahre errichtete man in dieser Ruine eine Jugendherberge. Dazu wurde die Burg von Schutt befreit und der Wiederaufbau begann. Zunächst entstanden zwei Fachwerkhäuser im Stil des 17. Jahrhunderts. 1927 standen insgesamt 114 Betten auf der Burg zur Verfügung. Schon bald war die Burg Stahleck bei der wandernden Jugend sehr beliebt.
In der Zeit des Nationalsozialismus blieb die Burg Stahleck Jugendherberge – es kam aber auch noch eine weitere Nutzung hinzu. Wie für die deutsche Geschichte überhaupt war auch diese Zeit die dunkelste in ihrer gesamten jahrhundertelangen Geschichte. An der Geschichte der Stahleck von 1933 bis 1945 kann man einen anschaulichen Einblick in „Jugend und Jugendwiderstand“ im Nationalsozialismus bekommen – in zahlreichen Facetten. Exemplarisch deutlich wird an dieser Geschichte, wie die Nazis die Jugend – wie sie es nannten – auf Vordermann brachten, beeinflussten, ausgrenzten, umerzogen, schikanierten und verfolgten.
Der schon einmal zitierte Führer der deutschen Arbeitsfront Robert Ley hat auch dies einmal sehr treffend so beschrieben:
Wer nicht mitmarschieren will in unserer Mitte, dem wollen wir so lange auf die Haxen treten, bis er marschiert. Entweder bleibt er am Wegrand liegen, oder er marschiert mit. In unserer Mitte können wir nur Männer und Frauen dulden, die vorwärts und nicht rückwärts marschieren.
Und dabei kommt noch etwas ganz anderes in den Blick. Verfolgung und Widerstand sind – nicht nur bei den Kindern und Jugendlichen – sondern ganz generell in unserem Bewusstsein ein Schicksal der Deutschen. Zu kurz kommt häufig, dass auch sehr viele Ausländer Verfolgung erlitten und Widerstand leisteten. Betrachtet man die Landkarte des damaligen Europas, so muss man feststellen, dass sehr viel mehr Angehörige anderer Staaten Opfer von Verfolgung und Träger von Widerstand waren als die Deutschen. Und diese Feststellung kann man nicht einfach mit dem Argument beiseiteschieben – okay das spielte sich nicht in Deutschland, sondern eben im Ausland ab. So war es auch – aber nicht nur. Denken Sie nur an die vielen ausländischen Zwangsarbeiter, auch hier in Trier und Umgebung. Was wissen wir wirklich von ihren Schicksalen, ihrer Verfolgung und ihrem Widerstand? Doch nun zur Stahleck.
Die NS-Geschichte der Stahleck begann schon bald nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933. Im März und April 1933 waren etwa 45 Saarländer zu einem landwirtschaftlichen Lehrgang auf die Stahleck beordert worden. Ziel war deren Indoktrination im Sinne der Nazis. Damals gehörte das Saargebiet allerdings noch nicht zum Deutschen Reich – was die Nazis aber von der Indoktrination nicht abhielt.
Noch im selben Jahr machten Schulklassen vor dem Abitur ihre Abschlussfahrten auf die Stahleck. Dabei wurde ihnen außer Heimatgeschichte auch nationalpolitische Erziehung vermittelt. Anfang 1934 gab es schon zweiwöchige nationalsozialistische Schulungskurse.
Schon bald nach dem Überfall Hitlers auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 änderte sich die Nutzung der Burg. Ab 1940 wurde sie auch „Umerziehungslager“. Das musste zunächst die männliche Jugend von Luxemburg erfahren. Am 10. Mai 1940 hatte Hitler-Deutschland im sog. Westfeldzug Luxemburg, Belgien und Holland überfallen. Erklärtes Ziel des Chefs der Zivilverwaltung Gustav Simon war es, Luxemburg in „kürzester Zeit dem deutschen Volkstum wieder zurück zu gewinnen“.
Die erste „Umerziehungsaktion“ galt im November 1940 212 luxemburgischen Studenten aus dem ganzen Gebiet des damaligen Deutschen Reiches, die vor Kriegsbeginn ein Studium in Deutschland begonnen hatten. Sie wurden auf die Burg Stahleck beordert, damit sie dort für die nationalsozialistische Politik und die Kriegsführung begeistert würden. Die Studenten wollten sich dem Zwang der Nazis nicht beugen und wehrten sich in der „Umerziehung“ mit Geschrei und Gebrüll. Hierzu meinte der NS-Gaupropagandaleiter nur kühl, der Nationalsozialismus nehme den angebotenen Kampf auf und werde die deutschfeindlichen Elemente rücksichtslos vernichten.
