Foto: Holger Weinandt (Koblenz, Germany) 12.07.2011  Lizenz cc-by-sa-3.0-de

Die Vorabend-Veranstaltung am 26. Januar im Historischen Rathaussaal

Die Veranstaltungen begannen am 26. Januar mit einem Gespräch und einer Lesung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz in Kooperation mit dem Kultur- und Schulverwaltungsamt Koblenz und unserem Förderverein im Historischen Rathaussaal. Unter dem Motto „Sie waren eine Mauer um uns gewesen.“ diskutierte ein hochrangig besetzter Kreis von Kirchenhistorikern, Pfarrern und Autoren über den dänischen Pfarrer Kaj Munk und die Rettung der dänischen Juden vor den deutschen Besatzern im Oktober 1943.

Nach der Begrüßung durch die Kulturdezernentin Dr. Margit Theis-Scholz stellte der inzwischen emeritierte Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde Johannes Meier die Diskutanten vor und führte in das Thema des Abends ein: den Pfarrer, Publizisten und Übersetzer der Arbeiten von Kaj Munk Paul Gerhard Schoenborn, Professor Per Ohrgaard, dänischer Germanist, Sprachhistoriker und Übersetzer, den emeritierten Professor für deutsche Sprache und ältere Literatur Uwe Pörksen und den Pfarrer und Schriftsteller Christian Hartung aus Kirchberg/Hunsrück. Aus Briefen und Werken Kaj Munks las der Schauspieler Reinhard Riecke vom Theater Koblenz.

V.l.n.r.: Pfarrer Paul Gerhard Schoenborn, Pfarrer Christian Hartung, Prof. Dr. Johannes Meier, Prof. Per Ohrgaard,
Prof. Dr. Uwe Pörksen und am Stehpult: Schauspieler Reinhard Riecke.

In dem Gespräch ging es zunächst um den dänischen Pfarrer Kaj Munk und dessen Kampf gegen Hitler und die NS-Ideologie. Dazu rezitierte der Schauspieler Riecke den „Schmelztiegel“, ein in Dänemark sehr bekanntes Lied aus dem 19. Jahrhundert. Dessen Titel hatte Munk für sein Theaterstück Han sidder ved Smeltediglen („Er sitzt am Schmelztiegel“) übernommen. Das im Jahr 1938 geschriebene Drama thematisierte die Verfolgung der Juden im Dritten Reich und rechnete mit dem vergeblichen Versuch einiger deutscher NS-Wissenschaftler ab, den Juden Jesus zum Arier zu machen. Wegen seines kritischen Inhalts konnte es nicht offiziell in Dänemark uraufgeführt werden. Erst nach der Präsentation in Norwegen wurde es auch in Provinzstädten Dänemark gezeigt, bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sahen mehr als 160.000 Zuschauer dieses Schauspiel.

Kaj Munk (Quelle: Wikipedia)

 Wie die Diskutanten deutlich machten, bezog Munk auch auf anderen Wegen klipp und klar Stellung gegen die antijüdische Politik der Nazis. So veröffentlichte er eine Woche nach den Novemberpogromen am 9./10. November 1938 in einer dänischen Zeitung einen offenen Brief an den italienischen Diktator Mussolini. Darin beschwor er den Verbündeten Hitlers, diesen von den Judenverfolgungen abzubringen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Musks Haltung und Äußerungen immer schärfer. Schauspieler Riecke las aus einem Briefwechsel zwischen einer Studentin und Munk vor, in dem dieser auf die Verantwortung der Christen für die Juden nachdrücklich hinwies und sie rhetorisch(?) aufforderte, eine Waffe in die Hand zu nehmen und zu lernen, in Christi Namen zu töten. Auch in Munks Predigten aus diesen Jahren fanden sich unmissverständliche Aufrufe zum Widerstand.

Im zweiten Teil des Gesprächs ging es um die Rettung der dänischen Juden. Dabei ergab sich eine durchaus differenzierte Betrachtung dieser Aktionen. Während die deutschen Diskutanten die Evakuierung der dänischen Juden als eine einmalige Großtat der dänischen Bevölkerung und staatlicher Stellen hervorhoben, verwies der dänische Gesprächspartner Ohrgaard auch auf die besonderen Umstände vor Ort, die die Rettung begünstigten: So war die Zahl der dänischen Juden relativ klein, auch waren es viele einheimische, alteingesessene Juden, die zudem ganz überwiegend in der Hauptstadt Kopenhagen lebten. Zugleich war die Stimmung in Dänemark gegenüber den Deutschen aus der Geschichte heraus sehr „reserviert“, überdies reagierte die überwiegende Mehrheit entsetzt auf die Rassenideologie und den Antisemitismus der Nazis. Kurz vor der Rettungsaktion hatten noch die dänischen Bischöfe in einer Erklärung eindeutig gegen die Judenverfolgung Stellung genommen. Zudem hatte der Reichsbevollmächtigte für Dänemark, Dr. Werner Best, ein Interesse, die Dänen nicht (weiter) gegen die deutsche Besatzung aufzubringen, wurde Dänemark doch als wichtiger Lieferant für landwirtschaftliche Produkte benötigt. Schließlich war die Evakuierung der danischen Juden ohne sehr großen logistischen Aufwand zu organisieren, da das neutrale Schwedenals Nachbarland recht gut erreichbar war.

Rettung der dänischen Juden (Quelle: Wikipedia)

Die dänischen Juden, es waren etwa 7.000, konnten dann in den ersten Tagen des Oktober 1943 mit Schiffen das dänische Festland verlassen und gelangten alsbald nach Schweden. Durch diese Rettungsaktion fielen nur vergleichsweise wenige Juden, vor allem solche mit nichtdänischer Staatsangehörigkeit, in die Hände der deutschen Besatzer. Sie wurden dann in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.