Im Sommer 1942 eskalierte die Situation mit der Jugend Luxemburgs – und zwar mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Luxemburg. Die Zwangsrekrutierten erlangten die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch durch den Eintritt in die deutsche Wehrmacht. Die Wehrpflicht war also nicht die Folge der Staatsangehörigkeit, sondern deren Voraussetzung. Das war eine zwangsweise Eingliederung in eine fremde Wehrmacht, die das Völkerrecht verbietet.
Das provozierte in den darauffolgenden Tagen Ende August/Anfang September 1942 eine Reihe von Streikaktionen in verschiedenen Ortschaften. Geschäftsleute schlossen ihre Läden, Lehrer und Beamte weigerten sich, ihren Dienst anzutreten, Schülern ließen sich nicht unterrichten, in der Schwerindustrie verließen Arbeiter ihren Arbeitsplatz, Bauern lieferten keine Milch ab. Diese Aktionen hatten mehr symbolischen Charakter. Sie dauerten nur einige Stunden an und hatten keine nachhaltige, schon gar keine zerstörerische Wirkung.
Als Reaktion darauf richtete Simon ein polizeiliches Standgericht ein. Dieses verurteilte sofort und in nächtlichen Sitzungen in Luxemburg-Stadt 20 Protestler zum Tode. Die Urteile waren sofort rechtskräftig – es gab kein Rechtsmittel dagegen. Simon als Chef der Zivilverwaltung bestätigte nur noch die Todesurteile. Die Vollstreckung aller 20 Urteile fand meist schon am ersten Tag nach der Verurteilung im SS-Sonderlager/KZ Hinzert statt.
Die an dem Streik beteiligten Schülerinnen und Schüler wurden verschleppt. Die Mädchen brachte man in die Jugendherberge nach Adenau. Die Jungen – es waren 183 Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren - kamen auf die Burg Stahleck. Das war die Strafe dafür, dass sie gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für Luxemburger am 30. August 1942 protestiert hatten.
Die Eltern der Schüler erhielten von der NSDAP-Hitler-Jugend – Befehlsstelle Luxemburg“ ein hektographiertes Schreiben, in dem es unter dem Betreff „Inhaftierung Ihres Sohnes …. wegen Teilnahme an einem Schulstreik u.a. hieß:
Ihr Sohn … hat, trotzdem ihm die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Einrichtung eines Standgerichts bekannt war(en), an einem Schulstreik teilgenommen und durch sein Verhalten die anderen Schüler zum Mitstreik zu veranlassen versucht. Ihr Sohn ist aus diesem Grunde in Haft genommen worden.
Dieser Vorfall hat bewiesen, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihren Sohn im volksdeutschen Sinne zu erziehen. Der Gauleiter hat Ihnen aus diesem Grunde die Erziehungsberechtigung über Ihren Sohn entzogen und der Hitler-Jugend übertragen. Ihr Sohn wurde heute einem Erziehungslager der Hitler-Jugend im Reich zugewiesen. Die Dauer des Aufenthalts hängt im Wesentlichen von dem Verhalten Ihres Sohnes ab.
Wie das damals für die Luxemburger Schüler auf der Burg Stahleck war, beschrieb später Lucien Olinger so:
Wir waren ja heranwachsende Jugendliche. Das war demütigende Schikane. Es waren Erniedrigungen, es waren permanente Drohungen, es war eine Entwürdigung ohnegleichen, Angst, Peinigungen, Spott, Verachtung, ständiger Hunger als heranwachsende Jugendliche, Entkräftung, Erschöpfung mit einem allmählichen körperlichen Verfall. Diese Ungewissheit, dass unsere Eltern nicht wussten, wo wir uns befinden. All dies hat uns als Internierte wirklich tief getroffen. Wir waren erbarmungslos ausgeliefert an unsere Schinder, die in stundenlangen Appellen, in Exerzierübungen mit einem sadistischen Vergnügen ohnegleichen diese aufmüpfigen Luxemburger mürbe machen würden.