 Wie die Zuhörer noch erfahren mussten, war Kaj Munk wenig später ein Opfer der SS. Anfang Januar 1944 wurde er von einem SS-Kommando in seinem Pfarrhaus verhaftet und auf Anordnung von Heinrich Himmler erschossen. Die Beisetzung von Kaj Munk wenige Tage später geschah unter großer öffentlicher Anteilnahme.

 

Die Veranstaltungen am 27. Januar

Informationsbesuch des Kultusministers Prof. Konrad Wolf

Der Gedenktag begann mit einem Gespräch und Rundgang des rheinland-pfälzischen Ministers für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Prof. Dr. Konrad Wolf, mit dem er sich über die Gedenkarbeit in Koblenz informierte. Auf seine Einladung hin trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Stadt und der in der Gedenkarbeit in Koblenz engagierten Vereine sowie die Landtagsabgeordnete Anna Köbberling zu einem kleinen Rundgang. Er begann an den in der Schlossstraße 1 liegenden Stolpersteinen, die dort für in der ehemaligen jüdischen Kinderklinik Dr. Reich zur Welt gekommene jüdische Kinder und den Schwiegervater von Dr. Reich Karl Lichtenstein verlegt sind. Dort erläuterte der Organisator der Verlegung, Hans-Peter Kreutz von der Christlich-Jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, die Vorgehensweise bei den inzwischen 111 Steine sowie deren Sinn und Bedeutung für die Gedenkarbeit. Minister Wolf ließ es sich dabei nicht nehmen, beim Putzen der Steine selbst Hand anzulegen, und sich damit gleichsam vor den Opfern des Naziterrors zu verneigen.

 

Beim Putzen der „Stolpersteine“ in der Schloßstraße 1: Minister Prof. Dr. Konrad Wolf und Hans-Peter Kreutz (v.l.n.r.)

An dem für den Kommunisten Richard Christ in der Neustadt 23 verlegten Stolperstein ergänzte der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig, dass die Stolpersteine auch für Opfer anderer verfolgter Gruppen und Minderheiten verlegt werden. Dabei sind die Steine ein Anstoß zu einer weitergehenden Beschäftigung mit der Biografie der Opfer, wie sie vor allem durch die Lebensbilder auf der Homepage des Fördervereins Mahnmal Koblenz möglich ist.

HIER der Link zur Biografie von Richard Christ

Abschließend erwies Minister Wolf noch seine Referenz dem jüdischen Ehepaar Dr. Eugen und Käthe Stern, die in der Kastorpfaffenstraße 3 eine Arztpraxis betrieben hatten. Dr. Stern war nicht nur ein sehr beliebter Mediziner, sondern auch ein großer Karnevalist, Mitglied des Elferrats und viel beklatschter Aktivist in der Bütt. Eugen Stern floh nach Belgien, dort verliert sich 1944 seine Spur, Käthe Stern kam im Frühjahr 1943 in Auschwitz ums Leben. Mit Blick auf diese und die Schicksale anderer Koblenzer NS-Opfer dankten die Kulturdezernentin Dr. Margit Theis-Scholz und die Vorsitzende des Freundschaftskreises Koblenz-Petah Tikva Hilde Arens im Namen aller Herrn Minister Wolf für sein Interesse an der Gedenkarbeit in Koblenz.

Blick aktuell – Ausgabe Koblenz - Nr. 5 vom 1. Februar 2018, Seite 5 HIER lesen

Plenarsitzung des Landtags von Rheinland-Pfalz

Eine besondere Bedeutung und Aufmerksamkeit erhielten die Veranstaltungen zum 27. Januar durch die Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz. Im Foyer des Neuen Justizzentrums (NJZ) kamen die Mitglieder des Landtages, der Landesregierung und geladene Gäste zusammen zu einem eindrucksvollen Erinnern an die NS-Opfer und einem vehementen Bekenntnis für die Demokratie und den Rechtsstaat.

Die Redner in der Plenarsitzung des Landtages: Prof. Dr. Michael Stolleis, Landtagspräsident Hendrik Hering
und Stellvertretender Ministerpräsident Volker Wissing (v.l.n.r.)

Landtagspräsident Hendrik Hering begrüßte die Versammlung mit einem Blick auf die Geschichte des „Altbaus“ des NJZ am Deinhardplatz und seiner früheren Bewohner. Er erinnerte an das damalige Haus Landau in der Neustadt 4 am heutigen Deinhardplatz und an den mit seiner Familie dort lebenden Amtsgerichtsrat Dr. Edwin Landau, einem sehr angesehenen Koblenzer Bürger und Förderer der Musik. Diskriminiert und resigniert verließen sie Mitte der 1930er Jahre Koblenz, Vor der „nach dem Osten“ drohenden Deportation fanden sie den Tod. Heute erinnern zwei Stolpersteine am Deinhardplatz 4 an Edwin Landau und seine Ehefrau Julie.

HIER Presseartikel lesen

Sodann sprach Landtagspräsident Hering über die bis heute andauernde Geschichte der Schuldverdrängung und Schuldbewältigung. Selbst Jurist, erinnerte er an die Schuld vieler Juristen in der NS-Zeit und die misslungene juristische Aufarbeitung dieser Schuld, vor allem an die verheerende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Strafbarkeit von NS-Richtern selbst bei Todesurteilen nur beim Vorliegen einer Rechtsbeugung. Besonders erwähnte er das sog. Huppenkothen-Urteil, mit dem der BGH den SS-Standartenführer Walter Huppenkothen, den mutmaßlichen Massenmörder an 60.000 bis 80.000 Polen im Frühjahr 1940, wegen seiner Todesurteile für Widerstandskämpfer als Vorsitzendem eines Standgerichts im April 1945 zu nur sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilte. Im selben Jahr, 1956, hatte der BGH Sinti eine Entschädigung für erlittene Verfolgung mit sehr krassen, rassistischen und menschenverachtenden Worten versagt ("Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist." – so der BGH). Hering zitierte auch den Titel des Buches des deutschen Journalisten und Schriftstellers Ralph Giordano „Die Zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein“ (1967). Dann schilderte er, wie quälend lange es dauerte, bis die Justiz und die Parlamente die Aufarbeitung offensiv angingen, erwähnte die Initiative des damaligen Justizministers Peter Caesar, der Forschungsprojekte initiierte und für die Aufhebung aller von Sondergerichten auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz verhängter Todesurteile sorgte. Erst im Jahr 2002 kam es – wie Hering weiter ausführte – zur generellen Rehabilitation bisher vergessener NS-Opfer wie der Deserteuren und Wehrdienstverweigerer.

Das Land selbst lobend – dies aber auch zu recht – stellte Hering die inzwischen in Rheinland-Pfalz entstandene Erinnerungskultur als eine große Errungenschaft dar. Der Landtagspräsident dankte allen Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, die in den letzten Jahrzehnten in steigendem Maße die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und an den Verbrechen der Nazis wach gehalten haben. Insbesondere hob er das Engagement der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz hervor. Landtagspräsident Hering schloss mit den Worten: „Wenn Menschen heute in Deutschland sagen, es reicht mit der Erinnerungskultur, dann können wir sicher sein, dass wir noch nicht genug getan haben.“

Die Gedenkrede hielt der inzwischen emeritierte Professor für Öffentliches Recht, neuere Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und frühere Direktor des dortigen Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Michael Stolleis. Stolleis, der sich als in Ludwigshafen geborener und in Neustadt/Weinstraße zur Schule gegangener Rheinland-Pfälzer vorstellte, schloss an die Ausführungen von Landtagspräsident Hering an, ergänzte, vertiefte, internationalisierte und aktualisierte sie noch. Auch er blickte auf die zunächst misslungene Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zurück, sprach von Verdrängungen, Vertuschungen und Lähmungen und von Entschädigungen, die für Zwangsarbeiter, Homosexuelle und andere Opfergruppen zu spät kamen. Andererseits hob er aber auch hervor, dass Deutschland mit seiner zwischenzeitlich geschaffenen Erinnerungskultur und seinem offenen und schmerzlichen Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus ein Vorbild für andere Länder und dortige Initiativen zu deren Vergangenheitsbewältigung ist. Wie nötig dieses Vorbild und die Lehren aus dem Nationalsozialismus sind, machte Stolleis deutlich mit dem Hinweis auf zahlreiche autokratische Regierungen weltweit, die dabei sind, die Demokratie und den Rechtsstaat abzuschaffen und sich die Justiz abhängig zu machen.

Ausgehend von dem sich vor allem seit der Französischen Revolution ausbildenden Begriff des Rechtsstaats als eines Staates, bei dem das Handeln von Regierung und Verwaltung durch geltende Gesetze beschränkt und gelenkt und damit staatlicher Willkür vorgebeugt wird (formeller Rechtsstaat), beschrieb Stolleis, die Transformation der Weimarer Republik in den Unrechtsstaat Hitler und seiner Helfer. Dabei rekurrierte er auf die schon Anfang der 1940er Jahre von Ernst Fraenkel vorgenommene Analyse, dass der Staat Hitlers ein Doppelstaat war. Das nationalsozialistische Herrschaftssystem bestand – so Fraenkel - aus zwei großen Bereichen: dem „Normenstaat“ und dem „Maßnahmenstaat“. Normenstaat war das Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet war, wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck gelangten. Maßnahmenstaat war für ihn das Herrschaftssystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt war. Im Normenstaat galten alte und neue Vorschriften in dem Umfang, wie es zur Funktionsfähigkeit des auf Berechenbarkeit angelegten, im Prinzip weiter privatkapitalistisch strukturierten Wirtschaftssystems erforderlich war. Im Maßnahmenstaat handelten die nationalsozialistischen Funktionsträger unabhängig von allen formalen Regeln und inhaltlichen Gerechtigkeitsvorstellungen so, wie es ihnen zur Erhaltung ihrer Macht und zur Durchsetzung ihrer spezifischen politischen Ziele – z. B. der Judenverfolgung – zweckmäßig erschien. Normenstaat und Maßnahmenstaat waren keine komplementären Gewalten, sondern konkurrierende Herrschaftssysteme. Die gesamte Rechtsordnung stand zur Disposition des Maßnahmenstaates. Es gab keine Materie, die der Maßnahmenstaat nicht hätte an sich ziehen können. Es gab also – wie Stolleis referierte - mehrere Wirklichkeiten.

Sodann befasste sich Stolleis mit den Juristen, ohne die – wie er sagte – ein Rechtsstaat nicht zu haben ist. Dabei ging er auch die Sozialisation der Juristen durch Schule, Studium und Ausbildung ein und das Einschwören auf die „herrschende Meinung“. Dies ist zwar nicht generell anstößig, aber ein großes Problem in einer Diktatur. So können – wie er ausführte – aus rechtstreuen Juristen „furchtbare“ Juristen werden – dann, wenn zu der Professionalisierung der Juristen ihre Politisierung in der Diktatur hinzukommt.