Einen Monat später wurden die den betreffenden Jahrgängen angehörenden Schüler zur deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert. Die anderen Jugendlichen blieben bis Dezember 1942 auf der Burg Stahleck. Dann wurden sie zu ihren Familien nach Luxemburg entlassen.
Nur einige Monate später – am 5. Juni 1943 – wurde auf der Burg Stahleck ein „Jugenddienstlager“ eingerichtet. Dazu hieß es in einer Anordnung des HJ-Führers für das Gebiet Moselland:
Aufgrund der verschiedenen kriegsbedingten Erziehungsschwierigkeiten, die sich innerhalb und außerhalb des HJ-Dienstes sowie in den Betrieben bemerkbar gemacht haben, hat der Obergebietsleiter für das Gebiet Moselland eine besondere Erziehungsverschickung angeordnet.
In Zukunft sollen erziehungsgefährdete männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren in drei- bis sechswöchentlichen Lehrgängen im Jugenddienstlager auf Burg Stahleck in einer harten Erziehung, die in erster Linie durch anstrengende körperliche Arbeiten und wehrsportliche Ertüchtigung erreicht werden soll, nachhaltig zu Zucht und Ordnung angehalten werden. (…)
Vorerst ist nach folgenden Grundsätzen bei der Einberufung nach Stahleck zu verfahren:
Zur Aufnahme in Burg Stahleck sind zunächst A r b e i t s b u m m l e r bestimmt, also Jugendliche, deren Ordnungsempfinden nur in Bezug auf pflichtgemäße Erfüllung der Arbeit gestört ist. Ferner solche Jugendliche, die wegen n a c h h a l t i g e r D i e n s t v e r s ä u m n i s s e innerhalb der Hitler-Jugend oder der Berufsschule sowie wegen n a c h h a l t i g e r V e r s t ö ß e gegen die Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend auffällig geworden sind.
Es werden nur solche Jugendliche nach Stahleck einberufen, auf die durch leichtere erzieherische Maßnahmen, wie z.B. Verweise, Wochenendarrest oder sonstige Ordnungsstrafen, vergeblich eingewirkt worden ist.
Ausgeschlossen von der Aufnahme in das Lager sind Jugendliche, die aufgrund ihrer Verfehlungen eine b e s o n d e r e kriminelle Veranlagung oder bereits eine Verwahrlosung erkennen lassen und somit durch die Art ihrer Verfehlungen nur der Strafverfolgung unterliegen oder in Fürsorgeerziehung zu bringen sind.
Diese Zwangserziehung mit Freiheitsberaubung und Schikanierungen nannten die Nazis „Lehrgänge“. Nach fünf Monaten hatten 236 Jugendliche solche „Lehrgänge“ durchlaufen. Zum Teil waren sie von der Arbeitsverwaltung, sog. Reichstreuhänder der Arbeit, von dem HJ-Bannführung gemeldet worden, darunter waren aber auch straffällig gewordene Jugendliche und solche, die wegen kleiner Verfehlungen (Ordnungswidrigkeiten) aufgefallen waren, einige wurden gar auf den Antrag ihrer Eltern eingewiesen. Mit den Ergebnissen waren die Nazis ganz zufrieden. Es hieß:
Die bisherigen erzieherischen Erfahrungen können als günstig bezeichnet werden. Ein Jugendlicher musste wegen völligen Versagens im Lager der vorläufigen Fürsorgeerziehung überwiesen werden. Im Übrigen ist nach Abschluss der für die einzelnen Teilnehmer bestimmten Lagerzeit eine laufende Überwachung durch die zuständigen Stellen, die die Einweisung beantragt haben, gewährleistet.
Während dieser Zeit – im Spätsommer und Herbst 1943 – kamen außerhalb dieser „Lehrgänge“ auch sechs junge Schüler aus der Pellenz, aus der zwischen Andernach und Mayen gelegenen Osteifel, auf die Burg Stahleck. Sie nannten sich Michaeltruppe und waren eine Gruppe von widerständigen katholischen Jungen, die für ihr Alter und die hiesigen Verhältnisse ungewöhnlich militant waren.