Vor diesem Hintergrund mahnte Prof. Stolleis zum beständigen Eintreten für den Rechtsstaat. Er zitierte das Wort Blaise Pascals: „Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur, aber er ist ein denkendes Schilfrohr“ und appellierte an den Zusammenhalt Europas. Europa ist gerade auch eine Wertegemeinschaft, die die Grund- und Menschenrechte und die Prinzipen des Rechtsstaats hochhält, hochhalten muss. Dabei ist der Rechtsstaat ein zerbrechliches, immer wieder zu schaffendes Gut, er ist immer wieder herzustellen. Das gilt auch – so Stolleis – für jeden von uns.

Abschließend sprach der stellvertretende Ministerpräsident Volker Wissing in Vertretung der bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin weilenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Auch Minister Wissing blickte in die Geschichte zurück, an die „kalte“ Justiz, in der die Diktatur von Anfang an viele, viel zu viele Unterstützer und Helfer fand. Exemplarisch erinnerte er an den „Rütli-Schwur“ auf dem Deutschen Juristentag in Leipzig. Dort vor dem Reichsgericht schworen schon im Oktober 1933 mehr als 12.000 Juristen Hitler ewige Treue bis in den Tod. Von dieser höchst beschämenden Massenveranstaltung willfähriger Juristen lenkte Wissung den Blick auf die Opfer, da man – wie er sagte – das Ausmaß und die Schwere der Geschehnisse in der NS-Zeit, die Diskriminierung, Verfolgung und Verbrechen, erst an den Opfern erkennt. Diesen ihre Würde, ja ihren Namen zurückzugeben, ist die Aufgabe auch unserer heutigen Generation. Ausdrücklich dankte Wissing all denen, die sich für das Gedenken an die Verfolgten des NS-Regimes stark machten. Nötig ist – so Wissing weiter – ein Erinnern für die Zukunft. Deshalb dürfen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Wir alle sind – so der abschließende Appell des stellvertretenden Ministerpräsidenten Wissing – aufgerufen, Verantwortung für unsere freiheitliche demokratische Ordnung zu übernehmen.

Umrahmt wurde die Plenarsitzung des Landtags vom Jugendkammerchor der Singschule Koblenz unter der Leitung von Manfred Faig. Die jungen Sängerinnen und Sänger bereicherten diese sehr würdige Veranstaltung durch drei Gesangseinlagen: „Inscription of Hope“ von Randall Stroope, „Wie liegt die Stadt so wüst“, Trauermotette nach den Klageliedern Jeremiae von Rudolf Mauersberger, und „God shall wipe away all tears“ aus der Friedensmesse „The armed Man“ von Karl Jenkins.

HIER Pressebericht der Rhein-Zeitung vom 29. Januar 2018, Seite 3 lesen

HIER Pressebericht des Schängel vom 31. Januar lesen

HIER Artikel von Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – Nr. 5 vom 1. Februar 2018, Seite 4 lesen

 

Gedenkveranstaltungen unseres Fördervereins. Statio und Gedenkstunde

Im Anschluss an die Plenarsitzung des Landtags im Neuen Justizzentrum Koblenz fanden die schon Tradition gewordenen Veranstaltungen unseres Fördervereins statt.

Lesen Sie dazu HIER das Programm zu den Veranstaltungen.

Das begann mit der Statio am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz. Die gut besuchte Zeremonie begann mit Gedanken zum Erinnern an die Opfer, die von den Schülerinnen und Schülern der Hans Zulliger-Schule und der Diesterweg-Schule vorgetragen wurden. Sodann verlas Oberbürgermeister Hofmann-Göttig die Namen von 24 NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung, derer in diesem Jahr besonders gedacht wurde.

Schülerinnen und Schüler der Hans Zulliger-Schule und der Diesterweg-Schule bringen 24 Biografien von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung zusammen mit einer weißen Rose am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz an. 

Zum Gedenken an die Opfer legten der Landtag und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz je ein Blumengesteck am Mahnmal nieder.

Zum Abschluss spielten die Sinti-Musiker Jermaine und sein Vater Sascha Reinhardt eine Improvisation.

Die Sinti-Musiker Jermaine und Sascha Reinhardt (v.l.n.r.) bei der Statio am Mahnmal

Einen Artikel der Rhein-Zeitung – Ausgabe Koblenz – vom 29. Januar 2018, Seite 19 HIER lesen

Einen Artikel aus dem Schängel vom 31. Januar 2018/Seite 3  HIER lesen

Einen Artikel von Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – Nr. 5 vom 1. Februar 2018, Seite 3 HIER lesen

Gedenkstunde mit liturgischer Feier in der Citykirche

Im Anschluss an die Statio am Mahnmal fand die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus in der Citykirche statt. Zu ihr begrüßte Oberbürgermeister Hofmann-Göttig unter den sehr zahlreichen Besuchern ausdrücklich die Abgeordneten des Bundestages und des Landtages, die Stadtverordneten und andere Vertreter der Stadt und der in der Gedenkarbeit in Koblenz aktiven Vereine sowie die Mitglieder der Familie Reinhardt, vor allem die Zeitzeugin Waltraut Reinhardt. Oberbürgermeister Hofmann-Göttig nahm das Motto der Plenarsitzung des Landtages auf „Erinnern für die Zukunft“ und mahnte an, aus der Geschichte zu lernen. Er verwies darauf, dass nach der jüngsten Statistik 30 Prozent der Koblenzer einen Migrationshintergrund haben. Das sind etwas 34.000 Einwohner, sie stammen aus 170 Herkunftsländern. Dies zeigt – so Hofmann-Göttig – wie wichtig der Zusammenhalt der in Koblenz lebenden Menschen ist. Koblenz war und ist eine weltoffene Stadt, aber auch in ihr gibt es Probleme und auch Minderheiten, die sehr am Rande stehen. Es ist ein Gebot der Stunde und der Zukunft, friedlich und in Respekt zueinander hier zu leben. Nicht entscheidend sind Religion und Herkunft, maßgeblich ist vielmehr wie man miteinander umgeht. Ein sichtbares Zeichen dieses Umgangs ist auch – so Hofmann-Göttig – die Initiative für den Neubau der Synagoge in Koblenz. Diese ist auf einem guten Weg und sollte bald zu einem guten Ergebnis führen

In der Ansprache nahm der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal Koblenz Joachim Hennig die Gedanken zur „Zerbrechlichkeit des Rechtsstaats“ von Prof. Dr. Stolleis in seiner Rede im Landtag auf. Er erinnerte daran, wie die Weimarer Republik, die nie für ihre Ideale wirklich gekämpft hatte, eine Beute der Nationalsozialisten wurde. Vor nunmehr 85 Jahren, am 30. Januar 1933, fiel ihnen die Macht zu, die sie nie mehr losließen bis sie Terror und Tod nach fast ganz Europa brachten und Deutschland zerstörten. Deutlich werden ließ er die Zerstörung des Rechtsstaats und der Bürgerrechte an dem Schicksal der 24 Bürger aus Koblenz und Umgebung, deren Namen Oberbürgermeister Hofmann-Göttig verlas und deren Biografien die Schülerinnen und Schüler am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus angebracht hatten. Resümierend stellte Hennig fest, dass die Nazis entsetzlich viel für diese Zerstörung erreicht hatten:

Innerhalb von nur vier Wochen existierten die in der Weimarer Verfassung geschützten Bürgerrechte nicht mehr. Innerhalb von nur acht Wochen war nicht mehr das Parlament Herr der Gesetzgebung, sondern Hitler und viele seiner politischen Widerparts auf kommunistischer und auch sozialdemokratischer Seite waren geflüchtet, inhaftiert oder ermordet. Innerhalb von nur 14 Wochen wurden die Gewerkschaften, die zu den mächtigsten der Welt gehört hatten, aufgelöst. Innerhalb von nur 23 Wochen waren die Oppositionsparteien verboten - oder sie hatten sich selbst aufgelöst. Übrig blieb nur noch eine Partei: die NSDAP. Ende Juli 1933 befanden sich im gesamten Reich 26.789 Menschen in „Schutzhaft“.

Abschließend stellte Hennig die Frage, ob wir angesichts der Besorgnis erregenden Entwicklung in der letzten Zeit heute – wie vor 85 Jahren – wieder an einem Scheideweg stehen und wenn ja, welchen Weg wir diesmal einschlagen. Dabei erinnerte er an den „Legalitätseid“ Hitlers im September 1930 vor dem Reichsgericht, bei dem dieser erklärte, er wolle nur noch legal an die Macht kommen, dass dann aber „ein neuer Staatsgerichtshof zusammentrete(n), und vor diesem soll dann das Novemberverbrechen von 1918 seine Sühne finden, dann allerdings werden auch Köpfe in den Sand rollen.“ Dieser Ankündigung von Verbrechen, zu denen es dann schon 2 ½ Jahre später kam, stellte er den Tweed des Fraktionsvorsitzenden der AfD Uwe Junge gegenüber. Vor wenigen Tagen schrieb dieser: „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!“ Seine Ansprache beendete Hennig mit der Mahnung: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!


Lesen Sie
nachfolgend die vollständige Ansprache unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor wenigen Minuten haben wir am Mahnmal auf dem Reichensperger Platz der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Besonders erinnerten wir an die, die in der Frühphase der Machtübernahme Verfolgung erlitten. Hintergrund dafür ist, dass sich in wenigen Tagen, am 30. Januar, die sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 85 Jahren, am 30. Januar 1933, jährt. Dies war auch Anlass für die Gedenkrede von Prof. Dr. Michael Stolleis heute Mittag in der Sondersitzung des Landtages im Neuen Justizzentrum Koblenz. Das war eine sehr nachdenklich machende und warnende Rede zum Thema: „Die Zerbrechlichkeit des Rechtsstaates“.

Das Thema „Zerbrechlichkeit des Rechtsstaats“ ist ein wichtiges Thema. Nicht nur, weil der Rechtsstaat in Deutschland vor 85 Jahren zerbrochen ist, sondern auch weil er heute zerbrechlich ist und nicht zerbrechen darf. Die Tagespolitik andernorts zeigt, wie gefährdet er ist: Ungarn, Türkei, USA, Polen. Und auch bei uns hat sich in den letzten Jahren viel Besorgniserregendes entwickelt. Wir alle müssen aufpassen und sensibel sein. Dazu hilft ein Blick in die Geschichte. Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Geschichte kann uns – wie der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai 1985 gesagt hat – gegen neue Ansteckungsgefahren immunisieren. Blicken wir also zurück – um klaren Blickes nach vorn schauen zu können.

Herr Oberbürgermeister Hofmann-Göttig hat am Mahnmal 24 Namen von NS-Opfern aus Koblenz und Umgebung verlesen. Sie stehen für die Opfer der Nazis bei der Machtübernahme und der Zerstörung des Rechtsstaates vor 85 Jahren.