Die Anführer der Michaeltruppe waren Willi Lohner aus Niedermendig und sein Freund Hans-Clemens Weiler aus Kruft. Beide waren zunächst vom Nationalsozialismus ein bisschen – sagen wir – begeistert, brachte er doch Schwung, schmissige Musik und auch Aufbruchstimmung mit. Schon bald vollzog sich bei den beiden aber ein Bewusstseinswandel. Sie erschreckte der Kirchenkampf des NS-Regimes und sie erlebten, wie Priester wegen ihres Glaubens mundtot und auch ins KZ verschleppt wurden.
Da gründeten sie – gerade einmal 16 bzw. 15 Jahre alt - im November 1942 eine Organisation, die sie Michaeltruppe nannten – benannt nach dem Erzengel Michael, dem Schutzpatron der Deutschen. Beim Eintritt in die Truppe mussten die Mitglieder eine Erklärung unterschreiben, in der es hieß:
Ich gelobe bei Gott und meiner Ehre, dass ich hiermit in die Michaeltruppe eintrete und ein treues Mitglied bleiben will. Ich weiß, welche schweren Strafen bei Verrat auf mich fallen werden.
Ihr Erkennungszeichen war eine Plakette aus Metall, auf der der Heilige Michael abgebildet war. Das war nötig, weil die Gruppe so konspirativ arbeitete und mit 50 bis 60 jungen Leuten so groß war, dass man sich untereinander ausweisen musste. Zentrum des Widerstandes war Kruft, dort lebten die meisten Jugendlichen. Als Treffpunkt diente eine örtliche Kapelle.
Nachts verteilte die Gruppe die Hirtenbriefe des Münsteraner Bischofs Clemens August von Galen. Darin verurteilte der Bischof die Tötung sog. lebensunwerten Lebens. Auch sammelte die Gruppe Informationen über Konzentrationslager sowie über Repressalien gegen Kirche und Klerus.
Willi Lohner leitete die Gruppe als „Bezirkskommandant“, Hans-Clemens Weiler war sein Stellvertreter und „Kreiskommandant“. Die anderen Mitglieder nannten sich „Kämpfer“. Das klang nicht nur sehr militant, sondern war es auch unter den damaligen Bedingungen. Die Gruppe baute eine Art Spionagering auf. Man sammelte Informationen über militärische Anlagen (z. B. über den Flugplatz Niedermendig oder über Waffenlager). Willi Lohner besorgte Sprengstoff und Handfeuerwaffen und legte ein Waffenversteck an.
Ziel und Zweck der Gruppe beschrieb Hans-Clemens Weiler so:
In Deutschland besteht die Gefahr der Verfolgung der Katholiken. In erheblichem Maße werden Klöster beschlagnahmt und geschlossen. Zur Stabilisierung des katholischen Glaubens ist (die Michaeltruppe) gegründet worden. Es muss dafür gesorgt werden, dass der katholischen Kirche nach dem Kriege die beschlagnahmten Klöster zurückgegeben werden. Die Mitglieder sollen versuchen, in den Besitz von Waffen zu gelangen, denn nach dem Kriege müssen wir dafür sorgen, dass die der katholischen Kirche beschlagnahmten Güter zurückgegeben werden. Wenn es dann zum Kampf kommt, stehen die Vereinsmitglieder wenigstens nicht ohne Waffen da.
Die Michaeltruppe ging sehr vorsichtig vor, trotzdem entdeckte sie die Gestapo im August 1943. Willi Lohner, Hans-Clemens Weiler und vier weitere Mitglieder der Truppe wurden verhaftet und verhört. Danach brachte man die sechs Jungen in die Jugendarrestanstalt Neuwied. Am 7. September 1943 wurden Willi, Hans-Clemens und die vier weiteren Mitglieder der Michaeltruppe von der Koblenzer Gestapo auf die Burg Stahleck gebracht.