Das erste Opfer war der Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Wilhelm Guske. Als Mitglied der SPD, des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und der „Eisernen Front“ wurde er ein Opfer „politischer Säuberungen“ schon am Ende der Weimarer Republik. Bereits nach dem sog. Preußenschlag am 20. Juli 1932, bei dem der Reichskanzler von Papen die amtierende preußische Regierung entmachtete und dann viele demokratisch gesinnte hohe Beamte entließ, wurde Guske am 4. Oktober 1932 in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Die einzige Reaktion der abgesetzten preußischen Regierung war eine – im Übrigen erfolglose - Klage vor dem Staatsgerichtshof. Später stellte dazu ein jüdischer Mainzer Rechtsanwalt fest: „Die preußische Regierung hinterließ als Erinnerung lediglich eine Klage beim Staatsgerichtshof. Die Weimarer Republik war niemals kämpferisch gewesen. Sie war und blieb ein freundlicher älterer Herr im Gehrock und Zylinder, der nichts übel nahm und niemandem etwas zu leide tat.“

In dieser Agonie der ersten Demokratie auf deutschem Boden wurde der Vorsitzende der NSDAP Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 zum 21. Reichskanzler nach dem I. Weltkrieg ernannt. Er bildete eine Koalitionsregierung aus NSDAP, Deutschnationaler Volkspartei und dem „Stahlhelm“. Das klingt recht unspektakulär, das war es angesichts der Vorgeschichte, der zahlreichen früheren Kabinette im Grunde auch. Hier in Koblenz bekam man von diesem Ereignis zunächst nicht viel mit.

Nach dem 30. Januar 1933 ging es dann aber Schlag auf Schlag weiter mit der Demontage der Demokratie, des Rechtsstaats und der Bürgerrechte. Dabei bewegte sich viel in bekannten Bahnen, es war längst nicht alles neu, was die Nazis machten bzw. initiierten – aber es war alles generell konsequenter, radikaler und brutaler als je zuvor.

Nur zwei Wochen später setzten sie den „Massenhinauswurf republikanischer, demokratischer Beamter“ fort. Das nächste Opfer in Koblenz war am 12. Februar 1933 der Polizeipräsident Dr. Ernst Biesten. Biesten war seit Jahren ein entschiedener Gegner des aufkommenden Nationalsozialismus und wurde mit besonderer Häme „bis auf Weiteres“ aus dem Dienst entfernt. Das Koblenzer Nationalblatt drohte ihm sogar ein Strafverfahren an, dazu kam es aber nicht.

Am Abend des 27. Februar 1933 brannte der Reichstag in Berlin. Die Nazis schoben ihn den Kommunisten in die Schuhe. Die Urheberschaft wurde nie eindeutig aufgeklärt. Später vermuteten manche Historiker, dass die Nazis den Brand selbst gelegt hatten, um ihre politischen Gegner, vor allem die Kommunisten, zu verfolgen. Am nächsten Tag wurde die Reichstagsbrand-Verordnung erlassen. Sie setzte die Grundrechte außer Kraft. Nach ihrem Wortlaut sollte sie nur vorübergehend gelten. Sie wurde aber nie mehr aufgehoben und war gewissermaßen das „Grundgesetz“ des Unrechtsstaates.

Sofort wurden im gesamten Deutschen Reich tausende von Kommunisten, sofern sie nicht fliehen konnten, nach vorbereiteten Listen verhaftet. Aus Koblenz und Umgebung kamen ca. 80 Kommunisten in „Schutzhaft“. Einer der ersten war Jakob Newinger, der in seiner Wohnung in Metternich, Trierer Straße, festgenommen wurde. Als ihn die Polizisten abführten, war viel los auf der Straße. Es war Karneval. Die Menschen sahen seine Verhaftung und lehnten sich dagegen auf. Schließlich kam ein Überfallkommando, das Newinger unter dem Protest der Menge ins Auto zerrte und ins Gefängnis brachte.

Wie Newinger wurde auch der Buchhändler Richard Christ in sog. Schutzhaft genommen. Er kandidierte für die KPD zu den Wahlen zum Stadtrat am 12. März 1933, wurde dann auch gewählt, konnte aber sein Mandat nicht wahrnehmen, weil er im Gefängnis in der Karmeliterstraße in sog. Schutzhaft festsaß.

Jagd machten die Nazis im gesamten Reich auf Reichstagsabgeordnete der KPD und andere führende Kommunisten. Einer der nach vorbereiteten Listen Gesuchten war der Reichstagsabgeordnete Klaus Thielen aus Vallendar. Er konnte gerade noch in das unter dem Mandat des Völkerbundes stehende Saargebiet fliehen.

Ein anderer früher Emigrant war der Neuwieder Friedrich Wolf. Er war den Nazis besonders verhasst, weil er nicht nur Jude, sondern auch noch Kommunist und damals schon ein angesehener Autor sozialkritischer Theaterstücke war. Während seine Schriften bei der „Bücherverbrennung“ der Nazis am 10. Mai 1933 in Flammen aufgingen, schrieb er sein berühmtestes und folgenreichstes Werk "Professor Mamlock" - schon im Exil - zu Ende. Darin schildert Wolf anhand eines (erfundenen) jüdischen Arztes und Klinikchefs die „Machtergreifung“ der Nazis und das Bemühen des Demokraten Mamlock, den Naziterror nicht wahrnehmen zu wollen. Als er ihn in seinem Umfeld doch erfahren muss, zerbricht er und nimmt sich das Leben.

Trotz all dieser Behinderungen und Verfolgungen der politischen Gegner erreichten die Nazis bei der letzten halbwegs legalen Reichstagswahl am 5. März 1933 nicht die absolute Mehrheit. Erst zusammen mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (einem Zusammenschluss von Deutschnationaler Volkspartei und dem reaktionären „Stahlhelm“) brachten sie es auf 52 %.

Sofort übernahmen sie auch die Macht in den Städten und Gemeinden, auch in Koblenz. Der gewählte Oberbürgermeister Hugo Rosendahl wurde zum Amtsverzicht gezwungen, die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus gehisst.

Zwei Wochen nach den Reichstagswahlen erließ die neue Reichsregierung die Verordnung über die Bildung von Sondergerichten. Am selben Tag wurde das erste große Konzentrationslager, das KZ Dachau bei München, „eröffnet“.

Drei Tage später beschloss der Reichstag auch mit den Stimmen der Zentrumspartei das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Mit diesem sog. Ermächtigungsgesetz wurde auch die Reichsregierung zum Gesetzgeber. Die Exekutive konnte also selbst die Gesetze erlassen, die sie dann auch ausführte. Damit hatte sich der Reichstag, der nur noch sehr selten zusammentrat, selbst entmachtet.

Unterdessen gingen die Verhaftungen weiter. Sie trafen nicht nur Kommunisten, sondern auch Sozialdemokraten. So wurde der bereits in den einstweiligen Ruhestand versetzte Vizepräsident der Rheinprovinz Dr. Wilhelm Guske (SPD), der bis zuletzt als geistiger Kopf des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und der „Eisernen Front“ in Koblenz gegen die Nazis arbeitete, verhaftet und dabei in Handschellen und mit Hunden durch Koblenz geführt.

Für den 1. April 1933 inszenierten die Nazis einen reichsweiten „Judenboykott“. Er richtete sich gegen jüdische Geschäfte, Waren, Ärzte und Rechtsanwälte mit dem Motto: „Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“.

Eine Woche später erließ die Reichsregierung – sie konnte das ja aufgrund des „Ermächtigungsgesetzes“ – das sog. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Der Titel war genauso verlogen wie das, was die Nazis taten. Dies und das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft lieferten die scheinlegale Grundlage für die Entfernung von politisch Missliebigen und Juden aus dem öffentlichen Dienst und der Rechtsanwaltschaft. Es waren die beiden ersten Gesetze mit einem „Arierparagrafen“. Auch mehrere jüdische Koblenzer Rechtsanwälte verloren daraufhin ihre Zulassung. Es war etwa für die Juristenfamilie Brasch ihr gesellschaftlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Abstieg.

Vier Wochen später zerschlugen die Nazis die Gewerkschaften. Den 1. Mai 1933, den sie erstmalig in Deutschland zum offiziellen Feiertag erhoben, begingen sie noch mit großen Propagandaveranstaltungen. Am Tag darauf besetzten sie alle Gewerkschaftshäuser, die Büros der Gewerkschaftspresse und Banken wurden geschlossen, das gesamte Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt, die Konten gesperrt. Führende Gewerkschafter wurden verhaftet. Dann wurden die Gewerkschaften „gleichgeschaltet“ und in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) überführt.

Sechs Wochen später ächtete der Reichsinnenminister Frick die SPD als eine „staats- und volksfeindliche Partei“. Das war das Quasiverbot der SPD. Das Parteivermögen wurde beschlagnahmt, führende Sozialdemokraten kamen in „Schutzhaft“. Auch der Vorsitzende der Koblenzer SPD Johann Dötsch wurde vorübergehend inhaftiert. Die anderen Parteien lösten sich daraufhin selbst auf.

Zwei Wochen später erklärten die Nazis die nationale Revolution für abgeschlossen; es käme nun die Zeit der ruhigen Evolution. Einige Tage später, am 14. Juli 1933, erließ die Reichsregierung das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“. Die NSDAP war von nun an die einzige Partei im Deutschen Reich. Die Neugründung von Parteien war verboten und stand unter Strafe. Am selben Tag erging dann noch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Es erlaubte die Zwangssterilisation. Heute geht man davon aus, dass bis zu 400.000 Menschen Opfer dieser „Rassenhygiene“ wurden – etwa jeder 100. fortpflanzungsfähige Deutsche. Eines dieser Opfer war die junge Elisabeth M. aus Mülheim-Kärlich. Auch sie wurde zwangsweise sterilisiert. Als sie Jahre später wieder „auffällig“ wurde, kam sie erst in die Anstalt Andernach und dann 1944 in die Anstalt Hadamar bei Limburg/Lahn. Dort verstarb sie angeblich an Schwäche. Man hatte sie höchstwahrscheinlich mit einer Überdosis an Medikamenten ermordet.

Das Schicksal der anderen NS-Opfer kann ich hier nicht ansprechen. Erwähnen möchte ich nur noch das der jüdischen Juristenfamilie Brasch. Der Vater, der Justizrat Dr. Isidor Brasch, starb hier in Koblenz im Jahr 1936 noch eines natürlichen Todes. Sein älterer Sohn Ernst nahm sich vor der drohenden Deportation das Leben. Die Witwe Emma Brasch wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dann in das Vernichtungslager Treblinka. Dort wurde sie mit Gas ermordet. Der jüngere Sohn Walter und seine Familie waren nach Holland geflohen. Nach der Besetzung durch Hitler-Deutschland wurden sie inhaftiert und kamen ins Konzentrationslager Westerbork. Von dort deportierte man Walter Brasch und seine beiden Kinder Jean-Pierre und Ilse Erika Anfang 1943 nach Auschwitz-Birkenau; seine Frau Irma folgte ihnen ein Jahr später. Sie alle wurden bei ihrer Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau mit Giftgas ermordet.

Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind wir in unserer Geschichtserzählung im Jahr 1943/44. Angefangen hatte das alles gerade einmal 10 Jahre zuvor mit der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die dann folgenden Wochen und wenigen Monaten, die wir hier angesprochen haben, nannten die Nazis die nationale Revolution. Es war die Demontage der Demokratie, des Rechtsstaates und der Bürgerrechte. Sie dauerte noch nicht einmal ein halbes Jahr, als sie Anfang Juli 1933 für beendet erklärt wurde. Innerhalb dieser sehr kurzen Zeit hatten die Nazis aus ihrer Sicht viel erreicht:

Innerhalb von nur vier Wochen existierten die in der Weimarer Verfassung geschützten Bürgerrechte nicht mehr. Innerhalb von nur acht Wochen war nicht mehr das Parlament Herr der Gesetzgebung, sondern Hitler und viele seiner politischen Widerparts auf kommunistischer und auch sozialdemokratischer Seite waren geflüchtet, inhaftiert oder ermordet. Innerhalb von nur 14 Wochen wurden die Gewerkschaften, die zu den mächtigsten der Welt gehört hatten, aufgelöst. Innerhalb von nur 23 Wochen waren die Oppositionsparteien verboten - oder sie hatten sich selbst aufgelöst. Übrig blieb nur noch eine Partei: die NSDAP. Ende Juli 1933 befanden sich im gesamten Reich 26.789 Menschen in „Schutzhaft“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie kann und muss uns immun machen gegen neue Ansteckungsgefahren. Angefangen hatte das alles auch mit dem „Legalitätseid“ Hitlers im Frühherbst 1930 vor dem Reichsgericht in Leipzig. In einem Hochverratsprozess gegen drei Nazi-Offiziere wurde Hitler als Zeuge zu der Frage nach seinen Absichten und der seiner Partei befragt. Wie es in dem Urteil des Reichsgerichts dazu heißt, hat „er (…) mit unzweideutigen Worten erklärt, dass er seine Ziele nur noch auf streng legalem Wege verfolge, dass er den Weg in München im November 1923 nur „aus Zwang“ gegangen sei und diesen Weg schon deshalb nicht mehr beschreite, weil er bei dem wachsenden Verständnis, das Deutschland der völkischen Freiheitsbewegung entgegenbringe, ein illegales Vorgehen gar nicht nötig habe; die Gewalt falle ihm mit der Zeit auf legalem Wege von selbst zu“. Zuvor hatte Hitler vor dem Reichsgericht seinen „Legalitätseid“ geschworen und unter Eid erklärt: „Wenn unsere Bewegung siegt, dann wird ein neuer Staatsgerichtshof zusammentreten, und vor diesem soll dann das Novemberverbrechen von 1918 seine Sühne finden, dann allerdings werden auch Köpfe in den Sand rollen.“

An die Ansprache unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig schloss sich die liturgische Feier mit Superintendent Rolf Stahl (Evangelische Kirche), Dechant Hüsch (Katholische Kirche) und Pfarrer Staymann (Altkatholische Kirche) an. Das schon traditionelle christlich-jüdische Gebet war diesmal nicht möglich, weil wegen des Sabbats kein jüdischer Vertreter teilnehmen konnte.

 

Die Geistlichen bei der liturgischen Feier: Dechant Thomas Hüsch (Katholische Kirche),
Superintendent Rolf Stahl (Evangelische Kirche) und Pfarrer Ralf Staymann (Altkatholische Kirche) (v.l.n.r.)

Die Gedenkstunde endete mit Improvisationen zur Musik deutscher Sinti von Jermaine und Sascha Reinhardt. Beides sind Enkel bzw. Sohn der Zeitzeugin Waltraut Reinhardt und ihres vor einem Jahr verstorbenen Ehemannes Daweli Reinhardt, Mitbegründer des Schnuckenack- Reinhardt-Quintetts und Überlebender des Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und weiterer Konzentrationslager sowie des Todesmarsches vom KZ Sachsenhausen aus. 

 

  Sohn Jermaine und Vater Sascha Reinhardt bei Improvisationen zur Musik deutscher Sinti

 

Eröffnung der Ausstellung „Un-er-setz-bar“ in der Citykirche

Zum Abschluss der Veranstaltungen am 27. Januar wurde die Wanderausstellung des Erinnerungsortes Topf & Söhne, Erfurt, „Un-er-setz-bar“ eröffnet. Die Kuratorin der Ausstellung Sophie Eckensthaler führte in die Ausstellung ein, die sieben Überlebenden des Naziterrors und ihren Familien gewidmet ist. Porträtiert wird in der Ausstellung auch die Sintizza Waltraud („Trautchen“) Reinhardt aus Koblenz. Obwohl sie bereits über 80 Jahre alt ist und der Pflege bedarf, war sie zusammen mit ihren vier Töchtern Angelika, Lilli, Gudi und Michiko sowie ihrem „Raschai“, dem Arbeiterpriester Clemens Alzer, zur Eröffnung gekommen. Es war ein großes Erlebnis für diese Frau und Mutter, die an der Seite ihres bekannten Mannes Daweli Reinhardt immer zurückgezogen gelebt und zehn Kinder – fünf Mädchen und fünf Jungen – unter zum Teil sehr schwierigen Lebensumständen geboren und groß gezogen hatte. Sie hatte den bekannten Sinti-Musiker Daweli Reinhardt, der später Mitbegründer des Schnuckenack-Reinhardt-Quintetts war, beim „Ständeln“ in Koblenz kennen gelernt. Dort hatte es sie nach dem Krieg hin verschlagen, nachdem sie als Kleinkind von ihrer Familie getrennt worden war und in einem städtischen Kinderheim überlebte, während ihre Mutter und ihr Bruder in einem Konzentrationslager starben. Trautchen Reinhardt ist eine der allerletzten Opfer des Nationalsozialismus, die uns heute noch von den Schrecken des Naziterrors berichten und uns zu einem friedlichen und respektvollen Zusammenleben mahnen können.

 Die Zeitzeugin Waltraut Reinhardt vor ihrer Biografie in der Ausstellung „Un-er-setz-bar“ mit vier ihrer fünf Töchter:
Lilli, Michiko, Angelika und Gudi (v.l.n.r.)

 

 Zeitzeugin Waltraut („Trautchen“) Reinhardt

 

Fotos soweit nicht anders angegeben: Förderverein Mahnmal  / Wikipedia unter CCC