Später berichtete Hans-Clemens Weiler über seine Haft und die Willi Lohners auf der Burg Stahleck u.a. folgendes:
(Am 7. September) 1943 brachte uns ein Gestapobeamter zum Jugenddienstlager Stahleck. Es war ein verschärftes Wehrertüchtigungslager zum Zwecke der Erziehung von Jugendlichen, die sich irgendwelcher Vergehen, besonders Beleidigungen von NS-Führern, Versäumung des HJ-Dienstes usw. schuldig gemacht hatten. (Der Beamte) ordnete unsere „Aufbewahrung“ in Einzelzellen bei Arrestverpflegung an. Da aber nur zwei Arrestzellen vorhanden waren, wurden Lohner und ich in diese gesperrt. Die anderen vier Kameraden aber wurden bei den übrigen Lagerinsassen untergebracht. Am folgenden Morgen Verhör durch Lagerführer Struth. Nachdem er sich ein Bild gemacht hatte, sagte er (fast wörtlich): „Du weißt wohl, dass das Hochverrat ist. Du weißt auch wohl, dass so was den Kopf kostet. Euer Kopf sitzt locker. Wenn Euch noch etwas retten kann, dann ist das Eure Jugend. Ich will versuchen, was sich machen lässt, wenn Ihr natürlich Eure Gesinnung innerlich ändert. Hunger ist zwar der beste Lehrmeister, um gerade junge Menschen wie Euch die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Die Gestapo hat mir aufgetragen, Euch bei Wasser und Brot zu halten, dort oben im Turm aber will ich Euch herauslassen, Ihr sollt mit den anderen arbeiten. Nur abends kommt Ihr (in die Arrestzellen).
Anfang Oktober wurden vier Mitglieder der Michaeltruppe als „Mitläufer“ aus der Haft auf der Stahleck entlassen. Willi Lohner und Hans-Clemens Weiler blieben dort. Zwei Monate später brachte man sie mit einem Nachtschnellzug nach Göttingen und verschleppte sie in das „Jugendschutzlager Moringen“. Dort mussten sie in einem Salzbergwerk Munition herstellen. Hans-Clemens zog sich dabei eine Tuberkulose zu, von der er sich nie mehr richtig erholte. Er starb 1974.
Dem Anführer der Michaeltruppe Willi Lohner war ein anderes Schicksal beschieden. Er ließ sich durch all die Schikanen, Erniedrigungen, die schwere Arbeit nicht von seinem Lebensziel abbringen. Kaum war er befreit und kaum waren die Schulen nach dem Krieg wiedereröffnet, machte er da weiter, wo er wegen der Verfolgung der Nazis hatte aufhören müssen. Er setzte sich wieder auf die Schulbank und machte im Jahr 1946 am Gymnasium in Mayen sein Abitur nach. Im Anschluss daran studierte er Musik und Germanistik und wurde Schauspieler. Er zog nach Hamburg und gründete dort eine Familie. 1955 rief er ein eigenes Tournee-Theater in Leben, das „Ensemble Wilhelm Lohner“. Hier sehen Sie ein Szenenbild mit Willi Lohner aus dem Theaterstück „Gottes Utopia“ von Stefan Andres. Stefan Andres ist – was nicht unerwähnt bleiben soll – in Trittenheim an der Mosel geboren.
Im Jahr 2004/05 hatte ich persönlichen Kontakt zu Willi Lohner. Dadurch war es mir möglich, von ihm noch manche Informationen sowie auch das eine oder andere Foto zu erhalten. Im Jahr 2007 starb Willi Lohner in Hamburg – heute vor fast genau sieben Jahren, am 27. Januar, dem nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Damit bin ich am Ende meines Vortrages.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Anhang:
Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936
Von der Jugend hängt die Zukunft des deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muss deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden.
Die Reichsregierung hat daher das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:
§ 1
Die gesamte deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebiets ist in der Hitlerjugend zusammengefasst.
§ 2
Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.
§ 3
Die Aufgabe der Erziehung der gesamten deutschen Jugend in der Hitlerjugend wird dem Reichsjugendführer der NSDAP übertragen. Er ist damit „Jugendführer des Deutschen Reiches“. Er hat die Stellung einer Obersten Reichsbehörde mit dem Sitz in Berlin und ist dem Führer und Reichskanzler unmittelbar unterstellt.
§ 4
Die zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften erlässt der Führer und Reichskanzler.
Hierüber berichtete die Rhein-Zeitung - Ausgabe Koblenz - am 3. Februar 2014.( HIER lesen.)
Des Weiteren wurde die Ausstellung ergänzt durch ein Zeitzeugengespräch mit Werner Appel „Jüdisches Leben und Überleben in Koblenz 1933-1945“ am 6. Februar 2014, ebenfalls im Bischöflichen Cusanus-Gymnasium.
Zeitzeuge Werner Appel (Mitte) im Gespräch mit unserem stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig (links),
rechts der Vertreter der Schulleitung des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums.
Einen Bericht der Rhein-Zeitung vom 8. Februar 2014 HIER lesen